Protokoll der Sitzung vom 11.07.2007

Bundesweit wird zurzeit auch viel diskutiert über das Verhältnis, Herr Sieling, Ihrer Partei zur Linkspartei. Der Kollege Erlanson hat in der letzten Parlamentsdebatte bei der Neuwahl des Senats ja schon

auf die bemerkenswerten Übereinstimmungen in der Programmatik der Linkspartei und der Programmatik der neuen Regierung hingewiesen. Ich finde, der Präsident des Senats hat sich keinen Gefallen damit getan, dass er heute einen weiteren Beweis dafür geliefert hat, dass diese Regierung und die Linkspartei nicht einmal mehr 50 Cent auseinander liegen. Denn mit seiner Forderung nach einem flächendeckenden einheitlichen Mindestlohn ist der einzige Verbündete, den er in Deutschland gefunden hat, ausgerechnet der Regierende Bürgermeister von Berlin, der rot-rot seine Stadt, wenn man es überhaupt so nennen will, regiert.

Meine Damen und Herren, Bremen ist nicht arm, und Bremen ist vielleicht auch nicht so sexy wie Berlin. Bremen hat viele Menschen, die sich jeden Tag in ihrer täglichen Arbeit für unser Gemeinwesen einbringen, die Leistung zeigen, die sich engagieren und die zum Wohlstand unseres Landes beitragen. Sie haben einen Anspruch darauf, von dieser Regierung vertreten zu werden, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Der Präsident des Senats hat 3 Säulen der neuen Regierungspolitik von Rot-Grün vorgestellt. Ich sage, diese neue Regierung birgt für unser Bundesland drei ganz große Gefahren. Die erste große Gefahr ist, dass, sehr geehrter Herr Bürgermeister Böhrnsen, wir haben den Eindruck, Sie mit der Regierungserklärung heute und der Koalitionsvereinbarung in Wahrheit nur ein Lippenbekenntnis zur Fortsetzung des finanzpolitischen Stabilitätskurses unseres Bundeslandes abgegeben haben. In Wahrheit haben Sie mit Ihrem Koalitionsvertrag Versprechen in dreistelliger Millionenhöhe gemacht und eine Gegenfinanzierung von 300 000 Euro angeboten. Das ist nicht seriös, das wird das Verfassungsgericht nicht überzeugen, und das wird andere Länder in den Föderalismusreformverhandlungen auch nicht davon überzeugen, uns zur Seite zu stehen und uns zu helfen. Wir haben in den letzten Jahren viel Vertrauen aufgebaut durch eine stabile, sparsame Haushalts- und Fiskalpolitik in Bremen,

(Widerspruch beim Bündnis 90/Die Grünen)

und ich kann nur davor warnen, dass Sie dies innerhalb von Stunden umwerfen! Wo ist denn die Gegenfinanzierung für Ihre Maßnahmen, sehr geehrter Herr Kollege Güldner?

(Beifall bei der CDU)

Sie machen Millionenversprechungen, ohne auch nur einen Euro der Gegenfinanzierung darzustellen, und wenn Sie jetzt sagen, Sie hätten im Koalitionsvertrag doch geschrieben, das soll alles im Rahmen der vorhandenen Eckwerte erfolgen: Vielleicht durch

Umverteilung, kann ja sein, ich habe überlegt, wie wollen die das eigentlich finanzieren, vielleicht durch Umverteilung, mag sein!

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Es wurmt ihn so, dass wir mehr Po- lizisten einstellen!)

Dann nehmen wir einmal das Quotenmodell, das der Finanzsenator immer anwendet, wie wir dann Mehrausgaben entsprechend auf die Ressorts verteilen! Gehen wir von 100 Millionen Euro aus, dann muss das Sozialressort von diesen 100 Millionen Euro 28 Millionen Euro, das Sportressort von den 100 Millionen Euro 3 Millionen Euro bringen – das entspräche übrigens einem Drittel des gesamten Sportetats –, und das Wissenschaftsressort, während Sie sich ja für die Verbesserung der Lehre einsetzen wollen, muss von den 100 Millionen Euro immerhin 23 Millionen Euro erbringen. Meine Damen und Herren, das ist nicht solide! Das ist linke Tasche, rechte Tasche! Wenn man für Bremen etwas Gutes tun will, muss man es auch finanzieren, und das haben Sie nicht getan!

(Beifall bei der CDU – Zurufe vom Bünd- nis 90/Die Grünen)

Im Zusammenhang mit der finanzpolitischen Solidität dieser Regierung steht auch der zweite ganz bemerkenswerte neue Kurs dieser Regierung. Ich glaube, dass diese Regierung eine nachhaltige Gefahr für die vorhandenen Arbeitsplätze ist. Ich habe soeben schon darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der Menschen in unseren beiden Städten noch davon lebt, dass sie durch eigener Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdient und sogar noch über Steuern und Abgaben dazu beiträgt, dass es zu einem sozialen Ausgleich in unserer Gesellschaft kommt.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Und das, obwohl Sie mitregiert ha- ben, das ist in der Tat ein Wunder!)

Meine Damen und Herren, Bremen und Bremerhaven haben Tausende von industriellen Arbeitsplätzen, im Kfz-Bau beispielsweise, in der Nahrungsmittelindustrie, im Hafenumschlag ohnehin und auch auf den Werften, die wir in unserem Land noch haben. Diese 3 Branchen hat der Präsident des Senats in seiner Regierungserklärung mit keinem einzigen Satz erwähnt. Offensichtlich stehen sie nicht auf seiner politischen Agenda. Die Menschen, die jeden Tag in Bremen und Bremerhaven arbeiten, haben einen Anspruch darauf, von dieser Regierung vertreten zu werden! Dass sie sich um ihre Arbeitsplätze kümmert, das ist die erste Aufgabe dieser Regierung!

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau B u s c h [SPD]: Sie sind ja ein Bauernfänger!)

Stattdessen ist das Erste, was diese Regierung macht, Arbeitsplätze zu gefährden.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Das ist ja niedlich!)

Ich will die Diskussion um die Genehmigung des neuen Kraftwerkes an dieser Stelle noch einmal aufgreifen, weil der Eindruck von Ihnen und auch öffentlich verbreitet worden ist, man sei da ja jetzt in einem geregelten Verfahren, wo am Ende vielleicht die beiderseitigen Meinungen zu einem gegenseitigen Nachgeben und auch zu einem wie auch immer gearteten Kompromiss zu führen sind. Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist doch eine andere: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist vor der Wahl festgelegt worden, dass sie dieses Kraftwerk nicht will. Sie hat sich entschieden gegen 500 Arbeitsplätze und hat sich entschieden für eine vermeintliche Verhinderung der Genehmigung eines solchen Kraftwerkes. Das ist die Wahrheit, und in dieser Koalition sind Sie nicht über diese Hürde gesprungen. Stattdessen haben Sie das Thema vertagt. Aber die Position der Grünen hat sich nicht verändert! Der neue Umweltsenator hat vor zwei Tagen noch in einem „Weser-Kurier“-Interview gesagt, seine Meinung sei klar, er will dieses Kraftwerk nicht, und deswegen sage ich, Herr Böhrnsen: Wenn diese Regierung das Kraftwerk nicht will, dann sagen Sie es den Menschen heute und nicht erst im Oktober, und warten Sie nicht darauf, dass die Entscheidung sich erübrigt, weil Sie sie durch Zeitverzögerung nicht gefällt haben! Die Menschen haben einen Anspruch auf diese Entscheidung, und das ist Ihre persönliche Aufgabe, dafür zu sorgen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bei der Außenweservertiefung, im Übrigen, ist der Formelkompromiss wirklich klassisch, so etwas kann nur eine rot-grüne Regierung finden, in dem es heißt, jawohl, wir sind für die Vertiefung der Weser, aber die Ausgleichsmaßnahmen sollen die Niedersachsen machen. Das hat übrigens in Hannover große Freude ausgelöst, kann ich Ihnen an dieser Stelle sagen, und die Bereitschaft, mit Bremen in den nächsten Jahren über die Frage von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu reden, ist damit enorm vergrößert worden. Meine Damen und Herren, so geht man unter Nachbarn nicht miteinander um! Wenn man ein gemeinsames Konzept für den ökologischen Schutz der Weser will, dann muss man ihn gemeinsam verabreden, aber nicht von Bremen an Niedersachsen diktieren. Das ist politisch fahrlässig und gefährdet unsere guten Beziehungen zu unserem niedersächsischen Umland.

(Beifall bei der CDU – Unruhe bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Glocke)

Zur finanzpolitischen Solidität, will ich an dieser Stelle noch einmal sagen, Herr Kollege Böhrnsen, haben Sie gesagt, wir werden in Zukunft jeden Euro dreimal umdrehen. Nach dem, was Sie hier heute erklärt haben, meine Damen und Herren, nach dem, was Sie an Versprechungen gemacht haben im Sozialbereich, im Bildungsbereich, im Bereich der Ökologie, bin ich mir sicher, Sie werden nicht jeden Euro dreimal umdrehen, Sie wollen jeden Euro dreimal ausgeben, und das geht nicht! Das geht in Bremen schon seit Jahren nicht mehr!

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen])

Ich mache mir drittens große Sorgen um die Zukunft unserer Kinder,

(Lachen bei der SPD)

weil diese Koalition offensichtlich nur die benachteiligten Kinder im Blick hat, und Sie haben bei allem Gelächter in Ihrer Fraktion offensichtlich nichts gelernt aus dem Ausschuss, der sich mit dem tragischen Schicksal des kleinen Kevin befasst hat.

(Unruhe bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn man bei einer Regierungsneubildung nicht die Kraft hat, die notwendigen Konsequenzen aus einem organisatorischen und personellen Versagen eines gesamten, großen Ressorts zu ziehen, dann hat man auch nicht die Kraft, 4 Jahre lang gemeinsam miteinander zu regieren.

(Zurufe von der SPD)

Frau Kollegin Busch, wenn Sie etwas zu sagen haben, können Sie sich ja als Fraktionsvorsitzende bewerben, dann dürfen Sie hier auch reden, aber nicht immer dazwischenblöken!

(Beifall bei der CDU – Unruhe bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Bei uns dürfte Frau Busch immer reden, ich weiß nicht, wie das in der SPD-Fraktion ist.

(Glocke)

Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter! Das ist jetzt die Aussprache zur Regierungserklärung, und ich bitte doch, dass wir hier zumindest ein geordnetes Verfahren machen!

Sehr verehrte Damen und Herren, die Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter hat nur ein knappes Vertrauen dieses Parlaments. Sie hat

mit 42 Stimmen gerade die erforderliche gesetzliche Mehrheit für ihre Wahl bekommen, und ich sage Ihnen, das ist auch richtig und konsequent.

Ich bin mir ganz sicher, sehr geehrte Frau Rosenkötter, dass Sie die 4 Jahre in dieser Regierung nicht im Amt überstehen werden. Bremen braucht einen Sozialsenator oder eine Sozialsenatorin, die sich nicht um ein Netzwerk sozialdemokratischer Träger und Kulturvereine kümmert, sondern jemanden, der sich um das Schicksal der von sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen kümmert, der sie fördert und der sie wieder in unsere Gesellschaft zurückholt.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen nicht das Geld mit der Gießkanne auszugeben und viele Fotos mit der Sozialsenatorin, wir brauchen jemanden, der dieses Ressort in Ordnung und in Schuss bringt, und die Person, sehr geehrte Frau Rosenkötter, sind Sie leider an dieser Stelle nicht!

(Beifall bei der CDU)

Natürlich tut es einer Regierung gut, wenn sie frisches Blut von außen bekommt, das ist nach einem Regierungswechsel auch ganz natürlich. Aber auf die eine oder andere Merkwürdigkeit will ich an dieser Stelle dann doch noch einmal hinweisen. Ich habe der Zeitung entnommen, dass die Staatsrätin im Sozialressort, Frau Weihrauch, beabsichtigt, aus dem Amt auszuscheiden, weil sie 64 Jahre alt wird. Ich habe der Zeitung entnommen, dass der ehemalige grüne Abgeordnete Dieter Mützelburg in diese Regierung eintreten will, weil er 64 Jahre alt geworden ist.

Nun frage ich die Regierung, meine Damen und Herren: Was ist der Unterschied zwischen einer 64jährigen Sozialdemokratin und einem 64-jährigen Grünen?

(Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bünd- nis 90/Die Grünen])

Die eine muss gehen, der andere darf bleiben, das ist doch keine konsistente Personalpolitik, meine Damen und Herren, insbesondere dann, wenn man sich den Aufgabenbereich von Herrn Mützelburg anschaut. Er soll die grüne Bundesratsarbeit koordinieren, das geht relativ schnell, sehr geehrter Herr Dr. Güldner, denn im Bundesrat ist nur Bremen mit einem Grünen vertreten, das kann er morgens allein in seinem Büro machen.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das hat ja auch keiner gesagt! Sie lügen! Das ist eine Ihrer vielen Lügen, mit denen Sie nicht durchkommen werden!)

Wir brauchen keinen Staatsrat, der die grüne Bundesratsarbeit koordiniert, meine Damen und Herren,

(Beifall bei der CDU)

wir brauchen Menschen, die sich für Bremen engagieren in Verantwortung in dieser Regierung, und keine Versorgungsposten für ehemalige Landesvorstandssprecher der Grünen!

Den Stil dieser neuen Regierung will ich an dieser Stelle dann personell vielleicht auch gleich noch einmal werten. Nachdem Sie den ehemaligen Finanzsenator, der weit über die Grenzen dieses Parlaments hinaus Ansehen gehabt hat, durch einen mittelbar oder unmittelbar, direkt oder indirekt, stark oder schwach ausgeübten Zwang zum Parteibeitritt zur Genossenpartei zwingen wollten und er deswegen couragiert den Hut genommen hat, scheint sich jetzt auch in diesem Hause offensichtlich wieder einzuschleichen, dass man in Bremen nur etwas werden kann, wenn man Sozialdemokrat ist.