Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 12. Oktober 1947 war für Bremen ein guter Tag. Nicht, weil der Tag 19 Jahre vor meiner Geburt lag, auch nicht, weil an diesem Tag Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft stattfanden, bei denen die SPD neun Mandate verloren und die CDU neun Mandate gewonnen hat,
sondern weil an diesem Tag die Mehrheit der Bremerinnen und Bremer und Bremerhavenerinnen und Bremerhavener dem Entwurf der Landesverfassung für die Freie Hansestadt Bremen in einem Volksentscheid ihre Zustimmung gegeben hat. Seitdem gilt diese Landesverfassung, und sie ist, finde ich, in einem sehr guten Verfahren von Herrn Bürgermeister Spitta und dem späteren Bundespräsidenten Herrn Dr. Carstens entwickelt und der Bevölkerung zur Entscheidung vorgelegt worden.
Diese Verfassung hat im Übrigen damals nicht die Hürde genommen, die wir heute für Verfassungsänderungen durch Volksentscheide in dieser Verfassung vorsehen. Unter Berücksichtigung der Wahlbeteiligung haben nämlich weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten dieser Verfassung ihre Zustimmung erteilt. Auch bei allen nachfolgenden Verfassungsänderungen ist das in der Verfassung bis heute noch vorgesehene Quorum von 50 Prozent der stimmberechtigten Bremerinnen und Bremer nie erreicht worden. Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass im zweiten Anlauf der Antrag der CDU-Bürgerschaftsfraktion, dieses Quorum von 50 auf 40 Prozent zu ändern, die Zustimmung auch der beiden Koalitionsfraktionen der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen, finden wird. Ich finde, dies ist ein richtiger Schritt zur Erleichterung von verfassungsändernden Volksentscheiden.
Die Verfassung ist seit dem Volksentscheid mehreren Änderungen unterworfen gewesen. Die Verfassung selbst gliedert sich im Wesentlichen in zwei Bereiche. Der eine besagt, dass wir auch in unserer Landesverfassung Grund- und Menschenrechte verankert haben. Das ergibt sich schon allein daraus, dass das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland erst nach dem Beschluss unserer Landesverfassung verabschiedet worden ist und die Geltung der dort garantierten Grund- und Menschenrechte natürlich erst seit dem Jahr 1949 besteht. Der zweite Teil unserer Landesverfassung betrifft den Aufbau unseres eigenen Staates Bremen. Auch hier hat es die grundlegenden Entscheidungen bereits bei der Abstimmung über die Ursprungsfassung der Landesverfassung gegeben.
In den weiteren Jahren und Jahrzehnten war diese Verfassung sehr statisch. Es hat bis zum Jahr 1994 nur insgesamt sechs Änderungen dieser Landesverfassung gegeben. Dies, obwohl ein Anlass zu einer Verfassungsänderung an der einen oder anderen Stelle vielleicht auch schon in dieser Zeit bestanden hätte! Die Änderungen sind aber deswegen nicht beraten und auch nicht verabschiedet worden, weil die Fassung der durch Volksentscheid beschlossenen Verfassung hierfür eine sehr hohe Hürde vorgesehen hat. Eine Änderung dieser Landesverfassung bedurfte nämlich in der Regel eines erneuten Volksentscheides oder aber eines einstimmigen Beschlusses der
Bremischen Bürgerschaft (Landtag). Diese hohe Hürde war im parlamentarischen Alltag sicherlich nicht einfach zu nehmen.
Sie war vielleicht auch eine durch die Volksgesetzgebung bei Beschluss über die Verfassung gegebene und aufgrund der Erfahrungen des gerade niedergegangenen Schreckensregimes des Dritten Reichs nachvollziehbare Schutzfunktion gegen Eingriffe in diese Landesverfassung. Dieser hohe Schutz der Landesverfassung ist sicherlich einer der Beratungspunkte, über die wir in den weiteren Verhandlungen und Beratungen über die heute vorliegenden Anträge zur Änderung der Landesverfassung miteinander reden werden: Welchen Zweck hat vor dem Hintergrund der damaligen Beschlusslage, aber sicherlich auch vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen unsere Bremer Landesverfassung? Wann und durch wen und mit welchen Mehrheiten darf diese Landesverfassung eigentlich in Zukunft geändert werden?
Wir, die Abgeordneten der CDU-Bürgerschaftsfraktion, verbinden mit der heutigen Beratung die Erwartung, dass dies der Auftakt zu einer sehr grundsätzlichen Beratung über Inhalt, Tragweite und Änderungsmöglichkeit unserer Landesverfassung ist. Deswegen sollten wir die Beratungen gründlich führen und uns gegebenenfalls auch externen Sachverstand hinzuziehen. Ich sage zu, dass die Beratungen in diesem neu zu gründenden Ausschuss nach Artikel 125 der Landesverfassung nicht in wenigen Minuten erledigt sein werden wie beim letzten Mal.
Welchen Zweck hat eigentlich unsere Landesverfassung, und wen bindet sie? Sie bindet natürlich die Bremerinnen und Bremer in der gesellschaftlichen Ordnung, aber sicherlich auch in der Achtung der Grund- und Menschenrechte. Sie bindet im Übrigen in besonderer Weise den Senat und die Verwaltung. Sie bindet aber auch uns als Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft. Die Landesverfassung selbst setzt also einen Rahmen nicht nur für das rechtmäßige Handeln der Exekutive, sondern auferlegt auch uns als Legislative ein hohes Maß an Schranken und Leitplanken. Deswegen sollte nach Auffassung der CDU-Bürgerschaftsfraktion mit Eingriffen in diese Landesverfassung sehr sorgsam umgegangen werden. Wir werden im Rahmen der Beratungen auch zu evaluieren haben, welche Veränderungen sich eigentlich durch die grundlegende Verfassungsreform des Jahres 1994 ergeben haben. Ich sage hierzu: Aus der Sicht der CDU-Bürgerschaftsfraktion war auch der 16. Oktober 1994 ein guter Tag für Bremen.
Wir haben damals in einer großen Verfassungsänderung – eigentlich der größten Verfassungsänderung seit dem Jahr 1947 – an vielen Punkten Grundlegendes in unserer Verfassung geändert. Wir haben das Einstimmigkeitserfordernis für Bürgerschaftsbeschlüsse über die Änderung der Landesverfassung abgeschafft, wir haben gleichzeitig die Hürden für die
Volksgesetzgebung gesenkt, in der Erwartung, dass die Bremerinnen und Bremer in der Folgezeit vielleicht häufiger unter erleichterten Bedingungen im Rahmen der unmittelbaren Gesetzgebung auf bremische Politik Einfluss nehmen würden. Wir haben aber auch seitdem mehrfach das Verhältnis zwischen Senat und Bürgerschaft – aber auch im Jahr 1994 – neu geregelt. Wir haben die Rechte der Abgeordneten gestärkt, indem wir beispielsweise den Haushalts- und Finanzausschuss eingerichtet haben, indem wir Rechte der Abgeordneten auf Information und Einsicht in die Verfassung aufgenommen und normiert haben. Wir haben aber auch in der Folgezeit an der einen oder anderen Stelle in die Staatsorganisation eingegriffen. Ich will nur die Beschlüsse zur Abschaffung der Wirtschaftskammer nennen oder aber die Einführung der Möglichkeit, dass auch Staatsräte der Landesregierung mit Votum der Bremischen Bürgerschaft angehören können.
Wir haben aber auch zu politischen Inhalten Hand an die Verfassung gelegt, in der Regel allerdings nur zu sogenannten Staatszielen. Ich erinnere daran, dass wir Diskriminierungsverbote in unsere Landesverfassung übernommen haben, obwohl sie an sich durch das Grundgesetz schon garantiert gewesen sind. Wir haben auch Staatsziele aufgenommen, beispielsweise zum Kinderschutz, zum Tierschutz und zum Schutz vor sexueller Benachteiligung. All das haben wir in den letzten Jahren in Form von insgesamt 17 Änderungen der Landesverfassung seit dem Jahr 1994 getan.
Die CDU-Bürgerschaftsfraktion legt heute einen Verfassungsänderungsantrag vor, mit dem erreicht werden soll, dass in Zukunft Änderungen der Landesverfassung obligatorisch nur noch mit einem Volksentscheid möglich sind. Ich glaube, dass man unter Berücksichtigung der hohen Hürde, die der Verfassungsgesetzgeber, der Souverän, nämlich die Bremerinnen und Bremer, im Jahr 1947 vorgegeben hat, und der lebhaften Geschichte, die ich eben nur ansatzweise skizzieren konnte, sagen kann: Wir sind alle gut beraten, die Landesverfassung nicht für parteipolitische Programmatik zu missbrauchen, sondern den hohen Schutz der Landesverfassung und das in ihr wohnende Ewigkeitsprinzip zu achten, zu schätzen und vor allen Dingen zu wahren.
Der obligatorische Volksentscheid hat in den Ländern Hessen und Bayern übrigens nicht zu einer Starre der dort geltenden Verfassungen geführt. Vielmehr hat er die Bindung der Bürgerinnen und Bürger an die Verfassung durch Befassung mit der Verfassung aus unserer Sicht gestärkt. Alle wesentlichen Änderungen der Verfassungen haben immer – wenn auch manchmal schwierig und mit einer Ausnahme in Hessen, was die Todesstrafe betrifft – die vorgesehenen Hürden in den Landesverfassungen genommen. Deswegen glauben wir als CDU-Bürgerschaftsfraktion, dass die obligatorische Befassung des Souveräns mit verfassungsändernden Gesetzen zum einen die Ver
fassung vor willkürlichen, vielleicht parteitaktischen Eingriffen in die Landesverfassung schützen und zum anderen auch die Bindung der Menschen an unsere Verfassung erhöhen kann. Deswegen möchte ich Sie bitten, dem Änderungsantrag der CDU-Bürgerschaftsfraktion heute Ihre Zustimmung zu geben und ihn in die Beratungen des Ausschusses nach Artikel 125 der Landesverfassung zu überweisen.
Lassen Sie mich noch kurz zu den beiden weiteren Anträgen der Koalition Stellung nehmen! Wir werden dem Antrag zur Erleichterung der Volksgesetzgebung, zur Senkung der Hürden, auch unsere Zustimmung geben. Wir werden dem Vorschlag, ein Privatisierungsverbot oder vielmehr eine Privatisierungsbremse in die Landesverfassung aufzunehmen, unsere Zustimmung nicht erteilen, weil wir glauben, dass es sich hierbei um einen von mir skizzierten politischen Eingriff in die Landesverfassung handelt. Die Frage, ob wir öffentliches Eigentum halten, erwerben oder veräußern, ist nicht von Verfassungsrang, sondern ist eine Entscheidung der Bremischen Bürgerschaft und der politischen Mehrheit. Sie bedarf nicht des besonderen Schutzes unserer Landesverfassung.
Wir werden gleichwohl in den anstehenden Beratungen des Ausschusses nach Artikel 125 Landesverfassung ergebnisoffen über alle vorliegenden Initiativen beraten. Ich sage Ihnen zu, dass die Mitglieder der CDU-Bürgerschaftsfraktion in dem Ausschuss, aber sicherlich auch in den weiteren Lesungen hier im Parlament mit dem notwendigen Sachverstand und der notwendigen Gründlichkeit zu einer verlässlichen, zielorientierten und den Maßstäben unserer eigenen Verfassung genügenden Beratung ihren Beitrag leisten werden.
Ich freue mich, dass wir jetzt nicht unter Zeitdruck, sondern mit der genügenden Sorgfalt und Ruhe in die Beratungen zu den notwendigen und gewünschten Änderungen der Landesverfassung eintreten können. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Den historischen Rückblick, der angesichts dieser Debatte, glaube ich, sehr angemessen ist, hat Herr Röwekamp bereits gemacht, deswegen will ich gleich mit der Gegenwart in meine Rede einsteigen, weil dem, glaube ich, nichts hinzuzufügen ist.
Das Motto des heutigen Tages lautet aus Sicht der grünen Fraktion: Mehr Demokratie machen! Ich glaube, dass es deswegen ein sehr gutes Motto für diese ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Bremische Bürgerschaft ist, auch in dem Einvernehmen, das über viele Punkte, die wir hier heute beraten, doch weitgehend herrscht, noch einmal einen großen Schritt auf die Bürgerinnen und Bürger zuzugehen und mehr Demokratie, Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung im Land Bremen zu erlauben.
Das kommt in mehreren Anträgen zum Ausdruck, wir haben in diesem Tagesordnungspunkt ja einige Anträge gebündelt. Ganz besonders freue ich mich, dass der letzte Punkt, den auch die rot-grüne Koalition im Rahmen ihrer Bemühungen, die Hürden für Volksbegehren und Volksentscheide zu senken, aufgenommen hat, die Frage ist, wie wir mit Volksbegehren und Volksentscheiden umgehen, die sich auf die Landesverfassung beziehen. Sie haben es angesprochen, Herr Röwekamp, dass wir in diesem letzten Punkt heute endlich, muss ich sagen, zu einer Senkung der entsprechenden Quoren kommen.
Warum? Bisher mussten 20 Prozent aller Wahlberechtigten einen solchen Antrag auf Volksbegehren unterschreiben. Das sind schon einmal sehr viele Unterschriften, aber vor allen Dingen die zweite Hürde, dass man sagt, 50 Prozent aller Wahlberechtigten müssen zustimmen – das ist die bisherige Regelung –, wenn es zu einem Volksentscheid kommt, bedeutet Folgendes: Wenn wir eine Wahlbeteiligung von 50 Prozent haben – das wäre ungefähr die, die wir im Moment bei Bürgerschaftswahlen haben –, dann müssten 100 Prozent aller Abstimmenden zustimmen. Das heißt, es ist im Prinzip eine völlige Unmöglichkeit, dass ein solcher Volksentscheid je die Zustimmung erfahren würde, denn 100 Prozent gab es in anderen Staaten, aber Gott sei Dank nicht im Land Bremen.
Deswegen ändern wir dieses Quorum auf immer noch hohe 40 Prozent, aber immerhin ist es ein deutliches Signal, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern entgegenkommen und sagen – zwar mit einer nach wie vor sehr hohen Hürde für die Verfassung, höher als für normale Gesetzesinitiativen –, dass es aber wenigstens die Möglichkeit gibt, eine solche Volksinitiative, ein solches Volksbegehren und einen solchen Volksentscheid zu machen. Ich bin froh, dass das heute in diesem Haus fraktionsübergreifend beschlossen wird. Deswegen ist es ein guter Tag für die Demokratie in Bremen, dass wir das heute machen.
Wir fügen hinzu, dass Bürgeranträge, die es ermöglichen – jetzt sprechen wir nicht über Volksbegehren und Volksentscheide –, uns direkt einen Antrag
aus der Mitte des Volkes auf den Tisch des Parlaments zu legen, dass wir die dazu benötigten Unterschriften – –. Es geht auch hier wiederum um die Frage: Machen wir es möglich, dass Menschen in Bremen diese Instrumente überhaupt nutzen können?
Was nützt es, wenn wir sie in unseren Gesetzen und Verfassungen verankert haben, aber die Hürden so hoch sind, dass Menschen sie nicht vernünftig nutzen können? Wir senken diese Hürden für Bürgeranträge ebenfalls auf 5 000 Unterschriften im Land und 4 000 Unterschriften für die Stadtbürgerschaft, das heißt, wir ermuntern die Menschen, sich selbst mit schon ausformulierten Anträgen und Initiativen in die Arbeit des Parlaments von außen einzumischen, behalten uns als Parlament im Rahmen der parlamentarischen Demokratie aber vor, dann über diese Anträge zu entscheiden. Wir haben dann immer noch die volle Souveränität der Volksvertretung zu sagen, wir stimmen diesem Antrag zu oder lehnen ihn ab, aber es gibt überhaupt die Möglichkeit, dass man einen solchen Antrag hier auf den Tisch des Hauses legt.
Das ist – und ich habe Sie soeben so verstanden, dass Sie dem auch zustimmen – ein weiterer Schritt, dass wir Hürden im Bereich der direkten Demokratie und Volksgesetzgebung haben, die es Menschen auch ermöglichen, sich zu engagieren und hier auch die Initiative ergreifen zu können.
Ich begrüße das außerordentlich. Aus diesem Parlament ist es ein gutes Zeichen nach draußen, dass wir uns nicht abschotten und sagen, wir wissen schon am besten, wie es geht, sondern dass wir den Willen der Bürgerinnen und Bürger hier einbeziehen. Ich glaube, dass man draußen auch verbreiten sollte, dass wir vor solchen Bürgeranträgen keine Angst haben und uns zutrauen, mit denen hier auch umzugehen.
Es gibt einen weiteren Punkt – und auch den hat Herr Röwekamp im ganzen Paket dieser Änderungen schon angesprochen –, der ein ganzes Stück komplizierter ist, nämlich wie wir mit der Frage umgehen, welche Mechanismen und Verfahren wir haben, wenn wir die Verfassung in diesem Haus ändern. Sie haben die historische Entwicklung beschrieben: Früher 100-prozentige Mehrheit im Haus oder Volksentscheid, dann die Änderung, es reicht eine Zweidrittelmehrheit hier im Haus, und jetzt die Frage, wie es weitergehen soll! Es gibt den Vorschlag der CDU zu sagen, Zweidrittelmehrheit hier im Haus plus obligatorische Volksabstimmung in jedem Fall! Am heutigen Tag kann man es relativ leicht erklären, denn vorhin haben wir das Thema Einführung eines elektronischen Amtsblattes gehabt. Das würde in der praktischen Umsetzung heißen, dass wir auch für diese Frage einen Volksentscheid durchführen müssten.
In unserer Fraktion waren wir uns einig, dass es nicht sinnvoll ist, dieses Instrument dadurch zu entwerten, dass wir bei diesen Dingen, zum Beispiel bei der Frage der Einführung eines elektronischen Amtsblattes, aber auch bei ähnlich klaren, unstrittigen und formalen Dingen hinausgehen und sagen, das wollen wir dem Volk zum Volksentscheid vorlegen. Ich glaube, es ist nicht vernünftig, dieses Instrument so auszuwalzen, dass wir sagen, es muss ein obligatorischer Volksentscheid erfolgen. Deswegen wird die grüne Fraktion diesem Antrag nicht zustimmen.
Wir haben gleichzeitig einen Antrag der Koalition, der beinhaltet, dass wir in Fragen des Verkaufs von bremischem Eigentum obligatorischerweise die Bevölkerung per Volksentscheid fragen, ob es so in Ordnung ist. Das führt uns jetzt, glaube ich, zu einer Frage, deren Behandlung in diesem Ausschuss wirklich ein bisschen länger als die paar Minuten des letzten Ausschusses dauern wird, einer Frage, die uns in der grünen Fraktion sehr intensiv umgetrieben hat und uns auch in Begleitung dieses Ausschusses weiter umtreiben wird. Ich glaube, wir brauchen am Ende des Tages vielleicht doch ein paar vernünftige Kriterien für die Frage: Welche Verfassungsänderungen und Dinge legen wir dem Volk zur Abstimmung durch Volksentscheid vor und welche nicht?
Hier gab es in der Vergangenheit schon diverse Anregungen und Debatten, zum Beispiel wurde die Frage aufgeworfen, ob man irgendwann einmal die Wahlperiode des Landes Bremen von vier auf fünf Jahre verlängert. Ist das eine Frage, die nun per Volksentscheid entschieden werden muss? Sind die Fragen der Privatisierungen der Kern dessen, was wir vorlegen? Wie verhält es sich mit der Rekommunalisierung, wenn wir Dinge zurückkaufen, die wir schon privatisiert haben, und das Volk gar nicht mehr fragen können, weil das entsprechende Unternehmen schon verkauft ist, wir es aber wieder in die Hand des Staates zurückführen wollen? Ich glaube, wenn man jetzt einmal nur von dem Kriterium der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ausgeht, ist die Betroffenheit in beiden Fällen, ob wir nun verkaufen oder kaufen, relativ groß.
Ich würde aber einmal folgende Voraussage von diesem Pult aus wagen: Es gibt auch andere Dinge, bei denen es meiner Ansicht nach deutlich sinnvoll ist, das Volk bei einer Verfassungsänderung oder wichtigen Gesetzgebung zu fragen und sie zum Volksentscheid vorzulegen. Wollen wir es aber im Einzelfall entscheiden? Es wäre eine Möglichkeit, dass wir bei jedem Punkt diskutieren und am Ende zu Mehrheiten kommen, wir legen es vor, oder wir legen es nicht vor, weil es nicht erheblich ist. Oder wollen wir uns grundsätzliche Dinge unterhalb der Schwelle der von der CDU vorgeschlagenen obligatorischen Volksentscheide überlegen? Welche Kriterien könnten
denn sinnvollerweise entwickelt werden – da vertraue ich auf die Arbeit dieses Ausschusses nach Paragraf 125 Landesverfassung –, damit wir sagen, diese Initiative legen wir, bevor wir sie abschließend in diesem Haus beschließen, der Bevölkerung zum Volksentscheid vor?
Ich glaube, dass alle Anträge, die heute zu diesem Thema auf dem Tisch des Hauses liegen, darauf hindeuten, dass wir uns intensiv mit der Frage, wann wir es machen und wann nicht, befassen müssen. Wir hielten es als grüne Fraktion für selbstverständlich, dass man in der heutigen Zeit, wenn wir vorhätten, was wir nicht haben, oder wenn jemand anderes es eines Tages vorhätte, wesentliche Teile der Daseinsvorsorge zu privatisieren – wie es in den Neunzigerjahren sehr massiv geschehen ist –, vorher das Volk fragt, um in der Tat deutlich zu machen, dass eine solche Privatisierung viele Langzeitfolgen hat, die wir teilweise heute noch erleben, wenn wir über die swb oder andere Themen diskutieren.
Wir halten diese Initiative für deutlich sinnvoll, glauben aber, dass wir darüber hinaus klären müssen, welche anderen Fragen wir der Bevölkerung sinnvollerweise auch zur Entscheidung vorlegen, wenn wir denn wollen, dass sie uns nicht nur am Wahltag trägt, sondern auch, wenn wir einzelne Entscheidungen – natürlich müssen es schwerwiegende sein – für dieses Land treffen und wir dann auch den Rückhalt des Volkes hinter uns haben. Das ist die Richtung, mit der die grüne Fraktion in den Ausschuss gehen wird, nämlich solche Diskussionen zu führen, Experten zu hören und solche Kriterien zu entwickeln.
Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen, der sich auch in diesem Gesetzespaket befindet, nämlich die Frage: Was macht eigentlich der Bund? Ich finde es absolut blamabel und beschämend, dass wir inzwischen auf kommunaler Ebene in 16 Bundesländern und durch die Europäische Bürgerinitiative auch auf der europäischen Ebene die Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden haben, und einzig die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes erlaubt keine Volksbegehren und Volksentscheide. Das ist absolut untragbar, und dass sich hier Schwarz-Gelb nach wie vor dem Drängen, das die Grünen, SPD und andere schon sehr lange an diese Regierung herantragen, verweigern, ist inakzeptabel, und wir wollen heute einen weiteren Vorstoß in diesem Haus machen, dies zu ändern.
Es ist völlig unverständlich, wenn man sich die großen Debatten um Volksentscheide der Vergangenheit anschaut – denken Sie an die Bildungsdebatte in Hamburg, an die Auseinandersetzung Stuttgart 21,