Protokoll der Sitzung vom 21.04.2010

(Dafür CDU, Abg. T i m k e [BIW] und Abg. T i t t m a n n [parteilos])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE)

Stimmenthaltungen?

(FDP)

Meine Damen und Herren, ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Nun lasse ich über den Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 17/1186 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Abg. T i m k e [BIW] und Abg. T i t t - m a n n [parteilos])

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

(DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich auf der Besuchertribüne recht herzlich die Schafferinnen des Jahres 2009 der Sozialdemo

kratischen Partei begrüßen. Meine Damen, seien Sie ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Steuerhinterziehung verhindern

Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 18. Februar 2010 (Drucksache 17/1170)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Bürgermeisterin Linnert.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Rupp.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben den Antrag gestellt, weil durch die Zeitungen der letzte Monate etwas ging, was unserer Meinung nach eine ziemlich absurde Situation ist. Es bedarf geklauter Steuerdaten, um Menschen, die offensichtlich in Größenordnungen Steuern hinterziehen, in irgendeiner Weise zur Rechenschaft zu ziehen beziehungsweise zur Selbstanzeige zu bewegen. Auf der einen Seite hat es eine Debatte ausgelöst: Darf man mit gestohlenen Daten Menschen, die Steuern hinterziehen, verfolgen? Das ist offensichtlich jetzt so gelöst worden, dass man sich diese Steuer-CD, diese Daten, von denjenigen erwirbt, die sie angeboten haben. Das zeitigt Wirkung. Bis heute haben sich bundesweit laut „Süddeutsche Zeitung“ circa 16 000 Steuersünderinnen und Steuersünder selbst angezeigt.

Man schätzt die Steuermehreinnahmen daraus auf ungefähr eine Milliarde Euro, was für Bremen immerhin zehn Millionen bedeuten würde, das ist eine ganze Menge Geld. Man sagt, das sind ungefähr 60 000 Euro pro Fall. Offensichtlich ist es also so, dass es ein lohnendes Geschäft ist, was die Einnahmen angeht, ein lohnendes Geschäft, Steuer-CD zu kaufen, um dann auf der einen Seite eine Welle von Selbstanzeigen auszulösen und auf der anderen Seite dann tatsächlich Strafverfolgung auszulösen, was in den Fällen, die bekannt geworden sind, auch richtig in Größenordnungen zu Steuernachzahlungen geführt hat, die auch bundesweit relevant sind.

In diesem Zusammenhang finde ich es gut, dass es von der SPD unter anderem eine Initiative gibt, diese Straffreiheit 2011 abzusetzen. Das erhöht den Druck auf Steuersünderinnen und Steuersünder, sich selbst anzuzeigen. Ich weise aber darauf hin, dass mittlerweile diese Selbstanzeige wohl oft nicht aus einer Form von Einsicht oder aus einer diffusen Form ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

von Furcht vor Strafverfolgung passiert, sondern weil mittlerweile die Kolleginnen und Kollegen, die Steuern hinterziehen, von ihrer Bank schlicht gewarnt werden, nach dem Motto: Unsere Daten sind jetzt weg, du musst jetzt einmal Bescheid sagen, dass du Steuern hinterzogen hast, dann zahlst du ein bisschen zurück, dann gehst du zumindest straffrei aus! Dieses Prinzip beruht also nicht nur auf Selbsterkenntnis und Überzeugung.

Das alles hat einen positiven fiskalischen Effekt, das ist völlig unbestritten. Die spannende Frage ist aber noch einmal: Bedarf es eigentlich gestohlener Daten, um zu so etwas wie Steuergerechtigkeit oder in die Richtung zu kommen, und warum ist das so, dass man dieser Daten bedarf? Nachdem wir eine Weile geforscht haben – und Sie werden es in der Begründung unseres Antrages finden –, ist es einfach so, dass die herrschenden Kontrollmechanismen in der Bundesrepublik, die Steuerprüferinnen und Steuerprüfer, die Finanzämter, offensichtlich nicht in der Lage sind, flächendeckend und hinlänglich zu prüfen, ob Großbetriebe, Menschen mit großem Einkommen und überhaupt Menschen mit Einkommen gerechte Steuern bezahlen. Es ist offensichtlich in der Bundesrepublik sehr leicht, in Größenordnungen Steuern zu hinterziehen, ohne dass man – ausgenommen es werden Steuer-CD gestohlen – Gefahr läuft, in irgendeiner Weise dafür belangt zu werden.

Ich finde – das ist die nächste absurde Situation –, dass wir offensichtlich in den letzten Jahren nachhaltig nicht in der Lage waren, insbesondere vor einem Haushaltsnotstand, ein System aufzubauen, wo solche Steuerhinterziehung deutlich erschwert wird. Es gibt dafür Indizien, dass das sozusagen nicht zufällig so ist. Ich zitiere aus dem Bundesrechnungshofbericht von 2007: „Die Regeln der Finanzverfassung führen dazu, dass die Länder als Vollzugsebene kein ausreichendes Eigeninteresse haben, die Steuern vollständig und rechtzeitig zu erheben. Die Steuergesetze werden gegenüber den Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen nicht einheitlich angewendet. Damit ist keine Steuergerechtigkeit gewährleistet.“ Bundesrechnungshof 2007! Es gibt auch ein Wort dafür, das habe ich, seit ich in der Bürgerschaft bin, gelernt. Es gibt das Wort des maßvollen Steuervollzugs.

Offensichtlich hat es also Methode, Steuerprüferinnen und Steuerprüfer, die Personalausstattung und so weiter so zu gestalten, dass Unternehmen und Menschen mit hohem Einkommen damit rechnen können, dass sie in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedlich stark belangt werden. Es wird unter Umständen als Wettbewerbsvorteil gepriesen, dass die Prüfungsdichte nicht so hoch ist. Ich finde, das ist eine hochgradig absurde Situation, die wir insbesondere hier in Bremen, wie ich finde, dringend ändern müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die spannende Frage ist jetzt ja: Kann man das eigentlich mit mehr Menschen linear hochschreiben, also zehn Steuerprüferinnen und Steuerprüfer sind zehn Millionen Euro, 100 Steuerprüferinnen und Steuerprüfer sind etwa 100 Millionen Euro? Natürlich kann man das nicht! Das ist natürlich keine lineare Funktion. Wenn man sich aber die Quoten von Personalbedarfsberechnungen beim Finanzamt anschaut und wo wie viele Menschen wirklich eingestellt sind, wird man feststellen, dass man auch in Bremen, zumindest nach den Zahlen, die mir vorliegen, bei ungefähr 77 Prozent des Personalbedarfs liegt, was bundesweit ermittelt wurde. Ziehen wir einmal ein bisschen Synergieeffekte von neuen Techniken ab, sagen wir einmal 90 wäre vielleicht eine angemessene Zahl, 77 ist zu wenig!

Dann haben wir eine Situation, dass dies insbesondere bei Großbetriebsprüfungen auch noch der Fall ist. Deswegen fordern wir drei Dinge: erstens, so gut es geht, sofort neue Steuerprüferinnen und Steuerprüfer einstellen, zweitens, eine Ausbildungssituation zu schaffen, damit eine Struktur geschaffen wird, die nachhaltig wirkt, und drittens, auf Bundesebene dafür zu sorgen, dass dieser nutzlose und zerstörerische Wettbewerb, dieser maßvolle Steuervollzug, eingestellt wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Kummer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Steuerhinterziehung verhindern“, so ist die Überschrift des Antrags der LINKEN. Wer kann schon dagegen sein? Steuerhinterziehung ist immer noch kein Kavaliersdelikt, sondern immer noch eine Straftat. Die derzeitige Diskussion um die CD mit Steuerhinterziehern macht es einmal mehr deutlich. Soweit sind wir uns, glaube ich, Herr Rupp, einig.

Wir haben das Thema aber nicht nur in dem Zusammenhang diskutiert, sondern auch Ende letzten Jahres im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen, weil es ja – Sie sagten es bereits – um Einnahmen geht. Die rot-grüne Koalition hat damals einen Antrag vorgelegt, in dem es unter Punkt 4 heißt, ich zitiere: „Zur Stärkung der öffentlichen Finanzen und für ein gerechtes Steuersystem ist eine effiziente Finanzverwaltung zur Erhebung von Steuereinnahmen und Bekämpfung von Steuerbetrug unabdingbar. Der Senat wird aufgefordert, alle organisatorischen und personalen Maßnahmen im Rahmen der Reform der Finanzämter, beispielsweise Projekt Finanzamt 2010 oder eine mittelfristige Ausbildungsplanung, weiter voranzubringen.“ Insofern, meine ich, ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

brauchen wir uns hier nicht noch einmal zu verhalten. Mit dem Beschluss ist meines Erachtens der Problematik Genüge getan.

DIE LINKEN wollen nun mehr Personal. Sie kritisieren in der Begründung ihres Antrags die in Bremen bundesweit vergleichbar niedrige Personalquote von 77 Prozent. Erst einmal stimmt diese Quote nicht mehr, weil sie nur alle drei Jahre erhoben wird. Sie liegt mittlerweile wieder bei gut 85 Prozent, da sind wir fast bei den 90 Prozent und damit im Gleichklang mit den anderen Bundesländern. Nun kann man sagen, das ist immer noch zu wenig. Ob die rein quantitative Betrachtungsweise, die Sie hier anstellen – mehr Personal gleich mehr Steuereinnahmen –, so schlicht zutrifft, glaube ich nicht. Sie haben das eben selbst auch gesagt.

Das Ergebnis der Beamtinnen und Beamten in Bremen ist übrigens viel höher als im Bundesdurchschnitt, das können Sie dem Jahresbericht der Steuerverwaltung entnehmen, den wir Ende letzten Jahres im Haushalts- und Finanzausschuss diskutiert haben. Pro Fall erzielen sie beispielsweise bei der Umsatzsteuersonderprüfung gut 26 000 Euro, im Bundesdurchschnitt sind es 17 500 Euro. Sie arbeiten also gut und effizient, das ist jetzt einmal einen Beifall wert, finde ich.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

Der Senat hat im Übrigen bereits gehandelt. Wir haben zur Beginn der Legislaturperiode zwölf zusätzliche Betriebsprüferinnen und Betriebsprüfer eingestellt. Es wird wieder verstärkt ausgebildet. 2010 werden es 20 Finanz- und Steueranwärter und -anwärterinnen mehr sein. Wir werden so die in den letzten Jahren entstandene Ausbildungsdelle schließen können. Es sind diverse organisatorische Maßnahmen am Laufen, beispielsweise Finanzamt 2010, Landeshauptkasse, Steuerfahndung et cetera. Sie können das gut nachlesen im jährlichen Bericht der Steuerverwaltung, den es jedes Jahr im Haushalts- und Finanzausschuss gibt. Das ist übrigens ein sehr guter Bericht. Wer sich für die Materie interessiert, kann das auch im Internet gut nachlesen, der ist verständlich geschrieben, auch für jemanden, der nicht täglich mit Steuerpolitik zu tun hat.

Was mich an Ihrem Antrag generell stört, Herr Rupp, ist, Sie verlieren kein Wort über mögliche Effizienzsteigerungen, über qualitative Verbesserungen, über Organisationsmaßnahmen, über Fallmanagement und Risikoprüfung. Mehr Personal allein reicht nicht, und allein halte ich es schlicht und einfach auch für falsch.

Zu Ihrem Punkt 3, zentrale Bundessteuerverwaltung! Sie wissen, Bremen hat da in der Tat gemeinsam mit Berlin einen Antritt gemacht. Wir sind mit dem Ansinnen nicht nur damals ziemlich allein geblieben, sondern das war auch im Zuge der Födera

natürlich ein berechtigtes Interesse daran, mehr Personal einzustellen.

Das Bundesministerium für Finanzen bestreitet diese Zahl von 30 Milliarden Euro, weil sie rein spekulativ ist. Es handelt sich um fragwürdige Hochrechnungen, basierend auf den abgeschlossenen Prüffällen. Außerdem ist fragwürdig, im Zusammenhang mit den genannten 30 Milliarden Euro überhaupt von Steuerhinterziehung zu sprechen. Werden Steuern nicht oder nicht rechtzeitig bezahlt, spricht man von Steuerverkürzungen als objektives Tatbestandsmerkmal der Steuerhinterziehung. Notwendig, Herr Rupp, und das dürften Sie auch wissen, ist aber auch die Erfüllung des subjektiven Tatbestandsmerkmals, nämlich der vorsätzlichen Tatbegehung.

Der Grund, warum Steuererklärungen vielfach unrichtige Angaben enthalten, ist vor allem der Komplexität und dem Unverständnis des deutschen Steuerrechts geschuldet und nicht der Betrugsabsicht, wie DIE LINKE in populistischer Manier unterstellt. Wer Steuerausfälle reduzieren will, muss vor allem das Steuerrecht vereinfachen und die zahlreichen Ausnahmetatbestände beziehungsweise Sonderregeln abschaffen. DIE LINKE setzt dagegen auf eine höhere Kontrolldichte und den steuerlichen Überwachungsstaat.

Dann schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass die Steuern immer mehr von den abhängig Beschäftigten bezahlt werden, der Beitrag der Selbstständigen und Unternehmen hingegen sinkt. Das ist natürlich einmal wieder die typische Masche der Sozialisten. Es wird so getan, als ob die Reichen immer weniger Steuern bezahlen, während die kleinen Leute den Staat weitgehend allein finanzieren müssen.

(Abg. Frau T r o e d e l [DIE LINKE]: Aber so ist es, Herr Timke! Ich habe keine Steu- ern hinterzogen!)

Nehmen Sie, meine Damen und Herren von den LINKEN, bitte Folgendes zur Kenntnis: Circa 52 Prozent der Steuerzahler leisten 93,2 Prozent des Einkommensteueraufkommens. Darunter sind 10 Prozent Spitzenverdiener, die allein 54,1 Prozent des Einkommensteueraufkommens leisten, und ein Prozent Topverdiener trägt immerhin zu 22 Prozent des Steueraufkommens im Bereich der Einkommensteuer bei. Die Einkommenssteuer machte 2008 immerhin 41,6 Prozent des gesamten Steueraufkommens in Deutschland aus. Das zeigt doch deutlich, dass sich die Vermögenden zu einem großen Teil am Steueraufkommen beteiligen.

(Abg. F r e h e [Bündnis 90/Die Grünen]: Die Lohnsteigerung müssen Sie dabei be- rücksichtigen, sonst ist es Unsinn!)

Dann schreiben Sie in dem Antrag weiter, dass in Bremen nur 1,4 Prozent aller Umsatzsteuerpflichti

lismusreformdiskussion richtig schwierig. Wir haben dann Abstand von dem Vorhaben genommen, weil das keinen Sinn macht, eine zentrale Verwaltung machen zu wollen, wenn alle, die zentralisiert werden sollen, erst einmal dagegen sind und die, die das in die Diskussion einbringen, Länder sind, die von den anderen auch noch Geld haben wollen. So ist das taktisch einfach gewesen, und das ist eine Haltung, bei der es dann am Ende klug ist, glaube ich, wenn man sie nicht weiter verfolgt.