Protokoll der Sitzung vom 22.02.2012

Die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Studentinnen und Studenten der Hochschule für Öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei.

(Beifall)

Bildungsföderalismus weiterentwickeln

Antrag der Fraktion der CDU vom 3. Februar 2012 (Drucksache 18/222)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Jürgens-Pieper.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele politische Statements werden heute mit dem Hinweis eingeleitet, dass es sich bei der Bildungspolitik um das Megathema der Gegenwart und der Zukunft handelt. Auch wenn diese begriffliche Bewertung ein wenig reißerisch den Superlativ bemüht, trifft sie den Kern. Deshalb ist es jetzt notwendig, dass auch wir Bremer uns an der Grundsatzdiskussion auf Bundesebene beteiligen, die mit dem Stichwort Kooperationsverbot auf den ersten Blick ein wenig sperrig daherkommt, in Wahrheit aber unsere zentralen landespolitischen Interessen und Zuständigkeiten berührt und in die wir uns deshalb offensiver als bisher einschalten müssen.

(Beifall bei der CDU)

Worum geht es? Kurz und vereinfacht geht es zusammengefasst darum, dass seit den Beschlüssen der Föderalismuskommission I, die die strikte Trennung von Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern in den Bereichen Bildung und Wissenschaft noch einmal betont und festschrieb, der Bund faktisch von Einflüssen, insbesondere aber von Finanzierungsmöglichkeiten in diesen Feldern ausgeschlossen ist. Dies ist aus unserer Sicht kein Fortschritt gewesen, sondern ein Rückschritt, ein Fehler, wie sich herausgestellt hat, den wir nun korrigieren müssen.

(Beifall bei der CDU)

Bildung und Wissenschaft sind mehr als jemals zuvor die Grundlagen unserer Prosperität in einem glo––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

balisierten Wettbewerb. Unter den Rahmenbedingungen des demografischen Wandels wird uns immer bewusster, dass die menschlichen Talente und Kompetenzen ein knappes Gut sind und wir auf kein einziges verzichten können. Die Qualifikationen und die Fähigkeiten der Menschen, die in unserem Land leben, sind unser eigentliches Kapital und unser eigentlicher Wettbewerbsvorteil. Wer hierfür Geld ausgibt, produziert keine konsumtiven Kosten, sondern investiert im besten Sinne des Wortes in die Zukunft. Wer den Bildungsbegriff jedoch ausschließlich auf wirtschaftliche Zweckgebundenheiten reduziert, greift zu kurz. Es ist geradezu ein Merkmal unserer Zeit, dass mit Schulen und Hochschulen viel weitergehende Erwartungen verbunden sind. Wertegebundene Erziehung, tagesstrukturierende Betreuung, zum Teil als Ersatz für elterliche Leistung, zum Teil um Eltern Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, und Integration sind Stichworte, die diese zusätzlichen Anforderungen umreißen und die viel mit Chancengerechtigkeit und mit dem sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu tun haben. Wenn das so ist, wenn wir Bildung und Wissenschaft für so bedeutungsvoll halten, dann ist es nicht besonders logisch, die Länder, insbesondere die ärmeren Länder gerade in diesem Bereich allein zu lassen, sondern dann ist das eine gesamtstaatliche Verantwortung.

(Beifall bei der CDU)

Unter den gegebenen Rahmenbedingungen erleben wir aber, dass es der öffentlichen Hand auch in Bremen zunehmend schwerer fällt, die notwendigen Mittel für Bildung aufzubringen. Wo eigentlich mehr getan werden müsste, gelingt es unter den Bedingungen einer Haushaltsnotlage zunehmend weniger, überhaupt das Notwendige zu leisten. Wir erleben – und alle Vergleichsuntersuchungen weisen in die gleiche Richtung –, dass es zwischen Nord und Süd offensichtlich ein qualitatives Gefälle im Bereich der Bildung gibt, das auffällig ähnlich ist mit der finanziellen Leistungsfähigkeit. Bildung ist aber zu wichtig, als dass die Chancen unserer Kinder und der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zumindest auch von der Kassenlage des Bundeslandes abhängen dürfen. Ich habe nicht ohne Absicht „auch“ gesagt. Ohne gute Bildung in Schulen und Hochschulen ist es sicherlich schwierig, das System auch in die Zukunft zu transferieren. Gute Bildung in Schulen und Hochschulen ist auch abhängig von einer guten Ausstattung mit Lehrerinnen und Lehrern, mit Unterrichtsmaterialien und zeitgemäßen Räumlichkeiten. Sie ist aber auch abhängig von einer guten Politik, und da hapert es in Bremen seit Jahrzehnten. Eine unausgegorene umgesetzte Reform jagt die nächste; eben nicht ausreichend mit den notwendigen Ressourcen hinterlegt werden sie in völlig unnötiger zeitlicher Enge auf den Weg gebracht und der Grund

satz „Qualität vor Eile“ sträflich missachtet. Sie erleben es jetzt im Bereich der Inklusion, und Sie werden es bei den offenen Ganztagsschulen wieder erleben. Föderalismus darf aber nicht länger das Deckmäntelchen für eine verfehlte Politik sein, bei der Sie sich nur nicht erwischen lassen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Gerade deshalb unterstützen wir zur Abschaffung des Kooperationsverbots die Initiative SchleswigHolsteins. Diese verbindet nämlich Finanzierungsaspekte und die bildungspolitisch inhaltliche Ebene, während der von Ihnen offenbar unterstützte Hamburger Antrag lediglich den Bund zur Abführung von Mitteln verpflichten soll. Dies aber greift nach unserer Auffassung zu kurz, denn wir brauchen mehr Kooperationen und mehr Transparenz und nicht weniger.

(Beifall bei der CDU)

Niemand will die Kulturhoheit der Länder abschaffen, aber ein wenig mehr verbindliche Zusammenarbeit, ähnlichere Systeme und Standards und mehr Übersichtlichkeit auch im Vergleich der Länder dürften schon sein.

Auch der Bund soll nach unserer Auffassung hierbei durchaus eine Rolle spielen, wenn es um den bildungspolitischen Rahmen geht, denn 16 unterschiedliche Systeme, unterschiedliche Geschwindigkeiten in der Finanzierung und Entwicklung, unterschiedliche Begrifflichkeiten und Standards, 16 unterschiedliche Lehrerausbildungen und vieles mehr entsprechen schon lange nicht mehr den Erwartungen der Menschen in unserem Land, die, so scheint es mir, zum Teil erheblich weiter sind als wir.

(Beifall bei der CDU)

Aus meiner Sicht wären mehr bundespolitischer Standard und Rahmen, mehr bundesstaatlicher Einfluss und mehr Konvergenz der Systeme und der Finanzen ein Segen für Bremen,

(Abg. G ü n g ö r [SPD]: Also doch keine Länderhoheit!)

würde es doch Ihren über 60 Jahre andauernden und in die falsche Richtung weisenden Einfluss endlich ein wenig relativieren.

(Beifall bei der CDU)

Die Zukunft unserer Kinder ist zu wichtig und Ihre Bilanz zu mäßig, als dass wir Bildung auch weiterhin Ihrem weitgehend alleinigen Einfluss überlassen wollen.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident!

Ja, wir sind auch in der CDU und zwischen den Ländern unterschiedlicher Meinung, das ist wahr, aber wir meinen, dass in diesem Fall die Gesamtverantwortung auch der Fraktionen in diesem Haus hier beherrschend ist und unsere Interessen hier im Vordergrund stehen. Deshalb werden wir uns auch hier der Gesamtverantwortung nicht entziehen und wollen das Kooperationsverbot nach den Richtlinien und nach den Auffassungen Schleswig-Holsteins relativieren.

Ich hoffe, dass wir mit der Überweisung, die Sie vorgeschlagen haben, eine fruchtbare Diskussion in den Ausschüssen und in der Deputation haben werden, und ich hoffe, dass diese Bürgerschaft dem Senat ein starkes Signal zur Abschaffung des Kooperationsverbots zur Verhandlung mit auf den Weg gibt. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Güngör.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bildungsausgaben in Deutschland müssen erhöht werden. Wir geben im OECD-Vergleich, wie wir wissen, insgesamt viel zu wenig Geld für Bildung aus. In diesem Punkt sind wir uns, hoffe ich, auch alle sehr einig, über Parteigrenzen hinweg, im Bund, in den Ländern, in den Kommunen, und ich hoffe, auch hier in Bremen.

(Beifall bei der SPD)

Investitionen in Bildung – ja, Herr Dr. vom Bruch – sichern die Zukunftsfähigkeit des Landes. Bildungsinfrastrukturen vor Ort haben unseres Erachtens auch direkten Einfluss auf die Bildungschancen und auf die Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen. Deren Leistungsfähigkeit gilt es auszubauen und nachhaltig zu sichern, und dabei ist auch neuen Herausforderungen, wie zum Beispiel der frühkindlichen Bildung oder der integrativen und inklusiven Beschulung, Rechnung zu tragen. Bildungschancen dürfen nicht von der Kassenlage einzelner Bundesländer abhängig sein.

(Beifall bei der SPD)

Da stehen wir im Bund und in den Ländern in einer Gesamtverantwortung. Wir debattieren das Thema Bildungsföderalismus oder Abschaffung des Kooperationsverbots ja nicht zum ersten Mal hier im Parlament, doch seit dem letzten Mal hat sich nicht sehr viel getan. Dabei stehen wir in der Republik vor gewaltigen Herausforderungen. Die Anzahl an Ganztagsplätzen sowohl im frühkindlichen als auch im ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

schulischen Bereich muss massiv erhöht werden, nur so schaffen wir eine nachhaltige Verbesserung und eine Chancengleichheit und tragen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei.

Zweitens gilt es, den Anspruch auf Inklusion im Schulbereich entsprechend der UN-Konventionen auch umzusetzen. Drittens wäre es auch sinnvoll und wünschenswert, zum Beispiel die Schulsozialarbeit bedarfsgerecht und flächendeckend auszubauen und die Einstellung der Schulsozialarbeiter, die es erst einmal bis zum Jahr 2013 befristet gibt, auch im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets abzusichern. Viertens besteht auch nach dem Konjunkturprogramm noch ein hoher Sanierungsbedarf in den Schulen, auch wenn wir in den letzten Jahren viele Millionen Euro in die Schulsanierung investiert haben.

Ich glaube, diese Liste könnte man endlos verlängern. Hinzu kommen noch die knappe Haushaltslage und die Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung. Das engt die Länder spürbar ein, was den Gestaltungsspielraum angeht.

Es bedarf also einer nachhaltigen Verbesserung der Bildungsfinanzierung. Der Ausbau der Bildungsinfrastrukturen kann nur mit einem substanziellen Beitrag des Bundes geleistet werden, aber mit dem Kooperationsverbot verbieten sich Bund und Länder, die Kräfte zu bündeln und sich gemeinsam diese Herausforderungen anzunehmen. Das versteht keiner, das ist Unsinn, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Inzwischen sind sich auch deshalb viele einig: Das Kooperationsverbot war ein Fehler. Die SPD-Bundestagsfraktion hat Ende Januar einen Antrag zum Kooperationsverbot in den Bundestag eingebracht und fordert eine Änderung des Grundgesetzes, um dauerhafte Finanzhilfen des Bundes zu ermöglichen, ohne die Bildungshoheit der Länder anzutasten. Auch Schleswig-Holstein und Hamburg streben mit ihren Anträgen im Bundesrat eine Änderung des Grundgesetzes an, darüber beraten nun die Ausschüsse. Wir freuen uns, Herr Dr. vom Bruch, dass Sie sich auch so klar für die Abschaffung des Kooperationsverbots aussprechen.

Der Bundesratsinitiative Schleswig-Holsteins mögen wir gleichwohl nicht so viel abgewinnen, um uns Ihrem Antrag anzuschließen, deshalb schlagen wir auch heute vor, Ihren Antrag zu überweisen und gemeinsam intensiver zu beraten. Ich möchte hier gar nicht die beabsichtigte Neufassung von Artikel 91 b Absatz 2 Grundgesetz aus dem Antrag von Schleswig-Holstein, also die Schaffung von nationalen Bildungsmindeststandards, diskutieren, aber ich glaube, es ist wichtig zu erwähnen, dass jeder Punkt, der eine Einschränkung der Länderhoheit bedeuten könnte, dazu führen wird, dass keine Einigkeit unter den Ländern entsteht.

Die Hamburger Initiative hingegen fordert analog zur SPD-Bundestagsfraktion einen neuen Artikel 104 c Grundgesetz. Dieser würde anders als der Antrag von Schleswig-Holstein dauerhafte Bundesfinanzhilfen für Bildung ermöglichen, ohne die Bildungshoheit der Länder einzuschränken. Die Gleichbehandlung der Länder wäre sichergestellt, da Vereinbarungen von den Ländern auch nur einstimmig beschlossen werden sollen. Wenn man die Diskussionen in der Republik von Süden bis Norden verfolgt, dann glaube ich, dass man sich eher hinter der Hamburger Initiative versammeln kann. Aus unserer Sicht wäre es aber in der Tat ein wichtiger Schritt, wenn sich alle Parteien auf eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern verständigen könnten.

Wir sind der Ansicht, dass Finanzhilfen des Bundes im Bildungsbereich möglich sein sollen, dies allerdings nach Möglichkeit dauerhaft und nicht durch befristete Sonderprogramme, und wir sind auch der Ansicht, dass außerhalb von Krisenzeiten ein Programm wie das Konjunkturprogramm möglich sein muss. Bildungsarmut ist nicht so steuerbar wie eine Wirtschaftskrise. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Seit der Föderalismusreform aus dem Jahr 2006 ist die Bildungsplanung ausschließlich Ländersache, das haben wir vorhin gehört, sodass eine direkte finanzielle Zuwendung des Bundes an die Länder nicht möglich ist. Wir Grüne hatten damals schon vor den Auswirkungen eines solchen Kooperationsverbots gewarnt und einen eigenständigen Antrag eingebracht, gerade mit der Forderung, die Kooperationsmöglichkeiten von Bund und Ländern in Bildung und Wissenschaft zu erhalten, um beispielsweise den weiteren Aufbau von Ganztagsschulen zu unterstützen. Ich freue mich, Herr Dr. vom Bruch, dass Sie zum jetzigen Zeitpunkt kein Erkenntnisproblem mehr haben.