Protokoll der Sitzung vom 21.01.2015

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt eben auch in der Landespolitik eine fatale

soziale Schieflage. Seit dem Jahr 2007 sind zwei große Prozesse gestartet worden, der eine ist der Ausbau der Kindertagesbetreuung, er andere ist das fast vollständige Ende der öffentlich geförderten Beschäftigungen. Der Ausbau der Kindertagesbetreu ung kam bislang überwiegend den besser gestellten Stadtteilen zugute, dafür gab es Gründe, die in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf lagen, aber es ist auch eine Tatsache, dass hier vor allem in die soziale Infrastruktur in den wohlhabenden Vierteln investiert worden ist.

Das Ende der öffentlich geförderten Beschäftigun

gen hat wiederum überwiegend die benachteiligten Stadtteile getroffen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Arbeitslosigkeit, sondern auch hinsichtlich der sozialen Strukturen, die damit erhalten wurden, der Stadtteilprojekte, der Initiativen und der Netzwerke in Sozialräumen. Hier muss man festhalten, auch auf der Ebene der Landespolitik werden die Ortsteile auseinanderdividiert.

Hier verstetigt sich ein ungünstiger Kreislauf.

Menschen, die über längere Zeit nichts mehr von der Politik erwarten können, nehmen am politischen Leben nicht mehr teil. Ich zitiere Günther Warsewa vom IAW, der in der zweiten Sitzung des Armuts ausschusses sagte: „In vielen Bereichen ist es für die Menschen einfach sinnlos zu wählen, weil sie sich zu Recht nichts davon versprechen.“

Nun ist Bremen auch ein Bundesland, das hochver

schuldet ist, und in den Zeiten, in denen die Mittel knapper werden, findet fast automatisch, ob bewusst oder unbewusst, ein Prozess statt, in dem die Mittel dahin gesteuert werden, wo es noch einen direkten Profit bei den Wählerstimmen gibt. Ich will dies noch nicht einmal allein der Politik des Senats anlasten. Jeder kann in Bremen und in den Gremien erleben, wie sich gut organisierte Bürgerinnen und Bürger der eher privilegierten Stadtteile vernetzen, für die Berücksichtigung ihrer Interessen einstehen und diese einfordern. Wenn ich den Abgeordneten der Koalition und dem Senat aber eines anlaste, dann ist es das, das sie sich oft zu sehr davon beeindrucken lassen, dass bewusste Entscheidungen für nicht privilegierte Stadtteile darunter leiden, und das ist ein fataler Kreislauf.

(Glocke)

Es fehlt im Armutsbericht jede Form von Strategie

gegen Armut, und der Senat hat auch keine Stra tegie für die Armutsbekämpfung, und dies ist auch ein Befund des Armutsausschusses. Bremen hat im Gegensatz zu vielen anderen Kommunen, vor allem Kommunen, in denen die Menschen arm sind, kein integriertes Gesamtkonzept, obwohl Rot-Grün nach vielen Jahren der Ignoranz der Großen Koalition mit der CDU im Jahr 2007 mit solch hehren Zielen ange treten ist. Man kann an dieser Stelle darüber streiten, wie weit man mit solch einer Strategie kommt, aber man muss eine Strategie haben. Damit ende ich für die erste Runde. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN – Abg. D r. K o r o l [BIW]: Das stimmt!)

Als nächster Redner hat das

Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr

verehrten Damen und Herren! Bremen beschäftigt sich schon länger ausführlich mit dem Thema Armut.

Es gibt die Armutskonferenz, es gibt den Ausschuss gegen Armut – der hat einen etwas längeren Namen, aber ich verkürze das an dieser Stelle einmal –, und es gibt für dieses Thema eine Diskussionsrunde, die beim Bürgermeister angesiedelt ist. Wir können aber das Problem nicht lösen, dass die Schere, obwohl die Wirtschaft in Bremen auch in der Krise robust, stabil, ansteigend und gut aufgestellt ist, weiter auseinandergeht.

Wir als Sozialpolitiker können das auch nicht

auflösen. Wir können Hilfe leisten, wir können An gebote der Teilhabe machen, alles das können wir machen, und ich sage einmal, das tun wir in einem riesigen Umfang. Wir haben WiN-Gebiete, die ge fördert werden. Wir haben in den WiN-Gebieten Quartiersmanager. Wir haben ein riesiges Angebot: Täter-Opfer-Ausgleich, Beratungsstellen, Gesund heitstreffs! Man kann gar nicht alles aufzählen. Ich habe einmal angefangen, eine Liste auszustellen und habe irgendwann aufgehört, weil es wirklich eine unzählige Anzahl von Maßnahmen gibt, die Menschen in Not helfen.

Diese Maßnahmen führen aber nicht aus der Armut,

sie führen dazu, dass Kinder mit der blauen Karte zum Beispiel ein kostenloses Mittagessen bekommen. Das macht die Kinder nicht reicher, aber zumindest satt, was für den Lernerfolg auch nicht unerheblich ist.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Bei der Kinderarmut ist es aber ohnehin eher so,

dass die Eltern arm sind und die Armut der Eltern sich auf die Kinder auswirkt. Wir bemühen uns redlich darum, diese Armut aufzufangen und auszugleichen. Wir sagen ganz deutlich, die Strategie, Frau Vogt, ist: Bildung, Bildung und noch einmal Bildung! Das ist der Schlüssel gegen Armut.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Das sieht man!)

Wir sagen, mit frühkindlicher Bildung muss man

schon in den Kindergärten anfangen und darauf achten, und wir haben ein Betreuungsprogramm aufgelegt ohnegleichen, und zwar mit einem großen finanziellen Kraftaufwand.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dies zu negieren, finde ich, wird der eigentlich

angemessenen notwendigen Diskussion in keiner Weise gerecht. Wenn Sie sagen, wir orientieren unsere Politik entlang der zu erwartenden Wählerstimmen, mit Verlaub, das finde ich nun so abseitig wie sonst irgendetwas.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Schauen Sie sich einmal unsere Bemühungen an!

Natürlich ist bei der Kinderbetreuung doch völlig klar, dass Familie und Beruf die eine Seite der Medaille und die Menschen mit sozialen Schwierigkeiten die andere Seite ist.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Es schafft auch Arbeit für Frauen!)

Das schafft auch Arbeit!

Ich weiß auch, dass wir auf vielen Gebieten nach

wie vor Probleme haben, aber ich sage noch einmal, dass die Wirtschaft stabil und robust ist. Warum gelingt es eigentlich nicht, das Problem der Lang zeitarbeitslosigkeit zu lösen? Das liegt doch nicht daran, dass die Politik nicht versucht, Programme zu entwickeln, Dieter Reinken, unser arbeitsmarktpo litischer Sprecher, vorneweg! Es gibt Versuche und Bemühungen. Wo ist eigentlich das Engagement der Wirtschaft? Dann muss man, wenn im Armutsbericht festgestellt wird – ich sage es einmal etwas salopp –, dass die einen immer reicher und die anderen immer ärmer werden, genau über diesen Zusammenhang das eine oder andere Mal auch nachdenken.

Wir haben im Bundestagswahlkampf versucht –

die Grünen übrigens auch –, ein Steuerprogramm zu entwickeln und zu sagen, dass diejenigen, die viel verdienen, sich auch mehr beteiligen sollen. Der Wahlerfolg war nicht so berauschend, dass man sagen könnte, es wird jetzt durchgesetzt. Das sind dann eben die Ergebnisse von Wahlen, und daraus folgt dann, dass bestimmte Dinge nicht so umgesetzt werden können, wie man es sich wünscht. Das heißt nicht, dass man nicht weiter darum werben muss, dass starke Schultern – und in Bremen haben wir viele starke Schultern, es sind auch viel mehr geworden, und die Schultern sind auch viel breiter geworden – sich mehr beteiligen sollen. Dem Reichtum in Bremen steht – und das schmerzt als Sozialpolitiker ganz besonders – tatsächlich einer ziemlich massiven Armut gegenüber.

Ich würde mir wünschen, dass man weit über das

bürgerschaftliche Engagement der Reichen hinaus, das man in Stiftungen in dieser Stadt erfreulicher weise hat, die Strukturen so verändert, dass Armut gemildert wird. Ich glaube nicht, dass man davon sprechen kann, dass Armut abgeschafft wird. Jetzt sage ich etwas Verwerfliches, vielleicht werde ich dafür auch Prügel bekommen: Wenn wir in Deutsch land von Armut reden, dann reden wir nicht von einer Armut, wie sie in Indien, Pakistan oder Afrika herrscht, dann reden wir von einer relativen Armut. In Deutschland ist es nicht so, dass Menschen Hunger leiden müssen!

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Nein, aber sie können nicht teilhaben am Leben, das ist das Problem!)

Das ist ein Niveau, über das man reden muss.

Dass wir versuchen müssen, Armut abzubauen, ist für mich gar keine Frage. Ich bin aber vor einigen Jahren nach Pakistan gereist, und wenn man dort gewesen ist, dann verändert man seinen Blick auf Armut schon auch ein bisschen.

(Beifall bei der SPD)

Das soll nichts relativieren, auch nicht unsere

Anstrengungen, in keiner Weise, das soll nur den Hinweis geben, dass man auch nicht so tun muss, als sei Armut in Deutschland mit dem nackten Elend kurz vor dem Ableben gleichzusetzen. So ist es in Deutschland nicht, und ich bin froh, dass die Sozi algesetze in Deutschland so sind, wie sie sind, dass sie genau das verhindern.

Ich nenne noch einen Punkt, der mir in dieser Frage

immer noch zu wenig diskutiert wird. Im letzten Jahr wurden 600 Kinder in Obhut genommen. Das sind 600 Kinder, die schon durch ihre Familienproblematik einen ganz schwierigen Start ins Leben haben, und zumeist sind es dann auch diejenigen, die am Ende auf der Strecke bleiben. Um genau diese Kinder müssen wir uns verstärkt kümmern. Ich sehe auch, dass es dort Bemühungen und Anstrengungen gibt.

Es besteht die Situation, dass viele Eltern über