Protokoll der Sitzung vom 22.10.2014

Als nächste Rednerin hat das

Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident,

werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Kollege Möhle hat recht, das Bremer Jugendhilfesystem ist auch unabhängig von der Situation, dass wir unbe gleitete minderjährige Flüchtlinge haben, überlastet, das ist wahr! Ich habe aber eben auch noch einmal deutlich gemacht, worum es uns in unserem An trag geht. Es geht uns darum, dass wir nicht in eine Situation zurückfallen wollen, wie wir sie bis zum Jahr 2010 hatten, und zwar deswegen nicht, weil die Erfahrungen damals gezeigt haben, dass es eben nicht dem Kindeswohl diente.

Es waren ja nicht nur die Bundesländer, die das

geändert haben, sondern es waren ja auch die Grü nen, die SPD und DIE LINKE, die damals darum gerungen haben, dass bei der Bewertung der Frage, welches Rechtsgebiet bei Jugendlichen unter 18 Jahren gültig ist, gesagt wurde, wir wollen aber, dass das SGB VIII gilt, also das Jugendamt zuständig ist, und nicht die Maßstäbe des Asylrechts greifen. Genau das würde jetzt wieder faktisch zurückgenommen werden, denn die Jugendlichen müssten erst einmal in eine Erstaufnahmeeinrichtung kommen, und die Probleme, die damit verbunden waren, habe ich Ihnen eben aufgezeigt.

Ich finde es allerdings auch richtig, da gebe ich

dem Kollegen Möhle recht, wir haben ja die Frage der finanziellen Umverteilung innerhalb der Kommunen mit der Novellierung des Paragrafen 89d SGB VIII noch einmal mit einbezogen. Es muss ganz dringend passieren, dass die Kommunen sich untereinan der entlasten. Diejenigen, die keine unbegleiteten Flüchtlinge aufnehmen, müssten dann zumindest auch finanziell Verantwortung übernehmen. Dass das nicht ausreicht, ist uns klar, also benötigen wir zusätzliche Mittel vom Bund, weil die kommunalen Haushalte insgesamt schlecht aufgestellt sind, das ist auch klar, deswegen haben wir diesen Beschluss punkt aufgenommen.

Ich habe nur gesagt, wir können eine Entlastung

der Großstädte auch anders erzielen, ohne dass wir eine Verschlechterung der Verteilung an die zentra len Erstaufnahmestellen erreichen. Ich habe gesagt, dass es nach geltender Gesetzeslage möglich ist. Allerdings wird dann erst in Obhut genommen und geklärt, welche Bedarfe vorliegen. Dann müsste man die finanziellen Verteilungsmechanismen anders regeln, damit die anderen örtlichen Jugendämter auch bereit sind, Jugendliche aufzunehmen. Es wäre also jetzt schon möglich!

Der zweite Punkt, der in der ganzen Debatte immer

viel zu kurz kommt: Ich habe eben gesagt, dass die tatsächlichen Zahlen der Inobhutnahmen oft nur vorübergehend gelten, denn viele Jugendliche, die hier ankommen, haben Verwandte, ältere Geschwis ter oder sogar leibliche Eltern, die in Deutschland wohnen. An genau diesem Punkt wird es schwie rig, dies ist eine Umverteilung oder Verteilung, die von den Jugendlichen selbst gewünscht wird, näm

lich zu ihren Verwandten zu gehen. Selbst das ist kompliziert, zeitaufwendig und scheitert oft an den jeweils zuständigen Ausländerbehörden, weil sie ihre Zustimmung verweigern. Das heißt, man hätte vielleicht gar nicht die Situation, dass die Großstädte immer auf diesem hohen Niveau bleiben müssten, wenn die Ausländerbehörden auch dazu verpflichtet würden, dem Kindeswohl zu dienen und zu sagen, dass diese Kinder und Jugendlichen, die Verwandte in unserem Kreis oder unserer Stadt haben, einfach aufgenommen und zu ihren Verwandten gelassen werden. Das sind alles Möglichkeiten, die Sie und auch der Senat durchaus einmal in Erwägung hätten ziehen können!

Den dritten Punkt unseres Antrags finde ich auch

relativ wichtig. Es ist eine Würdigung, da haben Sie recht, Bremen hat in den letzten drei Jahren viel auch für jugendliche unbegleitete Flüchtlinge geleistet, was die Erleichterung bei der Beschäftigungsauf nahme über die Ausbildung angeht und damit auch den Zugang zu einer Aufenthaltsverfestigung, die Aussprache von dreijährigen Duldungen. Ich glaube, wenn andere Bundesländer diesem Beispiel folgen würden – und ich würde Bremen tatsächlich bitten, über die verfügbaren Mittel des Senats zumindest auf die A-Bundesländer einzuwirken –, dann würden wir auch ganz andere Verteilungsmöglichkeiten per se haben. Dann würden die Jugendlichen nicht nur in die Stadtstaaten kommen, sondern dann würden sie auch in andere Bundesländer gehen.

Deshalb finde ich diesen dritten Punkt relativ

wichtig, weil man auch positive Beispiele bringen und sagen kann, dass die anderen Bundesländer einem das nachmachen müssen oder sollen, damit eben für Jugendliche auch klar ist, dass sie überall ähnlich akzeptable Bedingungen haben. Ich glaube, dann sitzen auch weniger im Zug von Hamburg nach Bremen, als es im Moment der Fall ist.

Ich finde, einen Punkt müsste man auch noch

einmal klären, und das ist tatsächlich die Frage – ich habe das eben angedeutet –, ob der Ausgleichsme chanismus nach Paragraf 98 d SGB VIII überhaupt ausreicht. Bislang hat Bremen, wie übrigens auch viele andere Städte, diesen Ausgleich nicht eingefordert, weil das Personal im Förderungsmanagement fehlte. Das ist jetzt behoben, wir haben, soweit ich weiß, drei zusätzliche Stellen eingerichtet – zumindest hat die Sozialdeputation das beschlossen –, aber ich glaube, dass das nicht ausreicht. Ich glaube, dass dieser Ausgleichsmechanismus immer noch zu kurz greift, und deshalb denke ich, dass die Forderung, dass der Bund die Länder und Kommunen bei der Unterbringung und natürlich auch bei den Folge kosten in der Kinder- und Jugendhilfe unterstützen muss, gerechtfertigt ist.

Ich muss hier einmal darauf hinweisen, dass ent

sprechende Verhandlungen bereits geführt werden. Am Donnerstag, also morgen, gibt es ein Treffen der Chefs der Senats- und Staatskanzleien mit Kanzler

amtschef Peter Altmaier zu der Frage, wie der Bund die Länder und damit die Kommunen in dieser Frage unterstützen kann. Damit wäre ein länderübergrei fender Ausgleich möglich, er ist auch in Planung, und eine Unterstützung des Bundes ist in Verhandlung. Ich finde, das sind die richtigen Schritte.

Ganz zum Schluss: Das, was jetzt passiert, verstößt

gegen internationales und nationales Recht. Nach der Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes im Jahr 2005 besteht die Pflicht zur Inobhutnahme bei unbegleiteter Einreise Minderjähriger. Artikel 24 Absatz 2 der EU-Aufnahmerichtlinie besagt: Der Wechsel des Aufenthaltsorts bei unbegleiteten Min derjährigen ist auf ein Mindestmaß zu beschränken, und die Verteilungsverfahren nach Paragraf 44 Asyl verfahrensgesetz und 15 Aufenthaltsgesetz sind bei in Obhut genommenen minderjährigen Asylantrag stellern rechtswidrig, weil das nicht vereinbar mit dem Schutzauftrag nach dem Sozialgesetzbuch ist.

Daher finde ich diesen Vorstoß rechtlich problema

tisch und hätte mir eine andere Lösung gewünscht, wobei auch klar ist, Herr Möhle, dass irgendwann die Grenze erreicht ist, aber ich habe eben Möglich keiten aufgezeigt, wie man es hätte anders regeln können. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das

Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr

verehrten Damen und Herren! 16 Bundesländer haben sich dafür entschieden, die Verteilung un begleiteter minderjähriger Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel zu machen, und sie werden das als Ländervertreter gegenüber dem Bund auch zu Ausdruck bringen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich bin fest davon überzeugt, um das auch noch

einmal zu sagen, dass das Jugendhilfesystem nicht per se nicht funktioniert. Wenn der Eindruck hier so geschildert wird, dass ich das so gemeint hätte, sage ich, nein, mitnichten! Wenn man dann aber schlagartig relativ kurzfristig über 400 unbegleite te minderjährige Flüchtlinge betreuen muss, dann braucht man einen Vormund – ohne Vormund geht das nämlich nicht –, dann braucht man Sprachkurse, Sozialpädagogen, Sozialarbeit. Alles das braucht man dann relativ kurzfristig. Das meine ich damit, dass das Jugendhilfesystem damit überfordert ist, das jetzt in so kurzer Zeit vernünftig zu bewältigen. Dass daran gearbeitet wird, bin ich ganz sicher, und ich weiß auch, dass das Sozialressort sehr viel daran arbeiten muss, weil es eben nicht so einfach ist, wie man sich das manchmal vorstellt, und die Kompli

ziertheit liegt natürlich auch in der Vielschichtigkeit der Flüchtlinge selbst. Das noch einmal dazu!

Den Antrag der LINKEN werden wir ablehnen.

Zu den Änderungsanträgen der CDU bezüglich der ganzen Frage über Europa sagt mein Kollege Herr Dr. Kuhn gleich noch einmal etwas. Ich hätte auch sehr viel Lust, darüber zu diskutieren, wie wir eigentlich die Krisenherde der Welt in Griff bekommen, welche europäische Außenpolitik man dafür bräuchte, aber das würde den Rahmen aus meiner Sicht an dieser Stelle zu weit fassen. Ich will dafür sorgen, dass wir die 400 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, aber auch die erwachsenen Flüchtlinge in unserem Bundesland vernünftig aufnehmen. Mit vernünftig meine ich nicht nur materiell vernünftig, sondern auch mit einer gewissen Offenheit, und das erlebe ich, wie gesagt, in Blumenthal – darauf will ich noch einmal kurz eingehen! – derzeit eben nicht.

Wenn dann der Kollege Bensch meint, er müsse zu

einer öffentlichen Diskussion in Blumenthal einladen,

(Zuruf des Abg. B e n s c h [CDU])

dann sage ich nur, dadurch zündelt man ein wenig mit dem Feuer. Wenn man sich die Seite anschaut, und ich habe das getan – –.

(Zuruf des Abg. B e n s c h [CDU])

Es gibt, und das habe ich nie abgestritten, berech

tigte Bedenken und Diskussionsbedarfe, aber was da teilweise gefordert wird, geht weit darüber hinaus. Wenn der Verfassungsschutz sagt, dass es noch nicht bedenklich ist aus Gründen des Verfassungsschutzes, dann sagt er das deswegen, weil Rechtspopulismus eben gerade die Grenze der Rechtsstaatlichkeit nicht überschreitet, aber immer knapp davor ist. Knapp davor sind ganz viele dieser Einträge, die man auf der Seite nachlesen kann.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dem darf man kein Forum und auch keine Plattform bieten.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Deswegen soll man nicht diskutieren?)

Ich bin felsenfest der Meinung, auch wenn Sie

das ärgert, dass Sie da einen sehr großen Fehler machen. Ich würde mir wünschen, dass Sie vor Ort den Ortsamtsleiter, der in dieser Frage eine richtig gute Politik macht, unterstützen würden.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das hätte ich mir gewünscht, und nicht, dass Sie