Protokoll der Sitzung vom 13.12.2007

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich kenne die Gegenargumente, und es ist in diesem Hause von Senator Nagel bereits gestern, glaube ich, zitiert worden, was jemand wie der Parteivorsitzende der FDP zu solchen Antritten sagt, wenn er dort Vergleiche herbeiführt nach dem Motto: Der Mindestlohn sei so etwas wie die DDR ohne Mauer. Ich finde, meine Damen und Herren, das ist ein Herangehen, das nicht geht, das dem Sozialstaat Deutschland nicht entspricht, und ich hoffe, dass wir in Bremen auch mit Unterstützung der FDP einen anderen Weg gehen und Schritte nach vorn machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der Linken)

Das Gesetz ist aber kein Sozialgesetz, das will ich an dieser Stelle deutlich sagen. Es hat nicht nur im Titel die Frage der Sicherung von Wettbewerb stehen, sondern wir sorgen dafür, dass gleiche Bedingungen herrschen, dass man aber gleichzeitig nicht die Konkurrenz um Aufträge über Lohndumping und Absenkung von Standards abwehrt, sondern über Qualität, meine Damen und Herren, und an Qualität haben wir ein gemeinsames Interesse. Wir brauchen in Deutschland, einem entwickelten Industrieland, eine wirtschaftliche Situation, in der der Wettbewerb über Qualität, über Innovation und gute Leistung läuft, das will dieses Gesetz erreichen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wenn wir auf die einzelnen Punkte schauen, gibt es einige Dinge, die vor 5 Jahren noch im Streit waren und bei denen es gewisse Unsicherheiten gab, die wir hier klären und klarer fassen. Ein erster Punkt, den ich benennen will, ist die Tatsache, dass wir immer darüber debattiert haben, ob neben der öffentlichen Hand selbst eigentlich auch die Gesellschaften vom Land Bremen und von seinen Stadtgemeinden genauso behandelt werden. Ich habe jetzt gerade ei

niges über die Ausgründung einer Gesellschaft beim Krankenhaus Reinkenheide in Bremerhaven gelesen, genau solche Gesellschaften sind gemeint. Wir wollen sichern und werden mit diesem Gesetz nun endgültig festschreiben, was vor Jahren noch umstritten war, nämlich dass die Gesellschaften genauso behandelt werden. Das ist die Politik dieser neuen Koalition, und wir setzen das hier auch in diesem Gesetz um, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das ist die eine Änderung, und die zweite Änderung, die immer in der Debatte war, ist folgende Fragestellung: Ist es erlaubt, neben der Frage von Einhaltung von Tarifverträgen auch weitere soziale Standards einzuführen? Dazu hat es wichtige Veränderungen gegeben: Es hat Rechtsprechungen auf der europäischen Ebene gegeben, aber im vergangenen Jahr ebenfalls Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichts. Dies haben wir hier in diesem Hause auch verschiedentlich erörtert. Der damalige Wirtschaftssenator Kastendiek hat hier auch vorgetragen, dass der Senat schon in der vergangenen Legislaturperiode dies aufnehmen wollte. Wir setzen es in diesem Gesetz jetzt um.

Es gibt zusätzliche Kriterien, die bei der Auftragsvergabe eine Rolle spielen können, das sind die Schaffung und das Anbieten von Ausbildungsplätzen für junge Menschen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wer dort besonders gut ist, der hat es verdient, einen ordentlichen Auftrag zu bekommen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich will ganz kurz sagen, welche weiteren Themen angegangen werden: die Ausweitung der Anwendungsbereiche, Bauaufträge sind immer Gegenstand des Gesetzes gewesen, auch der öffentliche Personennahverkehr. Auch das sage ich ganz ausdrücklich vor dem Hintergrund derzeitiger Auftragslagen und Debatten, das ist in Bremen Bestandteil des Gesetzes.

Das war es übrigens auch in Niedersachsen, ist dort aber von der noch regierenden Koalition herausgenommen worden. Sie muss sich aber ja zur Wahl stellen, und es wäre gut, wenn Niedersachsen den ÖPNV auch einbeziehen würde. Wir haben in unserem Gesetz die Ausdehnung auch auf weitere Dienstleistungsbereiche. Wenn, dann muss ein solches Gesetz für alle Aufträge gelten. An der Stelle darf Salamitaktik keine Rolle spielen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Die weiteren Veränderungen – nur stichwortartig – betreffen die Festlegung von Auftragswerten, die Sicherheit an dieser Stelle, umfassen auch das ganze Thema der Einhaltung und der Auswahl der gültigen Tarifverträge, umfassen die von mir bereits angesprochenen sozialen Kriterien, haben verschiedene Aspekte der Entbürokratisierung dadurch zur Folge, dass wir Präqualifizierung von Unternehmen ermöglichen – das ist eine richtige Entbürokratisierung – und machen mehr zum Thema Kontrolle. Ich will diese Punkte an dieser Stelle nicht weiter ausführen, mein Kollege Wolfgang Jägers wird sich im Laufe der Debatte zu Wort melden und Ihnen hier die einzelnen Aspekte noch einmal erläutern und darstellen.

Ich will an dieser Stelle nur sagen und damit zum Schluss kommen: Mit diesem Gesetz legt die Koalition einen weiteren Punkt vor, den wir in unserem Koalitionsvertrag vereinbart haben, der uns als Koalition politisch wichtig ist, und wir tun dies sehr zügig, innerhalb der ersten 200 Tage, woran Sie sehen, dass wir handlungsfähig sind und zügig arbeiten. Wir tun dies aus der Mitte des Parlaments, das finde ich auch einen guten Brauch der Demokratie, dass die beiden Fraktionen dies hier erarbeitet haben, und ich bitte Sie darum, dass wir dieses Gesetz heute in erster Lesung beschließen, dann an die Wirtschaftsdeputation federführend überweisen sowie weiterhin an die Arbeitsdeputation und die Baudeputation! – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Sieling hat hier schon den wesentlichen Rahmen des Gesetzes erläutert. Die rot-grüne Landesregierung legt hier jetzt das neue Bremische Gesetz zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei der öffentlichen Auftragsvergabe vor und hat damit eine Neufassung des alten Vergabegesetzes an der Stelle erarbeitet. Der zentrale Punkt in diesem Gesetz soll sein, dass wir einen fairen Wettbewerb bei der öffentlichen Auftragsvergabe garantieren, aber gleichzeitig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Dumpinglöhnen schützen wollen.

Deshalb gehört für uns zu einem fairen Wettbewerb auch dazu, dass ortsübliche Tariflöhne gezahlt werden, dass Jugendliche ausgebildet werden und dass Frauen Chancengleichheit in Unternehmen haben. Wir wollen nämlich einen Wettbewerb um gute Produkte und wir wollen nicht, dass am Ende ein ruinöser Wettbewerb im Vordergrund steht, der da heißt: Wer zahlt die niedrigsten Löhne, wer investiert am ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

wenigsten in Ausbildungsplätze? Wir wollen nicht, dass eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Diese kann niemand hier in unserem Bundesland wollen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es muss unser gemeinsames Ziel sein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihrer Arbeitsleistung leben können und dass sie dann auch tariflich bezahlt werden, und es muss unser gemeinsames Ziel sein, dass Unternehmen ihrer Ausbildungsverantwortung nachkommen, denn wir wissen es doch gemeinsam: In jedem Jahr zeigt sich aufs Neue, dass zu wenig Jugendliche eine Ausbildungsstelle bekommen, zu viele Jugendliche in Warteschleifen hängen und am Ende zu viele Jugendliche gar keine Ausbildung haben, und das können wir auch alle gemeinsam vor dem Hintergrund des entstehenden Fachkräftemangels überhaupt nicht wollen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Mit diesem Gesetz nehmen wir Verantwortung wahr, indem wir die Marktchancen der Unternehmen erhöhen, die bereit sind, die Tariflöhne zu zahlen, die in Bremen üblich sind. Das ist fair, weil die Menschen hier vor Ort auch ihr Einkommen entsprechend ihrer Lebenshaltungskosten hier vor Ort haben möchten, und es ist fair gegenüber den Unternehmen hier in der Region.

Ich will hier nur auf einige Punkte eingehen, die jetzt im Gesetz neu sind, Herr Dr. Sieling hat es auch schon gesagt: Wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen schaffen, wir wollen das Gesetz nicht nur auf Bauleistungen beschränken, sondern andere Dienstleistungen und Lieferungen sollen da mit einbezogen werden, insbesondere auch freiberufliche Dienstleistungen. Das Gesetz soll künftig bei unangemessen niedrigen Angeboten eine vertiefte Prüfung insbesondere der Lohnkalkulation vornehmen. In der Vergangenheit ging es da nur um die Gesamtkosten. Ein unangemessen niedriges Angebot besteht dann, wenn es unter 20 Prozent der geschätzten Kosten des Auftraggebers bleibt. Auch das ist für uns ein Punkt, dass wir es ernst meinen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein angemessenes Auskommen an der Stelle haben sollen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dazu sind verstärkte Kontrollen möglich; nicht nur auf Verdacht hin, sondern auch durch stichprobenartige Kontrollen kann dann Einsicht in die Unterlagen genommen werden, um nachzuprüfen, ob tatsächlich tariflich gezahlt wird. Ich gehe einmal davon aus, dass der Kollege Jägers gleich noch einiges er

zählen wird, wie es in der Vergangenheit in der Praxis an der Stelle war. Von daher möchte ich jetzt nicht weiter darauf eingehen.

Dann wird es das Präqualifikationsverfahren neu geben, auch das wurde schon gesagt. Das ist ein entscheidender Beitrag zur Entbürokratisierung, weil ja gerade an der Stelle mehrfach Prüfungen wegfallen würden. Ein Unternehmen, bei dem einmal festgestellt worden ist, dass es nach Tariftreue bezahlt, wird auch nicht wieder so schnell in eine Prüfung hineingeraten, und das schafft Sicherheit für die Unternehmen, führt aber auch dazu, dass Bürokratie an der Stelle abgebaut wird.

Last, not least haben wir in das Gesetz hineingeschrieben, dass bei gleichwertigen Angeboten – was immer der Fall sein kann – das Unternehmen den Zuschlag bekommen soll, welches Ausbildungsplätze bereitstellt beziehungsweise die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Beruf fördert. Herr Dr. Sieling hat schon darauf hingewiesen: Dazu gibt es mittlerweile eine Rechtsprechung, dass es möglich ist. Auch auf europäischer Ebene wurde bereits festgestellt, dass das alles möglich ist. Insofern fordern wir hier an dieser Stelle nichts weltbewegendes Neues.

Zu den Ausbildungsplätzen hatte ich schon das Entscheidende gesagt, dass es eine Selbstverständlichkeit sein muss, dass Unternehmen ihre Ausbildungsverpflichtung wahrnehmen. Zu dem, was die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Beruf anbelangt, gibt es auch seit Längerem eine Selbstverpflichtung der Unternehmen, und das haben wir hier an der Stelle nur hineingenommen. Das ist in Wirklichkeit auch eine Selbstverständlichkeit, über die man sich hier nicht streiten kann.

Was mit Sicherheit auch klar ist: Es werden noch einige Fragen offen bleiben. Es wird noch einmal über die Wertgrenzen zu reden sein, deswegen soll das Gesetz auch zur weiteren Beratung an die Deputation für Wirtschaft überwiesen werden, federführend, aber auch an die Deputationen für Arbeit und Bau, um offene Fragen zu klären. Wir wollen zwischen der ersten und zweiten Lesung eine Anhörung vornehmen, um auch diese Fragen alle zu klären. Es sind sicherlich Fragen an den einen oder anderen Stellen im Detail, die vielleicht noch nachjustiert werden müssen, und das wollen wir an der Stelle machen, weil wir am Ende natürlich ein gutes Gesetz haben wollen. Ich bin mir auch sicher, dass wir am Ende ein gutes Gesetz haben werden, das einem ruinösen Wettbewerb einen Riegel vorschieben, für einen fairen Wettbewerb sorgen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bundesland Bremen vor Lohndumping schützen wird. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Möllenstädt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die beabsichtigte Berücksichtigung von Sozialzielen wie Ausbildungsleistungen und Förderungen von Chancengleichheit bei der öffentlichen Auftragsvergabe halten auch wir als FDPFraktion für begrüßenswert. Die Ausweitung der Tariftreueregelung ist allerdings unseres Erachtens völlig unpraktikabel in dem Maße, wie sie bisher im Entwurf vorgesehen ist.

(Beifall bei der FDP)

Eine Umsetzbarkeit und Kontrolle der geplanten erweiterten Tariftreueregelung im Vergabegesetz ist nach allen bisherigen Erfahrungen mit vergleichbaren Regelungen kaum gegeben. In Sachsen-Anhalt hat das Tariftreuegesetz knapp ein Jahr überstanden, bevor man den Fehler einsah und es wieder abgeschafft hat. Auch Nordrhein-Westfalen hat sein Tariftreuegesetz inzwischen wieder abgeschafft. Die fehlende Praktikabilität derartiger Regelungen betont auch ein Gutachten, das noch die frühere rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben hat.

Die Konsequenz dieser Regelung, die Sie hier auch beabsichtigen, werden drastische Kostensteigerungen bei der Beschaffung von Leistungen für die öffentliche Hand und damit für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sein.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Sieling?

Ja, aber selbstverständlich!

Bitte, Herr Dr. Sieling!

Sie haben gerade Länder genannt, die da Änderungen vorgenommen haben. Ihnen ist aber auch bekannt, dass das Land Berlin ein Vergabegesetz hat, dass das Land Bayern ganz lange ein Vergabegesetz hat, dass man in Hessen, CDU-geführte Regierung, an einem Gesetz arbeitet, in Rheinland-Pfalz und in vielen anderen Bereichen auch und Bremen eines hat?

Mir ist das bekannt, Herr Kollege Dr. Sieling, allerdings werden Sie mir auch zugeben, dass es nicht meine Verantwortung ist zu vertreten, was die CDU in den von ihr geführten Länderregierungen macht. Sie haben nun samt und

sonders Länder benannt, die sicherlich auch Regelungen in ihren Vergabegesetzen haben, aber ob sich das bewährt, ist dadurch keineswegs bewiesen. Im Übrigen sind sie teilweise noch gar nicht eingeführt. Wir werden uns das sehr kritisch anschauen. Ich hoffe auch, dass dafür hier im Rahmen der angesprochenen Anhörung Gelegenheit sein wird, dort wirklich einmal hineinzuschauen und auch einmal zu diskutieren, ob es sich so bewährt.

(Beifall bei der FDP)

Die Ziele dieses Gesetzes indes sind für uns an vielen Stellen zu weitgehend. Das Ziel des Vergaberechts einer für Bremen wirtschaftlichen Auftragsvergabe ist aus unserer Sicht eigentlich elementar, und das wird hier auch ein Stück weit unterwandert.

(Beifall bei der FDP)

Aus unserer Sicht wird außerdem zusätzlicher bürokratischer Aufwand erforderlich, etwa für eine massenhafte Einsichtnahme in Lohn- und Meldedaten an die Sozialversicherung, und, Frau Kollegin Schön, es ist dann eben kein Beitrag zur Entbürokratisierung! Bei diesem Gesetz geht es, wie bei der Diskussion um die Einführung von Mindestlöhnen, darum, ob und in welchem Umfang sich der Staat in die Lohnfindung einschalten soll oder nicht.

Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie behaupten, das Gesetz verhindere Wettbewerbsverzerrungen, die durch den Einsatz von Niedriglohnkräften entstünden. Was für ein Irrsinn! Niedriglohnkräfte zu beschäftigen, ist keine Wettbewerbsverzerrung, sondern aus unserer Sicht gerade das, was Deutschland dringend braucht, nämlich Arbeitsplätze für gering qualifizierte Langzeitarbeitslose. Wir sollten daher alles tun, was deren Beschäftigung fördert. Der Staat sollte auf Mindestlöhne aller Art verzichten und stattdessen mit Zuschüssen zum Einkommen und Mindesteinkommen arbeiten. Ich habe dazu in der vergangenen Bürgerschaftssitzung hier schon einiges ausgeführt.