Protokoll der Sitzung vom 21.01.2015

Wenn der Bürgermeister in seiner diesjährigen

Neujahrsansprache den Menschen verspricht, Bildung sei der Schlüssel zur Armutsbekämpfung, im Übrigen eine Erkenntnis, die auch seit mehr als acht Jahren ein Bestandteil unserer politischen Debatten ist, wenn er jetzt verspricht, an einem Ganztagsschulprogramm arbeiten zu wollen, dann sage ich: Ja, herzlichen Glückwunsch, sehr geehrter Herr Bürgermeister! Dieses Ganztagsschulprogramm brauchen wir schon viel länger, und es war Ihre Regierung, die den Ausbau der Ganztagsschulen entschleunigt hat, die Mittel in dem Bereich zurückgenommen hat, statt in die Bildung unserer Kinder zu investieren!

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Was?)

Dass ausgerechnet Sie sich jetzt am Ende Ihrer

politischen Karriere hinstellen und sagen, Sie wollen ein Ganztagsschulprogramm, das ist, finde ich, ein Armutszeugnis für Ihre persönliche Leistungsbilanz, sehr geehrter Herr Bürgermeister!

(Beifall bei der CDU)

Die Wahrheit ist, dass der Senat durch diesen

Armuts- und Reichtumsbericht seine gegebenen Ver sprechen widerlegt erhalten hat. Ihre Versprechungen haben den Menschen tatsächlich nicht geholfen. Die etwas verklärten Bemühungen, die heutige Situation historisch zu erklären, finde ich, sehr geehrte Frau Senatorin Stahmann, ehrlicherweise auch schon ein bisschen peinlich. Sie lassen die Bürgerinnen und Bürger, Frau Stahmann, heute im „Weser Report“ wissen, dass man einen langen Atem brauche. Ja, den braucht man in der Armutsbekämpfung ganz sicher, aber ich finde sieben Jahre sind schon ein ganz schön langer Atem. Wenn sich nach sieben Jahren die Lage nicht nur nicht verbessert, sondern verschlechtert hat, dann ist es vielleicht auch einmal an der Zeit, Verantwortung für das Scheitern der eigenen Politik zu übernehmen.

(Beifall bei der CDU)

Ehrlicherweise, sehr geehrte Frau Stahmann, bei

aller Wertschätzung, der Umstand, dass wir heute noch in der Spitzengruppe, fast an der Spitze der Arbeitslosenquote liegen, dass wir die höchste Quote bei den Langzeitarbeitslosen haben, dass wir die meisten Kinder haben, die armutsgefährdet sind und in Armut aufwachsen, ist nicht das Ergebnis der Werftenkrise von vor 25 Jahren, sondern das ist auch das Ergebnis Ihrer Politik, die nämlich mit vielen Anstrengungen nicht die Wirkung erzeugt hat, die Sie tatsächlich erreichen wollten. Sie haben den Menschen geholfen, in der Armut zu leben, das gestehe ich Ihnen zu, aber Sie haben den Menschen nicht geholfen, aus der Armut herauszufinden, und das ist eigentlich die Aufgabe von Armutsbekämp fung in Bremen und in Bremerhaven.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen sage ich, meine sehr verehrten Damen

und Herren, ja, Bildung ist der Schlüssel zur Be kämpfung von Armut, und ja, Sie haben im Bereich Bildung auch Investitionen getätigt, aber Sie haben bisher den gewünschten Erfolg nicht erreicht. Ich sage auch, Sie haben es mit Ihren beschäftigungspo litischen Maßnahmen offensichtlich nicht geschafft, die Anforderungen des Arbeitsmarktes mit den Qua lifikationen der Arbeitslosen in Einklang zu bringen. Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, erwarte ich, dass der Präsident des Senats und der von ihm geführte Senat, wie andere Senatoren und andere Bürgermeister in früheren Zeiten vor ihm auch in anderen politischen Sachverhalten, zunächst einmal ein klares Wort zu seiner Verantwortung sagt.

Sehr geehrter Herr Möhle, nicht die Wirtschaft,

nicht die Bundesregierung und nicht die Welt ist daran schuld, dass wir in Bremen die höchste Armutsquote und die höchste Armutsgefährdung haben! Dass das so ist, ist das Ergebnis der Politik, und die Politik in Bremen hat seit sieben Jahren einen Namen, und der ist Rot-Grün. Stehlen Sie sich nicht aus dieser Verantwortung!

Ich habe mit großem Ärger gehört, dass der Schlüs

sel zur Bekämpfung von Armut jetzt der neue BremenPass sein soll.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das hat auch keiner gesagt! – Abg. Frau K r ü m p f e r [SPD]: Wer hat das gesagt?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, an die sem Beispiel kann man die politischen Unterschiede zwischen Ihnen und uns deutlich machen.

Mit dem Bildungspass, das einzige konkrete Vor

haben, das seit der Ankündigung des Bürgermeisters von vor einem Jahr wohl jetzt endlich Wirklichkeit werden soll, der Bremen-Pass führt nur dazu, dass die Menschen in Armut würdevoller leben können, aber er hilft keinem einzigen Menschen aus seiner Armut heraus. Den Wettbewerb darum, was man den Menschen in Armut noch alles Gutes tun kann, den werden Sie vielleicht gewinnen. In den Wettbewerb, wer die besseren Konzepte hat, um den Menschen aus der Armut herauszuhelfen, treten wir als CDUFraktion gern mit Ihnen ein. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das

Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider stehe ich öfter einmal hier an dieser Stelle, nachdem Sie geredet haben, Herr Röwekamp, und auch wenn manches von dem, was Sie gesagt haben,

sich sozusagen gewissen Wahrheiten annähert, sind doch im Großen und Ganzen – für meinen Geschmack jedenfalls – zu viele Tricks und Wendungen dabei, um etwas anderes zu suggerieren als das, was in dieser Stadt tatsächlich stattfindet. Das haben Sie gerade eben wieder gezeigt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wir hatten vor acht Jahren einige wenige Ganz

tagsschulen, während wir heute ungefähr 35 ha ben, und das ist für Sie Stagnation oder Abbau. In Wirklichkeit ist es aber eine Vervielfachung an Ganztagsschulen, die im Land Bremen angeboten werden, und das ist eben das Gegenteil dessen, was sie gerade gesagt haben.

Dass jemand behauptet hätte, der Bremen-Pass

wäre der Weg aus der Armut: Es ist überhaupt kein Gegensatz, den Menschen, die im Moment arm sind, auch ein Stück weit zu ihrer Würde zu verhelfen und gleichzeitig nach Wegen aus der Armut zu suchen. Sie haben diesen Gegensatz gerade mit der falschen Behauptung konstruiert, wir hätten den Bremen-Pass als Gesamtlösung für das Armutsproblem gesehen, aber es ist überhaupt keiner! Das ist auch wieder einer dieser rhetorischen Tricks, mit denen Sie glauben, die bremische Bevölkerung für dumm verkaufen zu können!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich halte das Thema, das heute Gegenstand der

Aktuellen Stunde ist, für ein absolut zentrales Thema, und ich habe den Eindruck, dass wir uns da einig sind. Soziale Spaltung und soziale Ausgrenzung sind nicht nur allgemein ein zentrales Thema, sondern auch in Bremen. Ich glaube, dass es auf Dauer keine gesunde, gut funktionierende demokratische, als Grüner darf man sagen, auch keine ökologische Gesellschaft geben kann, wenn wir die Gesellschaft weiter auseinander driften lassen und die soziale Spaltung nicht entschieden und wirksam bekämpfen. Das ist ein ganz zentraler Baustein auch der Politik dieser Regierung, und wir müssen – anerkennend, dass es selbstverständlich ein gewisses Maß an Un gleichheit in freien und offenen Gesellschaften gibt – diese dramatische Auseinanderentwicklung auf ein für alle oder wenigstens für viele akzeptables Maß zurückschrauben. Das Auseinanderdriften der Gesellschaft, das im Moment weltweit, in Europa, in Deutschland, aber eben auch, und das ist zu Recht bemerkt worden, in Bremen festgestellt wird, zu re duzieren, das ist eine zentrale Aufgabe auch für den Erhalt – das schließt fast an die vorherige Debatte an – unserer demokratischen Gesellschaft. Insofern ist schon etwas gewonnen, wenn wir uns im Kern einig darüber sind, welche große Aufgabe wir da vor uns haben und welche Bedeutung das Ganze hat.

Ich halte es auch für vollkommen selbstverständlich

und absolut nachvollziehbar, wenn die Opposition sagt, wir messen eine Regierung nicht an Absich ten, sondern an Fakten und Ergebnissen, denn das ist natürlich das Ziel der Politik. Kein Armer wird sozusagen ein besseres Leben gewinnen, wenn Arbeitskreise getagt haben, sondern es wird ein besseres Leben geben, wenn diese Arbeitskreise Ergebnisse haben, die auf mittlere und lange Sicht dann auch tatsächlich das Leben der Menschen konkret verbessern. Wir haben hier keinen Dissens, das ist eine Grundlage des Bewusstseins der Arbeit des Senats und der beiden Koalitionsfraktionen, wir haben hier überhaupt keine andere Meinung.

Ich halte auch die Frage nach der Transparenz

des Armuts- und Reichtumsberichts des Senats für eine Selbstverständlichkeit. Wer glaubt denn, dass sich Verhältnisse in einer Gesellschaft tatsächlich verbessern ließen, wenn man die Hauptarbeit darin investieren würde, bestimmte soziale Daten und soziale Umstände zu verschleiern, mit rosaroten Wölkchen zu verzieren oder irgendwie den Eindruck zu erwecken, als ob man hier etwas zu verstecken hätte? Es war immer die Absicht dieser rot-grünen Landesregierung, hier mit offenen Karten zu spielen und alles auf den Tisch zu legen, sowohl bezüglich der Entwicklung der Armut als auch der des Reichtums, um dann politisch – wie wir es heute tun – und ge sellschaftlich in eine Diskussion darüber einzutreten. Transparenz ist geradezu die Grundlage dessen und zeigt auch unseren entschiedenen Willen, hier zu Verbesserungen zu kommen und sich dem Thema eindeutig zu stellen, auch der Kritik.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Im Übrigen können Sie daran sehen, Herr Röwe

kamp, dass diese Regierung so stabil ist und so ein großes Vertrauen hat, auch in Zukunft zu regieren, dass wir nicht glauben, auch nur im Entferntesten unsere politischen Chancen zu gefährden, wenn wir einen ungeschminkten Bericht über Armut und Reichtum auf den Tisch der bremischen Bevölkerung legen. Wir sind sicher, dass die Menschen wissen, wie komplex und schwierig dieses Thema ist. Sie kennen sich dort auf der einen oder anderen Seite der Gesellschaft aus, und sie glauben nicht daran, dass es ihnen in ihrem Leben tatsächlich besser gehen würde, wenn sie eine Regierung hätten, die ihnen das Blaue vom Himmel erzählt, sondern sie wissen, dass das ein ganz steiniger Weg ist, den Sie im Übrigen in Ihrer Regierungszeit ganz genauso gegangen sind. Sie kennen die Fakten, die dort zugrunde liegen, ganz klar.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich glaube, im Hinblick auf klare Aussagen im

Bericht und klare Aktionen in der Politik hat sich

diese rot-grüne Landesregierung, diese rot-grüne Koalition überhaupt nicht zu verstecken. Ich habe eine grundsätzlich völlig andere Auffassung als Sie zu der Frage der Notwendigkeit und der Rolle von Umverteilung. Ich glaube, dass die öffentliche Hand, das Gemeinwesen, der Staat immer weiter sozusagen ins Hintertreffen gerät, was die Ressourcen angeht, wenn sich Reichtum in dieser Art und Weise akku muliert in den Händen von ganz wenigen – in den USA hat Thomas Piketty, ein französischer Wissen schaftler, festgestellt, haben inzwischen 0,01 Prozent der Bevölkerung über16 Prozent des gesamten Ver mögens verfügen, die OECD hat gerade gesagt, ein Prozent auf der Welt besitzt so viel wie 99 Prozent –, und Sie sagen, das hat alles gar nichts zu sagen, das hat alles gar nichts miteinander zu tun! Wir sagen, das hat eine verdammte Menge damit zu tun! Hier müssen wir auch durch die entsprechenden politi schen Maßnahmen Abhilfe schaffen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Mich interessiert ehrlich gesagt überhaupt nicht,

ob die Anzahl der Stimmen für die Grünen bei der letzten Bundestagswahl ein Prozent herauf oder herunter gegangen ist. Es bleibt richtig, dass wir bei den Spitzensteuersätzen wieder in die Richtung der von Helmut Kohl damals beschlossenen Spitzensteu ersätze gehen müssen, und es bleibt richtig, dass wir die Erbschaftssteuer oder eine Vermögensabgabe brauchen, weil sonst weder der Staat noch die Zi vilgesellschaft in der Lage ist, das Problem, über das wir heute sprechen, wirksam zu bekämpfen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)