Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, es wäre mir schwer gefallen, die beiden Themen miteinander zu verbinden. Deswegen spreche ich jetzt zu der zweiten Aktuellen Stunde zum Fall Murat Kurnaz.

Meine Damen und Herren, die grüne Bürgerschaftsfraktion freut sich ausdrücklich, dass Herr Kurnaz im letzten Jahr freigelassen wurde und inzwischen wieder unter uns in Bremen-Hemelingen weilt. Wir haben uns über viele Jahre erstens dafür eingesetzt, dass ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

er freigelassen wird. Zweitens haben wir uns dafür eingesetzt, dass Bremen sich in diesem Fall engagiert, und drittens haben wir uns dafür eingesetzt, dass dieser – wie ich immer noch finde – skandalöse Vorstoß Bremens, ihn nach Freilassung nicht wieder nach Bremen einreisen zu lassen, gestoppt wird. Alle drei Punkte sind in Erfüllung gegangen, und ich bin froh darüber!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir sind auch vom Entsetzen über das geprägt, was wir schon über Guantanamo wussten und was nun von ihm über die Medien berichtet wird. Ich finde, es ist ein großer Unterschied, ob man etwas über ein Gefangenenlager irgendwo am Ende der Welt abstrakt hört oder ob jemand, der dort über fünf Jahre hinweg gewesen ist, in Einzelheiten darüber berichtet. Für uns alle sollten diese Berichte Verpflichtung sein herauszufinden – die Rolle der Amerikaner können wir von hier aus relativ schwer beeinflussen –, wer in unserer Bundesrepublik Deutschland, wer in Berlin und in Bremen daran beteiligt war, seine Haftdauer möglicherweise weit über das hinaus zu verlängern, was ursprünglich von den Amerikanern vorgesehen war. Das ist eine Verpflichtung!

Es gibt eine zweite Verpflichtung: Die Mutter von Murat Kurnaz, Rabiye Kurnaz, hat – wie ich finde – wie eine Löwin um ihren Sohn gekämpft. Heute Morgen in der Debatte um Bildungspolitik ist sehr viel von Vorbildfunktion die Rede gewesen. Ich finde, sie ist ein Vorbild, und sie ist ein Ansporn für uns, uns in dieser Frage so einzusetzen. Meine Damen und Herren, dazu gehört auch die vollständige Aufklärung über die Zusammenhänge in der Frage seiner Verhaftung und seiner langen Haftdauer.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die neue Situation, die entstanden ist, ist, dass es neue Erkenntnisse über die Rolle Bremens gibt, darüber sprechen wir hier. Die Frage, die den Bund betrifft, wird an anderer Stelle – wie Sie jeden Tag in den Medien verfolgen können – erörtert. Bremen ist aber wahrscheinlich in zwei verschiedenen Aspekten an dieser langen Leidensgeschichte von Murat Kurnaz beteiligt gewesen. Es ist nach wie vor unklar, inwieweit bremische Informationen von Anfang an dazu geführt haben, dass Murat Kurnaz überhaupt verhaftet beziehungsweise in Kandahar von den Amerikanern festgesetzt, nach Guantanamo überstellt und nicht freigelassen worden ist.

Wir wissen, dass bremische Informationen aus bremischen Akten weitergegeben worden sind. Wir haben das hier im Haus erörtert, ob über das BKA oder direkt, das war eine große Frage. Wir wissen auch, das beileibe nicht alle, die in Kandahar festgesetzt worden sind, nach Guantanamo gebracht worden sind. Es gäbe also noch eine Entscheidung. Wir ha

ben Leute in Pakistan und Afghanistan verhaftet. Wir überprüfen das, wir lassen sie wieder ziehen, oder wir bringen sie nach Guantanamo. Wir alle wissen inzwischen sehr gut, was Guantanamo bedeutet. Hier ist nach wie vor unklar, welche Rolle Bremen dabei gespielt hat, dass Murat Kurnaz überhaupt nach Guantanamo gebracht worden ist.

Die noch schwierigere Frage, die sich stellt: Inwieweit ist Bremen beteiligt gewesen an dem Versuch, nachdem die Amerikaner mehrfach auf unterschiedlichen Wegen signalisiert hatten, ihn freilassen zu wollen – die Belege sind täglich in der Zeitung zu lesen, es lohnt meines Erachtens überhaupt nicht, sie zu leugnen –, inwieweit ist Bremen beteiligt gewesen in der Frage: Wir verhindern die Rückreise in die Bundesrepublik Deutschland und nach Bremen.

Wir wissen, dass es der Innensenator in Bremen war, der die Aufenthaltsgenehmigung, die er als in Bremen gebürtiger Bremer Bürger hatte, für erloschen erklärt hat. Wir wissen auch, dass der Innensenator Röwekamp sowohl in diesem Hause als auch im Fernsehen und in der Öffentlichkeit wiederholt ausschließlich ausländerrechtliche Gründe für diese Entscheidung angeführt hat. Er hat in sehr vielen Einlassungen gesagt, dass es eine zwingende Notwendigkeit war, ausländerrechtlich so zu handeln und diese Aufenthaltsgenehmigung für erloschen zu erklären.

Das Verwaltungsgericht Bremen hat das Gegenteil festgestellt. Es hat gesagt, dass es – im Gegenteil – eine Verpflichtung gab, Murat Kurnaz in den vorherigen Stand wieder einzusetzen, weil er natürlich keine Möglichkeit hatte, aus einem streng bewachten Gefangenenlager heraus Anträge für eine Verlängerung seines Aufenthaltes außerhalb Bremens zu stellen. Das ist soweit bekannt. Was wir nicht wissen, das Empörende an dieser Frage ist, dass wir weder in der Parlamentarischen Kontrollkommission noch in der Innendeputation noch in diesem Hause noch in den Einlassungen des Senators über die Medien wissen, was tatsächlich zwischen der Bundesregierung und Bremen vereinbart worden ist.

Wir wissen heute, dass die Begründung mit dem Ausländerrecht eine Ausrede war. Wir wissen, dass es eine Strategie gab, die dezidiert aufgestellt worden ist: Mit welchen Mitteln können wir Murat Kurnaz von Bremen wieder fernhalten. Wir wissen, dass es dabei eine Zusammenarbeit zwischen dem Bund und Bremen gab. Wir kennen die Einzelheiten nicht, und ich glaube, es ist sehr wichtig, um dies auch für die Zukunft auszuschließen, dass wir die Einzelheiten kennenlernen, die dort zwischen dem Bund und Bremen verhandelt worden sind, weil es sich hier ganz sicher um einen politischen Skandal erster Ordnung handelt, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aus dem Grund, dies genauer herauszufinden, lassen Sie mich nur noch einmal einschieben: Ich weiß

sehr wohl, wie die Rangfolge der Verantwortung in diesem Fall ist. Die Amerikaner haben Kurnaz gefangengenommen und eingesperrt. Inzwischen halten alle Fraktionen des Deutschen Bundestages seine Aussagen für glaubwürdig, massiv gefoltert und unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten worden zu sein. Das ist der erste Punkt, den darf man nicht vergessen. Dann kommt der zweite Punkt, welche Rolle die Bundesregierung gespielt hat. Auch hier müssen wir – dabei teile ich vollständig die Auffassung meines Bundestagskollegen Ströbele, vollkommen ungeachtet der Parteizugehörigkeit – vollständig aufklären, welche Rolle die Bundesregierung gespielt hat.

Dann haben wir die Bremer Rolle zu erklären, die wir auch immer in der Bremischen Bürgerschaft und in der bremischen Öffentlichkeit vertreten haben, wie es dazu kam, ihm bei diesem unwürdigen Spiel die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen und zu verhindern, dass er in seiner Heimatstadt zu seiner Mutter zurückkehren kann. Um dies genauer herauszufinden, wie es sich zugetragen hat, haben wir heute eine vollständige und umfassende Akteneinsicht in die Akten Murat Kurnaz beim Bremer Innensenator, beim Landesamt für Verfassungsschutz und in der Ausländerbehörde beantragt. Wir wollen alle Akten zu Murat Kurnaz aus den letzten sechs Jahren auf dem Tisch haben. Wir wollen sie uns ansehen, und danach werden wir eine Bewertung vornehmen, welche Rolle Bremen in diesem unwürdigen Schauspiel wirklich gespielt hat. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Kleen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Niemand lässt unbeeindruckt, welches Schicksal Murat Kurnaz widerfahren ist. Mitglieder der Untersuchungsausschüsse in Berlin und Brüssel betonen immer wieder übereinstimmend, wie ernsthaft, glaubwürdig und seriös Murat Kurnaz über das große Unrecht berichtet hat, das ihm angetan wurde. Auch Bürgermeister Böhrnsen hatte diesen Eindruck bestätigt, als er Murat Kurnaz wenige Tage nach dessen Rückkehr zu Hause in Hemelingen besucht hat. Die Bemühungen, Murat Kurnaz beim Wiedereinleben in Bremen behilflich zu sein, begrüßen wir sehr.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Murat Kurnaz ist Bremer, an unserer Verpflichtung für ihn konnte es eigentlich nie Zweifel geben, und es gibt auch heute keine Zweifel.

Meine Damen und Herren, die Verdächtigungen, die Murat Kurnaz nach Guantanamo gebracht haben, sind haltlos. Es gibt keinen Hinweis auf terroristische Aktivitäten, es gibt kein Ermittlungsverfahren, es gibt ein Urteil eines Gerichts in den USA, das seine Unschuld bestätigt. Wie dieser Verdacht entstanden ist oder genährt wurde, darüber gibt es seit gestern weitere Anhaltspunkte, Herr Dr. Güldner hat das angesprochen. Diese müssen ebenso im Berliner Ausschuss geklärt werden wie der Vorwurf, die frühere Bundesregierung habe wesentlich dazu beigetragen, das Leid von Murat Kurnaz zu verlängern. Die Vorwürfe sind an Ungeheuerlichkeit nicht zu überbieten.

Der Untersuchungsausschuss in Berlin hat alle relevanten Akten, und er kann Zeugen unter Wahrheitspflicht anhören. Damit unterscheidet er sich auch vom CIA-Ausschuss in Brüssel, der sich gestern geäußert hat. Für alle Beteiligten gilt wie auch in anderen Verfahren zunächst die Unschuldsvermutung. Vorverurteilungen bringen uns nicht weiter. Der Ausschuss muss die Möglichkeit haben, seine Arbeit unaufgeregt und zügig fortzusetzen, und er muss diese Möglichkeiten nutzen.

(Beifall bei der SPD)

Im Berliner Untersuchungsausschuss wird vermutlich auch zur Sprache kommen, inwieweit bremische Behörden mit welchem Inhalt mit Bundesbehörden zusammengearbeitet haben. Die Frage nach der ausländerrechtlichen Verhinderung der Rückkehr von Kurnaz nach Bremen wegen Rückmeldefristablauf haben, glaube ich, in der Vergangenheit nur wenige für richtig gehalten. Deshalb war es auch wichtig, dass nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts eingelenkt wurde und keine Rechtsmittel eingelegt wurden.

Meine Damen und Herren, wer die Medien in den letzten Monaten und gerade auch in den letzten Tagen oder gestern verfolgt hat, der wird erstaunt gewesen sein, welche Entwicklungen sich immer wieder neu aufgetan und ergeben haben. Niemand wird heute von sich behaupten können, das Geschehen von 2002 bis 2005 ganz zu überblicken. Viele Dinge, die Herr Dr. Güldner hier aufgezeigt hat, stehen im Raum, aber sie sind nicht bewiesen. Um sich ein wirkliches Bild davon zu machen, inwiefern Bremer Behörden mit welchen Bundesbehörden zusammengearbeitet haben, könnte es hilfreich sein, wenn der Innensenator von sich aus eine Chronologie der Ereignisse aus Bremer Sicht erstellen lässt und diese dann in der Parlamentarischen Kontrollkommission, soweit der Nachrichtendienst betroffen ist, und in der Innendeputation vorlegt. Gerüchten und Verdächtigungen können eventuell so der Wind aus den Segeln genommen werden.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dieser vom Bündnis 90/Die Grünen sehr kurzfristig beantragten Aktuellen Stunde „Verantwortung der Bundes- und Landesregierung für die Haftung von Herrn Kurnaz“ kann ich mich kurzfassen, zumal ich mich zu den verbrecherischen Foltermethoden und zu den grausamen Menschenrechtsverletzungen der meines Erachtens völkerrechtswidrigen, kriegerischen, blutigen Irrsinnspolitik der USA auch im Fall Murat Kurnaz aus Bremen schon des Öfteren geäußert haben. Darum dürfte es gerade für Bündnis 90/Die Grünen nichts Neues sein.

Im Übrigen können Sie die völkerrechtswidrigen und kriegerischen, verbrecherischen Eroberungskriege der USA ja seitenlang jede Woche aus der „National-Zeitung“ entnehmen und dass die damalige, ehemalige rot-grüne Chaosregierung im Fall Murat Kurnaz eine äußerst skandalöse dubiose Rolle gespielt hat. Das waren doch Ihre eigenen grünen Parteimitglieder, die ehemalige rot-grüne Bundesregierung. Das ist doch für Sie nichts Neues, das konnten Sie und können Sie immer noch seitenlang heute in den Medien nachlesen. Die Vorwürfe sind so detailliert und so eindeutig, dass man es kaum glauben mag.

Einige ehemalige grüne Regierungsmitglieder sollen an diesem Skandal beteiligt gewesen sein, so der Vorwurf der Medien, zum Beispiel, dass die frühere rot-grüne Bundesregierung mit den Geheimdiensten schon seit Oktober 2002 beschlossen haben soll, Murat Kurnaz nicht wieder nach Deutschland zurückkehrenzulassen. Nun kann man über diese Entscheidung ja durchaus eine unterschiedliche Meinung haben, aber es waren ausgerechnet einige Ihrer grünen Bundestagsabgeordneten, das heißt im Klartext, auch einige grüne Bundestagsabgeordnete haben eine schnellere Rückkehr von Murat Kurnaz nicht nur verzögert, nein,

(Zuruf von Bündnis 90/Die Grünen: Wie das denn? – Abg. C r u e g e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Nennen Sie doch einmal Namen, Herr Tittmann!)

sondern sogar noch über Jahre verhindert.

Nun kann man über die Person Murat Kurnaz und seine politischen Vorstellungen und Einstellungen durchaus geteilter Meinung sein, aber dass ausgerechnet Bündnis 90/Die Grünen aus reiner Machtgier und politischem Selbsterhaltungstrieb vor den schrecklichen, grausamen Menschenrechtsverletzungen der USA über Jahre seine Augen verschlossen hat, ist an politischer Scheinheiligkeit oder Niederträchtigkeit nicht zu überbieten.

Wenn so Ihr politischer Kampf gegen andauernde kriegerische Menschenrechtsverletzungen aussieht, dann wird mir angst und bange um Menschenrechtsverletzungen, meine Damen und Herren, um Menschenrechte! Tatsache ist, dass Bündnis 90/Die Grünen mit allen Mitteln und koste es, was es wolle, auch auf Kosten der unendlichen Menschenrechtsverletzungen gerade der USA, seine sehr gut dotierten Regierungspöstchen behalten wollte und sonst gar nichts. Dieser schreckliche und unerträgliche politische Skandal zeigt doch ganz klar und deutlich, wie die Grünen

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen] meldet sich zu einer Zwischenfra- ge – Glocke)

und ihre sogenannten menschenrechtsfreundlichen SPD-Gutmenschgenossen grobe Menschenrechtsverletzungen gerade im Fall Murat Kurnaz scheinheilig oder gar nicht bekämpft haben.

Herr Abgeordnete Tittmann, ich habe eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Güldner.

Nachher! Er beantwortet ja meine Fragen auch nicht, dazu ist er zu feige.

(Lachen)

Die Hauptverantwortlichen im Fall Murat Kurnaz sollen laut Medienberichte der ehemalige grüne – nun sollte Sie genau zuhören – und damalige Innenminister Schily,

(Abg. C r u e g e r [Bündnis 90/Die Grünen]: SPD!)

der damalige Geheimdienstkoordinator und jetzige SPD-Außenminister Steinmeier und natürlich der grüne Mitläufer und damalige Außenminister Fischer gewesen sein.

(Glocke)

Herr Abgeordnete Tittmann, ich bitte Sie doch, Ihre Ausdrucksweise zu mäßigen, sonst bekommen Sie einen Ordnungsruf!

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß, es wird euch freuen, aber soweit kommt das nicht! Darum trägt die damalige rot-grüne Chaosregierung meiner Meinung nach auch eine sehr große Mitschuld daran, dass Herr Kurnaz sage und schreibe über 4 Jahre von den USA

unschuldig, ich betone unschuldig, gefangengehalten geworden ist,

(Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen)