Protokoll der Sitzung vom 19.02.2015

schen im Alter nicht arm sind. Darauf haben Sie zu Recht hingewiesen. Jetzt greife ich die Worte Ihres Fraktionsvorsitzenden auf und sage, natürlich hat das etwas mit Wirtschaft zu tun. Bremen ist eine Hoch burg atypischer Beschäftigung, auch in der Industrie. Wir reden hier nicht nur von der Verkäuferin oder den Frauen und Männern in der Gastronomie. Wir reden auch über Lürssen, Siemens, Mercedes; alle greifen auf Leiharbeit oder Werkverträge zurück. Die Menschen, die im industriellen Sektor arbeiten, gelten gemeinhin als vergleichsweise gut bezahlt. Die Menschen aber, die auf der Grundlage von Werkverträgen bei Lürssen arbeiten, sind es nicht. Sie haben auch keine gesicherten Perspektiven.

Wir brauchen uns nur die Befunde anzuschauen,

mit denen wir auch im Armutsausschuss zu haben. Die Hartz-Gesetzgebung – damit meine ich nicht nur Hartz IV, sondern das gesamte damit zusammen hängende Maßnahmenpaket der „Agenda 2010“, vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bis hin zur Abschaffung des Arbeitsförderungsgesetzes – hat dazu geführt, dass die Löhne sinken und die atypische Beschäftigung zunimmt. Das ist übrigens kein linker Befund, sondern ein Befund der Wissenschaft. Man kann mittlerweile sagen, dass viele Menschen durch Arbeit und nicht trotz Arbeit arm sind. Da müssen wir natürlich das Rad zurückdrehen. Insoweit sind übrigens beide Seiten gefragt, nicht nur der Staat, sondern auch die Wirtschaft.

Natürlich muss man auf Bundesebene arbeits

marktpolitische Reformen in den Weg leiten, um die gesamte Sozialgesetzgebung der „Agenda 2010“ wieder zu regulieren. Das ist mir völlig klar. Aber wir können, wie gesagt, die Wirtschaft nicht aus der Verantwortung entlassen. Dem Problem vorgelagert sind die deutlich zu geringen Löhne und die Tatsache, dass auch große industrielle Unternehmen zuhauf auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse zurückgreifen, eben weil sie günstiger sind.

Ich komme zum nächsten Ansatzpunkt zur Ver

hinderung von Armut im Alter. Mein Vorredner hat die landespolitische Verantwortung, für Mobilität aus der Armut zu sorgen, betont. Die Bildungspolitik spielt insoweit eine große Rolle; das sehe auch ich so. Dann komme ich aber zu einem Punkt, dessen Bedeutung Sie von der CDU in der Aktuellen Stunde bestritten haben, nämlich zur Frage der Umvertei lung. Zwischen der Zahl der armen Menschen, die in einer Kommune leben, und dem Haushalt die ser Kommune gibt es eine erschreckende negative

Korrelation. Die Kommunen, die es ganz besonders nötig haben, Mobilitätschancen zu eröffnen, damit der Weg aus der Armut gelingt – dazu gehört gute Bildung, angefangen in den Kitas bis hin zur wei teren Qualifikation -, sind auf der Einnahmenseite am schwächsten aufgestellt, haben also nicht die Mittel, entsprechende Angebote in ausreichendem Maße vorzuhalten.

Daraus folgt, dass wir über eine andere Steuerpo

litik reden müssen. Dazu gehört, dass wir die Spit zensteuersätze wieder anheben, die Vermögensteuer wieder einführen und die Unternehmensbesteuerung wieder gerechter gestalten. Auch an der Erbschaft steuer müssen wir wieder drehen. Anderenfalls werden die Kommunen und die Bundesländer nicht in der Lage sein, genau diese Aufgabe verantwor tungsvoll wahrzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Mir

geht es nicht nur darum, an der Grundsicherung im Alter zu schrauben. Ich finde es sehr berechtigt, die Einführung der Bürgerversicherung zu fordern. DIE LINKE fordert das schon lange. Wir brauchen eine Diskussion mit dem Ziel, dass endlich alle in die Versicherung einzahlen, auch Beamte und Beamtin nen, auch Selbstständige, aber auch Abgeordnete, das heißt Politikerinnen und Politiker. Ich finde, die Beitragsbemessungsgrenze für gut Verdienende ist abzuschaffen.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss!

Auf der anderen Seite denke ich, dass wir ren

tenpolitisch damit das Rad noch nicht richtig neu erfinden. Uns fehlt in der Politik tatsächlich auch ein bisschen der Mut, auf die Zeit nach dem Jahr 2030 zu schauen. Ich weiß, das ist eine schwierige Diskussion, wenn man hier andere Modelle ins Spiel bringt, wie die steuerfinanzierte Grundrente. Dann hat man das Abstandsgebot und die Auseinandersetzung mit einigen. Ich weiß, dass das alles kompliziert ist, ich möchte hier nur einmal anreißen, dass wir über Zeiträume in 20 bis 30 Jahren reden und mittelfristig einmal zu anderen Diskussionen kommen müssen. Die Diskussionen sind schwierig, aber wir müssen uns auf den Weg machen. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das

Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine Damen

und Herren! Ich bin noch einmal nach vorn gekom men, weil ich gern noch eine Idee an die Frau und an den Mann bringen möchte. Ich möchte gern, dass

sich Bremen auf Bundesebene für eine Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten und einen erhöhten Selbstbehalt für Menschen in Altersgrundsicherung einsetzt. Wir müssen die unterschiedlichen Rege lungen im SGB II und SGB XII angleichen. Einfach gesagt regelt das SGB II den Leistungsbezug ALG II, Hartz IV, und das SGB XII unter anderem den Bezug der Altersgrundsicherung. Ist ein älterer Mensch in der Altersgrundsicherung in der Lage, einen kleinen Betrag zusätzlich zu verdienen, so kann er heute nur 30 Prozent behalten. Das bedeutet, dass bei spielsweise von 200 hinzuverdienten Euro nur 60 Euro tatsächlich beim Grundsicherungsempfänger verbleiben.

Ebenfalls eine deutliche Schlechterstellung erfah

ren Menschen beim Bezug der Altersgrundsicherung gegenüber Menschen im ALG-II-Bezug auch bei den Freibeträgen, die sie als Barvermögen behal ten dürfen. Während Menschen in der schwierigen finanziellen Situation des Bezugs von Arbeitslosen geld immerhin noch 150 Euro pro Lebensjahr als erwachsener Arbeitsloser, mindestens aber 3 100 Euro pro Person als allgemeinen Freibetrag, als Barvermögen behalten können, sind dies bei der Altersgrundsicherung nur 1 600 Euro, 2 600 Euro bei Vollendung des 60. Lebensjahrs. Somit müssen Menschen mit Eintritt in die Altersgrundsicherung ihre letzten finanziellen Rücklagen zuvor aufbrau chen. Entsprechend zugespitzt und schwierig ist dann die finanzielle Situation.

Ich würde mir wünschen, dass sich Bremen auf

der Bundesebene genau dafür einsetzt, weil es eine kleine Chance für diejenigen älteren Menschen ist, die noch in der Lage sind, sich etwas dazuzuver dienen, und es sich dann wenigstens einigermaßen lohnt. Außerdem wäre es auch ein kleiner, aber nicht unwichtiger Beitrag für die Armutsbekämpfung, finde ich. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das

Wort der Abgeordnete Schmidtmann.

Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal einen Aspekt aufgreifen, und zwar haben wir jetzt eigentlich eine Rentendebatte geführt und im Großen und Ganzen über Geld ge sprochen. Wir sollten aber auch über den anderen Aspekt sprechen, den Herr Möhle angesprochen und Sie ganz kurz angerissen haben, die soziale Armut. Es ist auch von den CDU-Rednern bereits erwähnt worden, was Armut im Alter eigentlich bedeutet. Welche Konzepte hat Bremen dagegen? Darauf möchte ich noch einmal ganz kurz den Fokus richten.

Wir haben in Bremen auch Angebote für ärmere

Menschen. Sie isolieren sich, darauf ist auch mehrfach hingewiesen worden, und wir müssen sie aus dieser

Isolation herausholen. Wir haben Begegnungsstätten, die Angebote für ältere Menschen anbieten, wo sie für wirklich wenig Geld Wärme und Gruppen haben, in denen sie sich treffen können. Das wird wahrgenom men. Wir haben in ganz vielen Kirchengemeinden speziell für diese Gruppen Gesprächskreise und Treffs, auch das wird angenommen und genutzt, das muss man auch einmal sehen. Wir haben so etwas auch für wenig Geld in Vereinen, denn es ist nicht zu unterschätzen, einfach dazuzugehören. Hier werden ältere Menschen auch mitgenommen.

Ich selbst bin erster Vorsitzender eines Vereins, und

wir haben auch Sozialklauseln in unserer Satzung. Es gibt sie in ganz vielen Satzungen, dass Menschen, die eine Grundsicherung erhalten, vom Beitrag frei gestellt werden. Bei uns im Verein, ich kann es so sagen, nehmen an Veranstaltungen Menschen teil, die die Grundsicherung beziehen, und sie freuen sich wirklich darüber. Das ist eine Art Anerkennung und vermittelt Gemeinschaftsgefühl. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, auf den ich noch einmal hinwei sen wollte. Nicht, dass wir das jetzt bei der ganzen Rentendebatte vergessen!

In Bremen sind wir als soziale Stadt mit all unseren

Einrichtungen immer noch gut aufgestellt. Was wir auch haben, ist die aufsuchende Altenarbeit. Das ist auch ein Projekt, das in diese Richtung geht, das ältere Menschen, die sozial vereinsamen, in ihrer Häuslichkeit aufsucht, sie dort abholt und ihnen die Angebote aufzeigt, die es in den Quartieren und Stadtteilen gibt. Es ist wichtig, dass das bekannt wird. Es wurde der Eindruck erweckt, als ob alles ganz grausam sei. Das ist es auch, wenn man es von der finanziellen Seite sieht, aber wir haben auch noch ein Herz und sind eine soziale Stadt, das möchte ich noch einmal hervorheben! – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das

Wort Herr Senator Dr. Schulte-Sasse.

Herr Präsident, meine

sehr verehrten Damen und Herren! Dass die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Altersarmut in Bremen und Bremerhaven dazu Anlass gibt, auch grundsätzliche Bemerkungen sozialpolitischer oder wirtschaftspolitischer Art zu machen, das lag nah. Die Große Anfrage selbst hat sich aber in dem größten Teil der Fragen auf statistische Auskünfte bezogen.

Frau Vogt hat die Antwort zu Frage 1 kritisch

kommentiert, indem sie gesagt hat, der Vergleich Bremens mit den Durchschnittzahlen Bund lässt Bremen unberechtigterweise besser dastehen als es eigentlich ist, weil es zwischen den Ländern Unter schiede gibt, die bei Statistiken nivelliert werden, besonders die Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Dummerweise ist es das Wesen aller Statistik, und auch wenn man

die Frage der Armutsgefährdung nimmt, ist das ja keine absolut gesetzte Zahl, normativ, sondern eine statistisch gesetzte Zahl, die sich am Median des Nettoäquivalenzeinkommens eines Landes orien tiert und dann willkürlich die 60 Prozent davon als Grenze setzt. Alles, was unterhalb dieser 60 Prozent liegt, wird dann entsprechend den Normen der EUStatistik als armutsgefährdet gewertet, auch das ist eine statistische Zahl. Dass diese Zahlen wirklich nur gesetzt sind, nicht absolut genommen werden kön nen und deshalb auch vergleichsweise nur begrenzt für absolut geführte normative Diskussion tauglich sind, sieht man schon allein an der Tatsache, dass die EU-Statistik die Definition, was arm ist, an der Größenordnung von 40 Prozent des Medians festsetzt, während die OECD und die WHO diese Grenze bei 50 Prozent setzen, also ganz woanders.

Mit anderen Worten, Statistiken leisten das, was

sie leisten können. Sie dürfen nicht überinterpretiert werden, aber eines ist ja offensichtlich, wir haben ein Problem mit der Armut von Menschen. Natürlich haben wir vor allem ein Problem mit der Armut alter Menschen. Ich will jetzt nicht wiederholen, was hier schon umfangreich von vielen Vorrednern thematisiert worden ist. Die Aussage, Bremen lasse diese alten und armen Menschen allein, ist falsch.

(Beifall bei der SPD)

Wir tun viel für sie, und wir werden auch in Zu