Protokoll der Sitzung vom 13.03.2013

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Dr.

Schulte-Sasse.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete

Brumma.

Herr Präsident, meine Da

men und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gesundheitspolitik unserer Fraktion steht wei

terhin in der Tradition der Psychiatrie-Enquete aus dem Jahr 1975. Frühere Reformen haben zu vielen Verbesserungen im Bereich der psychiatrischen Versorgung in unserem Land geführt. Ich erinnere hierbei an die Auflösung der Klinik Kloster Blan kenburg, das Konzept der Dezentralisierung der stationären Versorgung, die Einführung eines Lan despsychiatrieplans zur regionalen Steuerung und Qualitätsentwicklung sowie die Einrichtung von Be suchskommissionen, an denen alle Fraktionen in der Bremischen Bürgerschaft auch aktiv beteiligt sind.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Vizepräsidentin S c h ö n über- nimmt den Vorsitz.)

Allerdings gibt es neue Herausforderungen. Ich

denke hier an die UN-Behindertenrechtskonvention, die auch bei psychisch Kranken die Inklusion einfor dert. Wegen der Zunahme psychischer Erkrankungen haben sich die Rahmenbedingungen in Deutschland verschlechtert, und die neuesten Vorschläge der Bun desregierung, im psychiatrischen Bereich ebenfalls Fallpauschalen einzuführen, sind nicht besonders glücklich, denn für uns ist ein Zukunftsmodell psychi atrischer Versorgung eine noch engere Verzahnung von ambulanten und stationären Hilfen.

Dies kann über Modelle der integrierten Versor

gung oder aber über gemeindepsychiatrische Ver bünde geschehen. Bei ihnen sind die stationären und die ambulanten Versorgungseinrichtungen, diverse Arbeitsmarktmaßnahmen, vorhandene soziale Un terstützungsangebote und die Angehörigen in die Versorgung mit einzubeziehen. Die Behandlung muss früher und vermehrt ambulant geschehen und auf die individuelle Problematik bezogen sein. Da bei sind die vorhandenen individuellen Fähigkeiten der Patienten herauszufinden, und die Einbeziehung vorhandener Angebote ist zu gewährleisten.

Gemeinsam mit den Leistungsträgern und -er

bringern sind neue Modelle zur Finanzierung zu entwickeln. Dabei sind insbesondere Präventions projekte zum Erhalt der seelischen Gesundheit zu unterstützen. Zu berücksichtigen ist auch der Aus bau spezifischer Reha-Einrichtungen unter Einbe ziehung teilstationärer und ambulanter Strukturen. Ebenso sind Angebote medizinisch-beruflicher Re habilitation gemeindenah hier in Bremen stärker zu etablieren. Prävention und Rehabilitation sind unverzichtbare Bestandteile der psychiatrischen Versorgung. Wir wollen weniger Einweisung und Zwang und für die Patienten mehr Kontinuität und Verlässlichkeit.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Auch wollen wir Behandlungsabbrüche besser

als in der Vergangenheit verhindern. Wir wollen mit

) Vom Redner nicht überprüft.

den psychiatrieerfahrenen Genesungsbegleitern in Bremerhaven-Reinkenheide und bei freien Trägern Neues schaffen. Letztendlich wollen wir mehr Le bensqualität für die Patienten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Für die Kliniken wollen wir Planungssicherheit

und neue Belohnungsmechanismen. Für diese neue Herausforderung können wir uns gut vorstellen, dass in Bremerhaven ein Entwicklungsprojekt am Krankenhaus Reinkenheide etabliert wird und es als Leuchtturmprojekt wichtige Impulse auch für die stadtbremische Versorgung liefert.

Deshalb fordern wir mit diesem Antrag vom Se

nat eine mittelfristige Psychiatrieversorgungspla nung bis in das Jahr 2021. Sie hat die Inklusion für die psychisch Kranken zum Ziel, denn eine schritt weise und sorgfältig geplante Inklusion im Bereich der Psychiatrie erzeugt deutliche Win-win-Effekte für alle Beteiligten. In diesem Sinne fordern wir Sie auf, den vorliegenden Antrag zu unterstützen, und wir erwarten vom Senat, dass er in der Deputation für Gesundheit regelmäßig über den gesundheits politischen Entwicklungsprozess zu diesem Thema berichtet. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat

das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Kappert-Gonther.

Abg. Frau Dr. Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die

Grünen)*): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! In der Januar-Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) haben wir über Strategien zur Förderung der seelischen Gesundheit in den Bildungseinrich tungen und am Arbeitsplatz diskutiert und einen entsprechenden Antrag einstimmig verabschiedet. Heute debattieren wir über die Versorgung und die Behandlungssituation von Menschen, die be reits psychisch krank sind. Das Thema seelische Gesundheit ist in diesem Parlament angekommen, und das ist gut so.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Im psychiatrischen Hilfesystem bestehen bundes

weit – mit regionalen Unterschieden – vielfältige und teilweise erhebliche Problemlagen, indem viele schwer und chronisch kranke Menschen nicht oder zu spät erreicht und somit unzureichend behandelt

werden. Das darf so nicht bleiben. Immer noch, ob wohl die Psychiatrie-Enquete – wir haben es gerade gehört – des Deutschen Bundestags inzwischen fast 40 Jahre zurückliegt und seitdem klar ist, dass eine Hospitalisierung allein nie die Lösung für einen psy chisch kranken Menschen sein kann, werden immer noch zu häufig stationäre und zu selten intensive ambulante, lebensweltbezogene und koordinierte Hilfen angeboten. Das wollen wir ändern, wir setzen uns politisch für eine Weiterentwicklung der Psych iatriereform in Bremen ein.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wir haben in Bremen eine lange und gute Tradi

tion, Menschen in seelischen Ausnahmesituationen eingebettet in ihrem sozialen Umfeld wahrzunehmen. Vieles im psychosozialen Bereich funktioniert in Bre men bereits sehr viel besser als andernorts, darauf wollen wir weiter aufbauen. In Bremen werden bei der Behandlung psychisch kranker Menschen die Faktoren Wohnen, Arbeit und Freizeit vielerorts gut berücksichtigt, und das geht natürlich sehr viel besser im ambulanten als im stationären Umfeld.

Bei der großen Psychiatriereform, bundesweit

angestoßen durch die Psychiatrie-Enquete im Jahr 1975, war Bremen führend. Denken wir an die Auf lösung des Klosters Blankenburg und die damalige Abkehr von einer Hospitalisierungs- und Verwahr psychiatrie hin zu einer lebensweltbezogenen, regi onalisierten und ambulant ausgerichteten Behand lung auch und gerade der Schwerstkranken und der chronisch Kranken! Damals entstanden so wichtige Bausteine der psychosozialen Versorgung wie das betreute Wohnen, Tageskliniken, Tagesstätten, der Sozialpsychiatrische Dienst und Arbeitsplätze für psychisch kranke Menschen; alles Dinge, die uns heute selbstverständlich sind. Auf diesen Errungen schaften können und müssen wir weiter aufbauen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wir müssen die Strukturen und vor allem die Ver

netzung der verschiedenen Angebote sinnvoll wei terentwickeln, denn natürlich gibt es seelische Aus nahmesituationen, in denen ein stationärer Aufent halt sinnvoll ist. Dieser muss dann aber in ein gutes vor- und nachstationäres Angebot eingebettet sein. Budgetfragen zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich führen immer wieder zu Rei bungsverlusten. Wechsel der Kostenträger inner halb einer Behandlung desselben Menschen führen zu teilweise unsinnigen und therapieschädigenden Verläufen. Das muss sich ändern.

Das neue Psychiatrie-Entgeltgesetz, das auf Bun

desebene von der Regierung gegen die Stimmen der Fachleute, der Betroffenen und der Angehörigenver

) Von der Rednerin nicht überprüft.

bände durchgefochten wird, sollte ursprünglich zu mehr Transparenz und mehr ambulanter Behandlung führen. Das aktuelle Gesetz unterstützt gegenteilige Tendenzen. Es schreibt erneut Fehlanreize vor, die eine Finanzierung weiter an Krankenhausbetten koppelt. Das ist der falsche Weg!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Richtig ist es, Anreize zu schaffen, die zu einer

ambulanten Ausrichtung der Versorgung und ei ner individuellen, passgenauen Behandlung über die verschiedenen Behandlungsformen führen. Es müssen Anreize geschaffen werden, die die Vor- und Nachbehandlung von Menschen absichern und den Blick über die rein stationäre Behandlung hinaus fördern.

Die Kritiker dieses Psychiatrie-Entgeltgesetzes

haben allerdings, und dazu hat auch das Land Bre men beigetragen, einen vernünftigen Passus in das Gesetz hineinverhandelt, mit dem wir etwas anfan gen können. Dort heißt es jetzt, dass die Regionen aufgefordert sind, ich zitiere, „modellhaft alternati ve Behandlungs- und Finanzierungsformen zu ent wickeln“. Das ist eine Chance für Bremen, die wir nutzen sollten.