Protokoll der Sitzung vom 30.09.2009

Unser gemeinsamer Antrag „Politik zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts“ zielt darauf ab, den Lebenslagenbericht zur Grundlage für unser weiteres politisches Handeln zu machen. In vielen Bereichen haben wir uns schon auf den Weg gemacht, wie zum Beispiel bei der Schwerpunktsetzung beim Kita-Ausbau auf sozial benachteiligte Gebiete, das kostenlose Mittagessen, die Einführung eines Sozialtickets ab 2010, die Ausweitung der WiN-Gebiete in Bremen und Bremerhaven, den kontinuierlichen Ausbau von Ganztagsschulen, und wir sind auf dem Weg, die Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten genauer zu analysieren und für eine bessere Integration zu sorgen sowie die Inklusion behinderter Kinder voranzutreiben. Wir werden weiterhin auf Bundesebene alle Möglichkeiten nutzen, unsere sozialpolitischen Initiativen einzubringen. Uns geht es sowohl um Initiativen auf Bundesebene als auch um eine zielgerichtete Politik für den Zusammenhalt im Land Bremen.

Sozialer Zusammenhalt ist für eine hohe Lebensqualität in den Stadtgesellschaften unverzichtbar. Damit Bremen und Bremerhaven weiter lebenswert bleiben, muss der Senat weiterhin einen Schwerpunkt seiner Politik in der Stärkung des sozialen Zusammenhalts setzen. Dies ist angesichts der Haushaltsnotlage eine besondere Herausforderung. Ressourcen und Kompetenzen zur Armutsbekämpfung müssen im Land Bremen zusammengeführt werden, um den vielschichtigen Prozessen der sozialen Ausgrenzung im Zusammenhang mit materieller Armut entgegenzutreten. Grundsätzlich kann der Vielfältigkeit der Ausgrenzungsprozesse nur mit ressortübergreifendem Handeln begegnet werden.

Unser gemeinsamer Antrag soll sicherstellen, dass ressortübergreifende Strategien und Maßnahmen gegen Segregation und Ausgrenzung entwickelt werden auf der Grundlage dieses Berichts. Wir Sozialdemokraten dokumentieren unseren Willen zur Kooperation und Bedeutung des Themas durch die Vielzahl der Sprecherinnen und Sprecher, die gemein

sam für diesen Antrag gearbeitet haben. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Frehe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem Armutsund Reichtumsbericht des Senats wurde das ganze Spektrum unterschiedlicher Lebenslagen von Menschen in Bremen sichtbar gemacht. Für ein Fünftel bis ein Viertel der Menschen bedeutet das, dass für sie das Risiko besteht zu verarmen. Dabei erhielten bereits 110 000 Bremerinnen und Bremer Transferleistungen – das ist ein Sechstel der gesamten bremischen Bevölkerung –, und ein Viertel davon war dabei nebenher noch erwerbstätig. Mehr als 40 000 Männer und Frauen waren arbeitslos, davon gilt die Hälfte als langzeitarbeitslos, weil sie länger als ein Jahr arbeitslos sind. Dabei bedeutet Arbeitslosigkeit eben nicht nur den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch den Schritt in die Armut und die Verringerung der Teilhabechancen. Behinderte Menschen oder Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen haben ein doppelt so hohes Arbeitsmarktrisiko wie nicht behinderte Menschen. Sie sind zugleich doppelt so lange arbeitslos und kommen überhaupt wesentlich schwerer in den Arbeitsmarkt hinein.

Dass die Einkommensschere zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren deutlich auseinandergegangen ist, hat meine Kollegin Frau Garling eben schon betont. Das kann man in Bremen auch deutlich sehen. Während die Löhne und Gehälter in Bremen von 2000 bis 2006 stagniert haben oder leicht gesunken sind, stiegen die Vermögenseinkommen im gleichen Zeitraum um ein Viertel. Die Zahl derer, die zu ihrem Lohn noch ergänzende Grundsicherungsleistungen beantragen mussten, steigt ständig. Über 40 000 Bremerinnen und Bremer hatten nur eine geringfügige Beschäftigung, also mussten mit einem Bruttoverdienst von bis zu 400 Euro im Monat auskommen beziehungsweise konnten damit nicht auskommen, weil sie dann ergänzende Grundsicherungsleistungen beantragen mussten, davon waren zwei Drittel Frauen.

Die Zahl der Privatinsolvenzen ist in Bremen und Bremerhaven deutlich höher als in allen anderen Bundesländern. Bei den Schuldnerinnen- und Schuldnerquoten liegt Bremerhaven unter den Großstädten mit 20 Prozent ganz vorn. In Bremen, das hat Frau Garling auch schon gesagt, ist das von Gröpelingen bis Schwachhausen sichtbar: Schwachhausen nur 4,5 Prozent und Gröpelingen 25 Prozent. Der Zusammenhang von Bildung und sozialer Lage der Eltern ist signifikant. In den ärmeren Stadtteilen machen weniger als ein Fünftel das Abitur und in wohlhabenden mehr als die Hälfte. Zehn Prozent der Menschen wach

sen in Verhältnissen auf, in denen sich Armut bereits verfestigt hat, und ich denke, das ist eine besondere Schwierigkeit, wenn Armut quasi sozial vererbt wird.

Auch die Lebenserwartung differiert sehr stark, das hat Frau Garling mit dem Unterschied der Lebenserwartung in Schwachhausen und Gröpelingen auch deutlich gemacht. Armut bedeutet eben nicht nur Einkommensarmut, Armut heißt immer auch Ausschluss von der Teilhabe an der Gesellschaft. Das bedeutet schlechtere Gesundheit, schlechtere Bildung, weniger Kultur, weniger Mobilität, weniger politische Partizipation, wie wir gerade aus der Wahlstatistik der Bundestagswahl ersehen konnten, und weniger soziale Beziehungen und Kontakte. Armut heißt daher immer auch weniger Lebensqualität. Wenn sie sich verfestigt und quasi über Generationen weitervererbt wird, schwindet der Bezug zur Gesellschaft. Das bedeutet, weniger gesellschaftliche Teilhabe heißt auch weniger gesellschaftliche Verantwortung.

Wenn ein Gemeinwesen diese Bindungskraft verliert, verschärfen sich die Verteilungskämpfe, wächst Kriminalität und Gewalt, blühende Stadtteile verfallen oder werden, wie ich es in St. Louis, Missouri, in den USA einmal erlebt habe, mit einer Mauer umgrenzt und dann von privaten Wachdiensten kontrolliert. Einkommensverteilung, Wachstum und Beschäftigungspolitik, Steuerbelastung und Sozialleistungen werden weitgehend durch die Bundesebene bestimmt, da können wir also relativ wenig machen. Konjunkturentwicklungen sind längst globalisiert. Regionale Politik, wie wir sie hier machen können, beschränkt sich häufig auf die Reparatur dessen, was die sogenannte große Politik angerichtet hat. „Reichtum für alle“ zu versprechen oder „Leistung soll sich lohnen“ zu propagieren bleibt denjenigen überlassen, die die Folgen ihrer flotten Sprüche nicht durch konkrete Politik verantworten müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wenn wir den Reichtums- und Armutsbericht nicht als interessante Beschreibung der Probleme unseres Gemeinwesens in den Schrank stellen wollen, müssen wir überlegen, welche Chancen wir in unserem Bundesland haben, die Lebenslagen der Bremerinnen und Bremer hier zu verbessern. Wir können selbstständig hier in Bremen weder Steuern auf Vermögen erheben noch die Sozialleistungen anheben, wir können weder die Logistik- oder Automobilbranche vor Konjunktureinbrüchen bewahren noch große Beschäftigungsprogramme auflegen. Wir können nur bedingt die Steuerkraft erhöhen und sind, wie bei dem Einbruch der Gewerbesteuern von rund 40 Prozent, von weltweiten Konjunkturen abhängig. Dennoch können wir mit großer Anstrengung, und das haben wir hier gemacht, Armut in all ihren Folgen in unseren beiden Gemeinden Bremen und Bremerhaven bekämpfen. Das tun wir auch!

Wir können zwar das Armutsrisiko nicht wirklich beseitigen, aber zumindest die Sozialleistungen fair bewilligen. Dabei geht es sowohl um die Einhaltung der durch die Gesetze und die Rechtsprechung gesetzten Normen und Verfahrensweisen, es geht aber auch darum, zum Beispiel die Leistung für die Unterkunft so zu gestalten, dass möglichst wenige umziehen müssen und in ihrem Stadtteil bleiben können, auch wenn dort das Mietniveau höher ist. Wir haben das gestern schon debattiert, und da geht es nicht darum, alles über einen Kamm zu scheren.

Wir können mit gezielten Fördermaßnahmen Nachteile von Arbeit Suchenden auf dem Arbeitsmarkt wegen eines Migrationshintergrunds oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung reduzieren. Wir können durch eine integrierte Bildungspolitik dafür sorgen, dass kein Kind zurückgelassen wird, benachteiligte Kinder die notwendige Förderung erhalten, behinderte Kinder nicht in Sonderschulen abgeschoben werden, soziales Lernen in gemeinsamen Kindergärten und Schulen ermöglicht wird und kein Kind hungrig den Unterricht besuchen muss. Wir können frühzeitig dafür sorgen, dass misshandelte und vernachlässigte Kinder aufgespürt und Gewalt oder Erziehungsdefizite durch gezielte Hilfen für die Familien kompensiert werden. Wir können durch Gesundheitsförderung und den Ausbau der sozialen Infrastruktur in den Stadtteilen mit einer benachteiligten Bevölkerung Gesundheitsrisiken verringern und den sozialen Zusammenhalt stärken. Wir können auch durch das Sozialticket vielen Familien ermöglichen, aus ihrem Stadtteil herauszukommen, und wir können den Zugang zu kulturellen Angeboten und Erwachsenenbildung erleichtern. Das alles machen wir schon!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Was wir zusätzlich machen können und überlegen sollten, haben wir beispielhaft in unserem gemeinsamen Antrag aufgeschrieben. Der Senat soll uns aus den vielfältigen Vorschlägen aus dem Armuts- und Reichtumsbericht einen Vorschlag machen, welche Maßnahmen vorrangig angegangen werden müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass im Bundesrat die Regelsätze der Grundsicherung für Arbeitslose, Erwerbsunfähige, alte Menschen und Kinder richtig bemessen und schneller angepasst werden.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Sie hätten unserem Antrag ja letztes Mal zustimmen können!)

Wir haben hier schon einen Antrag in der Richtung gestellt, der wesentlich weiter geht. Ich weiß nicht, ich kann mich jetzt an Ihren Antrag nicht erinnern. Ich weiß nur, dass wir schon verschiedene Vorstöße gemacht haben, aber hier geht es auch darum, dass zum Beispiel die Bemessung nicht mehr nach der

Einkommens- und Verbrauchstichprobe geht, sondern schneller geschieht, und nicht erst, wenn die Inflation im Grunde genommen schon den halben Regelsatz aufgebraucht hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wir müssen auch das zarte Pflänzchen hegen, mit dem die Finanzsenatorin bei den Reinigungskräften überprüft hat, ob das Outsourcing aus Kostengründen zwingend erforderlich ist und ob wir nicht auch im öffentlichen Dienst diese Beschäftigung organisieren und damit auskömmliche Löhne sicherstellen können. Wir müssen bei der Einstellung- und Beförderungspolitik verstärkt auf die Vielfalt der Bewerberinnen und Bewerber achten. Geschlecht, längere Erziehungszeiten, Migrationshintergrund, Behinderung oder sexuelle Orientierung dürfen keine Einstellungs- und Aufstiegshindernisse bleiben, sondern müssen als zu berücksichtigende Qualitäten angesehen werden. Diversity, wie es neuhochdeutsch immer so schön heißt, ist ein Qualitätsziel.

Schulen und Kindergärten müssen nicht nur Einrichtungen für die Kinder sein, sondern auch vielfältige Beratungs- und Bildungsangebote für die Eltern bereithalten. Sie sollen also so zu Quartiers- und Familienzentren umgebaut werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Damit haben wir auch begonnen, aber das müssen wir weiterführen, und die Selbsthilfestrukturen dürfen nicht ausgetrocknet, sondern müssen weiterentwickelt werden. Der Bericht ist daher eine ausgezeichnete Grundlage dafür, unsere Politik gegen Armut und Ausgrenzung weiter zu orientieren und weiterzuentwickeln. Unser Antrag greift dieses Anliegen auf, und ich bitte Sie deshalb, diesem Antrag zuzustimmen! – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bartels.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist eine Geschäftsordnungsdebatte, und ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir zunächst einmal sehr ernsthaft an der Thematik verhaften und auch diesen rund 450 Seiten starken Armuts- und Reichtumsbericht hier noch einmal gegenüber dem Parlament darstellen. Mein Wunsch als Sozialpolitiker ist, dass dieser Armuts- und Reichtumsbericht nach dieser Debatte in der Tat nicht wie––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

der im Schrank verschwindet, sondern wir haben hier im Land Bremen daran zu arbeiten. Dies ist kein einfacher Bericht, ich nehme meinen Kollegen hier im Haus ab, dass sie sich wirklich auch mit der Thematik auseinandergesetzt haben, und ich empfinde es auch ein Stück weit als Pflicht, Ihnen die Inhalte hier noch einmal darzustellen, bevor wir dann vielleicht im zweiten Teil auch zu einer politische Debatte kommen.

Dieser Bericht stellt also die unterschiedlichen Lebenslagen dar. Er ist im Entwurf bereits Anfang des Jahres vorgelegt und dann von ganz unterschiedlichen Gruppierungen und Interessenverbänden diskutiert worden. Es sind uns auch Konsequenzen empfohlen worden, die wir bewerten mussten, und die sollten wir uns in Bezug auf die Umsetzbarkeit auch sehr genau vornehmen. Dieser ganze Bericht geht von einem erweiterten Armutsbegriff aus und spiegelt nicht nur die finanzielle Armut wider, die hier in unseren beiden Städten tatsächlich auch vorhanden ist, sondern es ist auch eine Armut an Zukunftschancen.

Dieser Bericht gliedert sich in unterschiedliche Kapitel. So werden zum Beispiel die Einkommens- und Schuldenentwicklung, die Quote von Transferleistungen und die Quote von Erwerbstätigkeit in dem einen Kapitel dargestellt, aber auch die Auswirkungen von Armut und Benachteiligung auf gesellschaftliche Gruppen wie Kinder, junge Menschen, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Migranten, aber auch Frauen. Armut und Reichtum wird nicht nur auf Stadtteilebene dargestellt, sondern auch in den Ortsteilen und ganz kleinteilig in den Quartieren, was wir durchaus auch für uns als Sozialpolitiker als Qualitätsverbesserung empfinden. Die Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung sind allerdings schwierig.

Ihren Antrag werde ich wahrscheinlich erst im zweiten Teil bewerten, denn aus erster Sicht – wir haben ihn sehr spät und kurzfristig bekommen – ist das nicht die Richtung, die die CDU-Fraktion mitgehen kann, aber lassen Sie mich dazu nachher etwas sagen!

Einige Schlaglichter aus der Statistik des Berichts darf ich Ihnen mit auf den Weg geben! Die Bevölkerung in unserem Land ist mittlerweile rückläufig, es gibt Veränderungen in ihrer Zusammensetzung aufgrund des demografischen Wandels, aber auch aufgrund von Abwanderung aus unseren beiden Städten. Der Anteil von Migrantinnen und Migranten im gesamten Land Bremen liegt mittlerweile bei 26 Prozent, in der Stadt Bremerhaven bei 27 Prozent und in Bremen bei 20 Prozent. Bei den Kindern bis zu sechs Jahren ist die Gruppe derjenigen mit Migrationshintergrund mittlerweile höher als die Gruppe derjenigen ohne Migrationshintergrund.

Die erwerbsfähige Bevölkerung im Land wird in den nächsten Jahren abnehmen, das ist die Tendenz. Das heißt, es gibt einen sinkenden Bevölkerungsanteil, den Anteil derjenigen, die für die Einnahmen im so

zialen Sicherungssystem sorgen müssen. Das bedeutet doch, dass sich die Politik daran auszurichten hat, steigende Beschäftigungsquoten anzustreben. Davon habe ich von meinen Vorrednern bisher nichts gehört. Migranten, ältere Arbeitnehmer, Alleinerziehende und Frauen müssen besser in den Arbeitsmarkt integriert werden.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Für das Land Bremen beträgt das Armutsrisiko, je nach Methode, zwischen 19,4 und 27 Prozent. Das heißt, es besteht ein relatives Armutsrisiko für circa 130 000 bis 180 000 Bremerinnen und Bremer, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Die Anzahl der mittleren Einkommen nimmt gleichzeitig im Land ab. Der Anteil der von Überschuldung bedrohten oder bereits überschuldeten Privatpersonen und Privathaushalte liegt in unseren beiden Städten bei 60 000 Personen in rund 30 000 Haushalten. Ende 2007 erhielten 111 200 Bremerinnen und Bremer Transferleistungen, die SGB-II-Quote im Land lag bei 18,5 Prozent. Rund ein Viertel, 23 Prozent, dieser Arbeitslosengeld-II-Bezieher sind erwerbstätig und bekommen aufstockende Leistungen.

Die Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit ist die Hauptursache von relativer Armut in unserem Land. 41 100 Männer und Frauen sind im Jahr 2007 arbeitslos, darauf fußt dieser Armuts- und Reichtumsbericht, 18 500 sind sogar in der Langzeitarbeitslosigkeit. Was bedeutet das für die Familie? Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sinkt seit dem Jahr 2000, das ist Realität. Die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten dagegen stieg um fast ein Viertel, um 23 Prozent. Die Anzahl von Leiharbeitnehmern ist um 126 Prozent gestiegen. Das sind alles statistische Werte, die wir uns eigentlich auch selbst hätten beschaffen können, indem wir einfach im Statistischen Landesamt nachgefragt hätten. Dieser Bericht fasst dies nun zusammen und stellt die ganze Lage dar, wie sie ist. Das ist durchaus für uns auch von Vorteil. Wir begrüßen das, aber im Grunde genommen hätte es auch genügt, wenn wir uns tatsächlich auch einfach die statistischen Werte ansehen und uns immer wieder vergegenwärtigen, wie die Tendenzen sind.

Das Land Bremen ist das Land mit dem höchsten Anteil, nämlich 5,8 Prozent, von Personen ohne einen allgemeinbildenden Schulabschluss. Was soll aus den Menschen werden? 27,3 Prozent der Bevölkerung sind ohne jegliche Berufsausbildung. Auch dort ist zu fragen: Was soll aus den Menschen werden? Wie sollen sie ihr Einkommen sicherstellen? Das heißt, wir haben eine extreme Herausforderung und müssen hier handeln. Im Bildungssystem gibt es hier im Haus einen Konsens, zumindest ist er verabredet. Ich hoffe, dass das für die betroffenen Bevölkerungsgruppen auch in den nächsten Jahren trägt und dass es etwas bringt,

denn dieses Problem des Armuts- und Reichtumsbericht, der sich in weiten Teilen auf die Problematik von relativer Armut nur bezieht, ist mir bei der Lektüre des Berichts noch einmal sehr deutlich geworden. Es ist in weiten Teilen nur ein sachlicher Bericht, das muss ich anerkennen und zugeben, dass er mich in den Bann gezogen hat, meine Damen und Herren.

Der Anteil von einkommensarmen Haushalten mit Kindern liegt bei 19,6 Prozent, und Kinder sind eine ganz besonders betroffene Gruppe, ebenso wie die Frauen. Die Lohnunterschiede von Frauen sind ebenso gut in diesem Bericht dargestellt.

Das liegt unter anderem daran, dass Frauen durch längere Erziehungszeiten wieder zurück in Jobs gehen, auch einem ständigen Jobwechsel unterliegen und schlechter bezahlt werden. Das sind alles Herausforderungen, die wir hier lösen müssen.

Das Armutsrisiko ist in der Tat auch für Ältere hoch. Das liegt daran – auch in Zukunft wird das steigen –, weil sie heutzutage schon relativ geringe Einkommen haben und wenig in die Rentenkasse einzahlen. Ich will diese Debatte extra so führen, dass dieser Bericht uns mahnt und eine Herausforderung ist. Ich werde gleich im nächsten Schritt zur Beurteilung des Antrags kommen. Sie werden es wahrscheinlich verstehen, dass man als Opposition auch mit diesem Antrag von Rot-Grün so nicht leben kann, aber das bewerte ich gleich. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Nitz.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat: „Meine Partei hat eine Idee, das ist die Idee von einem Gemeinwesen, in dem das Menschenmögliche an sozialer Gerechtigkeit verwirklicht wird.“ Der Bericht, über den wir aber heute reden, ist ein ausführlicher, aber auch sehr erschüttender Bericht über den Zustand unseres Gemeinwesens. Der Bericht zeigt nämlich auch, dass unser heutiges Gemeinwesen von sozialer Ungerechtigkeit bestimmt ist. Dies ist das Ergebnis einer falschen, einer schwachen und von einseitigen Interessen bestimmten Politik auf Bundesebene, und ich könnte auch sagen, von 12 Jahren Politik unter Führung und Mitwirkung der SPD. Es ist aber auch das Ergebnis einer Landespolitik, die genau diese Entwicklung mitgetragen hat. Ich könnte auch sagen, unter Rot-Grün nimmt die Armut nicht ab, sondern zu.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Bericht spricht von 120 000 bis 180 000 armen Menschen in Bremen, aber ich denke, dass genau ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

diese Zahlen nicht das ganze Ausmaß darstellen. Das Erschütternste an diesem Bericht ist, dass der Anteil vor allem der Kinderarmut offenbar weit höher ist, als wir ursprünglich gedacht hatten.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Berlin, du ach so blühendes Ge- meinwesen!)