Protokoll der Sitzung vom 10.09.2008

Lassen Sie mich nur ein paar Stichworte, die auch hier teilweise bereits genannt worden sind, nennen: ganz aktuell die Bespitzelung von Journalistinnen und Journalisten, deren Umfang immer noch nicht klar ist, dann die Bespitzelung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Einzelhandel, wofür der Discounter Lidl zu Recht mit einer Sanktion in Millionenhöhe rechnen muss.

Zweitens: Datenklau und Datenhandel von und mit persönlichen Nutzerinnendaten, und zwar insbesondere von sensiblen Bankverbindungen.

Drittens: Google Street View – es ist inzwischen alles englisch, also „Straßenblick“ –, das relativ unbemerkt auch bereits für Bremen ein Thema ist. Auch Bremens Straßen werden mittlerweile mit Spezialkameras abfotografiert, um die Bilder im weltweiten Netz zur Verfügung zu stellen. Der Bremische Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hat derzeit keine rechtliche Handhabe, um diese Praktiken zu stoppen.

Viertens, ganz neu: Google Chrome, das zwar als schnelles Eingangstor ins Internet gefeiert wird, aber nicht einmal Expertinnen und Experten wissen, wo und wie lange persönliche Daten gespeichert werden und was damit passiert. Aus diesem Grund hat mittlerweile das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik eine entsprechende Warnung für die Verwendung dieses Browsers herausgegeben.

Aber auch staatliche Stellen zeichnen sich durch ihre Sammelwut und Kontrolllust aus. Der sogenannte Antiterrorkampf bescherte uns bereits eine beängstigende Einschränkung der Freiheitsrechte und Entgrenzung staatlicher Gewalten. Polizei- und Geheimdienstbefugnisse wurden verschärft, Video- und Telekommunikationsüberwachungen ausgeweitet, Sicherheitsüberprüfungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf lebens- und verteidigungswich––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

tige Betriebe ausgedehnt, biometrische Daten in elektronische Ausweispapiere erfasst und sensible Fluggastdaten an US-Sicherheitsbehörden transferiert. Insbesondere die Vorratsdatenspeicherung soll es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, über moderne Kommunikationstechnologien geplante „Verbrechen“ aufzuklären. Gleichzeitig aber können die gesammelten Daten verwendet werden, um politische, geschäftliche und private Kommunikation aufzudecken, womit die Arbeit von politischen Organisationen, aber auch von Hilfseinrichtungen oder Flüchtlingsorganisationen gefährdet sind.

Das zeigt uns zum einen, illegales Handeln und massenhafter Missbrauch sind keinesfalls nur in der Privatwirtschaft vorzufinden, der Überwachungsstaat ist bereits allgegenwärtig. Zum anderen zeigen uns die entsprechenden Medienberichte und die Diskussionen in den Leserbriefspalten sowie insbesondere in den einschlägigen Internetforen, dass ein Großteil der Bevölkerung in dieser Angelegenheit zutiefst verängstigt und teilweise so verunsichert ist, dass an entsprechenden Stellen die falschen Fragen auftauchen.

Niemand ist mehr sicher, was mit seinen beziehungsweise ihren persönlichen Daten passiert. Das ist insofern von Brisanz, als wir uns dieser Onlinewelt nicht mehr entziehen können. Ein Leben ohne allgegenwärtige Informations- und Kommunikationstechnik ist schlicht nicht mehr denkbar. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass die moderne Informationsgesellschaft längst durch Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet ist. Dieser privaten und staatlichen Sammelwut und Kontrolllust kommen wir allein durch die Aufklärung über die Risiken der neuen Informationssysteme, Projekten zur verantwortungsvollen Nutzung der neuen Informationssysteme sowie Maßnahmen zur Sensibilisierung eines sorgsamen und verantwortungsvollen Umgangs mit persönlichen Daten nicht wirklich weiter. Dafür ist der technische Fortschritt in diesem Segment zu schnelllebig.

Auch durch einen sogenannten Umgang mit Daten ist für den Nutzer oder die Nutzerin nur schwer durchschaubar, inwieweit diese ohne sein oder ihr Wissen miteinander verknüpft werden oder auch inwiefern komplette Datensätze verkauft werden. Gegen solche auch kriminellen Machenschaften kommen wir mit reinen Aufklärungskampagnen nicht weiter. Während nämlich unsere Datenschatten lang und länger werden, hängt der Datenschutz der technologischen Entwicklung meilenweit hinterher, und die Datenschutzbeauftragten, so wichtig sie sind, wirken manchmal recht hilflos. Hier schlagen wir vor, die Datenschutzbeauftragten mit einem Vetorecht auszustatten.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch der Gesetzgeber ist gefordert. Aus diesem Grund stimmen wir auch dem Dringlichkeitsantrag

der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu. Allerdings dürfen wir nicht nur auf den Bundesgesetzgeber verweisen. Es stellt sich auch die Frage, welchen Beitrag das Land Bremen ergänzend zu den bundesgesetzlichen Regelungen leisten kann. Insofern plädieren wir ausdrücklich auch für eine Überprüfung des Bremischen Datenschutzgesetzes.

Es ist aber ebenso auch notwendig, die Datenschutzkontrolle personell und finanziell zu stärken sowie die lächerlich niedrigen Sanktionen im Fall von Datenmissbrauch und illegaler Verarbeitung drastisch zu erhöhen. Es sollte auch darüber nachgedacht werden, die Stellung der betrieblichen Datenschutzbeauftragten durch eine gesetzliche Regelung ebenfalls zu verbessern.

Alles in allem denke ich, dass wir im Bereich des Datenschutzes nicht allein auf die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger vertrauen dürfen. Dazu sind die technischen Möglichkeiten zu komplex und zu wenig durchschaubar. Aber wir müssen Schluss machen mit dem Ausverkauf persönlicher Daten. Aus diesem Grund dürfen wir uns nicht länger mit Beschwichtigungen zufriedengeben. Wir brauchen endlich ein Datenschutzgesetz, wonach das Recht auf informelle Selbstbestimmung nicht nur auf dem Papier existiert. – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächste rufe ich auf Frau Bürgermeisterin Linnert.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen für diese Anträge, die zur richtigen – wenn nicht vielleicht sogar zur höchsten – Zeit kommen, wie auch die Debatte in Deutschland. Ich glaube, dass es sehr still geworden war um den Datenschutz. Politik reagiert, wie Menschen insgesamt, oft erst, wenn sich Probleme auftun. Insofern hat das, was öffentlich diskutiert wurde und passiert ist, schon dazu beigetragen, das zu tun, worauf wir alle, die den Datenschutz im Auge haben, angewiesen sind, nämlich eine öffentliche Debatte, die uns hilft zu schauen, ob die gesetzlichen Regelungen noch zeitgemäß sind, und die uns auch hilft, neu in der Öffentlichkeit zu diskutieren, in welcher Lage wir eigentlich sind und was wir dagegen zu tun gedenken.

Ich bin froh, dass der Datengipfel, der einberufen wurde, eine Reihe von Verabredungen getroffen hat, die jetzt ja in Gesetze umgesetzt werden. Sie können sich darauf verlassen, dass sich Bremen da engagiert und sich tatkräftig im Interesse des Datenschutzes betätigen wird. Es ist völlig richtig, dass in Zukunft Daten nur noch bei ausdrücklicher Einwilligung weitergegeben werden dürfen. Ich finde auch Vorschläge, zum Beispiel Gewinne aus illegalem Da

tentransfer abzuschöpfen, diskussionswürdig. Ich finde auch – das hat Herr Schildt hier angesprochen –, dass es richtig ist, Datenklau als Offizialdelikt zu verfolgen und nicht, wie es heute ist, darauf zu vertrauen, dass sich da schon jemand weiter darüber aufregt, weil es so schlimm ja nun auch wieder nicht war.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir müssen in dem, wie wir über Datenschutz denken und reden, stärker unterscheiden zwischen dem, was die Datenschutzbestimmungen für den Staat sind und dem, welchen Regelungen Private unterliegen. Ich persönlich habe den Eindruck, dass sehr lange sehr genau geschaut wurde, was darf und was macht der Staat, und dass der Datentransfer von Privaten eher nicht so sehr im Fokus gewesen ist. Es ist wichtig, dass wir jetzt an einem Punkt sind, wo das besser werden kann. Ich möchte aber auch nicht – –. So war es nicht in der Debatte, aber manchmal gibt es da ja auch leicht die Tendenz zur Hysterie, wir sind hier nicht bei George Orwell, und es ist auch nicht so, dass die Sicherheit aller Menschen gefährdet ist. Es geht auch nicht darum, die Funktionsweise des Staates durch übertriebenen Datenschutz zu gefährden.

Wir müssen aber aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Insbesondere bei der Frage des Melderechts ist es Auffassung des Senats, dass es richtig ist, dass die Meldeämter als staatliche Institution auf Anfrage gebührenpflichtig Daten weitergeben, weil nämlich sonst der Bereich, verschwundene Schuldner ausfindig zu machen, letztendlich in private Hände gelangt, und das möchten wir nicht. Wir möchten, dass dieser Bereich staatlich reguliert bleibt, damit sichergestellt ist, dass über das Melderecht eine bestimmte Art von staatlicher Verantwortung für die Meldedaten sichergestellt ist.

Frau Troedel hat darauf hingewiesen, dass viele Menschen sehr stark verängstigt seien, das mag sein. Ich nehme eigentlich eher, vor allen Dingen, was den Umgang mit privaten Daten angeht, etwas anderes wahr, nämlich eher doch eine irritierende Sorglosigkeit. Letzte Woche konnte man in einem bundesweit zu empfangenen Privatsender folgende wunderschöne Geschichte sehen: Da hatte jemand ein nobles Auto mit offenen Scheiben hingestellt und zwei attraktiven jungen Damen, die die Menschen dazu animierten, Karten auszufüllen, um an einem Preisausschreiben teilzunehmen, ist es gelungen, innerhalb von einer Stunde 60 vollständig ausgefüllte Karten, auf der man nicht nur seine Adresse angegeben hat, sondern auch noch das Geburtsdatum, E-Mail-Adresse und was noch so alles an schönen Dingen abgefragt werden könnte, in dieses Auto zu kaprizieren. Wenn man weiß, dass man ungefähr 3 Euro pro Adresse einspielen kann, wenn man so verfährt, kein Mensch aber garantieren kann, dass dieses schöne Auto auch wirk

lich verlost wurde, dann weiß man, was in diesem Markt so alles los ist oder auch sein kann.

Im Kleingedruckten der Karten konnte man dann lesen, dass diejenigen, die unterschrieben hatten, sich verpflichtet hatten, 10 Waschmaschinen zu kaufen und auf Rückgabe und Reklamationsrecht zu verzichten et cetera. Da sieht man schon, und das ist auch der wesentliche und auch der wichtigere Bestandteil, nicht nur jetzt einfach noch mehr Gesetze und Strafen, sondern wir werden die Auseinandersetzung um diese Sorglosigkeit im Umgang mit den Daten nur gewinnen, wenn wir das zum permanenten Thema machen.

Es ist eine Herausforderung in der modernen Informationsgesellschaft, dass Menschen schon von früh auf lernen, sich darüber Gedanken zu machen. Früher musste man irgendwann einmal lernen, die Haustür abzuschließen und das Fenster zuzumachen, wenn man geht, und heutzutage werden wir den Kindern und Jugendlichen beibringen müssen, dass man mit dem, wie man sich bewegt – vor allem auch im Internet, das ist hier ja schon angesprochen worden –, darüber Gedanken macht, inwieweit man seine Identität preisgeben möchte und sie auch auf die Gefahren hinweist, dass die Spuren, die man jetzt hinterlässt, einem noch jahrzehntelang nachgetragen werden können.

Wir werden aufgefordert, über die Frage der Aufklärung der Öffentlichkeit stärker nachzudenken. Das machen wir. Ich glaube nicht, dass wir weitere Portale brauchen, aber ich möchte darauf hinweisen, dass der Landesbeauftragte für den Datenschutz unter www.datenschutz-bremen.de/newmedia/onlinebanking.php zu erreichen ist. Da kann man Tipps bekommen, wie man seine Daten besser schützt, welche Gefahren bestehen, wenn man Daten preisgibt. Insbesondere für Jugendliche gibt es auch auf der Homepage des Landesbeauftragten für den Datenschutz die Seite www.datenschutz4school.de, die darauf aufmerksam macht, wie diese Schülerseiten benutzt werden können, ohne dass für denjenigen, der sie benutzen möchte, Gefahren bestehen. Wir müssen das bekannter machen, darüber sind wir uns einig. Ich glaube auch, dass wir es in Teile von Bildungskonzepten mit einbeziehen werden, um eben sicherzustellen, dass diese guten Angebote auch wirklich von den Bremerinnen und Bremern genutzt werden.

Letzter Gedanke: Datenschutz ist so ein Thema, da gibt es einmal Konjunktur und da gibt es einmal keine. Jetzt gibt es gerade Konjunktur, das ist für alle die, denen der Datenschutz am Herzen liegt, eine gute Gelegenheit. Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist, und ich verspreche Ihnen, dass der Senat das auch tun wird.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LIN- KEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Als Erstes lasse ich über die Stellungnahme des Senats zum 30. Jahresbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz abstimmen.

Hier ist Überweisung zur Beratung und Berichterstattung an den Ausschuss für Informations- und Kommunikationstechnologie und Medienangelegenheiten vorgesehen.

Wer der Überweisung der Stellungnahme des Senats zum 30. Jahresbericht des Landesbeauftragten für Datenschutz mit der Drucksachen-Nummer 17/ 509 zur Beratung und Berichterstattung an den Ausschuss für Informations- und Kommunikationstechnologie und Medienangelegenheiten seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend.

(Einstimmig)

Nun lasse ich über den Antrag der Fraktionen der FDP und der CDU mit der Drucksachen-Nummer 17/ 522, Neufassung der Drucksache 17/512, abstimmen.

Hier ist getrennte Abstimmung beantragt worden.

Als Erstes lasse ich über die Ziffern 1 und 3 abstimmen.

Wer den Ziffern 1 und 3 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür CDU und FDP)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt die Ziffern 1 und 3 ab.

Nun lasse ich über die Ziffern 2, 4 und 5 abstimmen.

Wer den Ziffern 2, 4 und 5 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!