Wer den Ziffern 1 und 2 des Antrags der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 17/1170 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!
(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen, FDP, Abg. M ö h l e [parteilos], Abg. T i m k e [BIW] und Abg. T i t t m a n n [parteilos])
Wer der Ziffer 3 des Antrags der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 17/1170 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt die Ziffer 3 des Antrags ab.
Leiharbeit nicht für Lohndumping und Abbau von Stammbelegschaften missbrauchen – Aktuelle Entwicklungen in Bremen und Bremerhaven
Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Herr Staatsrat, ich gehe davon aus, dass Sie das nicht möchten, sodass wir gleich in die Aussprache eintreten können.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Große Anfrage vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise im letzten Jahr gestellt, denn es wurde deutlich, dass die Krise offenbar zu einem erheblich größeren Umfang genutzt wurde, um Leiharbeit für strategische Unternehmensentscheidungen zu nutzen. Mittlerweile gründen Un––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
ternehmen offenbar gezielt konzerneigene Leiharbeitsfirmen, in die sie Teile ihrer Stammbelegschaft zu deutlich schlechteren Konditionen überführen. Im letzten Jahr machte vor allem der Fall Schlecker die Runde, aber auch viele andere Unternehmen und Branchen wurden dazu in den Medien genannt. Für uns ist das Lohndumping! Wir halten konzerneigene Leiharbeit für systematische Tarifflucht, die geeignet ist, den sozialen Frieden zu gefährden, und das wollen wir nicht.
Vor dem Hintergrund wollten wir vom Senat wissen, was der Senat über konzerneigene Leiharbeit im Land Bremen weiß, wie viele Leiharbeitsfirmen es hier gibt und welche Kosten Aufstocker verursachen, die neben ihrem Arbeitsentgeld Arbeitslosengeld II und Kosten zur Unterkunft beziehen. Die Ergebnisse sind eindeutig und teilweise auch nicht zufriedenstellend. Der Senat weiß nichts über konzerneigene Leiharbeit in Bremen. Das liegt daran, dass die Bundesagentur für Arbeit bei der Erteilung der Genehmigung nicht unterscheidet, ob es sich dabei um konzerneigene Leiharbeit handelt oder nicht. Wir Grüne haben zwar deutliche Hinweise darauf, wo das in Bremen stattfindet, aber wir haben an der Stelle auch die Forderung, dass die Bundesanstalt für Arbeit so etwas künftig erheben muss, da das, glaube ich, sozial- und arbeitsmarktpolitisch eine wichtige Fragestellung in der heutigen Zeit ist.
Die Senatsantwort sagt uns, dass es 412 Leiharbeitsbetriebe im Land Bremen gibt. Das ist ein enormer Anstieg gegenüber der Zeit von vor eineinhalb Jahren. Damals waren es nämlich nur 120 Leiharbeitsbetriebe. Das zeigt, das ist eine enorme Wachstumsbranche, die auch von Zeit zu Zeit überprüft wird. Es hat uns besonders erstaunt, dass es nicht wenige Firmen gibt, denen die Lizenz wieder entzogen wird oder denen Auflagen erteilt werden. Zu den Gründen kann hier nichts gesagt werden. Auch da würde ich mir wünschen, dass die Datenlage dazu künftig besser wäre.
Der dritte Punkt unserer Frage war: Was kosten uns eigentlich die Aufstocker? Da waren wir erstaunt bis entsetzt über die Datenlage. Es gab eine Sonderauswertung der Bundesanstalt für Arbeit für den Monat Oktober 2009. Im Oktober 2009 gab es im Lande Bremen genau 16 331 Aufstocker, die im Durchschnitt 380 Euro Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch erhalten haben, also Arbeitslosengeld II, Kosten der Unterkunft oder beides. Das entspricht für den Monat Oktober 6,2 Millionen Euro. Wenn man das bezüglich des Landes Bremen für das Jahr hochrechnet, sind das 74 Millionen Euro. Das ist, wie ge
sagt, eine Sondererhebung. Leider wissen wir nichts darüber, wie sich das Geld eigentlich zwischen den Kommunen Bremen und Bremerhaven und der Bundesagentur aufteilt, da die Bundesagentur darüber keine Statistik führt. Das finde ich, ehrlich gesagt, um mich da vorsichtig auszudrücken, eher skandalös. Denn ich bin der Auffassung, dass wir in einem Haushaltsnotlageland einfach wissen müssen, wie viel Geld es uns kostet, wenn wir Löhne subventionieren müssen.
Der Senat weiß auch nichts darüber. Die Daten, wie viele Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen im Land Bremen aufstockende Sozialleistungen bekommen, werden von der Bundesagentur für Arbeit nämlich auch wieder nicht erhoben. Auch dazu gibt es eine Sonderauswertung des Bundesarbeitsministeriums, in der kommt man bundesweit zu dem Ergebnis, dass elf Prozent der Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen aufstockende Sozialleistungen bekommen und sie damit auf Platz zwei der Branchen nach den Gebäudereinigern liegen. Auch hier zeigt sich, dass Leiharbeit die Allgemeinheit in einem erheblichen Umfang Geld kostet. Daraus ziehen wir jetzt auch das Fazit, was, ich sage einmal, sicher auch bekannt ist, dass es nicht sein darf, dass wir mit öffentlichem Geld Gehälter bezahlen, für die die Unternehmen zuständig sind, und wir nicht einmal wissen, in welcher Höhe wir das in Bremen und Bremerhaven überhaupt tun.
Rot-Grün hat in letzter Zeit zusammen mit Rheinland-Pfalz zwei Initiativen zur Leiharbeit im Bundesrat gestellt. Diese wurden abgelehnt. Sie gingen im Kern darum, die konzerneigene Leiharbeit zu begrenzen und die Stammbelegschaft mit Leiharbeitern in ihrem Gehalt und in ihren Rechten gleichzustellen. Diese Gleichstellung ist aus unserer Sicht dringend erforderlich, damit Leiharbeit auch wieder darauf konzentriert wird, wofür sie einmal geschaffen wurde, nämlich Auftragsspitzen abzufedern, und damit dem Lohndumping Einhalt geboten wird. Deswegen haben wir auch überhaupt kein Verständnis dafür, wenn Frau Merkel und Frau von der Leyen zwar die Auswüchse der Leiharbeit kritisieren, Maßnahmen ankündigen und dann aber am Ende nicht handeln.
Wir werden das Thema Leiharbeit und Mindestlohn weiterhin zum Thema machen, weil es nicht hinzunehmen ist, dass Unternehmen keine existenzsichernden Löhne zahlen und die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Steuergeld diese Löhne bezahlen müssen. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Einschätzung der Leiharbeit gibt es keinen Unterschied zwischen der Kollegin Schön und mir. Ich möchte zur Verdeutlichen allerdings gleich am Anfang sagen, dass der Skandal der Leiharbeit meiner Auffassung nach kein Problem der Datenlage, sondern ein Problem der Leiharbeit ist, so wie sie im Augenblick geregelt beziehungsweise nicht geregelt ist. Ich glaube, dass wir sehr deutlich sagen können, dass solche Fälle wie Schlecker oder jetzt in der jüngsten Zeit Rhenus Midgard, aber auch viele andere, nicht Ausdruck des Missbrauchs von Leiharbeit sind, sondern es werden die Möglichkeiten ausgenutzt, die die gegenwärtige Regelung der Leiharbeit den Firmen bietet.
Ich muss auch dem Eindruck widersprechen, dass das nun gerade in der letzten Zeit oder krisenbedingt zugenommen hat. Wir wissen, dass dies in den Jahren vorher gang und gäbe war, dass Gebäudereinigungsfirmen, aber eben auch Wohlfahrtsverbände eigene Leiharbeitsfirmen gegründet haben, um damit Tarifflucht zu betreiben und Dumpinglöhne durchzusetzen. Leiharbeit ist, das muss man einmal schlicht sagen, statt eines Instruments der Flexibilisierung des Arbeitseinsatzes, wie es häufig behauptet wird, zu einem Instrument der Lohndrückerei und der Prekarisierung von Arbeit geworden.
Deswegen nutzt es auch nichts, es immer wieder an der einen oder anderen Stelle zu skandalisieren, sondern wir müssen grundsätzliche gesetzliche Regelungen schaffen. Ich bedauere auch, dass, nachdem der Fall Schlecker breit bekannt wurde, überall das große Entsetzen ausbrach und Frau von der Leyen gesagt hat, das würde sie jetzt aber bitte sofort unterbinden – ich weiß noch, wir haben das hier im vorigen Jahr debattiert, und da war noch die Hoffnung, dass irgendetwas passiert –, bisher wirklich und wahrhaftig absolut nichts passiert ist. Ich halte es übrigens für richtig, solches Verhalten von Firmen immer wieder auch zu skandalisieren. Ich will einmal ganz deutlich sagen, das, was wir jetzt jüngst bei Rhenus Midgard in Bremerhaven mitbekommen haben, dass hier ein Unternehmen eine Teilstilllegung eines Betriebes vornimmt, die Leute auf die Straße setzt und dann einem Teil von ihnen anbietet, zum Leiharbeitstarif, der zehn Euro unter dem regulären Tarif liegt, wieder anzufangen, ist ein Skandal. Ich glaube, es ist richtig, dass wir dies in der Bürgerschaft immer wieder als solchen benennen.
Wir haben, Frau Schön hat darauf hingewiesen, vor zwei Jahren in der Bürgerschaft schon einen Beschluss gefasst. Der Senat hat daraufhin 2009 zur
dringend notwendigen Regulierung von Leiharbeit eine Bundesratsinitiative gestartet. Dies ist an der Blockade der Mehrheit der CDU-Länder gescheitert. Wenn wir heute wieder darüber debattieren und wenn nachher wieder Missbräuche oder Auswüchse bei Leiharbeit beklagt werden sollten, dann würde ich diejenigen, die das beklagen, darum bitten, mit uns gemeinsam hier eine weitere Initiative auf der Bundesebene zu starten, sodass hier endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden und entsprechende Regulierungen stattfinden.
Es ist ja häufig gesagt worden, Leiharbeit ist ein Jobmotor. Wir erleben jetzt gerade in der Krise, dass die Leiharbeit Vorreiter beim Personalabbau ist. Der überwiegende Teil derer, die ihre Arbeit ganz verloren haben, sind Leiharbeitskräfte gewesen. Wir stellen fest, dass Leiharbeit keine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt ist, sondern Leiharbeit ist ein Weg in prekäre Beschäftigung und in Armut.
Um nur einige Beispiele zu nennen: Es sind Beschäftigungsverhältnisse von hoher Unsicherheit, dazu muss man übrigens auch wissen, dass die Verleihfirmen überdurchschnittlich häufig Lohnkostenzuschüsse der Arbeitsagentur in Anspruch nehmen und dass sie im Übrigen auch die Möglichkeit haben, bei Einstellung von Langzeitarbeitslosen diese Menschen bis zu sechs Wochen in der Höhe des bisherigen Arbeitslosengeldes zu beschäftigen. Die Folge davon ist, dass sehr viele in der Probezeit schon wieder entlassen werden und dann nach kurzer Zeit wieder eingestellt werden, damit solche Zuschüsse dauerhaft in Anspruch genommen werden können und dann der an sich schon niedrige Leiharbeitslohn noch weiter gedrückt werden kann.