Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Soweit ein Zitat aus der ersten Rede einer Frau in einem deutschen Parlament am 19. Februar 1919! Dass die Sozialdemokratin Marie Juchacz als gewählte Parlamentarierin überhaupt reden durfte, ist auf ein historisches Ereignis für deutsche Frauen zurückzuführen. Am 12. November 1918, also heute vor 90 Jahren, verabschiedete der Reichstag das Gesetz, welches Frauen das aktive und das passive Wahlrecht ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

zusprach. Dieser Gesetzesänderung ging ein langer Kampf der Frauen um ihre Rechte voraus. Als einzige Partei hat die SPD in ihrem Erfurter Programm bereits 1891 das Stimmrecht für Frauen festgeschrieben.

(Beifall bei der SPD)

Auf diese Tradition, das darf ich ganz deutlich sagen, sind besonders wir Sozialdemokratinnen sehr stolz!

(Beifall bei der SPD)

Gerade für die Frauen der Arbeiterbewegung war nicht nur Bildung, sondern vor allem die politische Macht der Schlüssel zur Gleichberechtigung. Das Wahlrecht haben die Frauen seit 1918 verteidigt, aber wie weit sind wir Frauen seit 1918 auf dem Weg zur Gleichberechtigung gekommen? In den politischen Parteien und in den Ämtern war über viele Jahre eine krasse Unterrepräsentanz von Frauen zu verzeichnen. Auch in der SPD gelang es nur wenigen Frauen, einflussreiche Positionen zu besetzen. Dies wurde erst anders, als mit Einführung der Quote der politischen Teilhabe von Frauen kräftigen Schub gegeben wurde.

(Beifall bei der SPD)

Auch heute ist die Quote bei einigen Entscheidungsträgern ein umstrittenes, aber aus meiner Sicht ein sehr wirksames Instrument, Frauen an gesellschaftlichen und politischen Prozessen zu beteiligen.

(Beifall bei der SPD)

Solange Männer nicht freiwillig Frauen entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil an den gesellschaftlichen Prozessen beteiligen, muss dies eine Quote regeln. In Bremen haben wir mit dem Gleichstellungsausschuss ein politisches Gremium im Parlament, das über die Gleichstellung im Lande wacht und neue Initiativen zur Weiterentwicklung der Gleichstellung einbringt. Für Verwaltungshandeln gibt es mit dem Landesgleichstellungsgesetz eine gute Grundlage, Gleichberechtigung durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Die Rahmenbedingungen sind im Vergleich zum frühen 20. Jahrhundert in der Tat besser geworden für die Frauen, aber dennoch ist es auch heute notwendig, sich mit jeder Initiative ein Stückchen mehr an Gleichberechtigung zu erkämpfen. Am Ziel angekommen sind die Frauen noch lange nicht. So ist zum Beispiel auf Initiative der SPD-Fraktion im Herbst letzten Jahres ein Antrag zur Frauenförderung in öffentlichen Betrieben eingebracht worden, ein bislang noch stiefmütterlich behandelter Bereich. Das gilt ebenso für die Frauenanteile in der Feuerwehr,

bei Professorinnen an Hochschulen und Universitäten. Es gibt noch unendlich viele Bereiche, die es aufzuführen gilt, und es gibt noch viel zu viele Beschäftigungszweige, in denen überwiegend Mitarbeiterinnen beschäftigt sind.

Das Gehaltsgefälle von Frauen und Männern hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar verringert, aber angeglichen ist es noch lange nicht. Deswegen vertreten wir auch heute noch die Forderung, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit!

(Beifall bei der SPD)

Gendermedizin, auch so eine Frauenspinnerei? Nein, endlich werden seit einigen Jahren die unterschiedlichen Behandlungserfolge bei Männern und Frauen erforscht. Es kann doch nicht sein, dass zweieinhalbmal so viele Frauen innerhalb eines Jahres nach einer Bypassoperation sterben als Männer. Dies ist ein ganz krasses Beispiel dafür, dass in diesem Bereich noch sehr viel für gute Behandlungserfolge, auch bei Frauen, geforscht und gekämpft werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Politikerinnen können nicht allein für die Gleichstellung der Geschlechter kämpfen. Dies geht nur in einem Bündnis großer gesellschaftlicher Gruppen. In Bremen ist diese sogenannte Frauenszene seit Jahrzehnten sehr aktiv und sehr, sehr gut vernetzt. Das ist auch ein Grund, warum unser Land, was die Fragen der Gleichstellung angeht, weit vorn in der Bundesrepublik ist. Zufrieden bin ich damit aber noch nicht!

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Unsere Vorkämpferinnen haben das Wahlrecht für uns erstritten. Sorge bereitet mir aber in den letzten Jahren die abnehmende Wahlbeteilung auch von Frauen. Es muss uns eine Verpflichtung sein, gerade Frauen über politische Prozesse aufzuklären, das Interesse an politischen Initiativen und Aktivitäten zu wecken, sie neugierig zu machen und ihnen zu zeigen, dass Politik Spaß macht und der Einsatz für die Rechte der Frauen auch heute noch notwendig und sinnvoll ist.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Wir alle müssen Frauen zur Übernahme von Mandaten ermutigen, auch wenn es nicht immer einfach ist, die Politik mit dem Beruf und einer eventuellen familiären Aufgabe zu vereinbaren. Die SPD-Fraktion veranstaltet seit einigen Jahren ein überaus erfolgreiches Mentoring-Programm speziell für Frauen, um diese Black-Box-Politik für sie zu eröffnen.

Dies ist ein kleiner, aber aus meiner Sicht sehr wichtiger Baustein, um für politisches Engagement zu werben.

(Beifall bei der SPD)

Das Bremer Frauenmuseum wird am 9. März 2009 mit einer Ausstellung die Bremer Frauen ehren, die in Bremen für das Frauenwahlrecht gekämpft und als Erste in das Bremer Parlament einziehen konnten. Meine Kollegin Frau Hoch hatte schon gesagt, es waren damals 18 Frauen von 200 Parlamentarierinnen.

Ich würde mir wünschen, wenn wir in unserem Hause in der Bremischen Bürgerschaft eine Möglichkeit finden, auf diesen historischen Tag aufmerksam zu machen. So wichtig wie die Männerköpfe in der ersten Etage unten auch aufgereiht sind, Frauen haben in dieser Bürgerschaft politisch zum Wohle des Landes beigetragen, und ich bin stolz auf diese Frauen und ich denke, das wollen wir auch alle zusammen zeigen. – Danke!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der LINKEN)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Troedel.

Frau Präsidentin, das sage ich heute doppelt gern, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Frauen! Sollte der eine oder die andere nach meinem Redebeitrag feststellen, das haben wir schon einmal gehört, dann freut es mich. Das zeigt, dass die Frauen im Gleichstellungsausschuss trotz Unterschiedlichkeit der Fraktionen und vielleicht auch der politischen Ansätze sicher bestimmt auch in vielen Punkten frauenpolitisch gemeinsam denken und zukünftig Schritt für Schritt auch gemeinsam handeln. Ich kann versichern, das tut nicht weh, es ist nicht schmerzhaft, eher die Überzeugung.

Wir feiern heute 90 Jahre Frauenwahlrecht! Aus diesem Anlass thematisieren wir eine halbe Stunde lang diesen historischen Schritt zur Geschlechtergleichstellung in der Bürgerschaft. Die Realisierung einer echten Gleichstellung in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik muss unser erstes Ziel sein.

Ich möchte erst auf die Geschichte des Frauenwahlrechts eingehen, bevor ich einige Anmerkungen zur heutigen Situation machen werde. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Nicht umsonst hieß die dritte der Forderung der französischen Revolution nicht Menschlichkeit, galten die Errungenschaften doch nur für den männlichen Teil der Bevölkerung. Das stand durchaus im Kontext der Zeit, schließlich hatten Frauen bis zum Jahr 1869 in keinem Staat der Welt das Recht zu wählen oder sich wählen zu lassen. Auch danach dauerte es noch lange, bis in allen Teilen der demokratischen Welt die Demokratie auch für Frauen galt.

Der Kampf um das Wahlrecht für Frauen dauerte über zwei Jahrhunderte und kann wohl als einer der härtesten Kämpfe um politische Rechte eingestuft werden. Vorkämpferinnen, wie Olympe de Gouges, die sogar geköpft wurde, oder die internationale Bewegung der Suffragetten, hatten nicht nur die Männer als Anhänger des Patriarchats zum Gegner, sondern durchaus auch Frauen.

Die Frauenbewegungen in Deutschland kamen aus der bürgerlichen Schicht. Nicht alle Frauen forderten ein vorbehaltloses Wahlrecht für alle Frauen, aber die Bremerin Auguste Bosse und Auguste Kirchhoff gehörten zu den Frauen, die ein uneingeschränktes allgemeines Wahlrecht für Frauen forderten. Das Wahlrecht vor 1918 schloss nicht nur Frauen aus, sondern auch arme Menschen. Deshalb bedeutet die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für alle am 12. November 1918 die Abschaffung des bisherigen Dreiklassenwahlrechts. Damals war es kaum vorstellbar, dass 90 Jahre später eine Frau Kanzlerin sein wird und fast 40 Prozent der bremischen Bürgerschaftsabgeordneten Frauen sein würden.

Lassen Sie mich das persönlich kommentieren: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine Kanzlerin noch keine Gleichstellung. Zunächst hatte sich auch die politische Beteiligung von Frauen mehr als zögerlich entwickelt. So dümpelte der Frauenanteil der Bundestagsabgeordneten bis 1987 unter 10 Prozent. Erst mit der Einführung der Frauenquote in mehreren Parteien stieg auch die politische Beteiligung stärker. Das beweist, dass die Frauenquote ein sehr wirkungsvolles Mittel für die Beteiligung von Frauen ist, was wir als LINKE unter anderem mit unserer quotierten Doppelspitze beweisen!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dass Demokratie nicht automatisch mit Geschlechterdemokratie einhergeht, das wird Sie und uns kaum verwundern. Die parlamentarische Beteiligung ist mittlerweile auf dem richtigen Weg. Wo es aber immer noch große Diskrepanzen gibt, das ist der Beschäftigungssektor. Davon ist auch der öffentliche Dienst betroffen. Wie aus dem Personalcontrollingbericht, den wir später noch diskutieren werden, hervorgeht, sinkt der Frauenanteil, je höher der Dienstgrad ist. Dieses Bild zeigt sich noch verstärkt in der Privatwirtschaft.

Frauen bekommen in Bremen immer noch für die gleichwertige Arbeit über 30 Prozent weniger Lohn als Männer. Sie sind häufiger als im Bundesdurchschnitt von Arbeitslosigkeit betroffen und stellen weitaus mehr als zwei Drittel der Beschäftigten im bremischen Niedriglohnsektor. Wenn Erwerbstätigkeit nicht existenzsichernd ist, dann werden Abhängigkeiten geschaffen! Ist das gewollt? Wer hat daran Interesse? Jede siebte Frau kann ihren Lebensunterhalt nicht durch ihr eigenes Einkommen sichern. Um

dem zu entgehen und gegenzusteuern, müssen andere Arbeitszeitmodelle her, die trotzdem existenzsichernde Einkommen bieten, und die sogenannten traditionellen Frauenberufe müssen gesellschaftlich und auch finanziell aufgewertet werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Das hätte enorme Auswirkungen auf beschäftigte Frauen, immerhin ist die Raumpflege der am häufigsten von Frauen ausgeübte Beruf. Die Unterpräsenz von Frauen in Führungspositionen ist besonders bei den 100 größten Unternehmen eklatant. In ihren gesamten Aufsichtsräten sitzt nur eine Frau. Das politische Gruppenbild mit Dame! Auch Bremen ist keine Ausnahme in der beschriebenen Situation, und das, obwohl Mädchen im Bildungsbereich besser abschneiden als Jungen. Trotz der besseren Bildungsabschlüsse haben sie aber die schlechteren Aufstiegschancen. Auch im Alter sind Frauen mehr als Männer von Altersarmut betroffen. Ein Leben lang gearbeitet und arm!

Sie haben die Hauptverantwortung für unbezahlte Familienarbeit und leisten 70 Prozent der Pflege für Familienangehörige. Trotz der mehr geleisteten Familienarbeit sind sie häufiger Opfer von Gewalt, auch oft innerfamiliär. So haben in einer Studie der Bundesregierung circa 40 Prozent der befragten Frauen angegeben, schon einmal Opfer von Gewalt gewesen zu sein. Die Dunkelziffer sagt um mindestens die Hälfte mehr. Diese Fakten sind nur unvollständige Auszüge einer komplexen Lebensrealität von Frauen, die hier aus Zeitgründen nicht vollständig zur Sprache gebracht werden kann.

Ich wünsche mir, dass wir nicht ein Jahr warten müssen, um das Thema Gleichstellung als Querschnittsaufgabe hier in der Bürgerschaft gemeinsam ausführlicher zu diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss möchte ich aber noch einmal auf diesen Ort hier, die Bremische Bürgerschaft, eingehen. Ich bin stolz auf uns alle, auf meine Kolleginnen und auch auf mich. Dass wir heute hier so zahlreich vertreten sind, das haben wir mutigen Frauen in der Vergangenheit zu verdanken, unseren Großmüttern, Urgroßmüttern und Ururgroßmüttern! Außer unserer persönlichen Anwesenheit sehe ich leider keine äußeren Zeichen für die Präsenz von Frauen in diesem Haus. Außer der Büste einer Künstlerin stellen die Skulpturen und Bilder Männer dar. Ob es Zufall ist oder nicht, kann ich nicht sagen, aber ich habe festgestellt, dass in der aktuellen Ausstellung fast nur Männer als Repräsentanten des öffentlichen Bremer Lebens zur Würdigung des Martinshofs dargestellt wurden.

Ich wünsche mir, dass uns Frauen ein anderer Stellenwert beigemessen wird als nur die Form der Wert

schätzung und dass das Haus der Bürgerschaft, außer der höflichen Anrede, höflich, freundlich, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bald mehr vorzuzeigen hat als bisher. Ein Zitat von Monique Troedel: „Emanzipation ist kein Frauenvorrecht, ist nicht schmerzhaft, kommt uns allen zustatten, Umverteilung im positiven Sinne beflügelt Politik für Frauen und Männer.“ – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und Herren! Es ist mir heute eine besondere Ehre, in dieser Debatte sprechen zu dürfen. 90 Jahre Frauenwahlrecht, ich glaube, meine Vorrednerinnen haben das bereits in angemessener und durchaus würdiger Form dargestellt. Es handelt sich dabei um eine große Errungenschaft, um einen großen Meilenstein und beim Bemühen um staatsbürgerliche Gleichstellung der Geschlechter um einen ganz wichtigen historischen Zeitpunkt.

Deshalb möchte ich mich heute nicht dieser Debatte anschließen, die in den Medien geführt wird, ob es Sinn macht, zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde zu bestreiten. Ich glaube, es lohnt sich immer, über die Rechte von Frauen und über die Rechte beider Geschlechter zu sprechen.

(Beifall)