Grünen): Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was uns zu dieser Aktuellen Stunde zusammenführt, ist die bislang traurigste Flücht lingskatastrophe im Mittelmeer, das unbeschreibliche Leiden vieler, die Hoffnung suchten. Die Zuspitzung dieser sich seit Jahren abspielenden Tragödie zeigt uns, wie substanzlos die Beschwörungen vom Okto ber 2013 sind. Der Tod von 400 Menschen – ich rede von Lampedusa – löste damals kollektives Entsetzen, kollektive Scham und kollektive Trauer aus. Von der Bundesregierung erschallte eine Art Mantra, das Trost spenden und Mut zum Handeln bezeugen sollte: Nie wieder darf dies geschehen, nie wieder!
Schätzungen mehr als tausend Menschen bei dem Versuch, die rettenden Ufer Europas zu erreichen, umgekommen, doch Zahlen haben keine Gesichter, keine Vergangenheit, keine Wünsche und Hoffnun gen. Es hieß zwar: „Nie wieder!“, doch Mare Nostrum, das Programm, das in Seenot geratene Flüchtlinge retten sollte, wurde eingestellt. Der Nachfolgeeinsatz steht unter der Leitung der EU-Grenzschutzagentur Frontex, diese Aktion dient nicht der Rettung und Suche von Flüchtlingen, sondern dem Schutz von EU-Außengrenzen. Die Entscheidung zum Stopp von Mare Nostrum war ein folgenschwerer Fehler.
und Herren! Doch wie agiert die Europäische Union unter deutscher Führung stattdessen? Priorität scheint nach wie vor nicht die Rettung von Menschenleben, sondern der Schutz der Grenzen zu haben. So soll für die Grenzüberwachungsprojekte Triton und Poseidon mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Die Boote von Schleusern sollen beschlagnahmt und zerstört werden. Das europäische Unterstützungsbüro für
Asylfragen soll Teams in Italien und Griechenland bereitstellen, um Asylanträge schneller ablehnen zu können. Die EU-Staaten sollen sicherstellen, dass alle Flüchtlinge mit Fingerabdrücken erfasst werden. Ein neues Programm soll dafür sorgen, dass illegale Einwanderer zügig in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.
Zehn-Punkte-Programms, das auf dem morgigen EU-Sondergipfel beschlossen werden soll, all dies sind aber auch repressive Maßnahmen. Sie geben auf die menschliche Katastrophe vor ein paar Tagen keine humanitäre Antwort, sondern schließen die Mauer um Europa dichter.
Bundesregierung? Die Gebiete, in denen Frontex agiert, sollen vergrößert werden, sagt Herr Dr. de Maizière. Er plant auch, die Zahl der Schiffe zu er höhen. Selbst militärische Einsätze vor der libyschen Küste schließt der Innenminister nicht aus. Er meint, Seenotrettungsprogramme würden Schlepperban den nur anregen, ihre Geschäfte fortzusetzen. Er sagt, wegen Mare Nostrum sei die Zahl der Toten angestiegen, auf – so wörtlich – 1,4 Tote pro tausend Flüchtlinge. Die Wortwahl zeigt die ganze „Mensch lichkeit“ dieses Mannes, die zynische Betrachtung einer humanitären Tragödie: Lebensretter als Gehilfen der Schlepperbanden.
keit der Aktionen. Humanität ist gefragt! Anstatt sinnlose Abschottungsmaßnahmen zu treffen, muss die EU endlich Rettungskapazitäten im Mittelmeer bereitstellen. Denn die Menschen, die ihre krisen- und auch bürgerkriegsgeplagten Länder verlassen, wissen, etwas Besseres als den Tod finden sie überall.
ausreicht oder überhaupt denkbar ist, dieser Ab wehr- und Eingreiftruppe auch eine humanitäre Funktion zu geben. Ich hoffe es. Australien macht so etwas Ähnliches, aber Europa braucht ein von allen Abschottungsgedanken unabhängiges See notrettungsprogramm für Flüchtlinge.
ten finanziert werden. Alle Regierungen wissen zwar im Grunde, was getan werden muss, aber, angeführt von der deutschen Bundesregierung, lehnen sie ein unabhängiges Seenotrettungsprogramm ab. Ich habe mich sehr gefreut, dass sich Innensenator Mäurer für die Wiederaufnahme gezielter Seenotrettung ausge sprochen und den Bundesinnenminister aufgefordert hat, seine Verweigerungshaltung aufzugeben.
ausreicht. Die EU muss legale und sichere Zugangs möglichkeiten für Einwanderer schaffen. Weniger Seenotrettung hält ja die Menschen nicht davon ab, die lebensgefährliche Wanderung durch die Sahara und durch Kriegsgebiete auf sich zu nehmen und die Überfahrt über das Mittelmeer zu wagen. Weder Mauern noch Grenzzäune verhindern, dass sich die Menschen in die Hände krimineller Schlepperban den begeben und marode Boote besteigen. Auch die intensivste Verfolgung von Schleppern wird diese unglücklichen Menschen nicht davon abhalten, sich auf die Suche nach einem besseren Leben oder auf die Flucht vor Gewalt und Verfolgung zu begeben.
men und Herren? Weltweit sind zurzeit 40 Millionen Menschen auf der Flucht, die Hälfte davon sind Kin der. Die Gründe sind meist lebensbedrohlicher Natur: Kriege, Bürgerkriege, Vertreibung, Wasserknappheit, Klimaveränderung und dadurch auch soziales Elend und Hunger. Es muss andere Antworten geben, als die Festung Europa sicherer zu machen.
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wir brau chen eine fest verankerte, liberale, offene, humane Migrations- und Integrationspolitik. Es muss Ver teilungsmuster geben, die den unterschiedlichen Möglichkeiten der europäischen Länder Rechnung tragen. Die Fixierung auf Hochqualifizierte muss beendet werden.
Verfehlungen des Kolonialismus und auch aus den Fehlern der Gastarbeiterära gelernt hat. Europa muss zu einem Schutzraum für Flüchtlinge werden.
Deutschland kann das sein, kann auch zu diesem Flüchtlingsraum werden, wenn es seine Politik, seine Flüchtlingspolitik ändert.
Mitgliedsländer muss möglich sein. Eine einheitliche EU-Politik und auch ein erleichtertes Flüchtlingsvi sum müssen möglich sein. Unser Kampf muss sich auch gegen die Strukturen richten, die weltweit zu Ungleichheit, Hunger, Armut und verantwortungs loser Umweltzerstörung führen.
Ja, meine Damen und Herren, wir brauchen eine bes sere, eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit.