Protokoll der Sitzung vom 28.10.2009

Jetzt kommt etwas ganz Interessantes in die Debatte, sowohl vom Kollegen Woltemath als auch vom Kollegen Röwekamp. In Wirklichkeit ist das alles vielleicht gar nicht so gemeint, wie es darin steht. Vielleicht kommt es ja gar nicht so, vielleicht kommt es ganz anders. Wir müssen ja noch einmal darüber reden! Ich greife das einmal positiv auf: Ich habe den Koalitionsvertrag so gelesen: ganz viele Kommissionen, ganz viele Prüfaufträge, ganz viele Ideen und vielleicht ab dem Jahr 2011 und vielleicht auch nicht und so weiter. Wir werden diese Vagheit- und Unsicherheit umdrehen, die Sie verursachen, und werden in allen gesellschaftlichen Bereichen kämpfen, dass bestimmte Dinge so, wie Sie es jetzt beschlossen haben, nicht zustande kommen.

Die Tür, die Sie da aufgemacht haben, dieses „Na ja, vielleicht einmal schauen“, CSU und FDP wollen es. Die CDU hat einige Finanzpolitiker in ihren Reihen, ich habe gerade welche erwähnt, die sehen das äußerst skeptisch. Genau da werden wir einhaken, wir werden uns einmischen. Wir werden im Bundesrat und auf vielen Ebenen versuchen zu verhindern, dass es so kommt. Wir werden eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Werte und über die tatsäch

lichen Entscheidungen in dieser Gesellschaft mit Ihnen führen.

Sie haben viele Dinge aus dem Koalitionsvertrag zitiert, das ist genau der Gegensatz, wenn man ihn liest. Auf der einen Seite Lippenbekenntnisse, mit denen Sie sich zu etwas ohne konkrete Konsequenzen bekennen, auf der anderen Seite ganz klare, harte Einschnitte, die schon zum 1. Januar 2010 beginnen sollen. Das ist genau der Gegensatz, den wir gegenüber den Menschen thematisieren werden: einerseits klare Fakten, die Sie zugunsten der Gruppen, die Sie begünstigen wollen, schaffen, andererseits schwammige Ausflüchte, was Sie alles Schönes und Gutes machen wollen. In diesem Gegensatz wird dieser Koalitionsvertrag stehen, viele Mitglieder führender deutscher Wirtschaftsforschungsinstitute haben sich schon so geäußert. Die CDU-Finanzpolitiker und -Ministerpräsidenten haben sich schon so geäußert, und diese rot-grüne Regierung wird darum kämpfen, dass Sie dem Land Bremen und den Menschen in Bremen und Bremerhaven mit Ihrer Regierung nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Bürgermeister Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Wahlkampf ist vorbei, deswegen werde ich meine Neigung zur Polemik begrenzen. Die Wählerinnen und Wähler haben entschieden, man mag die Entscheidung je nach Parteifarbe bedauern oder bejubeln, jedenfalls gibt es einen Auftrag der Wählerinnen und Wähler zur Koalitionsbildung. Deswegen werde ich das als Demokrat zunächst einmal respektieren und selbstverständlich auch der Kanzlerin zu ihrer Wiederwahl herzlich gratulieren.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Es fehlten ein paar Stimmen, habe ich gehört, aus der Koalition!)

Jedenfalls ist sie gewählt worden!

Natürlich wird sich der Senat der Freien Hansestadt Bremen um eine vernünftige, konstruktive Verbindung zur neuen Bundesregierung im Interesse Bremens bemühen. Denn wir haben große Aufgaben, die wir natürlich mit der Unterstützung der Bundesregierung weiter vorantreiben müssen: Verkehrsinfrastruktur, Hafenhinterlandanbindung, Luft- und Raumfahrt, Forschung und Entwicklung und natürlich auch die Fragen regenerativer Energien und vieles mehr. Ich werde natürlich auch den Kontakt zu allen unseren Bundestagsabgeordneten suchen, weil ich fest davon überzeugt bin, dass jeder Bundestags

abgeordnete in seiner Rolle in den Fraktionen in Berlin jemand ist und sein muss, der für bremische Interessen wirbt.

Ich will mich darauf beschränken, aus bremischer Sicht auf diesen Koalitionsvertrag zu schauen und zu fragen, was er bedeutet. Ich teile im Übrigen selbstverständlich die allgemein politischen Bewertungen, teile auch die Einschätzung, die in Deutschland allgemein verbreitet ist, dass es noch nie eine Bundesregierung und eine Koalition gegeben hat, die einen derartigen Fehlstart hingelegt hat. Ich schaue aber auch auf diesen Koalitionsvertrag und frage: Was bedeutet er für uns in Bremen? Da schaue ich natürlich auf Zahlen und darauf, was uns in Aussicht gestellt wird. Wir haben das errechnet, die Finanzsenatorin mit ihren Fachleuten, und da kommen wir, sehr aktuell und sehr konkret auf den Betrag.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Ab wann ei- gentlich?)

Wir beginnen mit dem Jahr 2010.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Mit wie viel?)

Sie wissen, das Bürgerentlastungsgesetz ist noch etwas von der Großen Koalition.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das haben Sie mit beschlossen!)

Ja, gar keine Frage! Anschließend hat die neue Koalition dort noch sieben Milliarden Euro für 2010 darauf gelegt. Ab dem Jahr 2011 – und das ist für uns ein entscheidendes Jahr, darauf komme ich noch zurück – haben wir die volle Wirkung, nämlich plus 24 Milliarden Euro. Das bedeutet nach überschlägiger Rechnung für Bremen einen Verlust von 163 Millionen Euro, allein die steuerlichen Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag konkret benannt worden sind. Nicht genannt und auch nicht berechnet sind alle anderen Dinge.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Bei Null- wachstum rechnen Sie das! Das ist ein Worst- Case-Szenario!)

Lieber Herr Röwekamp, ich würde es für Deutschland natürlich sehr begrüßen, wenn es anders wäre. Nennen Sie mir einen Ökonomen, der in den letzten Tagen und Wochen eine Stellungnahme abgegeben hat, die lautet, Wirtschaftswachstum in welcher Größenordnung auch immer wäre in der Lage, die Steuerausfälle aller öffentlichen Haushalte in Deutschland zu kompensieren. Eine solche Stellungnahme gibt es nicht!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Deswegen sollten Sie ehrlich sein und sagen, das ist ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft, und das Schlimme ist, dieser Scheck ist nicht auf die Bundesregierung allein ausgestellt, sondern er ist auf die Länder, Gemeinden und Städte in Deutschland ausgestellt. Das ist die Wahrheit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Der Hamburger Erste Bürgermeister Ole von Beust hat gestern mit Recht, und nicht nur er allein, davon gesprochen: Es ist ein Vertrag zulasten Dritter, und normalerweise fragt man den Dritten, ob er diese Belastungen tragen kann.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Wird er ja auch! Natürlich wird er gefragt!)

Wir sind nicht gefragt worden!

Ich wäre interessiert daran, wie der Landesvorsitzende der CDU in Bremen sich beim kleinen Parteitag am Montagabend verhalten hat, ob er gemeinsam mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller darauf hingewiesen hat, dass Länder wie das Saarland, Bremen, Schleswig-Holstein, SachsenAnhalt und Berlin eine solche Belastung nicht tragen können. Haben Sie sich im Parteirat der CDU entsprechend verhalten? Das würde mich interessieren!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich habe mit Freude, aber auch mit Überraschung, soeben gehört, was nach der Sendung „Anne Will“ unter anderem im Gespräch mit dem neuen Finanzminister noch zu großer Aufregung geführt hat, nämlich die Frage: Ist das, was steuerpolitisch verabredet worden ist, endgültig, oder steht es unter einem Vorbehalt? Ich habe mit Interesse gehört, dass Ihre beiden Fraktionen, augenscheinlich der Auffassung sind, das steht noch unter Vorbehalt.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das steht so- gar darin!)

Ja, das steht darin! Es steht ein „möglichst“ im Koalitionsvertrag.

Es ist ja schön zu hören – ich freue mich, dass ich das auch in andere Gremien mitnehmen kann –, dass die Bremer FDP und die Bremer CDU der Auffassung sind, dass man das noch einmal überprüfen muss. Dies unter anderem mit Blick auf die Frage, ob die, die es aufbringen sollen, auch in der Lage sind, es zu bezahlen! Wenn ich sage, Vertrag zulasten Dritter, dann wissen Sie, dass der überwiegende Anteil dessen, was steuerpolitisch vereinbart worden ist, von den Ländern und den Gemeinden zu tragen ist.

Dann will ich noch auf zwei Punkte hinweisen, die noch gar nicht angesprochen worden sind! Es sind auch Dinge in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden, wie zum Beispiel die Erbschaftsteuer zu regionalisieren. Wissen Sie, was das bedeutet, wenn wir das auf die Länder nach Steuersatz, Steuerhöhe beziehen und die Länder entscheiden können, ob sie Erbschaftsteuer nehmen oder nicht? Das ist eine Sache! Dies wollen Sie auch noch weiter prüfen. Aber das Gravierendste für die Städte in Deutschland – das Handelsblatt hat die Überschrift „Aufstand der Städte in Deutschland!“ gebracht, ich war vor 14 Tagen im Präsidium des Deutschen Städtetages und kann Ihnen sagen, es herrscht einhellige Empörung bei allen, unabhängig von der Parteifarbe – betrifft den Punkt, der seit dem Jahr 2003 in der Programmatik der FDP steht und Eingang in den Koalitionsvertrag als Perspektive gefunden hat, nämlich die Abschaffung der Gewerbesteuer. Abschaffung der Gewerbesteuer und Ersetzung durch einen Zuschlag zur Einkommensteuer!

Sie wissen hoffentlich, was das bedeutet, dass Sie dann hier in Bremen und für Bremen entscheiden müssen, dass ein wesentlicher Teil unserer kommunalen Finanzierung auf eine völlig andere Basis gestellt wird. Das ist nicht nur eine Steuer, die auf Gewerbeleistungen bezogen ist, sondern eine, die dann verbreitert und auf alle Bürgerinnen und Bürger bezogen wird. Ich hoffe sehr, dass die CDU an diesem Punkt der FDP-Programmatik nicht folgt. Ich habe gesagt, das hat für Bremen Auswirkungen! Ich würde mich deswegen hier und jetzt zu der Behauptung durchringen zu sagen: Dieser Koalitionsvertrag gefährdet Bremen und seine finanzpolitische Zukunft in erheblichem Maße. Lassen Sie uns die Eigenanstrengungen und das, was wir von anderen erwarten, einmal anschauen!

Sehr geehrter Herr Röwekamp, alle Polemik hilft nicht darüber hinweg, dass man bei Finanzfragen auf die Zahlen schauen muss, und da darf ich Ihnen sagen, dass wir gerade von der Forschungsstelle Finanzpolitik im Oktober noch einmal bestätigt bekommen haben, dass Bremen den geringsten Anstieg der Primärausgaben – das sind alle Ausgaben ohne Zinsausgaben – aller Länder hat. Wenn Sie sich das Verhältnis der drei Stadtstaaten anschauen, so lag Bremen im Jahr 2001 über den Primärausgaben von Berlin und Hamburg, und zwar in beachtlicher Höhe.

Wir befinden uns jetzt zum Ende 2008 unter dem Ausgabenniveau von Berlin und Hamburg. Wenn Sie das im Verhältnis zu den Ausgaben von Flächenländern ansehen – Sie wissen, dass wir über die Einwohnerveredlung eigentlich von einem Satz von 125 Prozent als Minimum ausgehen –, so liegt Hamburg bei 130,5 Prozent, Berlin bei 129,5 Prozent und Bremen bei 125,4 Prozent. Das bedeutet nach dem, was die Finanzwissenschaftler sagen – und Sie erinnern sich noch an den leider verstorbenen Herrn Seitz, der das immer mit großer Überzeugung vertreten hat –, dass

Sie damit ein kritisches Maß für einen Stadtstaat erreichen. Ich halte es bei Finanzpolitik mit Zahlen!

Noch einmal auf die Föderalismuskommission abgestellt: Die Föderalismuskommission hat erstmalig in Deutschland – so etwas hat es vorher noch nicht gegeben –, die Haushalte von Ländern, die sich freiwillig bereit erklärt haben, sich untersuchen zu lassen, einer Prüfung unterzogen, die es in dieser Tiefe und in dieser Genauigkeit noch nie gegeben hat. Das sind die Haushalte von Bremen, von Schleswig-Holstein und vom Saarland. Das Ergebnis ist für jeden nachzulesen, der es möchte. Gehen Sie in das Internet, schauen Sie es sich an! Bremen hat eine exzellente Beurteilung bekommen, aber leider auch eine, die für uns von den Zahlen her ungeheuer anstrengend ist. Das Ergebnis ist gewesen, dass wir uns wie kein anderes Land – und lassen Sie uns doch die Erfolge insoweit auch der Großen Koalition nicht schlechtreden, jedenfalls in den letzten zwei Jahren angestrengt hatten.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Wie geht es denn weiter?)

Wir haben uns in einer Weise angestrengt, dass wir schon bis auf die Knochen gespart haben. Man darf, auch wenn es schwerfällt, in dieser Runde und in diesem Parlament jedenfalls stolz darauf sein, dass man einen solchen Weg gegangen ist, der schwer genug war, zu einem Erfolg geführt hat, sodass wir in der Ländergesamtheit ganz anders dastehen, als Sie es hier darstellen wollen. Wir stehen als ein Land da, das seine Aufgaben macht, und ich erwarte von jedem, dass er außerhalb Bremens sich auch entsprechend einlässt und nicht schlecht über Bremen redet, wenn es keinerlei Grund dafür gibt, und hier gibt es keinen Grund.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wie geht es weiter? Es geht so weiter, dass wir das Ergebnis der Föderalismuskommission, das eine Schuldenbremse bedeutet, aber darüber hinaus eben auch bedeutet, dass wir für zehn Jahre jährlich 300 Millionen Euro bekommen, dass wir mit diesem Geld unsere Eigenanstrengungen komplementieren. Wir werden Mitte des Jahres 2010 eine Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund haben, und dort werden wir die schwierige Aufgabe geklärt haben, die noch keiner geleistet hat, nämlich zu klären, und wenn Sie sich mit den Schuldenbremsregime des Grundgesetzes näher beschäftigen, dann wissen Sie, dass es darum geht, zu trennen, was ein konjunkturelles und was ein strukturelles Problem in einem Haushalt ist. Da gibt es die Fragen, die zwischen Bund und Land zu klären sind.

Wir werden dann Mitte 2010 über eine Vereinbarung mit Abbauschritten verfügen, und wir werden

diese Abbauschritte in den Haushalt 2011 einbauen müssen, jedenfalls die ersten Abbauschritte. Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt, und sie wird anstrengend genug sein. Weil sie erstens anstrengend wird, aber zweitens nur auf der Grundlage einer Verständigung mit dem Bund möglich ist, rate ich sehr dazu, dass wir uns hier nicht in Polemik verlieren. Vor allen Dingen, Herr Röwekamp, nicht zum falschen Zeitpunkt! Wenn Sie zum Beispiel sagen, dass es eine Jugendorganisation gibt, die 100 000 Euro bekommt – und Sie finden, das sei ein wichtiger Sparbeitrag –, und heben zum gleichen Zeitpunkt am Montagabend die Hand dafür, dass Bremen 163 Millionen Euro verliert, dann passt das nicht zusammen. Ich nenne das zynisch, das in einem Atemzug zu nennen.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Wir werden uns auf einen noch anstrengenderen Weg des Sparens machen. Der ist aber nicht mit irgendwelchen Überschriften über zwei Staatsräte, eine Jugendorganisation und einen Kindergarten bei der Arbeitnehmerkammer oder so etwas zu leisten. Das ist nicht ernsthaft und nicht sorgfältig genug, da muss man anders herangehen!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Indem man nichts sagt?)

Lieber Herr Röwekamp, ob ich zwei Theater zusammenlege, einen Staatsrat einspare und eine Jugendorganisation mit 100 000 Euro fördere oder nicht fördere, das macht den Kohl nicht fett in Bremen. Wir müssen zu ganz anderen gemeinsamen Anstrengungen und Strukturen kommen!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Doch! So etwas kostet Geld, das ist schon klar!)

Lieber Herr Röwekamp, ich erwarte in dieser Phase von Ihnen und auch von der FDP etwas ganz anderes. Schließen Sie sich denen an – –.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Die nichts sagen, die nichts tun wie diese Regierung?)