Protokoll der Sitzung vom 19.02.2015

Altersarmut in Bremen und Bremerhaven

Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE

vom 26. November 2014

(Drucksache 18/1652)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 20. Januar 2015

(Drucksache 18/1710)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Dr.

Schulte-Sasse.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat

der Senat die Möglichkeit, die Antwort, Drucksache 18/1710, auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Ich gehe davon aus, Herr Senator Dr. Schulte

Sasse, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE nicht mündlich wiederholen möchten, sodass wir in eine Aussprache eintreten können.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete

Frau Vogt.

Frau Präsidentin,

meine Damen und Herren! Vorab: Der DGB hat im letzten Jahr eine Berechnung vorgelegt, wie sich die durchschnittliche Rentenhöhe bundesweit und nach Bundesländern differenziert entwickeln wird, wenn das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent sinken wird. Diese Statistik zeigt, dass Bremen bei den durchschnittlichen Rentenzahlbeträgen im Jahr 2011 an letzter Stelle der Bundesländer und damit logischerweise deutlich unter dem Bundesdurch schnitt lag. Das besagte im Übrigen auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion vom August des Jahres 2012, auch

darin liegt Bremen bei der Rentenhöhe am Ende der Bundesländer.

Ich mache diese Vorbemerkung nicht ohne Grund,

es hat mich nämlich sehr gewundert, dass in der Antwort des Senats auf Frage 1 behauptet wird, Bremen läge bei den Zahlbeträgen der Altersrenten ziemlich genau auf der Höhe des Bundesdurschnitts.

Das widerspricht allen Publikationen, nicht nur

den beiden, die ich soeben genannt habe, sondern auch denen der Arbeitnehmerkammer und des PA RITÄTISCHEN.

Ich weiß, dass die Rentenberechnung manchmal

schwierig ist, weshalb unterschiedliche Zahlen ge genübergestellt werden. Der zitierte Band der DRVSchriften enthält gerade keinen Bundesländerver gleich. Hier sind wahrscheinlich Zahlen verglichen worden, die nicht zusammenpassen. Der Vergleich mit dem Bund muss daher dringend überprüft werden.

Insgesamt kommt auf Bremen ein massives Pro

blem von Altersarmut zu. Bei den Neuzugängen in Rente – siehe die Antwort auf Frage 4 – liegen heute bundesweit bereits 65 Prozent aller Rentnerinnen und Rentner unterhalb der Armutsrisikoschwelle von 850 Euro, bei Frauen sind es sogar 80 Prozent. Dass die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter lange Zeit vergleichs weise gering war, liegt hauptsächlich – auch das ist bekannt – daran, dass viele Rentnerinnen und Rentner sie nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie dazu be rechtigt wären. Ein immer größerer Teil -auch das ist bekannt – stockt seine Rente durch Erwerbstätigkeit auf, insbesondere durch geringfügige Beschäftigung.

Obwohl viele Rentnerinnen und Rentner die Grund

sicherung nicht in Anspruch nehmen, steigt die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsi cherung im Alter rapide an. Wir müssen aufgrund der prekären und unterbrochenen Erwerbsbiografien der vergangenen 10, 15 Jahre leider damit rechnen, dass dieser Trend sich fortsetzt.

Eine besonders stark vernachlässigte Problem

gruppe sind die Bezieherinnen und Bezieher von Erwerbsminderungsrente. Die Altersrenten haben von 2000 bis 2011 praktisch stagniert; danach gab es einen deutlichen Anstieg. Die Erwerbsminderungsrenten waren von dieser Entwicklung abgekoppelt; sie liegen heute weit unter dem Niveau von vor 15 Jahren. Hier baut sich auch für Bremen ein massives Armutspro blem auf. Das liegt natürlich insbesondere an den ungerechten zusätzlichen Abschlägen. Diese müssen endlich auf Bundesebene beseitigt werden; sonst bedeutet Rente wegen Erwerbsminderung eigentlich immer Armutsrente. Das ist nicht akzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der LINKEN)

Eine weitere Personengruppe, die zunehmend

von Armut im Alter betroffen ist, sind ältere Aus

länderinnen und Ausländer oder Migrantinnen und Migranten. Auch deren Zahl steigt massiv an. Jeder dritte migrantische Mann über 65 Jahre in BremenStadt bezieht Leistungen nach dem SGB XII, in Bremerhaven jeder Vierte. Die Tendenz ist auch hier steigend. Wir können heute wahrscheinlich noch gar nicht abschätzen, wie stark wir es in ein paar Jahren mit Altersarmut in Bremen und Bremerhaven zu tun haben werden, wenn auf Bundesebene nicht gegengesteuert wird.

Die Ursachen sind eigentlich bekannt: die Absen

kung des Rentenniveaus durch die sogenannte „große Rentenreform“ und die Zunahme von prekärer, nicht existenzsichernder Beschäftigung. Genau Letzteres zeigt, dass wir auch im Land Bremen enormen Hand lungsbedarf haben. Denn wie wir wissen, ist Bremen leider die Hochburg von prekärer Beschäftigung mit einer hohen Leiharbeitsquote beziehungsweise inzwischen sogar einer hohen Quote von Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmern mit Werkverträgen, mit einem großen Niedriglohnsektor und einem hohen Anteil an geringfügig Beschäftigten. Insgesamt ist es in Bremen so, dass wir einen immer höheren Anteil „atypischer Beschäftigungsformen“ vorfinden.

Wenn die Landespolitik hier nicht stärker gegen

steuert, dann werden die Rentenverhältnisse speziell in Bremen und Bremerhaven irgendwann tatsächlich – an dieser Stelle benutze ich das Wort – katastrophal. „Altersarmut entsteht nicht erst im Alter.“ So heißt es ganz richtig in der Antwort.

Was ich nicht teilen kann, ist die Position des

Senats: „Der Senat plant … keine landespolitischen Initiativen, die speziell auf ältere Menschen zielen, um der Altersarmut zu begegnen.“ Liebe Kolle ginnen und Kollegen, das wird notwendig sein. Es beginnt damit, ältere Menschen besser über ihre Rechte aufzuklären, zum Beispiel über ihr Recht auf Grundsicherung im Alter.

Hier war unterschwellig die Auffassung zu hören –

das ist vorsichtig angesprochen worden -, wenn eine solche Aufklärung stattfände, würde das den Lan deshaushalt sprengen. Da aber der Bund die Kosten der SGB-XII-Leistungen inzwischen zu 100 Prozent übernimmt, sollte diese Haltung der Vergangenheit angehören. Wer Rechte auf Leistungen hat, sollte entsprechend aufgeklärt werden, um diese Rechte auch wahrnehmen zu können. Das ist meiner Mei nung nach die erste Strategie zur Bekämpfung von Armut älterer Menschen; denn hier besteht offenbar Handlungsbedarf. Ich werde mich in der zweiten Runde noch einmal melden. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächster hat das Wort

Herr Kollege Möhle.

Frau Präsidentin, meine sehr

verehrten Damen und Herren! Fast möchte man

sagen, es passt ganz gut, dass wir über das Thema heute debattieren, weil der PARITÄTISCHE heute seinen Armutsatlas herausgegeben hat. Der PARITÄ TISCHE weist darauf hin, dass wir den Rentnerinnen und Rentnern besondere Aufmerksamkeit widmen sollten. Das macht der PARITÄTISCHE nicht ohne Grund; auch er sieht große Probleme auf uns zukom men. Probleme sind aber auch schon real.

Altersarmut ist ein Bereich des Problems der all

gemeinen Armut, zugegebenermaßen ein besonders bedrückender, weil der Mensch im letzten Teil seiner Lebenszeit individuell nur ganz wenig Hoffnung haben kann, aus dieser Situation noch einmal heraus zukommen. Wenn ich als jüngerer Mensch in Armut lebe, habe ich die Chance, meine Lebenssituation durch Bildung oder sonstige Maßnahmen doch noch zu ändern. Bin ich Rentner, habe ich diese Chance meist nicht.