Protokoll der Sitzung vom 24.02.2010

Wir als FDP sind insofern gern bereit, über eine akkurate Berechnung von Mindesteinkommen, von Bedarfssätzen zu reden. Wir haben das schon mehrfach gefordert. Wir haben Sie unterstützt und auch aufgefordert. Man hätte auch zumindest die Kinderbedarfssätze schon längst berechnet haben können, das sage ich auch. Damit hätte schon die Große Koalition anfangen können, weil damals schon klar war, wie das Verfassungsgerichtsurteil ausgeht, uns als FDP jedenfalls. Wir haben dann ja auch noch einmal den Senat gebeten, weitere Vorstöße zu unternehmen. An anderen Stellen haben wir öfter gesagt, wir müssen die Zuverdienstregelungen ändern, beispielsweise mit unserem Antrag „Zuverdienstmöglichkeiten für Jugendliche verbessern“.

(Beifall bei der FDP)

In diesem Sinn können Sie gern mit uns diskutieren, aber bitte an der Sache! Ich erspare es Ihnen jetzt, noch einmal die sieben Thesen zu wiederholen.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Die können Sie ja an die Tür anschlagen!)

Unsere konkreten Forderungen liegen auf dem Tisch! Auch wenn Sie mit dem Getöse, das Sie wegen mancher Äußerungen, die sicherlich Getöse ausgelöst haben, machen, manches an Wahrheit überdecken: Wir werden weiter sagen, was wir wollen! – Danke für die Gelegenheit!

(Beifall bei der FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Troedel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde Sie jetzt, meine Herren Kollegen von der FDP, beim Wort nehmen und versuchen, Ihnen mit meinem sachlichen Beitrag Gelegenheit geben, dass Sie sachlich einsteigen können!

Gestatten Sie mir aber eine Vorbemerkung: Durch und mit Hartz IV wurde staatlich verordnete Armut und Ausgrenzung eingeführt. Ich muss sagen, nach der vergangenen und heutigen Diskussion vonseiten der FDP haben Sie dazu beigetragen, dass die Menschen nicht nur vor Hartz IV, sondern auch vor der FDP Angst haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das nenne ich in keinem Fall eine konstruktive Lösung eines bedrückenden Problems. Ich möchte noch einmal auf die zu sprechen kommen, die von Ihnen in keiner Weise genannt werden, sondern nur in der moralischen Aufzählung eine Bewertung erfahren, das sind nämlich die Kinder.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Das war jetzt aber selektive Wahrnehmung!)

Dass Hartz IV Angst macht, wissen wir, denn der Druck auf die Erwerbslosen wurde zum Beispiel durch die Ein-Euro-Jobs und niedrige Zumutbarkeitsgrenzen erhöht. Aber auch diejenigen, die eine Beschäftigung haben – denn nach Ihrem Ansinnen soll sich Arbeit ja wieder lohnen, die Frage ist nur, nach oben oder nach unten –, werden unter Druck gesetzt.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Auch dazu hatten wir deutlich Zahlen genannt, Frau Troedel!)

Sie nehmen mit Ihrer Billigung in Kauf, dass ihre Arbeitsbedingungen sich immer mehr verschlechtern, um Hartz IV zu vermeiden. Jetzt diskutieren Sie bitte mit mir ganz sachlich, wie und wodurch sich Arbeit wieder lohnen soll, wenn sich die Stundenlöhne und Gehälter immer weiter, zum Beispiel auch durch Ihre sanktionierte Diskussion, nach unten entwickeln!

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Wir diskutieren Ihren Antrag ja noch!)

Sagen Sie mir ganz konkret: Wir sind für den gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen!

(Beifall bei der LINKEN)

Dann können Sie sagen, Arbeit hat sich wieder gelohnt. Ich möchte es nicht moralisch diskutieren, ich

möchte es auch nicht moralisch bewerten: Arbeit ist Arbeit und keine moralische Einheit!

(Beifall bei der LINKEN)

Das Bundesverfassungsgericht sagt in seinem Urteil, dass für ein menschenwürdiges Leben das materielle Existenzminimum und die soziale und kulturelle Teilhabe gewährleistet werden müssen. Diesem Grundsatz unserer Verfassung entspricht Hartz IV nicht! Konkret verstößt Hartz IV gegen Artikel 1 und 20. Es ist schon genannt worden, ich erspare es mir.

Das Verfassungsgericht bemängelt aber auch ganz erhebliche Verfahrensfehler und gesetzgeberische Willkür bei der Festlegung der Regelsätze. Hier wäre ganz deutlich die FDP mit einem sehr konstruktiven Vorschlag gefordert. Ich sage ganz bestimmt nicht noch einmal, was ich als Zwischenruf gesagt habe – ach, ich sage es doch: Warum wurde die Mehrwertsteuer zum Beispiel für das Hotelgewerbe halbiert und nicht für die sehr wichtige Kinderbekleidung, für Bücher oder auch Bonbons aus Schokolade? Kinder leben nicht allein von gesunder Ernährung.

(Beifall bei der LINKEN)

Das bedeutet, dass auch besondere Bedarfe berücksichtigt werden müssen. Kinder haben besondere Bedürfnisse. Sie sind keine kleinen Erwachsenen, sondern für sie ist eine gesunde Ernährung doppelt wichtig. Das steht nicht in einem Widerspruch zu meiner Forderung nach Bonbons. Sie brauchen Windeln, Spielzeug, Kinderbücher und vieles mehr.

Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, dass der Gesetzgeber Möglichkeiten haben muss, die Bedarfe von Kindern separat zu erheben, Kollege Frehe, das sehe ich genauso wie Sie! Stattdessen bekommen Kinder seit 2005 60, 70 beziehungsweise 80 Prozent der Regelsätze für Erwachsene. Das führt zum Beispiel zu der Absurdität, dass Kleinkinder Teilbeträge für – es ist einiges aufgezählt worden, aber mich hat es beeindruckt – Nachrichtenübermittlungen bekommen, ihre Windeln aber nicht im Regelsatz enthalten sind.

Im Land Bremen leben 67 000 Kinder, davon sind zirka 28 000 Kinder auf Sozialleistungen angewiesen. Dies sind Zahlen aus 2007, deren Tendenz steigend ist. In der Stadt Bremen sind es ungefähr 30 Prozent, in Bremerhaven ungefähr 40 Prozent der Kinder. Bremerhaven steht damit an der Spitze der Negativrankingliste zur Kinderarmut, was wir in der letzten Bürgerschaftssitzung diskutiert haben. Kinderarmut bedeutet nicht nur materielle Armut, sondern sie bringt auch erhöhte Gesundheitsgefährdungen, verminderte Bildungschancen und schlechtere Entwicklungsmöglichkeiten mit sich. Die Regelsätze für Kinder werden bis Ende des Jahres neu berechnet werden müssen. Uneinigkeit herrscht darüber, welche Konsequen

zen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgen sollten. Hier sind wir alle gefordert, die es ernst meinen, wenn ich jedes Wort hier auf die Waagschale lege, das ist bedeutend mehr.

Die Sozialsenatorin schlägt ein Kindergrundeinkommen vor, das alle Kinder bekommen sollen. Wir bevorzugen stattdessen die Einführung einer bedarfsdeckenden Kindermindestsicherung, die das Familieneinkommen berücksichtigt, ich sage noch einmal, das Familieneinkommen berücksichtigt!

(Beifall bei der LINKEN)

Kinderarmut ist die Folge von Elternarmut. Dabei sollen Sozialleistungen nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, sondern das Geld soll dort ankommen – Entschuldigung, ich habe Sie klingeln hören, ich brauche aber noch ein bisschen! –, wo es am meisten gebraucht wird. Dafür müssen die Leistungen bedarfsorientiert und altersgerecht erhoben werden.

Die verbalen Ausfälle und Diffamierungen von Erwerbslosen durch den Vizekanzler übergehe ich hier, Sie kennen es alle, dann spare ich auch Zeit.

Wir müssen weg von bevormundenden Gutscheinen und Sachmittelleistungen hin zu einem ganzheitlichen, befähigenden und würdigen Sozialrecht. Das heißt für uns: Weg mit Hartz IV!

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern eine erwachsenen- und kindgerechte Sozialgesetzgebung! – Ich danke für die Aufmerksamkeit! Pardon, es ist länger geworden!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin erhält das Wort Frau Senatorin Rosenkötter.

Herr Präsident, liebe Abgeordnete! Urteil und Begründung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar dieses Jahres sind klar und eindeutig ein Auftrag an die Politik, hier transparente und nachvollziehbare Regelungen für die Gestaltung der Regelsätze zu schaffen. Ich begrüße das Urteil. Es war auch ein Stück weit Bestätigung für die Bremer Initiativen, die wir in den letzten Jahren auf Bundesebene auf den Weg gebracht haben.

Wir haben insbesondere den Kinderregelsatz immer als problematisch angesehen, er muss nachvollziehbar errechnet werden. Wir haben deutlich gemacht, dass die bisherigen Leistungen insbesondere für Kinder – ich will das noch einmal deutlich sagen – nicht ausreichend sind. Das Urteil ist gut. Was allerdings derzeit in der Debatte durch das Land rauscht und hier ins

besondere ausgelöst und immer wieder befördert wird durch die Bundes-FDP, ist alles andere als gut.

Nein, meine Damen und Herren, das Ausspielen von Bevölkerungsgruppen gegeneinander bringt uns nicht weiter! Hier die Tüchtigen, da die Faulen – das hilft nicht! Auf der einen Seite die Leute, die das Geld in die Kasse einzahlen, auf der anderen Seite diejenigen, die das Geld angeblich in den Schnapsladen tragen: Wer so grob zuspitzt, wer so übel verallgemeinert und polemisiert, spaltet unser Land, der treibt einen Keil in die Gesellschaft!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der LINKEN)

Das finde ich einfach schäbig!

Ich will noch einmal besonders auf das eingehen, Herr Dr. Möllenstädt, was Sie uns hier geboten haben, denn das ist schon etwas Besonderes. Sie kommen sozusagen aus der Tiefe des Raumes, um in die Offensive zu gehen und davon abzulenken, wie die Debatte zurzeit in der Bundespolitik geführt wird. Sie sagen, Sie seien an der Seite des Bürgers, und schaffen im Grunde Gesetze für die Besserverdienenden. Wenn Sie von Bürgergeld sprechen, meinen Sie damit staatlich subventionierte Löhne, nichts anderes ist das, was Sie an dieser Stelle im Kopf haben. Was uns wirklich weiterhilft, sind nicht diese populistischen Aktionen. Uns helfen Jobs, von denen Menschen auch leben können.

Da bin ich bei dem Thema Mindestlohn. Durchaus mit Sympathie bin ich dem Redebeitrag des Abgeordneten Bartels gefolgt. Warum aber ziehen Sie nicht die logische Konsequenz? Sie reden hier von Lohnabstandsgebot. Was da hilft, ist wirklich ein Mindestlohn. Wir haben in 20 Ländern der Europäischen Union mittlerweile einen Mindestlohn und können nicht davon sprechen, dass dort eine immens höhere Arbeitslosigkeit besteht oder Jobs weggefallen sind. Wir müssen uns auf einen Mindestlohn hinbewegen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich bitte Sie alle, vom Bremspedal zu gehen, denn der Weg in den Niedriglohnsektor ist ganz einfach der Falsche. Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, wir brauchen eine Regulierung der Leiharbeit, damit diese nicht die reguläre Beschäftigung verdrängt. Auch das ist eine Aufgabe, die wir von Bremen aus angegangen sind und auch weiter vorantreiben werden.

Meine Damen und Herren, was hier höchstrichterlich noch einmal deutlich geworden ist, ist die Tatsache, dass wir uns noch mehr um die Kinder kümmern müssen, und zwar um alle Kinder. Ich bin deswegen dafür, dass wir die grundlegenden Ungerech

tigkeiten bei der staatlichen Unterstützung von Kindern beseitigen.

(Zuruf)

Warten Sie doch einmal ab! Sie wissen doch ganz genau, dass im Grunde in den Familien, in denen Eltern keine Arbeit haben, wo Mütter keine Arbeit haben, das Armutsrisiko der Kinder natürlich steigt. Das ist doch der Zusammenhang, der vorliegt! Jedes Kind muss uns gleich viel wert sein, ganz gleich, ob es bei arbeitslosen Eltern aufwächst oder in einem Haushalt von gut verdienenden Eltern. Das muss unser Ziel sein!