Protokoll der Sitzung vom 18.06.2014

(Beifall bei der CDU)

Uns ist wichtig, dass die Individualität und Altersgemäßheit in einem Bereich gewahrt bleiben, der vor allem durch Sensibilität gekennzeichnet sein sollte. Dennoch muss der Gesetzgeber deutlich machen, keinen Zweifel daran zu lassen, dass Sexualerziehung grundsätzlich ein ausdrücklicher Auftrag der Schule für alle ist und es ihm darum geht, immer noch stattfindende Diskriminierung mit sexuellem Hintergrund zu ächten.

Nur im Nebensatz sei erwähnt – wir haben hier jüngst über Mobbing gesprochen –, wir brauchen einen um inhaltliche Standards ergänzten Rahmen, an dem sich Sexualerziehung an Schulen transparent orientieren kann. Ich habe volles Vertrauen, dass unsere Lehrkräfte mit diesen Vorgaben eine gleichzeitig zeitgemäße, werteorientierte und die Individualität wahrende Sexualerziehung gestalten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Sexualerziehung soll aber ein ganzheitlicher Prozess sein. Eltern haben nicht nur ein allgemeines Erziehungsrecht, sondern auch das Recht und, ich ergänze, die Pflicht, die Sexualität betreffende Sozialisation ihrer Kinder zu begleiten und mitzuprägen. Wir haben von Anfang an darauf Wert gelegt, elterlichen Einfluss gerade in diesem Bereich nicht weitgehend auszublenden. Unser Ergänzungsvorschlag in unserem Antrag zielte auf die Vorstellung, dass die Schulen und die Erziehungsberechtigten gerade in diesem Bereich zusammen wirken sollen. Ich verstehe Ihre nun

eingebrachte Änderung als Schritt in dieselbe Richtung.

Ich sage deutlich, eher unverbindliche, reine Informationen, wie auch immer gestaltet, hätten uns nicht ausgereicht. Ich interpretiere den Antrag und die Begründung nun aber so, dass Sie das Informationsrecht stärker als im bisherigen Entwurf betonen wollen, und das finde ich selbstverständlich richtig, und das nimmt unser Anliegen in der Tendenz deutlich auf, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Es kommt nun darauf an, das ergänzte Wort umfassend mit Leben zu füllen. Ein Zettel von Schülerinnen und Schülern an ihre Eltern überbracht oder eben auch nicht wird dem unserer Auffassung nach nicht gerecht.

Ich erwarte von den Lehrkräften gerade in diesem Feld einen offen geführten Dialog mit den Eltern. Gerade hier müssen gegenseitiges Verständnis hergestellt werden und Klarheit und Transparenz über Ziele und Vorgehen herrschen. Unterschiedliche Meinungen und eine vielfältige Wirklichkeit wird es trotz der neuen Rechtslage geben, und da müssen im Einzelfall Respekt und Feingefühl das Verhältnis auf Augenhöhe und das Gespräch bestimmen, denn das erzieherische Handeln von Schulen und Eltern soll sich gerade in diesem Bereich ergänzen. Davon profitieren im Übrigen nicht zuletzt auch die Schulen.

Wir sind mit Ihrem Vorschlag einverstanden, denn wir fänden es gut, wenn in diesem Bereich grundsätzlicher Konsens besteht und das Signal dieser Debatte auch grundsätzliche Einigkeit ist. Wir stimmen insofern insgesamt Ihrem Anliegen zu und ziehen unseren Änderungsantrag zurück! – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen haben sich mit der Neufassung zur Sexualkunde nicht richtig leicht getan, aber ich finde, es ist ein ganz wichtiger und positiver Schritt, hier eine gemeinsame Lösung gefunden zu haben, denn es bedeutet schlichtweg, dass wir eben nicht ideologische Auseinandersetzungen auf dem Rücken der Schüler und Eltern führen, die dann auch die Praxis belasten, sondern hier einen gemeinsamen Weg gehen, und das ist ein gutes Ergebnis.

Es geht hier nicht darum, dass wir bestimmte Vorstellungen doktrinär verordnen wollen, es geht um das Recht von Schülerinnen und Schülern auf eine alters- und zeitgemäße sexuelle Aufklärung, dieses

Recht haben sie. Sie brauchen eine solche Aufklärung, um in einer Gesellschaft, in der sie nun einmal leben, vernünftig zurechtzukommen. Zu einer solchen zeitgemäßen Aufklärung gehört eben, dass Sexualität nicht nur zwischen Männern und Frauen stattfindet, sondern eine sexuelle Vielfalt gibt und sie normal ist. Hier hat die Schule unbestritten einen Bildungsauftrag. Schülerinnen und Schüler benötigen das, damit sie in einer Gesellschaft zurechtkommen, in der es für sie glücklicherweise gelebte Realität ist, und damit sie auch selbst zurechtkommen, denn es gibt auch Schülerinnen, die lesbisch, und Schüler, die schwul sind.

Der andere Aspekt, der aber an dieser Stelle bedacht werden muss, ist: In einer vollständigen Konfrontation zum Elternhaus und dem eigenen kulturellen Umfeld wird es nicht gelingen. Wir haben ja nichts davon, wenn wir einen Sexualkundeunterricht konzipieren, bei dem dann ein Teil der Schülerinnen und Schüler immer wegen Krankheit abwesend ist, weil es zu Hause keine Akzeptanz dafür gibt. Auch das ist ein Recht der Schülerinnen und der Schüler, dass die Schule versucht, diese Akzeptanz herzustellen und dass sie in solchen sensiblen Fragen den Kontakt zu den Eltern sucht und auch bei den Eltern für die Teilnahme an dem Unterricht wirbt.

Es ist ja nicht so, dass Schülerinnen und Schüler heutzutage für die biologischen Tatsachen der Sexualkunde auf die Schule angewiesen wären. Es finden Aufklärungsprozesse auch anders und völlig unabhängig von der Schule statt, aber gerade die Frage der sexuellen Vielfalt und des eigenen Umgangs damit gehören tatsächlich in den Mittelpunkt dessen, was die Schule leisten muss. Da müssen Schülerinnen und Schüler in ihrem Verständnis und in ihrer Haltung teilweise weitergehen, als es aus ihrem Elternhaus und ihrem Umfeld kommt. Daran kommen wir nicht vorbei.

Wir können den schulischen Bildungsauftrag nicht vollständig davon abhängig machen, welche Haltungen und Auffassungen im Elternhaus oder im eigenen Umfeld bereits vorhanden sind. Nebenbei: Das machen wir in Chemie und Mathematik auch nicht, nur, es ist da nicht so kompliziert. Wenn wir aber wissen, dass Konflikte vorhanden sind – und wir wissen das, und wir wissen auch, es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie auftreten werden –, dann ist es das Recht der Schülerinnen und Schüler, dass versucht wird, auch vonseiten der Schule beziehungsweise des Ressorts und der Politik, diese Konflikte zu entschärfen. So sehe ich jetzt die erzielte, geeinte Fassung, dass gerade über die Sexualkunde vorab und umfassend informiert wird, als eine Aufforderung an, diese Konflikte nicht mutwillig zuzuspitzen, sondern sich um ihre Entschärfung zu bemühen.

Diese Konflikte zwischen der eigenen Kultur, der eigenen Herkunftskultur und der gesellschaftlichen Realität, in der man lebt, sind für Jugendliche hart genug. Wir wissen, dass beispielsweise für junge

Frauen mit türkischem Migrationshintergrund solche Konflikte teilweise extrem hart sind und sie solche Konflikte erleben. Es gibt viele andere Konstellationen, bei denen gerade, wenn es um Rollenbilder, aber auch um Sexualität, um sexuelle Pluralität und Wertschätzung geht, Sichtweisen und Handlungen zwischen dem Elternhaus und der Schule auseinanderfallen können.

Die gefundene Einigung ist keine Abschwächung der ursprünglichen Intention, den Bildungsauftrag der Schule an dieser Stelle zu betonen. Ich sehe diese Formulierung eher als Stärkung der Intention, ich sehe sie als Forderung, dass sich die Schule mit diesem Auftrag mehr Mühe gibt, damit es auch gelingt, dass man eben nicht einfach ein Sexualkundebuch aufschlägt und das einmal durchnimmt, sondern die Schülerinnen und Schüler in ihrer ganzheitlichen Lebenssituation ernst nimmt und danach fragt, wie man es tatsächlich herüberbringen kann.

Ich muss an dieser Stelle aber auch einmal sagen, dass das etwas mehr Arbeit machen wird. Wir beschließen hier wieder einmal etwas, das zusätzliche Ansprüche an Lehrerinnen und Lehrer stellt, es sind mehr Zeit, mehr Überlegungen und mehr Kompetenz notwendig. Dies ist nicht ganz einfach in der schulischen Realität, das wissen wir, aber es ist trotzdem richtig. Es ist eine sehr gute Lösung, die wir hier gefunden haben, und wir tragen diese Lösung selbstverständlich mit. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Professor Dr. Quante-Brandt.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist für mich eine richtig tolle Debatte, weil sie einfach noch einmal zeigt, welchen zentralen Bildungsauftrag die Schule hat. Die Schule hat den Auftrag, unsere Kinder und Jugendlichen in dem mitzunehmen, was sie aus ihrer Herkunftsfamilie mitbringen, und die Schule hat den Auftrag, auch ein solches Thema wie Sexualität so zu thematisieren, dass sich unsere Kinder und Jugendlichen mit einem geschärften Blick und mit einer umfassenderen Meinung und Position zu diesem Thema, das sehr viel mit ihnen selbst, aber natürlich auch mit anderen zu tun hat, auseinandersetzen können.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich bin sehr froh über diese Gesetzesänderung, weil sie vor allem dieses Thema noch einmal neu aufruft, alle noch einmal neu auffordert, sich damit auseinanderzusetzen, was ich eigentlich heute bedenken muss, wenn ich Sexualkundeunterricht in der Schu

le anbiete, was ich heute bedenken muss, wenn ich die Vielfalt der Elternschaft vor mir habe, wie ich die Ansprache wählen muss, damit die Eltern diesen Weg auch gemeinsam mit ihren Kindern gehen, damit es nicht dazu kommt, dass dieses Thema in der Schule behandelt wird und zu Hause vielleicht gar nicht mehr. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich glaube, dass wir vernünftige Bildungspläne dafür haben, auf deren Grundlage wir das sehr gut umsetzen können.

Mein Eindruck ist, dass bis jetzt die Lehrkräfte in der Schule immer einen offenen und auch respektvollen Umgang mit diesem Thema versucht und praktiziert haben und sie sich – wohl wahr – der Vielfalt noch einmal neu stellen müssen.

Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass wir jetzt einen Antidiskriminierungsgedanken deutlich in das Gesetz einbezogen haben. Das ist, glaube ich, sehr, sehr wichtig, denn es heißt eben auch, dass wir uns mit der Homophobie, von der wir alle wissen, dass wir sie haben, auch in dieser Fragestellung auseinandersetzen müssen, genauso auch mit Bi- und Transsexualität.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das sind natürlich Sexualitätsthemen, die in der Schule nicht einfach zu diskutieren sind. An der Stelle teile ich den Hinweis von Ihnen, Frau Vogt. Ich weiß nicht, ob man gleich wieder mehr Zeit benötigt, um das vorzubereiten, aber dieses Thema in die Schule einzubeziehen, das halte ich für ausgesprochen wichtig. Das halte ich auch für nicht ganz leicht. Ich glaube, dass unsere Lehrkräfte das können, weil unsere Lehrkräfte sehr wohl wissen, dass das zu einer Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler auf alle Fälle gehört und sie für sich eine wichtige Aufgabe darin sehen, unsere Schülerinnen und Schüler darin stark zu machen, dass sie eine eigene sexuelle Identität entwickeln und auch respektvoll mit anderen sexuellen Identitäten umgehen können. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Da der Gesetzesantrag der Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen durch den Gesetzesantrag der staatlichen Deputation für Bildung erledigt ist, lasse ich jetzt über diesen Gesetzesantrag in zweiter Lesung abstimmen.

Gemäß Paragraf 51 Absatz 7 unserer Geschäftsordnung lasse ich zuerst über die Änderungsanträge abstimmen.

Meine Damen und Herren, gerade ist gemeldet worden, dass die CDU ihren Änderungsantrag zurückgezogen hat, damit ist er hinfällig.

Ich rufe den nächsten Änderungsantrag auf.

Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der CDU und DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 18/1447, Neufassung der Drucksache 18/1434, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Änderungsantrag zu.

(Einstimmig)

Ich lasse jetzt über das Gesetz zur Änderung des Bremischen Schulgesetzes, Drucksache 18/1307, in zweiter Lesung abstimmen.

Wer das Gesetz zur Änderung des Bremischen Schulgesetzes, Drucksache 18/1307, unter Berücksichtigung der soeben vorgenommenen Änderungen in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in zweiter Lesung.