Protokoll der Sitzung vom 23.04.2015

Der Senat hat die Themen Umverteilung, Steuer

gerechtigkeit und die Frage, wie man mit dem Alt

schuldenfonds umgeht, dort, wo er kann, im Bundesrat und auf allen anderen Ebenen - der Bürgermeister war gestern in Berlin und hat Gespräche geführt –, ergriffen, um Gelder umzuverteilen, damit wir die soziale Schere im Land Bremen stärker schließen können, als es uns bisher gelungen ist.

Es liegt auf der Hand, dass Ungleiches ungleich

behandelt werden muss. Klaus Möhle hat das an gesprochen: Wenn Kinder armer Eltern in der Kita sind und im Bildungssystem auf Sicht nicht die Mög lichkeiten haben – wir haben über Stundenausfall geredet – und sich die Eltern keine Nachhilfe leisten können, ist es für die Kinder schwieriger, zum Abitur zu kommen. Die Expertinnen und Experten sind im Ausschuss gehört worden. Es lohnt sich einfach, früh in den Bereich frühe Bildung und Schule insgesamt, aber auch in die Elternarbeit und in die Elternförde rung zu investieren.

Wir brauchten hier keinen Weckruf von einem

Ausschuss, Herr Dr. vom Bruch. Es war gut, dass sich der Ausschuss in dieser Zusammensetzung hingesetzt und das diskutiert hat. In der Sozialdeputation ist es längst bekannt gewesen. Dieser Ausschuss hat aus meiner Sicht als Sozialsenatorin geholfen, im Parlament insgesamt das Bewusstsein und auch das Sehen der vielen Maßnahmen zu befördern, die wir im Bereich Soziales ergriffen haben und die in die Breite getragen wurden. Dass das Know-how jetzt auch bei Wirtschaftspolitikern, bei Arbeitsmarktpo litikern und bei denjenigen vorhanden ist, die sich sonst mit Stadtplanung auseinandersetzen, halte ich für absolut richtig. Das ist ein Fortschritt, den diese Debatte und dieser Ausschuss gebracht haben. Dafür sage ich erst einmal Danke.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es ist das Bündnis für sozialen Zusammenhalt

angesprochen worden. Es ist nicht das Bündnis des Bürgermeisters, wie das meines Erachtens hier ein bisschen spielerisch vorgetragen wurde. Jens Böhrn sen hat bei einer Neujahrsansprache das absolut zentrale Thema der Koalitionsvereinbarung aufge griffen und die Stadtgesellschaft gemeinsam mit mir eingeladen, an einem Bündnis teilzuhaben, um alle unterschiedlichen Seiten an einen Tisch zu holen, die Kammern sind dabei.

Herr Dr. vom Bruch, Sie selbst sind mit der CDU

Fraktion Teil dieses Bündnisses. Dort kommen Ver treter aus der Stadt zusammen und diskutieren ver schiedene Maßnahmen vor dem Hintergrund – wir haben auch viele Experten gehört, haben verschie dene Themen durchgearbeitet –, wo wir konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen können, um eine größere Teilhabegerechtigkeit im Land Bremen umzusetzen, und wie es uns gelingen kann, die soziale Schere zu schließen. Deswegen sollte man sich über dieses Bündnis nicht lustig machen. Ich

halte diese Bündnisse für absolut wichtig, weil es Seiten zusammenbringt, die sich sonst nicht ohne Weiteres an einen Tisch setzen würden. Deswegen ist es auch wichtig und legitim, dass der Bürgermeister zentral, in das Rathaus, einlädt und wir als Senat die Möglichkeit nutzen, solche Bündnisse zu initiieren.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir haben in dieser Legislaturperiode mehrmals

über das Thema Armut gesprochen, auch im Zusam menhang mit der Debatte über den Koalitionsvertrag. Wir haben uns gestritten und miteinander gerun gen. In mehreren Aktuellen Stunden ist behauptet worden, dieser Senat engagiere sich zu wenig für die Armutsbekämpfung. Der Senat hat dargelegt, was alles in Bremen und Bremerhaven passiert. Es ist uns aber nicht alles gelungen, weil auch in der Bundespolitik bestimmte Schalter umgelegt werden müssen, die Punkte Steuerverteilung und Mindest lohn sind schon angesprochen worden. Bremen ist übrigens das erste Bundesland gewesen, das den Mindestlohn eingeführt hat.

Auf einen Missstand möchte ich noch einmal be

sonders aufmerksam machen: Frauenberufe werden in Deutschland oft schlechter bezahlt als die Jobs von Männern. Bei uns leben überproportional viele Frauen in Altersarmut. Auch deswegen ist es wichtig, dass das Thema Lohngerechtigkeit auf der politischen Tagesordnung bleibt.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich spreche an dieser Stelle nicht nur als Sozial

senatorin, sondern auch als Frau. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie und musste mich sozusagen durchkämpfen bis zum Abitur. Es darf einfach nicht hingenommen werden, dass man aufgrund seines Ge schlechts ausgegrenzt wird und bei gleicher Tätigkeit weniger verdient als Männer. Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit, die beseitigt werden muss!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Es kann doch nicht wahr sein, dass diese Unge

rechtigkeit in unserem Land noch an der Tagesord nung ist. Das Problem muss auch in Bremen genau betrachtet und systematisch aufgearbeitet werden. Diese Aufgabe nehme ich mit in eine neue Koalition beziehungsweise – wenn es denn noch einmal so sein soll – in einen neuen Senat. Das muss ebenso wie viele weitere Themen, die vom Ausschuss zu Recht aufgearbeitet worden sind, angepackt werden.

Der Senat hat in die frühkindliche Bildung viel

Geld investiert, Herr Tuncel hat das am Dienstag in der Stadtbürgerschaft thematisiert. Dabei bedurfte

es eines Spagats, denn zunächst war der Rechtsan spruch zu erfüllen. Das war ein riesiger Kraftakt, eine Mammutaufgabe. Kollegin Rosenkötter hat gemein sam mit dem Team im Sozialressort viel dafür getan.

Jetzt sind wir in der Situation – die Diskussion

setzte ja im Zusammenhang mit der Erfüllung des Rechtsanspruches noch einmal ein –, noch genauer hinschauen zu können, wie wir eine sozialräumliche Verbesserung erreichen und die Bildungsbeteiligung von Kindern aus armen Familien erhöhen können. Bereits am Dienstag habe ich die Einzelheiten skiz ziert. Wir wollen, dass genauso wie im Kitabereich auch alle Kinder unter drei Jahren ein sehr gutes Bildungsangebot bekommen. Dafür muss natürlich Geld in die Hand genommen werden. Es darf nie mand ausgeschlossen werden, nur weil vielleicht der passende Job noch fehlt. Es muss die Möglichkeit bestehen, dass die Kinder schon früh gute Bildungs chancen erhalten. Unser Senat hat in diesem Bereich wirklich nicht gekleckert, sondern geklotzt, das bitte ich auch anzuerkennen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Jetzt kann ich als Zeitzeugin sprechen; das ist

ein seltenes Vergnügen. Im Jahr 2001 ergriff der PISA-Schock das Land. Willi Lemke war damals Bildungssenator. Thomas Röwekamp sagt immer so schön, Henning Scherf habe damals die Schuld für alle Miseren übernommen. Man kann darüber streiten, ob man das überhaupt kann.

Willi Lemke hat sich dann gemeinsam mit der

Bildungsdeputation einiger Themen angenommen. Manchmal war es nach meinem Geschmack sogar zu viel, denn vor lauter Baustellen konnte man die Straße nicht mehr erkennen, aber Willi Lemke hat entscheidende Weichen gestellt, wovon wir in der Politik noch heute profitieren. Ich nenne als Beispiel den Ausbau der Ganztagsschulen. Insoweit kann man nicht behaupten, Bremen sei Klassenletzter. Alle Bildungssenatorinnen, die nach Willi Lemke kamen, haben dieses Thema offensiv und unter dem Blickwinkel der Qualität vorangetrieben. Ich bin mir sicher, dass das weitergehen wird.

(Beifall der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Insoweit gab es in der Bildungsdeputation immer

Konsens. Diesen würde sicherlich auch Zeitzeu ge Rohmeyer beschwören – ich sehe ihn gerade nicht –, auch wenn er sonst selten gemeinsam mit den Grünen etwas beschwört. Er würde sagen, dass wir uns über dieses Thema nicht gestritten, sondern es als gemeinsames Thema begriffen haben. Frau Schmidtke nickt auch. Wir werden das Thema weiter begleiten, das ist eine wichtige Aufgabe.

Der Ausschuss hat viele Empfehlungen vorgelegt.

Ich möchte darauf hinweisen – das muss auch der

Sozialsenatorin gestattet sein –, dass diese in der kommenden Legislaturperiode finanziell zu begleiten sind. Dabei gilt es abzuwägen, auf welchen Berei chen die Schwerpunkte liegen sollen, wohin also Geld umzuverteilen ist. Diese Aufgabe müssen wir nicht heute lösen.

Ich möchte noch einmal auf die Frage eingehen,

warum die Armutsrisikoquote in Bremen so hoch ist. Das ist sicherlich auch wichtig für diejenigen, die eine solche Debatte heute zum ersten Mal verfolgen.

Bremen hat seit der Stahl- und Werftenkrise in

den Achtzigerjahren eine lang anhaltende, verfes tigte Arbeitslosigkeit mit einem hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen. Daraus ergibt sich die Not wendigkeit geförderter kommunaler Beschäftigung beziehungsweise eines sozialen Arbeitsmarktes, Klaus Möhle hat es schon angesprochen. Es befinden sich in der Langzeitarbeitslosigkeit Menschen, die nicht wieder in den ersten Arbeitsmarkt gelangen werden. Wenn wir diese Armutskette durchbrechen wollen, brauchen wir öffentlich geförderte Beschäftigung oder Maßnahmenketten. Wir dürfen diese Menschen nicht alleinlassen. Ich halte das für eine wichtige sozialpolitische und arbeitsmarktpolitische Aufgabe.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir erleben soziale Abkoppelungen nicht nur eines

Quartiers, sondern mehrerer Quartiere, auch das haben wir heute schon gehört. Für die Aufwertung der Quartiere brauchen wir gezielte Programme mit einem Mix von Maßnahmen.

In Bremen werden geringere Altersrenten bezogen

als anderswo. Grund sind nur geringe Beitragsein zahlungen in der Vergangenheit beziehungsweise sogar Beitragsausfälle. Neben den ungerecht nied rigen Löhnen, die Frauen im Vergleich zu Männern erhalten, spüren wir nach wie vor die Folgen der Massenarbeitslosigkeit im Zusammenhang mit der Stahl- und Werftenkrise, das darf man nicht verges sen. Der Niedergang der Fischereihafenindustrie hat dazu geführt, dass Bremerhaven als eine der ersten Städte in Deutschland von hoher Arbeitslosigkeit betroffen war. Die Folgen spürt man bis heute.

Der Anteil Alleinerziehender ist in Bremen sehr

hoch. In kaum einer anderen Großstadt in Deutschland ist er höher. Das spricht für unsere gute städtische Infrastruktur, die auch von Alleinerziehenden als attraktiv empfunden wird. Wir haben ein gutes KitaNetz und halten viele Unterstützungsangebote vor, aber diese Gruppe weist das höchste Armutsrisiko auf; das erhöht die Armutsrisikoquote insgesamt.