Vor dieser Situation stand Wirtschaftsminister Müntefering, als er über den Mindestlohn für Postdienstler verhandelt hat.
Arbeitsminister! Wie auch immer, es war Herr Müntefering! Die von den Wirtschaftsministern getroffene Vereinbarung, Postdienstleister in das Entsendegesetz aufzunehmen, kann nur als kleiner Schritt in die richtige Richtung gewertet werden. Weder ist die unterschiedliche Höhe des Mindestlohns in Ost und West
So weit, so schlecht! Nach der letzten Koalitionsrunde dürfte außerdem klar sein, dass die Union selbst diesen minimalen Kompromiss und den Koalitionsbeschluss torpediert. Einen Mindestlohn für Postboten gibt es nicht, obwohl ihn die Kanzlerin der SPD fest zugesagt hat. Wortbruch! PIN, TNT, Citypost und weitere Postdienstleister können nun ihre Beschäftigten weiterhin mit Hungerlöhnen abspeisen: 4, 5 Euro oder, wenn jemand Glück hat, auch einmal 7 Euro die Stunde! Aber richtig warm anziehen müssen sich jetzt die Kolleginnen und Kollegen von der Post. Ihre angemessenen Stundenlöhne von 11 bis 14 Euro werden stark unter Druck geraten. Outsourcing, betriebsbedingte Kündigungen und weitere Repressalien liegen schon bereit. In Deutschland gibt es bereits heute über 7 Millionen Menschen mit Hunger- und Niedriglöhnen, aus dem Postbereich werden noch viele hinzukommen. Viele werden zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Faktisch werden so die Unternehmer durch die Sozialkassen subventioniert. 8 Milliarden Euro kostet das bereits, das ist rund ein Drittel der Gesamtkosten für Arbeitslosengeld II. In der Vergangenheit ist immer viel über Missbrauch von Sozialleistungen spekuliert worden, von Schmarotzern war öffentlich die Rede. Dabei ist klar, die eigentlichen Sozialschmarotzer sind die Unternehmer, die ihren Beschäftigten nur Hungerlöhne zahlen. Jetzt haben PIN, TNT und Citypost sichergestellt, dass sie dauerhaft zu dem Kreis dieser Unternehmer dazugehören wollen. Die Strategie, Branche für Branche Mindestlöhne einzuführen, erweist sich damit als Holzweg. Schon beim ersten Versuch ist dieser Ansatz gescheitert. Ziel muss deshalb ein einheitlicher, flächendeckender und gesetzlicher Mindestlohn sein.
Der gesetzliche Mindestlohn für alle ist ohnehin der bessere Weg. Wenn die Große Koalition in Berlin schon keinen Mindestlohn bei der Post hinbekommt, dann ist außerdem das Vorziehen der Liberalisierung des Postmarktes schlichtweg ein Unding, ein Programm zur inflationären Ausbreitung von Billigjobs. Die sogenannte Sorge, dass das Streben nach unterschiedlichen Tarifverträgen in einer Branche eine große Gefahr für die gesamte Tarifautonomie darstellt, kann ich absolut nicht teilen, und ich weiß, wovon ich rede. Die Tarifautonomie wurde und wird wie die Tarifeinheit seit Jahren von den Unternehmern gefährdet. OT, ohne Tarifbindung, Outsourcing und so weiter! Das ist gerade bei der Post zu beobachten, wo sogar die von Großverlegern getragenen sogenannten neuen Postdienstleister eine eigene Gewerkschaft gründen wollen.
Wir erwarten vom Senat eine ganz klare, eine sehr energische Haltung im Bundesrat und von den Bundestagsabgeordneten der Bremer Parteien ein sehr eindeutiges Beschlussverhalten.
Wir erwarten außerdem, dass sich alle die Erfahrungen aus diesem Bereich gut einprägen, wenn wir in den nächsten Wochen weiterhin über die Zukunft der Bremer Kliniken, die PPP-Modelle und die vermeintlichen Chancen der Privatisierung beraten werden. Privatisierung heißt Billiglohn, heißt prekäre Beschäftigung, heißt schlechte Versorgung, und das nach und nach für die gesamte Branche! Das lässt sich aus den unsäglichen Vorgängen um die Ausdehnung des Arbeitnehmerentsendegesetzes lernen. Zur Unterstützung! Herr Dr. Sieling hat mir ein paar Punkte vorweggenommen, aber ich will das präzisieren. Es gab in der Tat eine Umfrage vor 14 Tagen, wonach 86 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger für den Mindestlohn sind, 86 Prozent!
Verteilt auf die Parteien sind das: Die Linke, 97 Prozent; Bündnis 90/Die Grünen, 92 Prozent; SPD, 91 Prozent; CDU/CSU, 80 Prozent und FDP, 56 Prozent! Ich ziehe die Schlussfolgerung: Eine kleine Minderheit setzt sich über eine große Mehrheit hinweg!
Sprich Bundesrat und Bundestag! Ich nenne solch ein Verhalten schlicht arrogant. Der Mindestlohn steht nicht für ein „Von-der-Kindesarmut-bis-zur-Altersarmut“, sondern für ein existenzsicherndes Einkommen und ein Leben in Würde.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird Sie nicht verwundern, dass ich im Namen der CDU hier eine etwas differenzierte Meinung zu den meisten Aussagen, die hier getroffen worden sind, habe.
Herr Dr. Sieling, Sie haben bei Ihrer Eröffnung nicht nur auf den Mindestlohn der Postdienstleister reflektiert, sondern sind auch gleich auf den allgemein diskutierten Mindestlohn eingegangen. Ich hätte mir sehr gewünscht, wenn Sie dann noch etwas zur Bezahlung für Polizisten und Feuerwehr gesagt hätten, aber ich denke, das wird hier ja noch etwas später erfolgen, das kommt ja noch zur Sprache.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, man sollte noch einmal den Vorgang darstellen, damit man überhaupt weiß, worum es geht. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Arbeitgeberverband der Postdienste haben für die Postbranche Mindestlöhne ausgehandelt, und diese liegen, so wie hier schon gesagt, zwischen 8 Euro und 9,80 Euro. Dieser Mindesttarifvertrag soll jetzt per Arbeitnehmerentsendegesetz auf die gesamte Branche übertragen werden. Dadurch wird der Mindestlohn für einen Briefzusteller im Westen beziehungsweise in den alten Bundesländern 9,80 Euro betragen und in den neuen Bundesländern 9 Euro. Für die Post selbst wäre dies nicht weiter schlimm. Sie hat einen weit höheren Tarifvertrag. Diese Zahlungen sind weit unter ihrem Tarifvertrag, und somit könnte sie damit leben.
Nicht der CDU sind diese Tarife zu hoch, sondern der Konkurrenz, die sich 7,50 Euro als Mindestlohn mit Sicherheit hätte vorstellen können, aber diese Beträge und in dieser Höhe – und das sehen viele so, auch viele Wirtschaftswissenschaftler – werden Betriebe in die Pleite treiben, werden viele Arbeitsplätze freisetzen, und ich glaube, das ist von keinem gewollt.
Herr Kollege Nestler, mit Verlaub: Ist das jetzt die neue Position der CDU? Denn der gesetzliche Mindestlohn von 7,50 Euro ist von der CDU abgelehnt worden! Deshalb ist der Weg über das Entsendegesetz gegangen worden. Jetzt kommen Sie umgekehrt und sagen, das ist uns jetzt aber plötzlich zu hoch, oh Schreck, und jetzt wollen wir doch den gesetzlichen Mindestlohn. Ist das die neue Position? Dann sind wir uns sofort einig!
Herr Dr. Sieling, ich habe nicht gesagt, dass der CDU die Löhne zu hoch sind, sondern der Konkurrenz, den Unternehmern, das habe ich sehr deutlich gesagt,
(Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Und die CDU ist bei den Unternehmern der Konkur- rent, ich verstehe!)
Nein, nein! Sie wissen genau, dass ich die privaten Unternehmer meine und nicht die CDU. Sonst hätte ich das schon gesagt!
Meine Damen und Herren, die Vorgabe bei den Tarifverhandlungen war, dass sich an diesen Verhandlungen mindestens 50 Prozent der Beschäftigten beteiligen. Es wurden jedoch die großen und die kleinen Konkurrenten der Post wie zum Beispiel Pin-Mail oder TNT Post erst gar nicht beteiligt. Diese Konkurrenz verwies nämlich jetzt darauf, dass es kein Einvernehmen der gesamten Branche gebe, weil fast alle neuen Anbieter nicht mit einbezogen gewesen seien, und dass damit auch nicht die erforderlichen 50 Prozent der Branche beteiligt wurden.
Aufgrund dieser Tatsache kommt zumindest der Verdacht auf, dass dieser Mindestlohntarifvertrag gleichzeitig ein Schutzinstrument für die Post gegen unliebsame Konkurrenz darstellt.
Herr Kollege Nestler, ich muss Sie leider unterbrechen. Sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Beilken anzunehmen?
Vielen Dank! Herr Kollege, wo Sie von Konkurrenz und Pleite sprechen: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass Konkurrenz um die bessere Qualität passieren sollte? Wenn dann die Löhne gleich sind und alle auf einem relativ hohen Niveau sind, braucht kein Betrieb pleite zu gehen. Es wird dann nur konkurriert um Qualität und nicht darum, wer die niedrigsten Löhne hat.
Die Frage ist doch – das wissen Sie doch selbst –, wie sich Konkurrenz, wie sich Betriebe aufbauen und unter welchen Voraussetzungen sie dies tun. Wenn Sie das unter den gleichen Voraussetzungen tun könnten, wie es die Post kann mit ihren Löhnen, dann gäbe ich Ihnen Recht, aber so, wie die Situation sich darstellt, wird es dazu kommen, dass Betriebe diese neuen Löhne nicht zahlen können. Wenn sie sie nicht zahlen können, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, dann kommt es zu Ent
lassungen, und dann lösen sie sich auf. Dann haben wir wieder eine starke Post, aber zu dieser starken Post komme ich gleich noch, machen Sie sich keine Sorge, dazu sage ich noch etwas!
Aufgrund dieser Tatsache kommt zumindest der Verdacht auf, dass dieser Mindestlohntarif – das habe ich gesagt – ein Schutzinstrument ist. Es ist zumindest seltsam, meine Damen und Herren, wenn sich zwei Partner einigen, um die Belange Dritter festzuschreiben. Verwunderlich dabei ist, dass sich gerade die Post immer stärker sogenannter Billiganbieter selbst bedient und dadurch eigene Arbeitsplätze in Gefahr bringt. In letzter Zeit entstehen immer mehr Annahmestellen, bei uns in Bremerhaven zum Beispiel bei kleinen Einzelhändlern. Da gibt es gelbe Pakete, Briefmarken und Postannahmen direkt neben dem Lebensmitteltresen. Ich möchte gern einmal allen Ernstes wissen, was diese Geschäfte denn dafür bezahlt bekommen! Stundenlohn ganz gewiss nicht!
Frau Troedel, ich muss Ihnen recht geben: Die neuen Tarifverhandlungen mit der Post stehen im nächsten Frühjahr an. Sie laufen bei ungefähr 6 Prozent. Ich möchte einmal sehen, was die Post dazu sagt. Die Post hat jetzt schon angekündigt, dass sie den Beschäftigungspakt in die Diskussion bringt. Der Beschäftigungspakt ist nichts anderes als die Festschreibung von Arbeitsplätzen ohne Kündigung, und wenn die Post dies jetzt schon sagt, dann weiß man, was sie beabsichtigt, nämlich sich von teurem Personal zu trennen und dann auf das andere Personal umzustellen. Wir werden das sehen. Ich freue mich jetzt schon auf die Diskussion in diesem Haus, gerade von den Mitgliedern der Gewerkschaften, was sie dann dazu sagen werden.
(Beifall bei der CDU – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Harry, das reicht! – Abg. D r. S i e - l i n g [SPD]: Was sind denn das hier für Souffleusen? – Heiterkeit bei der SPD)
Die CDU, meine Damen und Herren, ist nicht gegen den Abschluss eines Entsendevertrags. Die Voraussetzungen müssen stimmen, und diese Voraussetzungen stimmen nicht, das haben wir gesagt. Wenn die 50 Prozent aller Beteiligten erfüllt sind, wird die CDU die Letzte sein, die diesen Vertrag ablehnt. So werden wir diesem Vertrag jedoch nicht zustimmen.
(Beifall bei der CDU – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das war ein schönes Schlusswort! – Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Was werden Sie denn auf Ihrem Parteitag beschließen?)