Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

Nicht nur die Exekutive steht unter Beobachtung der anderen Länder und des Bundesverfassungsgerichts, sondern auch der Gesetzgeber. Jeder, der dem hier zustimmt, muss wissen, dass er auf Einnahmen verzichtet, von denen ich meine, von denen der Senat meint, dass diese Einnahmen begründbar sind, dass sie zumutbar sind und dass sie auch nicht durch Abwanderungstendenzen konterkariert werden, sondern ich glaube, wir werden am Ende des Tages einfach etwas weniger Geld in der Kasse haben, als wir mit der vom Senat vorgeschlagenen Erhöhung der Sätze des Vergnügungssteuergesetzes gehabt hätten. – Vielen Dank!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Gemäß Paragraf 51 Absatz 7 unserer Geschäftsordnung lasse ich zuerst über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD abstimmen.

Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 16/1131

zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD und CDU)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Abg. W e d l e r [FDP])

Stimmenthaltungen?

(Bündnis 90/Die Grünen und Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Änderungsantrag zu.

Jetzt lasse ich über das Gesetz zur Änderung des Vergnügungssteuergesetzes, Drucksache 16/1021, in zweiter Lesung abstimmen.

Wer das Gesetz zur Änderung des Vergnügungssteuergesetzes unter Berücksichtigung der soeben vorgenommenen Änderungen in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD und CDU)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen Bündnis 90/Die Grünen, Abg. T i t t m a n n [DVU] und Abg. W e d l e r [FDP])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in zweiter Lesung.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von dem Bericht des staatlichen Haushalts- und Finanzausschusses, Drucksache 16/1137, Kenntnis.

Bremer Familienhebammen stärken!

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 5. September 2006 (Drucksache 16/1119)

Wir verbinden hiermit:

Bundesmodellprojekt „Pro Kind“ hilft Kindern aus sozial benachteiligten Familien!

Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU vom 14. November 2006 (Drucksache 16/1194)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Rosenkötter, ihr beigeordnet Frau Staatsrätin Dr. Weihrauch.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Das Wort erhält der Abgeordnete Crueger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt heute die vierte Debatte, die wir zur Kinder- und Jugendpolitik führen, und das ist auch gut so! Ich glaube auch, gerade das ist jetzt eine Debatte, die wir sehr sachlich und sehr überlegt führen müssten, weil es erstens um ein sehr wichtiges Thema geht und wir uns zweitens sehr genau verschiedene Fragen anschauen müssen, um in der politischen Abwägung auch genau zu bleiben und jetzt nicht in übereilten Maßnahmen irgendetwas zu entscheiden, was vielleicht auf den ersten Blick gut aussieht, aber auf den zweiten nicht mehr.

Wir haben bereits vor der Sommerpause begonnen, uns in der Sozialdeputation und im Jugendhilfeausschuss mit einem Anliegen auseinanderzusetzen, das Professor Pfeifer der Bundesfamilienministerin von der Leyen quasi als Wahlgeschenk mit auf den Weg gegeben hat. Als sie dann Bundesfamilienministerin geworden war, wollte sie dieses Wahlgeschenk gern einlösen, und das sieht vor, dass ein Modellprojekt aus den USA hier in Deutschland erprobt werden soll, wo es darum geht, Familienhebammen auf den Weg zu bringen.

Es gibt verschiedene Familienhebammenmodelle, die sich von den klassischen Hebammen, wie man sie kennt, dadurch unterscheiden, dass sie nicht nur mit dem Geburtsvorgang und der Geburtsvorbereitung beschäftigt sind, sondern sich wesentlich stärker unter sozialen und psychologischen Gesichtspunkten mit der Situation junger Familien, junger Mütter auseinandersetzen und ihnen eine gewisse Hilfestellung bieten, die weit über den Geburtsvorgang hinausgeht. Das sind Familienhebammen.

Es gibt in diesem Zusammenhang bereits eine Reihe von Modellen, und jetzt gibt es zusätzlich dieses Pfeifersche Modell, das über ein Bundesmodellprojekt finanziert wird und wo man eine Kommune suchte, die bereit ist, das umzusetzen. Nachdem man an verschiedene Türen geklopft hatte und nicht überall herzlich begrüßt wurde – da mag auch das gespannte Verhältnis von Herrn Pfeifer speziell zu ostdeutschen Kommunen eine Rolle spielen –, kam man dann schließlich nach Bremen. Bremen hat gesagt, da gibt es Bundesgeld, das ist augenscheinlich, da dreht es sich um einen wichtigen Aspekt, nämlich junge Familien zu fördern, dann machen wir das doch!

Wir Grünen waren da aber von Anfang an ein bisschen vorsichtiger, nicht gleich dagegen, aber wir haben gesagt, wir wollen uns doch durchaus einmal mit Menschen beraten, die sich damit auskennen. Wir haben viele Gespräche geführt, haben uns deshalb ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

auch eine gewisse Bedenkzeit seinerzeit ausbedungen und uns nach langer und reiflicher Überlegung entschieden, wir wollen dieses Pfeifersche Modell nicht! Warum wollen wir es nicht? Nicht, weil wir sagen, es ist falsch, wenn ein Bundesprogramm Geld nach Bremen schaffen könnte, Personalstellen in einem wichtigen Bereich nach Bremen schaffen könnte, weil man das dann ablehnen muss, das wäre sozusagen zu kurz gesprungen.

Wir haben uns 3 verschiedene Ebenen ganz genau angeschaut; nämlich die eine: Wie sieht dieser Modellversuch eigentlich aus? Die zweite Ebene: Welches Modellprogramm ist das überhaupt, das wir uns dort aus den USA holen? Wie läuft das inhaltlich ab? Und die dritte Ebene ist: Wie verträgt sich das mit unserer bremischen Landschaft?

Wir haben relativ schnell auf allen 3 Ebenen gemerkt, dass wir dabei an Grenzen gestoßen sind, wo wir gesagt haben, da wollen wir nicht mitgehen. Das fängt an mit der Versuchsanordnung, die wir – ich will es einmal gelinde formulieren – ein wenig zynisch finden. Es wird also so passieren, wie wir es auch aus Versuchen im Biologieunterricht aus der Schule kennen: Es gibt eine Gruppe, die bekommt eine zusätzliche Förderung, namentlich dieses Pfeifersche Programm, und es gibt eine Kontrollgruppe, die bekommt keine zusätzliche Förderung, und am Ende des Modellprojekts 2011 schaut man dann, welcher Gruppe ist es besser ergangen.

Das mag vielleicht streng wissenschaftlich genommen und auch für Labormäuse noch ganz gut funktionieren, aber ich glaube, dass wir hier in einem sehr sensiblen Bereich sind, wo es Eltern aus jungen Familien betrifft, die in problematischen Situationen sind. Wir finden deshalb diese Versuchsanordnung schwierig, weil wir die Sorge haben, dass diese Eltern, die dann in der Kontrollgruppe sind, nicht in der gleichen Weise all die Förderung bekommen, wie sie es eigentlich sollten, dass es nicht immer nur darum geht, ihnen dann gewisse Dinge vorzuenthalten. Es wird bestimmt nichts vorenthalten werden, auch wenn wir gehört haben, am Anfang hat man durchaus von wissenschaftlicher Seite so etwas gewollt, die bekommen dann gar nichts mehr. Nein, das ist vom Tisch, das ist auch rechtlich nicht möglich.

Es ist aber doch auch die Frage, meine Kollegin Doris Hoch sagt mir das immer wieder, es geht nicht nur darum, dass wir den Eltern die Möglichkeiten eröffnen, sondern wir müssen sie auch an die Möglichkeiten führen. Es gibt eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Hilfesystem einerseits und der Möglichkeit für junge Familien, diese in Anspruch zu nehmen, weil sie es häufig einfach nicht wissen, dass es das gibt beziehungsweise weil sie jemanden brauchen, der sie an die Hand nimmt und sie dort heranführt. Das ist die Verantwortung, die wir haben. Ob das in diesem Modellprojekt – das ja eigentlich nicht so ausgelegt ist, dass man sagt, die einen bekommen

eine sehr gute Förderung in Bremen, und die anderen bekommen eine andere Förderung, und hinterher schauen wir, was besser ist, sondern eigentlich geht es nur um dieses Pfeifersche Modell – am Ende nicht dazu führt, dass wir dort eine Gruppe haben, der es schlechter geht, als es müsste, da haben wir zumindest unsere Fragezeichen. Wir wollen das hier nicht als Vorwurf formulieren, aber wir haben auch an der Stelle gesagt, das wird sehr schwierig.

Dann haben wir uns das Programm inhaltlich weiter angeschaut, haben auch sehr lange mit Mitgliedern der Verwaltung gesprochen. Dort gibt es offenbar auch eine Auseinandersetzung zwischen den Mitarbeitern des Jugendamtes und den Mitarbeitern des Gesundheitsamtes, die sehen das zum Teil unterschiedlich. Das mag zum Teil auch irrationale Gründe haben.

Aber schauen wir uns das Programm einmal an: Was sieht es vor? Es sieht vor, dass ab dem fünften Monat, also der 28. Schwangerschaftswoche, spätestens diese Förderung einsetzen soll. Das ist sehr früh! Das ist in der Tat sehr früh. Das momentane Programm, also das, was wir bislang in Bremen an Förderung haben, setzt in der Regel nach dem Geburtstermin ein, und ich glaube, es macht einen Unterschied. Es gibt sicher auch viele Eltern, die sich bereits sehr frühzeitig vor der 28. Schwangerschaftswoche darüber Gedanken machen, wie sie das, was auf sie zukommt, schultern wollen und die sich gegebenenfalls gern Hilfe holen wollen. Ich glaube nur auch, dass es sehr viele Eltern gibt, die das gerade nicht tun, und dass gerade diejenigen, die diese Förderung spätestens nach dem Geburtstermin nötig hätten, im fünften Schwangerschaftsmonat sich dessen noch nicht richtig bewusst sind und das Problembewusstsein zu dem Zeitpunkt, wo man in das Programm eintreten soll, noch gar nicht soweit ausgereift ist, dass das dann vernünftig funktionieren könnte. Das ist eine Sorge, die wir haben.

Die zweite Sorge ist, dass diejenigen, die im Programm sind, unter einem strikten Alkohol- und sonstigen Drogenverbot, auch Rauchverbot stehen. Das ist natürlich medizinisch vollkommen richtig! Es ist eben nur auch so, dass man manchen Eltern das nur sehr schwer ausreden kann. Ich glaube, gerade bei denjenigen, denen man es schwer ausreden kann, sind gerade auch Kandidaten dabei, die eine Förderung und eine Stütze umso nötiger haben.

Ich glaube auch, das ist ein Mechanismus, der gewisse Gruppen ausschließt und dazu führt, dass wir am Ende einen relativ engen Korridor von Familien haben, die wir mit diesem Programm erreichen, und dass wir an viele andere, die links und rechts dessen stehen, die wir eigentlich genauso erreichen müssten, vielleicht zum Teil sogar noch dringender, nicht herankommen. Das ist unsere große Sorge. Wir sagen, dieses Programm geht einfach an der Zielgruppe, um die es uns wirklich geht, an so vielen Lebenswirklichkeiten vorbei, das kann nicht gut sein! Das sind

die zwei großen Probleme, die wir haben, und zwar inhaltlich und was den Modellversuch angeht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Jetzt komme ich zu unserem Antrag, der da lautet: „Bremer Familienhebammen stärken!“. Es ist nämlich so – das ist dann die dritte Ebene, das ist sozusagen eher eine strategische Entscheidung, wie man das machen will –, dass wir in Bremen in diesem Jahr, in 2006, das fünfundzwanzigjährige Jubiläum der Bremer Familienhebammen feiern. Vor 25 Jahren hat man dieses Programm auf den Weg gebracht, und es war ein Vorreitermodell für viele bundesweite Programme. Es gibt dort gar nicht so viele, das kann man an 2, vielleicht 3 Händen abzählen, wie viele bundesweite Projekte dieser Art es in Kommunen überhaupt gibt. Für sehr viele davon war das Bremer Familienhebammenmodell das Vorbild; zum einen, weil wir sehr früh dabei waren, zum anderen aber auch, weil das Programm inhaltlich gut war und weil die Kommunen, wenn sie sich verschiedene Modelle angeschaut haben, sich dann für das Bremer Modell entschieden haben.

Nach 25 Jahren, das ist nicht nur ein Grund zum Feiern wegen des Jubiläums, ist es auch ein Grund, genau daraufzuschauen, ob sich in den letzten 25 Jahren nicht die Lebenslagen vieler Familien so verändert haben, dass dieses Programm auch an die heutige Zeit angepasst werden muss. Davon bin ich fest überzeugt. Es gibt durchaus zaghafte Ansätze im Sozialressort, das wirklich einmal komplett zu evaluieren und sich einmal richtig mit Schmackes dort heranzusetzen und zu sagen: Beim Bremer Familienhebammenmodell 2006 müssen wir ein wenig nachtunen, da müssen wir vielleicht neue Sachen mit hineinnehmen, da brauchen wir vielleicht andere Sachen auch nicht mehr, so dass man sich ernsthaft mit dem Bremer Familienhebammenmodell auseinandersetzt mit dem Ziel, es konzeptionell und natürlich auch personell zukunftsfähig zu machen. Das wäre eigentlich zu diesem Zeitpunkt angeraten, ganz losgelöst von der Debatte um das Pfeifersche Programm; es ist einfach eine Zustandsbeschreibung.

Jetzt kommt aber genau zu diesem Zeitpunkt – wo wir im Übrigen, ich habe das gerade angesprochen mit dem Personal, noch 5,5 Vollzeitstellen in Bremen und 3,5 Vollzeitstellen in Bremerhaven haben, wo jedes Jahr nur ungefähr 170 bis maximal knapp 200 neue Fälle von den Stadtbremer Familienhebammen aufgenommen werden können, wo wir also auch sagen, dort sind bestimmt die Bedarfe auch noch größer als das Angebot – dieses Bundesmodell, und ich glaube, es ist doch relativ klar, das können wir uns doch auch alle vorstellen, was passieren wird: Es gibt also ein Bundesprogramm, das mit viel Bundesgeld hierher kommt, das von jetzt auf gleich auf die Schiene gesetzt, mit einem relativ hohen Personalstandard laufen und wissenschaftlich auch komplett evaluiert

wird. Auf der anderen Seite haben wir das Bremer Familienhebammenmodell, das eben nicht evaluiert ist, in den letzten Jahren personell immer weiter abgeflacht ist, wo es immer weniger Mitarbeiter gibt. Was wird denn passieren? Man kann, glaube ich, in Bremen, in dieser kleinen Kommune, wenn überhaupt in irgendeiner Kommune, nicht 2 Modelle, die im Grunde das gleiche Ziel haben, aber es auf völlig unterschiedliche Weise verfolgen, parallel durchführen und nach Möglichkeit auch noch beide weiterentwickeln. Ich glaube, das funktioniert nicht. Da muss man sich entscheiden. Man kann nicht immer sagen: Das machen wir beides, Hauptsache, es wird von jemand anderem bezahlt, sondern es geht dann auch einmal darum, sich zu entscheiden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)