30 Prozent aller Kinder im Land Bremen erhalten Sozialgeld, und in Bremerhaven sind es sogar 40 Prozent. Dabei sind beispielsweise noch nicht einmal all jene erfasst, die in armen Familien, in Familien mit geringen Erwerbseinkommen leben. Wir erfahren auch, nicht jede Arbeit ist gute Arbeit. Die Produktivität ist gestiegen, die Einkommen der Arbeitnehmerschaft sind gesunken, und mehr Menschen sind erwerbslos. Sogar Erwerbstätige müssen Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen, weil ihr Einkommen unter der Armutsgrenze liegt. Dann kommen vor allem hier von der rechten Seite eher die Sprüche, die lauten: Arbeit muss sich lohnen! Natürlich muss sich Arbeit lohnen, aber genau deshalb brauchen wir jetzt den gesetzlichen Mindestlohn!
Die Annahme, dass es allen gut ginge, wenn die Wirtschaft floriert, wird in diesem Bericht eindrucksvoll widerlegt, denn die Konsequenzen von unternehmerischen Fehlentscheidungen werden immer auf dem Rücken der Kolleginnen und Kollegen ausgetragen. Nehmen Sie als aktuelles Beispiel nur die Firma Schlecker! Schlecker hat es versäumt, dem veränderten Konsumverhalten Rechnung zu tragen, und das soll jetzt mit der Etablierung der Schlecker XXL-Märkte auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen revidiert werden. Der Ausbau von Minijobs und Zeitarbeit hat Vollzeitarbeitsplätze vernichtet. Für diese prekär beschäftigten Männer und Frauen ist die Altersarmut vorprogrammiert, das hat selbst Herr Bartels schon erkannt, und die Politik hat diese Beschäftigungsverhältnisse erst möglich gemacht. Dieser Bericht zeigt also in aller Deutlichkeit die Konsequenzen einer Wirtschaft auf, die nicht an den Bedürfnissen der Gesellschaft orientiert ist.
Der Bericht weist darauf hin, dass die demografischen Veränderungen dahin gehen, dass die Stadt überaltert, doch solange Kinder ein erhöhtes Armutsrisiko bedeuten, wird sich daran auch nichts ändern. Das Familiengeld muss völlig neu überdacht werden. Der Ausbau von Krippenplätzen, von Kinderhorten – vom letzteren Aspekt ist im Bericht nicht einmal mehr etwas zu lesen – muss erste Priorität haben.
men Haushalten ist damit vorprogrammiert, dass fast die Hälfte des gesamten Einkommens für das Wohnen ausgegeben wird. Hier wirkt sich fatal aus, dass große Wohnungsbestände an internationale „Heuschrecken“ veräußert werden. Wir kennen alle zur Genüge in Bremen Wohnblöcke, die verfallen, ohne dass deren Eigentümer überhaupt zu erreichen sind. All dies trägt zu einer zunehmenden sozialen Spaltung auch zwischen den Stadtteilen bei. Zukünftig sollte also hier auch im Haus die Devise lauten: Stadtvillen sind überflüssig und bezahlbarer Wohnraum muss her!
Ich will auf einige Ursachen eingehen, die zu dieser katastrophalen Armutslage und zu den extremen sozialen Ungleichheiten beigetragen haben! Seit 1997 wird in Deutschland die Vermögenssteuer nicht mehr erhoben. Damit hat Deutschland ein trauriges Alleinstellungsmerkmal errungen, und weder die rot-grüne Regierung unter Herrn Schröder noch die Große Koalition haben überhaupt den Versuch unternommen, die Vermögenssteuer wieder einzuführen.
Ein zweiter Aspekt: 2002 wurde mit den HartzGesetzen die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe beschlossen, und zwar auf einem Leistungsniveau unterhalb der Armutsgrenze, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dies hat den Weg von der Beschäftigung über die Arbeitslosigkeit in die Armut extrem beschleunigt.
Ein dritter Punkt: 2005 wurde das Haushaltsloch des Bundes nicht etwa durch die Besteuerung höherer Einkommen geschlossen, sondern durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozent; eine Steuer, deren Wirkung überproportional die Armen trifft.
Ursächlich für die weitere Armutsentwicklung waren ferner die Stagnation der Löhne in den letzten zehn Jahren und die Zulassung aller möglichen Formen von prekärer, das heißt ungesicherter und schlecht bezahlter Beschäftigung. Hier steht ja insbesondere auch die FDP in den Startlöchern, vor allem auch noch einmal Vorstöße zu wagen, den Kündigungsschutz weiter zu lockern und noch einen daraufzulegen. Der Bericht weist zu Recht darauf hin, dass Massenarbeitslosigkeit eine der wesentlichen Ursachen von Armut ist, dass armutsfeste Lohneinkommen das wichtigste Instrument der Armutsbekämpfung sind. Hier ist es vor allem für die Linksfraktion umso unverständlicher, dass der Bremer Senat es nicht für notwendig erachtet, die Ausgaben der Arbeitsmarktpolitik deutlich zu erhöhen.
Der gesamte Haushalt „Arbeit“ sinkt ab 2010 auf 40 Millionen Euro, gegenüber fast 60 Millionen Euro in den Jahren 2005 bis 2007. Das Beschäftigungspolitische Aktionsprogramm fällt von 36 Millionen Euro im Jahr 2007 auf 19 Millionen Euro ab 2010. Bremen gibt ganze 2,5 Millionen Euro an Landesmitteln für Beschäftigungspolitik aus, da geben wir für die Po
larforschung fast dreimal so viel aus wie für die Beschäftigung. Was hier notwendig ist, ist ein Sektor öffentlich geförderter Beschäftigung, wo wir tarifliche und armutsfeste Löhne zahlen.
Vielleicht ganz kurz noch zu dem Antrag, der hier von der Koalition eingereicht wurde! Ich habe mit Erstaunen den Dringlichkeitsantrag zum sozialen Zusammenhalt zur Kenntnis genommen. Darin wird der Ausbau sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze in der Beschäftigungspolitik gefordert. Ich höre in Gesprächen auf Stadtteilebene in letzter Zeit genau das Gegenteil aus den Reihen der Regierungskoalition: Ausbau der Ein-Euro-Jobs wird da genannt, also mit weniger Mitteln mehr Leute aus der Statistik herausholen. Ich bin sehr gespannt, was jetzt stimmt, aber ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wie man mit einem Drittel weniger Geld mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen will!
Eines wird in diesem Bericht auf jeden Fall ganz deutlich: Die Armen in unserem Bundesland werden immer ärmer, die Reichen immer reicher. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind weit davon entfernt, das Menschenmögliche an sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen. Wie der Armutsbericht zeigt, geht die Entwicklung genau in die andere Richtung. Die Wahrheit wird sich demnächst bei den Haushaltsberatungen zeigen, und zwischen Herbert Wehner von 1966, von dem das eingangs genannte Zitat stammt, und Jens Böhrnsen im Jahre 2009 liegen eben nicht nur 43 Jahre, sondern auch ein kompletter Kurswechsel der sozialdemokratischen Politik. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will gar nicht bestreiten, dass die Koalition hier in Bremen das eine oder andere richtig macht, das haben wir hier auch durch entsprechende Positionierung deutlich gemacht, doch dafür bedarf es meiner Meinung nach dieses Berichts nicht. Die Fakten sind bekannt, Herr Bartels hat darauf hingewiesen. Nach Ansicht der FDPFraktion kann der Bericht nicht anders bezeichnet werden als ein ideologisches Pamphlet.
Ja, hören Sie doch einmal zu, und hören Sie auf mit Ihren Posaunen, das überrascht Sie doch gar nicht!
Sie haben im Sommer doch die Debatte mit mir verfolgt. Ich habe das vorher gesagt, und Sie haben mich dafür angegriffen. Ich bleibe dabei, Sie pflegen Ihre Vorurteile gegenüber der FDP, wie sie auch DIE LINKE pflegt. Ich habe Urteile! Bremer Sozialdemokraten machen und machten Klientelpolitik und keine Sozialpolitik.
Meine Damen und Herren, 60 Jahre sind Sie nun hier verantwortlich und an der Regierung beteiligt. Sozialleistungen: Ein Drittel der Kinder, wir haben es gehört, sind von Sozialleistungen abhängig, hängen am Tropf des Staates. Bildung: Bildungschancen sind extrem ungerecht verteilt, extremer als woanders. Da wird jetzt Abhilfe geschaffen, und das ist auch gut so, zugleich ist auch Fakt, was bisher Fakt ist. Gesundheit: Es ist darauf hingewiesen worden, die Lebenserwartung liegt unverkennbar unter dem Bundesdurchschnitt. Gleichberechtigung: die niedrigste Erwerbsbeteiligung von Frauen deutschlandweit! Das sind alles Dinge, die die Sozialdemokraten bekämpfen wollen.
Doch warum haben Sie es so weit kommen lassen? Hoffentlich nicht, um jetzt etwas tun zu können! Ich kann für die FDP feststellen, Sie als Sozialdemokraten haben hier in Bremen versagt.
Jetzt soll dieser neue Bericht Strategien formulieren, so war es angekündigt. Dazu kommt es indes in keinem Punkt. Vielmehr, und das muss hier auch einmal gesagt werden, holt der Senat die alten Klamotten aus der sozialdemokratischen Mottenkiste, etwa den Mindestlohn als Allheilmittel gegen Aufstocker, also Menschen, die sich engagieren und neben ihrem Arbeitslohn zusätzlich Hartz IV bekommen und ja, Sie werden dieses Phänomen damit eindämmen. Mit Ihrem Mindestlohn haben die Menschen vielfach einfach gar keine Arbeit mehr und leben nur noch von Transferzahlungen. Herzlichen Glückwunsch! (Beifall bei der FDP)
Unser Vorschlag, Anhebung von Zuverdienstmöglichkeiten, wurde hingegen abgelehnt, wie auch unser Entwurf für ein Grundeinkommen, das Bürgergeld. Ganz besonders hat mich hier die Aussage zur Schule für alle interessiert, die empfehle ich übrigens der Union zur Lektüre, als gäbe es keine Vereinbarung in der Malawi-Koalition zwischen Schwarz, Rot und Grün.
(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Zum Schulkonsens sagen Sie doch hoffentlich nichts!)
Das ist ja bekannt, aber jetzt hören Sie bitte einmal zu, was ich zu dem sage, was hier als Treppenwitz drinsteht und ich der Union ins Stammbuch schreiben will, damit sie es durchliest. Damit sie auch begreift, warum man das nicht mittragen konnte und kann!
Als gäbe es keine Vereinbarung zwischen Schwarz, Rot und Grün, wird in diesem Bericht, der hier vom Senat vorliegt, weiter munter die Abschaffung des Gymnasiums propagiert. Die FDP hat also sehr richtig gehandelt, als sie entschied, die Vereinbarung nicht zu unterschreiben.
Es fehlt eben der konsensuale Geist, auch wenn die Bildungssenatorin heute bei der Feier zu 150 Jahre Kippenberg deutlich gemacht hat, dass sie das Gymnasium erhalten will, der Senat will es anscheinend nicht! Ich habe das zur Kenntnis genommen. Die Linke des Hauses hat hier komplett gefehlt, anscheinend ist ihr das Gymnasium nicht wichtig.
(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Können Sie das einmal zitieren, die Stelle, an der steht, dass das Gymnasium ab- geschafft werden soll!)
Meine Damen und Herren, das sind nur zwei kleine Beispiele für Ihre ideologischen Positionen, die dem Ernst der Probleme wahrlich nicht angemessen sind. Doch nicht nur Ihre eigenen Forderungen überhöhen Sie ins Übermenschliche, auch die politischen Vorstellungen anderer Parteien werden in diesem offiziellen Papier des Senats verhöhnt. Der Senat ist sich dafür nicht zu schade, unqualifizierte Aussagen zu einem einfachen und gerechten FDP-Bürgergeldmodell zu treffen. So etwas erwarte ich in einem SPDProgrammpapier, nicht in einem Bericht des Senats!
Der Senat ist nämlich kein Parteiorgan, auch wenn das manche zu vergessen scheinen. Werter Senat, nun einmal zu den Zahlen!
Ich möchte noch einmal zu den Zahlen kommen. Ein Zitat aus dem Bericht: „Von Interesse ist vor allem, wie viele von Armut betroffene Menschen es gibt
und ab welchem monatlichen Einkommen eine Person oder ein Haushalt als arm gilt.“ Ja, das ist in der Tat interessant, der Senat sollte wissen, welche Probleme er lösen will! Leider bekommen wir darauf keine konkrete Antwort. Der Senat legt sich da nicht fest: Geschätzte 130 000 bis 180 000 Bremer und Bremerinnen sind von Armut bedroht. Ja, wie viele denn nun? Welche Definition von Armut macht sich der Senat zu eigen? Sind es 20 Prozent der Menschen in unserem Land oder doch eher 30 Prozent? Wem und wie vielen muss geholfen werden? Wie groß ist das Problem? Ich habe darauf hingewiesen: Es gibt unterschiedliche Definitionen, doch der Senat muss hier einmal Klartext reden und sich positionieren! Es wird dabei auf verschiedene wissenschaftliche Ansätze verwiesen, nach denen einmal 880 Euro und ein anderes Mal 780 Euro monatliches Einkommen ein Armutsrisiko darstellen. Wieso kann der Senat sich da nicht positionieren? Was heißt für den Senat Armut, was meint er mit Armutsrisiko? Wie viele Menschen sind arm, wie viele sind reich? Es fehlt dem Bericht schlicht die Aussage, für die er gemacht ist.
Meine Damen und Herren, diese definitorischen Mängel setzen sich fort. Stadtteile werden demnach für arm gehalten, wenn dort das steuerpflichtige Durchschnittseinkommen eines Haushalts unter 25 000 Euro liegt. Das wären über 2 000 Euro im Monat. Mit welcher Begründung ist ein Mensch mit 2 000 Euro Einkommen im Monat arm? Ein solcher Durchschnitt sagt nichts!
Lassen Sie mich zu Ende reden! Wie groß ist der Haushalt? Darauf kommt es an, und das hätte hier mit betrachtet werden müssen, das fehlt hier in dem Papier.
(Beifall bei der FDP – Abg. Frau B u s c h [SPD]: Sie verdrehen hier Fakten und Tat- sachen, und das ist unfair!)