Protokoll der Sitzung vom 20.05.2010

In diesem Sinn haben wir als CDU-Bürgerschaftsfraktion diese Große Anfrage gestellt. Wir bedanken uns noch einmal beim Senat für die Beantwortung, die ja auch bereits in der Presse kommentiert wurde, bevor der Senat überhaupt entschieden hat, sie hier so einzureichen. Insgesamt, muss man sagen, hat der Senat Mut zur Lücke bewiesen, gerade bei dem Datenmaterial. Wir würden uns wünschen, dass wir auch in Perspektive des neuen Heimgesetzes, das die Qualität noch einmal erhöhen soll, den Fokus auf die Altenpflege und die Berufsfindung in diesem Bereich legen, damit wir auch den Fachkräftemangel in unseren beiden Städten in den Griff bekommen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Hoch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch in Bremen führt der demografische Wandel zu einem stetig wachsenden Anteil älterer Menschen. Obwohl ein hohes Alter nicht zwangsläufig mit Pflegebedürftigkeit verknüpft sein muss, ist davon auszugehen, dass gemäß dem bundesweiten Trend auch hier in Bremen eine jährliche Steigerung der Anzahl der Pflegebedürftigen von etwa 0,8 bis 1,2 Prozent zu erwarten ist. Hier ist es unsere Aufgabe als Politik, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass ältere Men––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

schen möglichst lang selbstständig in ihrer eigenen Umgebung leben können und ihre Lebensqualität dabei eine große Rolle spielt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wie auch im Gesundheitswesen muss im Pflegebereich der Grundsatz „ambulant vor stationär“ stärker Realität werden. Um diese Forderungen auch Wirklichkeit werden zu lassen, dürfen wir die Betreuung und Versorgung älterer Menschen nicht allein aus der sozialen Perspektive betrachten. Auch der zukünftige Fachkräftemangel, auf den ich gleich noch weiter eingehen werde, ist nur ein Problem, das es zu lösen gilt. Die Versorgung bei Pflegebedürftigkeit ist eine Langzeitaufgabe, die wir auch so begreifen und angehen müssen, denn die Zahl der Pflegebedürftigen ist abhängig von vielen verschiedenen Faktoren. Ich möchte hier nur einige aufzählen: Da ist die familiäre Unterstützung, da ist der Zuspruch zu neuen Wohnformen, da ist die Kooperation der Wohnungswirtschaft mit Unterstützungsangeboten, da ist die Vernetzung von Hilfe und Dienstleistung im Stadtteil. Hohe Priorität kommt aber zunächst der Vermeidung und Verzögerung der Pflegebedürftigkeit im Alter zu; die Gesundheitsförderung und Prävention auch für ältere Menschen auszudehnen, ist eine wichtige Aufgabe. Hier wären wir mit dem Präventionsgesetz weitergekommen, aber das hat die Bundesregierung leider nun in einer Schublade versenkt.

(Widerspruch bei der FDP)

Ja, schade! Natürlich ist es auch wichtig, dass es in der Zukunft genügend Menschen gibt, die die Pflege und Betreuung von älteren Menschen übernehmen, und da sind wir jetzt bei dem Aspekt Fachkräftemangel. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege gibt an, dass ihre Mitgliedsverbände große Probleme haben, Fachkräfte zu gewinnen. Schon jetzt nehmen die Träger während der Ausbildung Kontakt mit den Schulen auf und bieten den Auszubildenden Arbeitsplätze an. Im Altenplan der Stadt Bremen wird darauf hingewiesen, die Zahl der Ausbildungsplätze gegebenenfalls anzupassen, das sehen wir auch so, aber bei der Erhöhung der Ausbildungsplatzkapazitäten ist hierfür natürlich die finanzielle Grundlage zu schaffen, denn ein Problem der Altenpflegeausbildung ist immer noch die Vergütung des dritten Ausbildungsjahres bei Umschülern und Umschülerinnen. Auch wenn die Vergütung 2011 und 2012 im Rahmen des Konjunkturpakets II übernommen wird, so ist das Problem generell nicht geregelt, und wir möchten, dass es bundesweit geregelt wird. Ich sehe da ein Nicken, da sind wir in Übereinstimmung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das würde dann auch die Bereitschaft von Pflegeeinrichtungen erhöhen, hier mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.

Auch wenn die Ausbildung zur Altenpflegehilfe kein Mittel ist, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, so ist es doch sinnvoll, vorwiegend Frauen eine Möglichkeit zu geben, auch in diesem Bereich tätig zu werden. Im Schulzentrum Walle wird eine zweijährige, doppelt qualifizierende Vollzeitausbildung angeboten, in der sowohl ein Abschluss in der Altenpflegehilfe als auch ein Realschulabschluss oder ein erweiterter Hauptschulabschluss erworben werden kann. Ich denke, das ist eine sinnvolle Ergänzung für diesen Bereich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Um eines ganz deutlich zu sagen: Wir Grünen halten es nicht für richtig, dass die Fachquote abgesenkt wird. Die soll erhalten bleiben, das finden wir wichtig. Aber trotzdem ist es sinnvoll, Menschen in dem Hilfemix, den sie benötigen, verschiedene Professionen verschiedener Qualität anzubieten. Dazu gehört auch eine höhere Anerkennung des Berufsbildes. Das ist nicht nur die gesellschaftliche Anerkennung, sondern das muss sich auch in der Bezahlung widerspiegeln.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die Pflegebranche besitzt keine einheitlichen Tarifverträge. Nach sechs Monate langem Ringen um einen Mindestlohn, der zum 1. Juli eingeführt werden sollte und bis heute Vormittag vom FDP-Wirtschaftsminister Brüderle blockiert wurde, wird dieser jetzt doch zum 1. Juli in Kraft treten können. Dies ist soeben über die Ticker gelaufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich denke – –.

(Abg. D r. M ö l l e n s t ä d t [FDP]: Dann hätten Sie es aus Ihrer Rede ja auch strei- chen können! – Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Und sie bewegt sich doch, die FDP!)

Wunderbar, das passt nur dazu, was Sie heute Morgen gesagt haben, Leistung muss auch belohnt werden. Wunderbar! So sehen Sie das.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Der Mindestlohn ist ein wichtiger Baustein in der Pflege, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwir

ken, und wir brauchen ihn dringend. Wir Grünen unterstützen aber auch die Empfehlungen aus dem Bericht zur Pflegeausbildung an Fach- und Berufsschulen. Die Einführung einer abgestuften Qualifikation innerhalb der Gruppe befürworten wir. Dabei muss es Durchlässigkeiten zwischen den verschiedenen Ausbildungen geben.

(Glocke)

Ich komme gleich zum Schluss. Der Durchstieg muss für Frauen, die das meistens betrifft, geregelt und verbessert werden.

Noch eine Sache, die mir wichtig ist, möchte ich ansprechen: Auch die Quote für Menschen mit Migrationshintergrund muss in den Ausbildungsberufen dringend erhöht und der Realität angepasst werden,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

denn wir brauchen diese Menschen mit ihrem Wissen. Eines möchte ich dazu aber auch ganz deutlich sagen: Das entbindet natürlich die Pflegekräfte in der Ausbildung nicht, dass sich jede und jeder für interkulturelle Pflege weiterbilden muss! Es war mir noch einmal ganz wichtig, dies zum Abschluss zu sagen. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe jetzt nicht so hohe Absätze wie die Kollegin Frau Hoch, aber trotzdem hoffe ich,

(Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Was soll jetzt die Anmerkung?)

dass Sie mich gut sehen können.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Ich glaube auch nicht, dass Sie das hohe Ni- veau erreichen!)

Das warten wir erst einmal ab, lieber Kollege! Liebe Frau Hoch, ich habe mich bei Ihrem Redebeitrag ja sehr amüsiert und muss sagen, es ist ja alles schön. Warum haben Sie das aber denn in den letzten drei Jahren, in denen Sie hier in Bremen mitregieren, nicht auf den Weg gebracht, wenn das alles so wichtig ist, was Sie angesprochen haben? Sie hatten ja nun Gelegenheit, dort auch Initiativen zu starten. Das muss ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

man hier an dieser Stelle doch noch einmal festhalten.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube in der Tat, es ist sehr erfreulich, dass man entgegen der hierzulande üblicherweise landauf, landab und auch vom Senat vertretenen Litanei, es gäbe keine Branchen, in denen Arbeitsplätze unbesetzt seien, in dieser Branche doch sehr erfreulich sehen kann, dass sich dort eine Dynamik entfaltet und dort auch ganze Stellen über die Jahre wirklich nicht besetzt werden können, weil man keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber findet, die die notwendige fachliche Qualifikation haben. Ich glaube, dass es sich lohnt, daran weiterzuarbeiten.

Wir geben ja viel Geld für die Förderung am Arbeitsmarkt aus. Da kann man sich schon fragen: Warum gelingt es uns eigentlich nicht, hier mehr Menschen wirklich in die Qualifikation zu bringen, sodass sie diese Berufe auch gut ausüben können? Diesen Anstoß würde ich gern noch einmal an den Senat geben. Hier kann man sich engagieren, da offensichtlich eine Nachfrage nach entsprechenden Personen direkt und unmittelbar vorhanden ist. Sie sehen das auch in Interviews, die Geschäftsführer größerer, hier am Standort vertretener Unternehmen in dieser Branche gegeben haben. Die bestätigen eindeutig, dass sie dort investieren wollen und sich auch in den nächsten Jahren eine wachsende Nachfolge abzeichnet.

Ich finde, das ist ein wichtiger Punkt, den die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion aufgegriffen haben. Ich muss schon sagen, es überzeugt mich eigentlich nicht wirklich, dass die einzige Antwort, die der rot-grüne Senat bisher gibt, ist: Wir bewerben diese Berufsfelder stärker. Man muss dann hier auch tatsächlich konkrete Perspektiven für Qualifizierungen schaffen. Da reicht es eben nicht aus, was wir an Ausbildungsmöglichkeiten haben. Es ist vollkommen richtig, dass hier vieles schon gemacht wird, aber man muss unter dem Strich sehen, die Nachfrage am Arbeitsmarkt wird dadurch in keiner Weise befriedigt.

(Abg. F r e h e [Bündnis 90/Die Grünen] meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Herr Dr. Möllenstädt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Frehe?

Im Moment nicht, vielen Dank! Sie haben in der Debatte ja noch die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen, ich würde gern erst einmal meine Gedanken ausführen.

In der Sache geht es uns darum, dass wir deutlich machen wollen: Es sind gerade oftmals Menschen,

die vielleicht auch im Zusammenhang mit kleinen und mittelständischen Trägern ausgebildet werden könnten, die hier manchmal Schwierigkeiten haben, eine entsprechende Ausbildung überhaupt aufnehmen zu können. Ein richtigerer Ansatz wäre, sich darum zu kümmern, dass auch die schulischen Ausbildungsmöglichkeiten in der Kapazität so vorgehalten werden, wie es notwendig ist, um der wachsenden Nachfrage auch zu entsprechen. Dort könnte sich der Senat unmittelbar engagieren.

Mittel dafür könnte man zum Beispiel – ich würde auch gern einmal wissen, wie das aus dem Ressort beurteilt wird – aus dem laufenden ESF-Programm generieren. Ist dies geprüft worden? Ich habe dazu bisher wenig gehört. In der Anfrage ist dazu auch wenig Konkretes beantwortet worden. Dies wäre eigentlich ein wichtiger Ansatz. Es ist natürlich klar, dass wir alle ein Interesse daran haben, wirklich qualifizierte und verantwortungsbewusste Personen auch für die Pflegeberufe in der Altenpflege zu bekommen. Deshalb ist es aber wichtig, sich anzuschauen, wie man dann auch die Besten gewinnen kann. Die Nachfrage ist ja da, es liegt nicht daran, dass wir zu wenige Personen dafür begeistern. Insofern, glaube ich, ist eine Marketingkampagne allein nicht zielführend.

Weiterhin will ich, liebe Frau Hoch, auch noch etwas zu der Frage der Bezahlung sagen. Wir müssen bei allem gemeinsamen Willen, dass Menschen in allen Branchen möglichst gutes Einkommen erzielen können, doch auch gerade in diesem sensiblen Bereich immer im Blick behalten, wer es bezahlen soll. Ich bin strikt dagegen, dass man alten Menschen, die pflegebedürftig sind und die sich das nicht ausgesucht haben, die Kosten am Ende so hoch treibt, dass sie sich Pflegeleistungen, die sie persönlich brauchen, um noch einigermaßen selbstständig leben zu können, gar nicht mehr leisten können. Sie kennen ja auch die einschlägigen Studien großer Forschungsinstitute wie zum Beispiel des RWI, das sich jüngst dazu geäußert hat. Die sagen, es besteht die Gefahr, dass einerseits Arbeitsplätze, also Personen, die pflegen, wegfallen, sodass das, was wir an Dynamik in dieser Branche haben, abgewürgt wird, wenn man die Löhne in dieser Branche zu hoch ansetzt.

(Abg. Frau H o c h [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Finden Sie 8,50 Euro besonders viel?)

Ich sage Ihnen dazu gleich auch noch etwas!

Zum anderen besteht die Gefahr darin, dass alte Menschen sich das am legalen Arbeitsmarkt vorbei organisieren, was sie an Pflegedienstleistungen brauchen. Das, liebe Frau Hoch, können wir gemeinsam nicht wollen. Ich denke, wir stimmen überein, dass es nicht darum gehen kann, in diesem Bereich Schwarzarbeit zu fördern, was ja ohnehin ein schwieriger Bereich ist.

Es ist doch klar, wir wünschen uns gemeinsam, dass diejenigen, die diese oftmals körperlich sehr schwere Arbeit leisten, dafür möglichst auch gut entlohnt werden. Nur muss man auch in Betracht ziehen, das Ziel muss doch sein, dass den alten Menschen auch wirklich geholfen werden kann und sie sich diese Leistung auch leisten können. Das heißt, das muss auch erst einmal im Bereich einer Rente oder einer Pension finanzierbar sein, was dort dargestellt ist. Sie wissen so gut wie ich, dass auch die gesetzliche Pflegeversicherung dort eben nicht so auskömmlich ist und all diese Leistungen nicht zu jedem x-beliebigen Lohn finanziert werden können. Deshalb ist es richtig, dass vor Einführung solcher Mindestlöhne – und ich finde es auch sehr richtig, dass das Bundeswirtschaftsministerium das gemacht hat – in Betracht gezogen wird, welche Konsequenzen das für die Branche insgesamt hat und auch für die Menschen, die Pflegeleistungen einkaufen.