Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal ein Argument von Frau Dr. Mohr-Lüllmann aufgreifen! Sie sagte, für Bremen ist diese Form von Fiskalpakt gar kein Problem, weil es insbesondere bis zum Jahr 2019 für Bremen keine Folgen hat, weil eventuelle Strafzahlungen gedeckt sind. Im Gegenteil, wir haben sogar noch einen Vorteil davon, weil wir jetzt Verhandlungen mit dem Bund aufgenommen haben. Es gibt mehr Investitionen für Kindertagesstätten und vieles mehr. Ich wünschte, dass ich diesen Optimismus teilen könnte.
Wenn Deutschland tatsächlich im Laufe der Jahre in die Situation kommt, dass wir verpflichtet werden, die Neuverschuldung tatsächlich zu senken oder dass ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
aufgrund von einer Krise tatsächlich das Bruttoinlandsprodukt sinkt, und wir dann Strafzahlungen bekommen, frage ich mich: Wie soll das denn funktionieren? Der Bund kann nicht mehr Geld ausgeben, und er wird mit Sicherheit Bundesprogramme oder Ähnliches kürzen müssen. Wir sind doch davon betroffen, wenn solche Dinge passieren. Das heißt, möglicherweise sind wir nicht unmittelbar im Haushalt betroffen, sondern mittelbar.
Bei diesen Wirtschaftspartnerschaftsprogrammen, die bisher mit Ländern aufgelegt worden sind, die aus der Schuldenfalle herausgeführt werden, wissen wir doch, was passiert. Sie sind auf der einen Seite im Wesentlichen darauf ausgerichtet, Sozialleistungen abzubauen, öffentliche Ausgaben zu kürzen, Privatisierungsbestrebungen zu betreiben und so weiter. Wenn die Griechen jetzt anfangen, ihre Inseln zu verkaufen, ist das die Lösung der Schuldenkrise?
Auf der anderen Seite werden sie selbstverständlich auch dafür sorgen, dass die Länder wettbewerbsfähiger werden. Wir wissen, was das bedeutet. Wettbewerbsfähiger bedeutet für viele Menschen noch niedrigere Löhne und noch mehr arbeiten, möglicherweise eine Reduzierung der Renten und so weiter. Das sind die Gefahren, die uns möglicherweise auch schon dann treffen werden, wenn wir glauben, bis zum Jahr 2019 sicher zu sein. Ich bin davon überzeugt, wir werden an dieser Stelle relativ frühzeitig über Dinge diskutieren, die möglicherweise Folgen dieses Fiskalpakts sind. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Dr. MohrLüllmann, zunächst einmal eine kurze Geschichte, damit Sie verstehen, wie das mit Frau Bundesministerin Schröder war. 16 Ministerpräsidenten haben mit der Bundeskanzlerin eine Vereinbarung getroffen, dass der Bund sich mit größeren Beträgen am Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen, nämlich bei den Investitions- und Betriebskosten, beteiligt. Darüber gibt es eine genaue Formulierung. Darin steht, dass diese Mittel entsprechend dem Schlüssel im Kinderförderungsgesetz verteilt werden.
Frau Bundesministerin Schröder lädt daraufhin die hohen Beamten der Länder ein, um mit ihnen die Einzelheiten zu erörtern, und Frau Bundesministerin Schröder wählt einen eigenen Verteilungsmaßstab. Das hat alle Länder am letzten Donnerstagabend einschließlich der von CDU und CSU regierten Länder derartig auf die Palme gebracht, dass am Freitagmor
gen Herr Haseloff für die sogenannten B-Länder und Herr Beck für die sogenannten A-Länder im Bundeskanzleramt gewesen sind und sich beklagt haben. Fünf Minuten später war Frau Bundesministerin Schröder zur Ordnung gerufen worden. Das ist der Hintergrund!
Herr Rupp, ich verwahre mich für den Senat aufs Schärfste dagegen, dass Sie hier von einer Verletzung der Landesverfassung sprechen. Das ist ein Vorwurf, der falsch, perfide und unanständig ist.
Wissen Sie, warum er unanständig ist? Weil es einen Antrag gibt, den Frau Vogt und die Fraktion DIE LINKE am Anfang dieser Legislaturperiode mit unterschrieben haben, indem Sie dem Ausschuss für Integration, Bundes- und Europaangelegenheiten, internationale Kontakte und Entwicklungszusammenarbeit die Befugnis übertragen haben, für die Bürgerschaft insgesamt Beschlüsse im Sinne des Artikels 79 unserer Landesverfassung zu fassen!
Dieser Beschluss ist in Ihrem Beisein, Herr Rupp, und in meinem Beisein vom Ausschuss gefasst worden, und der Präsident der Bürgerschaft hat dem Senat mitgeteilt, dass entsprechend verfahren worden ist. Wenn man vor diesem Hintergrund dem Senat einen Verfassungsverstoß vorwirft, dann ist das nichts anderes als eine bewusste Täuschung, eine Lüge, und ich nenne es unanständig.
Schauen Sie sich den Antrag vom 5. Juli 2011 an, der von allen Fraktionen unterzeichnet ist! Das nennt man plenumsersetzende Beschlüsse, die es zum Beispiel im Bundesrat in der Europakammer und in allen Parlamenten Deutschlands gibt. Es ist so, und das sollten Sie bitte richtigstellen. Ich fordere Sie auf, diesen Vorwurf hier zurückzunehmen!
Meine Damen und Herren, der 29. Juni war in der Tat ein historischer Tag. Solche Abläufe gab es in Deutschland noch nicht. Die Kanzlerin kam vom europäischen Gipfel zurück, der Bundestag hat ab 17.00 Uhr getagt, und der Bundesrat hat so spät eine Sitzung begonnen wie noch nie, nämlich um 22.30 Uhr.
Es war schon wegen des Geldes ein gewichtiger Tag, aber es war auch ein gewichtiger Tag, weil es ein Signal Deutschlands für Europa war. Das darf man an dieser Stelle doch noch einmal sagen.
Wir reden zwar viel über Geld, aber Europa ist mehr als das. Europa ist ein großes Projekt des Friedens, des Wohlstands, der Freiheit und auch der Solidarität. In diesem Rahmen passt sich das ein, was wir ESM und Fiskalpakt nennen. Es war ein Bekenntnis des Bundestags und des Bundesrats für Europa, und ich ich bin stolz, dass Bremen dabei ist!
Niemand hat sich diese Entscheidung leicht gemacht, aber es ist ja viel im Vorfeld verhandelt worden, und deswegen ging es doch nicht nur um Schulden, um Geld und um Verschuldung. Jeder weiß doch, dass das Zusammenstreichen von Staatshaushalten am Ende nicht die Rettung Europas bringt.
Wenn Sie auf die ganze Wahrheit schauen, dann reden wir über Bausteine. Fiskalpakt und ESM sind ein Baustein, aber ein Pakt für Wachstum, für Beschäftigung, für wirtschaftliche Entwicklung, für Innovation und eine Beteiligung der Finanzmärkte an den großen Kosten, die aus der Krise entstanden sind, die die Akteure auf den Finanzmärkten ein beachtliches Stück mitzuverantworten haben, gehören auch zu diesen Bausteinen. Deswegen war das nicht nur verantwortbar, sondern es war richtig, dass wir dieses Paket gemeinsam beschlossen haben.
Herr Rupp, mir wird es immer ein Rätsel bleiben, dass es einige für fortschrittliche und sogar für linke Politik halten, allein auf Verschuldung zu setzen.
(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Stimmt doch überhaupt nicht! Wir reden seit Jah- ren von der Vermögensteuer!)
Die Staatsschulden sind nur auf den ersten Blick eine Erweiterung von politischer Handlungsfähigkeit und Gestaltungsfähigkeit des Staates. Bei genauerem Hinsehen sind sie durch die Zinsen das Gegenteil. Wir wissen, wenn wir in Bremen 650 Millionen Euro zur Verfügung hätten und sie nicht an die Banken zahlen müssten, sondern damit in Bremen Politik gestalten könnten, dann würden wir doch über manches gar nicht reden; ich denke an die gestrigen Debatten, darüber würden wir dann nicht reden.
Deswegen war und ist es natürlich richtig, die Staatsschuldenkrise zu bekämpfen, aber sie ist immer als nur ein Teil zu betrachten, denn alles, was ich gesagt habe, eine Politik für Wachstum, für wirtschaftliche Entwicklung und für Innovation, gehört dazu. Fiskalpakt und ESM haben beide in diesem Zusammenhang diese Flankierung erhalten.
Ich komme darauf, was das für Bremen bedeutet. Ob ich das jetzt so in dieser Form mit Pathos sehen muss, wie Frau Dr. Mohr-Lüllmann das gesagt hat – –. Ich teile eher das, was mein Kollege Gottschalk dazu gesagt hat! Wir haben aber unmittelbare Wirkungen, und das ist im Vorfeld auch mit der Bundeskanzlerin und den 16 Regierungschefs verhandelt worden. Für Bremen war klar, wir können dem Fiskalpakt nur zustimmen, wenn sicher ist, dass wir keine Herausforderungen aus dem Fiskalpakt haben, die über das hinausgehen, was für uns die Schuldenbremse in Artikel 109 und Artikel 143 d des Grundgesetzes bedeutet. Wir müssen sicher sein, dass die Verabredungen, die Vereinbarungen, die Kollegin Linnert mit dem Bundesfinanzminister getroffen hat – nicht nur wir, sondern die vier anderen Konsolidierungshilfeländer auch –, über den Abbaupfad bis zum Jahr 2020 nicht zur Disposition stehen.
Wir haben eine ausdrückliche Erklärung der Bundesregierung, in der steht – es ist ein völkerrechtlicher Vertrag und kein europarechtlicher Vertrag ist, das mag man bedauern, das ist so –: Es ist sichergestellt, dass nach außen der Bund haftet. Allen Ländern ist erklärt und vom Bund die Garantie gegeben worden, dass für uns allein die Schuldenbremse maßgeblich ist und dass sich Bremen ausdrücklich – die Erklärung findet sich auch im Beschluss des Bundesrats wieder – auf den Konsolidierungspfad wie vereinbart verlassen kann. Deswegen war es für uns vertretbar. Im Übrigen ist auch ein pekuniärer Erfolg für Bremen verhandelt worden.
Die Länder haben nicht die Situation genutzt nach dem Motto, der Bund ist auf eine Zweidrittelmehrheit angewiesen, und deswegen haben die Länder eine gute Verhandlungsposition, sondern der Hintergrund ist ein anderer. Der Fiskalpakt hat gegenüber der Schuldenbremse insofern eine Veränderung: Die Schuldenbremse – der Blick in das Grundgesetz belegt es – erfasst nur die Länder, während der Fiskalpakt auch die Verschuldung der Kommunen und der Sozialversicherung umfasst. Jetzt haben wir die Situation, dass die Länder für die Kommunen haften. Konnexitätsprinzip und Ähnliches, die Fachleute wissen, worüber ich spreche!
Für Bremen, Hamburg und Berlin, für die drei Stadtstaaten, ist die Situation etwas anders. Wir sind sowieso mit unseren beiden Kommunen Teil der Schuldenregelung des Grundgesetzes. Deswegen war für uns der erste Punkt, nicht mit überzogenen anderen For
derungen über die Schuldengrenze hinaus belastet zu werden, am wichtigsten. Es hilft uns aber natürlich, wenn wir kommunal entlastet werden. Da sind aktuell und für die Zukunft großartige Dinge erreicht worden. Dass wir jetzt einen höheren Beitrag des Bundes beim Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen haben – das habe ich schon gesagt – und dass wir die Erklärung des Bundes haben, sich bei einem ganz entscheidenden Teil der Sozialleistungen der deutschen Kommunen zu beteiligen, ist perspektivisch der größte Erfolg. Wenn Sie sich den bremischen Haushalt anschauen, dann sehen Sie – übrigens auch im städtischen Haushalt Bremerhavens –, dass die Kosten der Eingliederungshilfe im städtischen Haushalt mit über 150 Millionen Euro zu Buche schlagen. Wenn der Bund hier zusagt, sich zu beteiligen und das in ein Bundesleistungsgesetz zu überführen, dann ist das eine Perspektive,
die uns pekuniär fast genauso wichtig ist wie positive Änderungen beim Länderfinanzausgleich. Deswegen war es nicht nur gut und vertretbar, dass wir bei diesen Verhandlungen solche Erfolge erzielt haben und unsere Zustimmung damit möglich geworden ist, es bietet uns auch gute Aussichten für die nächsten Jahre, um mit dem Bund zu einer Verständigung zu kommen, uns weiter zu unterstützen.
Ich sage noch einmal, niemandem ist es leicht gefallen zuzustimmen! Wer die Debatte im Bundestag verfolgt hat: Ich glaube, das war schon ein Stück bewegend, wie die Menschen mit sich gerungen haben, und im Bundesrat war es ähnlich. Ob das alles vor dem Bundesverfassungsgericht standhält, weiß man nicht, aber das ist der Rechtsstaat, und es ist gut, dass wir eine Instanz haben, die die rechtlichen Fragen jetzt noch im Zusammenhang klärt. Ich jedenfalls und wir alle, die im Bundesrat tätig geworden sind, haben das mit der Überzeugung getan, dass wir auch und gerade auf dem Boden der Verfassung handeln, nicht nur der bremischen Verfassung, sondern auch des Grundgesetzes. – Vielen Dank!
Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 18/496 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!