Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie keinerlei Bedenken gegen die Einführung haben?

Bitte, Herr Senator!

Wir als Senat respektieren die kommunale Selbstverwaltung und mischen uns in diese Angelegenheit nicht ein.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Der Magistrat hat auf eine Anfrage der BIW am 23. September 2009 beschlossen, dass eine Einführung gegebenenfalls nur mit Einverständnis des Senators, also von Ihnen, erfolgen könnte. Deswegen noch einmal meine Frage: Bestehen Ihrerseits Bedenken?

Bitte, Herr Senator!

Ich glaube, ich muss den Bürgern in Wut noch einmal erklären, wie das Verfahren läuft. Änderungen von Kennzeichen können nur durch eine Änderungsverordnung zur Fahrzeugzulassungsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats von der Bundesregierung vorgenommen werden. Die Buchstaben der Unterscheidungszeichen der Kennzeichen werden grundsätzlich entweder aus dem Ortsnamen der Zulassungsstelle oder bei Verwaltungsbezirken mit Landschaftsnamen oder Doppelnamen aus dem Namen des Verwaltungsbezirks entnommen. Bei der Festlegung der Unterscheidungszeichen richtet sich das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, also die zuständige Stelle, vor einer Initiative zur Änderung der FZV, das war die Fahrzeugzulassungsverordnung, nach den Vorschlägen der obersten Landesbehörde.

Die oberste Landesbehörde wiederum berücksichtigt die Vorschläge der gewählten kommunalen Organe. Im Rahmen der durch Artikel 28 Grundgesetz garantierten kommunalen Selbstverwaltung haben die Organe – in diesem Fall die Stadtverordnetenversammlung und der Magistrat der Stadt Bremerhaven – aber entschieden, das Kennzeichen HB beizubehalten. Diese Entscheidung wird von der obersten Landesbehörde respektiert. Eine Weisungsbefugnis des Senators für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa ist im Rahmen des Artikels 28 Grundgesetz nur sehr ein

geschränkt gegeben, manchmal noch eingeschränkter, und die wollen wir nicht wahrnehmen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Tittmann!

Herr Senator, sehe ich das richtig, wenn die Stadtverordnetenversammlung beschließen würde, ein dementsprechendes Kennzeichen einzuführen, würden Sie das als Land unterstützen? Da Sie ja nun die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung respektieren, würde ich dann auch sagen, dass Sie das unterstützen, oder wie sehen Sie das?

Bitte, Herr Senator!

Es geht nicht um meine Unterstützung, es geht um die kommunale Selbstbestimmung. Die Stadt Bremerhaven befindet selbst darüber.

(Abg. Ti t t m a n n [parteilos]: Dann nehme ich das wohlwollend zur Kenntnis! Danke!)

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit ist der Tagesordnungspunkt 1 der Tagesordnung erledigt.

Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde ist von den Abgeordneten Frau Ziegert, Tschöpe und Fraktion der SPD und den Abgeordneten Frau Schön, Dr. Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen folgendes Thema beantragt worden:

Einheitliches Angebot für Langzeitarbeitslose erhalten – Zerschlagung von BAgiS und Argen verhindern!

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Rosenkötter. Die Beratung ist eröffnet. Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Ziegert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Langzeitarbeitslose brauchen Hilfen aus einer Hand. Leistungsgewährung, Förderung und Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Organisiert wird dies gegenwärtig in den Arbeitsgemeinschaften, das heißt, hier in Bremen in der BAgiS, in Bremerhaven in der ARGE Job-Center Bremerhaven. Insgesamt hat sich diese gemeinsame Aufgabenwahrnehmung bisher bewährt, sowohl in der Arbeitsmarktpolitik als auch in der Leistungsgewährung. Wir – und vor allem ich – hätten uns aber eine Weiterentwicklung genau in eine andere Richtung gewünscht, als in die es jetzt zu gehen scheint, nämlich eine noch stärkere Verzahnung der Arbeitsgemeinschaften mit der Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit, um hier eine bessere Abstimmung zwischen SGB-II- und SGB-III-Bereich herbeizuführen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weil das so ist, gab es, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2007 die bisherige Organisationsform der Arbeitsgemeinschaften für verfassungswidrig erklärt und bis zur Behebung, bis zur Neuorganisation, eine Frist bis Ende 2010 gesetzt hatte, Einigkeit darüber, dass eine Lösung gefunden werden muss, die eine Zerschlagung der Argen, nämlich eine strikte Trennung in Aufgabenwahrnehmung des Bundes auf der einen Seite, der Kommunen auf der anderen Seite verhindert. Ich darf daran erinnern, dass auch wir uns in dieser Bürgerschaft im Juni 2008 – und zwar, soweit ich mich erinnere, parteiübergreifend – einig gewesen sind, dass sich die Leistungsgewährung aus einer Hand, die Verknüpfung von arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Ansätzen bewährt hat und dass die dezentralen Handlungsmöglichkeiten der Kommunen – und das war uns damals besonders wichtig – in der regionalen Arbeitsmarktpolitik erhalten bleiben müssen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wie ging es nun weiter? Die Bundesländer, und zwar über die Parteigrenzen hinweg, haben sich im Jahre 2008 auf das Modell der Zentren für Arbeit und Grundsicherung geeinigt. Das bedeutet eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung, und zwar geschah diese Einigung zusammen mit dem Bundesarbeitsministerium, die diese gemeinsame Aufgabenwahrnehmung durch eine Mischverwaltung durch eine Grundgesetzänderung absichert. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, dass der Abgeordnete Herr Nestler damals in der Deputation ganz sicher war und uns versichert hat, dass die CDU natürlich eine Grundgesetzänderung mitmachen würde. Dann verweigerte sich aber die CDU-Fraktion in letzter Minute im Frühjahr 2009, als alles schon unter Dach und Fach schien, dieser Grundgesetzänderung, und das obwohl seinerzeit auch die Bundeskanzlerin Frau Merkel ihre Unterstützung zugesagt hatte! Damit war klar, dass vor der Bundestagswahl nichts mehr geschehen würde, und damit war übrigens auch klar, dass dieser un

zumutbare Schwebezustand und der enorme Zeitdruck, der auf die Arbeitsgemeinschaften zukommen würde, fortbestehen würde.

Wir haben damals als Bremische Bürgerschaft noch im März an die CDU-Bundestagsfraktion appelliert, Vernunft walten zu lassen. Ich darf noch einmal in Erinnerung rufen, was wir hier gemeinsam in einem Antrag von Grünen, SPD und CDU beschlossen haben, da hieß es nämlich: „Die Bürgerschaft (Landtag) fordert die Fraktion im Deutschen Bundestag auf, den Vorschlag zur Neuordnung der Durchführung des SGB II des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie aller 16 Bundesländer noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Die geforderte Verfassungsänderung zur Ermöglichung einer Mischverwaltung zwischen Bund und Kommune sowie die einzelgesetzlichen Regelungen zur Errichtung der Zentren für Arbeit und Grundsicherung sollen unverzüglich in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.“

Das war unser Beschluss, er hat ja nun aber bekanntlich nichts genützt. Ganz im Gegenteil, in ihrem Koalitionsvertrag hat die neue Koalition aus CDU und FDP gegen alle arbeitsmarktpolitische Vernunft, gegen die Voten der zuständigen Fachminister, und ich sage, letztlich auch gegen die Interessen der Langzeitarbeitslosen die getrennte Aufgabenwahrnehmung zementiert.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wie wenig wohl der zuständigen Ministerin – das ist jetzt ja Frau von der Leyen – bei dieser Lösung ist, zeigen ihre teilweise schon verzweifelten Appelle Anfang dieser Woche an die Kommunen und den Bund, nun durch Kooperation doch noch das zu kitten, was durch die künstliche Zerschlagung kaum noch zu kitten ist. Was ich für uns auch wichtig und interessant finde, ist: Nach den neuesten Plänen der Bundesregierung, nach dem Eckpunktepapier aus dem Bundesministerium werden die Kommunen weitestgehend in der Arbeitsmarktpolitik entmachtet, würde ich sagen. Sie werden zu reinen Zahlstellen degradiert, letztlich für kommunale Leistungen. Wie weit das dann noch mit der ebenfalls vom Verfassungsgericht vorgeschriebenen eigenständigen Wahrnehmung der Aufgabenwahrnehmung vereinbar ist, sei dahingestellt. Auch dieses neue Eckpunktepapier wirft große verfassungsrechtliche Probleme auf, auch noch an anderer Stelle.

Das Problem ist nur, wenn wir – Bremen und Bremerhaven – auf einer mehr eigenständigen Rolle beharren würden, wäre das für uns mit großen Kosten und im Übrigen auch für die Langzeitarbeitslosen mit einem Mehr an bürokratischem Aufwand verbunden. Wer nun auf die Idee kommt zu sagen, dann ist es doch ganz einfach, dann machen wir eben hier die Optionskommune, alles aus einer Hand, nämlich kom

munal, dem sei nur gesagt, dass die Optionskommune inzwischen auch nach einhelliger Auffassung – da haben auch die Arbeits- und Sozialminister der CDULänder eine entsprechende Forderung an die Bundesregierung gestellt – ebenfalls verfassungsrechtlich fragwürdig ist oder verfassungsrechtlich mit den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht übereinstimmt. Deswegen haben die CDU-Länder ja die Forderung gestellt, nun ebenfalls für die Absicherung der Optionskommunen das Grundgesetz zu ändern. Im Übrigen wäre die Option mit Städten und für Städte und Gemeinden mit hoher Arbeitslosigkeit – und das sind wir, Bremen und Bremerhaven – mit unabsehbaren finanziellen Risiken behaftet.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Wie steht denn die SPD zu dieser Verfassungsände- rung?)

Ich sage ganz klar, Optionen können wir uns nicht leisten! Um nur einige Beispiele zu geben, was jetzt diese getrennte Aufgabenwahrnehmung für die Arbeitslosen und die Kommunen bedeutet: Die Arbeitslosen müssten aller Wahrscheinlichkeit nach zwei verschiedene Stellen aufsuchen. Es heißt zwar, es kann eine gemeinsame Anlaufstelle geben, aber dann wäre nur der jeweilige Träger für die Beratung in seiner eigenen Angelegenheit zuständig und könnte sonst für die andere Stelle nur Formulare aushändigen. Wahrscheinlich würden die Arbeitslosen zwei Bescheide bekommen. Sie müssten vor allem getrennte Klageund Rechtswege beschreiten, und das, obwohl die Arbeits- und die Sozialgerichte jetzt schon über die Überlastung durch die vielen Fälle im SGB-II-Bereich klagen. Deswegen haben ja auch die Sozialrichter, obwohl sie sich in der Vergangenheit nun wirklich mit Kritik an den Arbeitsgemeinschaften zurückgehalten haben, vor einer Zerschlagung gewarnt.

Wenn man das Eckpunktepapier des Bundesarbeitsministeriums in Einzelheiten durchliest, werden die Befürchtungen aller Experten über die Folgen einer Zerschlagung der Arbeitsgemeinschaften bestätigt, und ich zitiere hier nur beispielhaft den Chef des Berliner WSI, Herrn Zimmermann, der sagt: „Zu befürchten sind die alten Nebenwirkungen: hohe Organisationskosten, doppelte Verwaltungsapparate, Reibungsverluste sowie Konfusion und Verwirrung bei den betroffenen Langzeitarbeitslosen.“ Es gebe, so sagt er, bildlich gesprochen zwei Tische unter einem Dach, aber nicht unter einer gemeinsamen Regie. Da helfen auch gut gemeinte Appelle zur Zusammenarbeit nicht. Der Wissenschaftler Matthias Knuth vom Bochumer Institut für Arbeit und Qualifikation, der verschiedene Modelle der getrennten Aufgabenwahrnehmung untersucht hat, kommt zu dem Schluss, und ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidiums: „Egal wie gut Kommunen und Arbeitsagenturen kooperieren, das Risiko der Trennung können sie nicht überwinden.“

Was wird eigentlich aus den Beschäftigten bei der BAgiS und bei der ARGE? Sie sind seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das heißt seit zwei Jahren, im Ungewissen über ihre berufliche Zukunft. Dass sich das nicht gerade motivationssteigernd auf die Beschäftigten auswirkt, liegt auf der Hand. Ich möchte an dieser Stelle – und daran liegt mir – sagen, es ist durchaus anerkennenswert, mit welchem Engagement die Beschäftigten in der ARGE und in der BAgiS weiterhin ihre schwierige Aufgabe erfüllt haben.

(Beifall bei der SPD)

Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass sich die Personalprobleme in diesen beiden Arbeitsgemeinschaften vor allem im letzten Jahr vermehrt haben, dadurch dass sich Menschen wegbewerben, dadurch dass Lücken entstehen, dadurch dass Kollegen neu eingearbeitet werden müssen. Hier ist sicher auch ein Grund für die oft beklagte Fehlerhaftigkeit der Bescheide zu suchen. Mich ärgert es schon ein bisschen, das muss ich ehrlich sagen, wenn dieselben Politiker, die diese Probleme durch das Verhalten auf der Berliner Ebene mit verursacht haben, hier in Bremen Krokodilstränen weinen, der BAgiS schlechte Arbeit vorwerfen und Forderungen an die Sozialsenatorin richten.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann aber schon voraussagen, dass sich bei der geplanten Zerschlagung der Arbeitsgemeinschaften diese Zustände verschärfen werden. Betroffen sind bei der BAgIS in Bremen allein 750 Beschäftigte, davon sind etwas über 280 Stammbeschäftigte bei der Bundesagentur, über 230 sind Stammkräfte des Amts für Soziale Dienste, also der Kommune. Die haben eine Rückkehrzusage, aber ihre Arbeitsplätze existieren ja jetzt inzwischen nicht mehr, und es sind mehr als 300 befristet.

(Glocke)

Ihre Redezeit, sehr geehrte Frau Kollegin, ist abgelaufen.

Ich komme gleich zum Schluss! Für diese Kolleginnen und Kollegen verlangen wir, dass sie ihre schwierige Aufgabe weiterführen – wir haben im nächsten Jahr ja eine Zunahme an Arbeitslosen zu erwarten – und dass sie gleichzeitig den schwierigen Prozess der Umstellung bewältigen. Wie das gehen soll, das muss erst einmal noch gesagt werden.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in einer Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit wird uns im nächsten Jahr durch steigende Arbeitslosenzahlen erreichen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen wird

zunehmen. Für sie wird es besonders schwierig! In dieser Zeit, in der Langzeitarbeitslose eine besonders verlässliche Betreuung brauchen, in der besondere Anstrengungen zur Integration notwendig wären, damit diese Menschen nicht auf der Stecke bleiben, soll die Institution, die damit betraut ist, zerschlagen werden. Wenn es so kommt, dann wird die Zerschlagung der Arbeitsgemeinschaften eine der großen Fehlentscheidungen dieser neuen schwarz-gelben Bundesregierung sein.

Der Senat hat einen Gesetzentwurf zur Absicherung der Arbeitsgemeinschaften durch eine Grundgesetzänderung am Freitag in den Bundesrat eingebracht. Es ist zu hoffen, dass die Vertreter der Länder diese Fehlentscheidung der Bundesregierung noch abwenden und sich eines Besseren belehren lassen und dass wir noch zu einer anderen Entscheidung kommen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)