Protokoll der Sitzung vom 23.04.2015

beeindruckt, wie sehr das Stichwort Bildung aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln im Fokus steht und noch viel stärker in den Mittelpunkt gerückt werden muss. Wir reden nicht nur über schulische Bildung, wo wir zukünftig Schulen brauchen, die neben dem Bildungsauftrag in die Lage versetzt wurden, soziale Aufgaben gegenüber Schülerinnen und Schülern, aber auch gegenüber Eltern zu erfüllen.

Wir reden vorgelagert über einen Paradigmen

wechsel, der in der U6-Kinderbetreuung notwendig ist, bei der Bildungsgedanke betont werden muss, und die höchste Wirkung erzielt werden kann, wenn es um verbesserte Chancen in der Zukunft geht.

Wir reden über eine deutlich verbesserte Sprach förderung mit einer erhöhten Verbindlichkeit und eine bessere Verzahnung dieser beiden Bereiche, wo wir die Brücke einer Vorschule vorgeschlagen haben, wo Sie meinen, nunmehr einen Modellver such machen zu müssen. Ich lasse einmal weg, dass Sie nach eigenem Bekunden eigentlich gar kein Erkenntnisproblem haben, aber es zeigt endgültig, dass wir ein Umsetzungsproblem haben. Das ist durch die Ausschussarbeit nach unserer Einschätzung noch einmal belegt worden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ein schlauer Mensch hat gesagt, man ändert nichts, außer sich selbst.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Andere sagen das Gegenteil!)

In diesem Sinne möchte ich den Blick von den Maß nahmen gegenüber Dritten auf das lenken, was wir im politischen und im verwaltungsseitigen Handeln ändern können.

Auch dazu nur einige wenige Anmerkungen: Auf

fällig häufig wurde Kritik an der Zusammenarbeit der Ressorts geübt. Wir meinen deshalb, Armutsbekämp fung muss eine durch die Ressorts tatsächlich gelebte Querschnittsaufgabe werden. Jugend betreffende Arbeit muss konsequenterweise in einem Ressort zusammengeführt werden. Fachliche Zuständig keiten gegenüber Betroffenen müssen bei einem Ansprechpartner gebündelt werden, Beratung muss einfacher, komprimierter und verständlicher werden, und „erfahrene“ Betroffene können dabei einbezogen werden. Bürokratie, zum Beispiel auch mit Blick auf die Verfügbarkeit, die Beantragung und Dokumenta tion von Mitteln, muss abgebaut werden, Maßnahmen und Programme müssen verstetigt werden. Durch die Vernetzung von Kommunikation und Maßnahmen kann einerseits vereinfacht, andererseits die Wirkung erhöht werden. Geeignete Rahmenbedingungen, zum Beispiel auch bauliche, ermöglichen erst Fortschritte im sozialen Miteinander. Auch die rechtlichen Rah menbedingungen sind nicht außer Betracht zu lassen. Drei Beispiele: Wir brauchen Arbeitsverhältnisse, die auch ernähren, wir brauchen eine umfassendere Nutzung und Anerkennung vorhandener Qualifika tionen bei Migrantinnen und Migranten, das ist nicht nur eine Sache, die an sich wichtig ist, sondern sie ist auch ein Zeichen von Wertschätzung und tätiger Willkommenskultur, und wir brauchen schließlich ein Aufenthaltsrecht mit Bedingungen, die Schule, Ausbildung und Erwerbstätigkeit ermöglichen und honorieren und ihnen nicht etwa im Wege stehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich zum Schluss für die CDU-Fraktion

sagen, wir bewerten die Arbeit dieses Ausschusses insgesamt positiv, insbesondere da, wo wir Hinweise geben konnten, die die Armut in ihren Ursachen bekämpfen, die Prävention und Intervention mit dem Ziel der Veränderung verbessern helfen, sei es auf der individuellen Ebene oder auf der Ebene der Rahmenbedingungen. Für uns kommt es darauf an, nicht länger einer Entwicklung hinterherzulaufen, sondern diese Entwicklung zu bremsen und zum Besseren zu wenden. Dies erfordert schnelleres Handeln als bisher, dies bedeutet eine Konzentration auf Ursachen und nicht auf Symptome. Nach unserer Auffassung erfordert es auch immer die Gegensei tigkeit von Fördern und Fordern.

Armutsbekämpfung ist aber auch eine Frage der

Haltung, zum Beispiel auch, um Diskriminierung vermeiden zu helfen oder ihr entgegenzutreten. Nach unserer Auffassung erfordert sie eine geschlossene und verbindliche Strategie im Großen, die aber kleinräumig und quartiersbezogen umgesetzt wird. Schauen wir dabei – und das ist kein Widerspruch – über den Tellerrand, wir wissen, dass sich das lohnt!

Wir würden uns freuen, wenn die Ausschussarbeit

in diesem Sinne und im Sinne einer Umsetzung in der nächsten Legislaturperiode eine Fortsetzung fände, denn nur eine solidarische Gesellschaft ist eine menschliche Gesellschaft. Lebensqualität kann es am Ende nur geben, wenn sie alle gesellschaftlichen Bereiche erreicht. Sie ist in unser aller Verantwortung, und sie ist in unser aller Interesse. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Bevor ich der nächsten

Rednerin das Wort erteile, begrüße ich auf der Be suchertribüne recht herzlich Mitglieder und Freunde der Leher Turnerschaft aus Bremerhaven.

Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeord

nete Frau Vogt.

Herr Präsident, sehr

geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dem Dank, den meine Vorredner hier ausgesprochen haben, kann ich mich uneingeschränkt anschließen. Wir haben sehr viele Sachverständige gehört, nicht nur aus der Wissenschaft, sondern auch aus der Praxis, und diese Mischung hat es uns ermöglicht, einige Probleme genauer zu betrachten, das heißt, man muss sich bei den Sachverständigen für die Teilnahme an der Ausschussarbeit bedanken. Ich würde mich gern bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktio nen und der Bürgerschaft bedanken und letztendlich auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)

Es stand in der Zeitung, das stimmt, viel Neues

habe der Ausschuss nicht gebracht. Bei bestimmten Zahlen, Phänomenen und Problemlösungen würde ich vielleicht sogar auch denken, wieso haben wir dazu den Ausschuss gebraucht, bestimmte Fakten und auch bestimmte Lösungsansätze liegen in Bre men seit zwei, drei Jahrzehnten auf der Hand. Ich finde es aber trotzdem richtig, dass es diesen Aus schuss gegeben hat, weil es im Endeffekt jetzt eine Situation gibt, hinter die zumindest diese Fraktion in dieser Bürgerschaft nicht mehr zurückgehen kann, denn die Problemlagen und die Lösungsansätze sind offensichtlich. Das ist inzwischen durch diesen Ausschussbericht, durch die Ausschussarbeit tat sächlich ein Punkt, hinter den jetzt niemand mehr zurückgehen kann.

(Beifall bei der LINKEN, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der CDU)

Ich kann Ihnen und auch den Zuhörerinnen und

Zuhörern natürlich einige Fakten und Zahlen nicht ersparen, das ist klar, denn wir müssen an dieser Stelle auch festhalten, was im Ausschuss deutlich wurde: Die Armut in Bremen hat sich in den letzten zweieinhalb bis drei Jahrzehnten verfestigt und ausgeweitet. Nicht alle Ursachen liegen im Bun desland, aber in Sachen Armutsprävention wurden auch im Bundesland Bremen – so zumindest auch die Aussagen von Sachverständigen, die das von der wissenschaftlichen Seite betrachtet haben – in den letzten zwei Jahrzehnten, im Grunde seit den Neunzigerjahren, so hat es René Böhme gesagt, die Weichen für eine wirksame Armutsprävention falsch oder unzureichend gestellt. Dies gilt insbesondere für Schritte, die zur Verringerung von Kinderarmut führen, hier wurde einfach in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten zu wenig unternommen.

Die Armut in Bremen steigt weiter. Wir wissen,

153 000 Bremerinnen und Bremer beider Stadtge meinden gelten als armutsgefährdet oder arm – das ist immerhin schon fast ein Viertel der Bremer Be völkerung –, und auf der anderen Seite nimmt auch der Reichtum in dieser Stadt zu. Das heißt, Bremen ist tief gespalten.

Ich kann Ihnen ein paar Zahlen nennen, wenn

wir über Kinderarmut reden. Im Stadtteil Ohlenhof liegt die Kinderarmut bei 48,9 Prozent, in Grohn bei 46,5 Prozent, in Oberneuland auf der anderen Seite aber bei 2,8 Prozent, in Schwachhausen bei 6,1 Prozent. Das hat natürlich Korrelationen, und zwar zu der Frage, welche Bildungsabschlüsse in diesen Stadtteilen erreicht werden. Herr Dr. vom Bruch hat es eben negativ ausgedrückt, in welchen Stadtteilen das Abitur mit welchen Quoten nicht erreicht wird.

Man kann es sich auch einfacher machen: In den

Stadtteilen, wo die Kinderarmut bei 50 Prozent liegt,

machen im Schnitt nur 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler das Abitur, in den Stadtteilen, wo die Kinderarmut deutlich unter zehn Prozent liegt, sogar fast gegen null tendiert, sind es fast 85 Prozent aller Schülerinnen und Schüler. Diese Spaltung zieht sich durch alle im Ausschuss behandelten Bereiche: Bildung, Einkommen, Migration, Frauen, sozialrecht liche Instrumente. Die Politik der letzten 20 Jahre hat dieser Spaltung bislang nicht richtig wirksam etwas entgegengesetzt, sie hat sich noch verschärft.

Die Ressourcen sind in den letzten Jahren auch

falsch gesteuert worden. Dazu stellte Thomas Schwar zer in der zweiten Sitzung des Armutsausschusses fest, das ist im Protokoll auf Seite 24 nachzulesen: „Das heißt, die gesamte Logik, wie wir im Moment Programme steuern und wie sozusagen auch in der Stadtgesellschaft aus legitimen Gründen, Macht gründen oder sonstigen Verteilungsgründen solche Programme laufen, führt im Ernstfall wieder in diese typische Reproduktion der Hierarchien, und dann kommen wir mit dem, was Armutsbekämpfung sein sollte, nicht voran.“ Das hat meines Erachtens auch einen Grund: Die niedrige Wahlbeteiligung in armen Stadtteilen, die wir im Grunde auch schon seit 20 bis 25 Jahren verzeichnen, führt bewusst oder unbewusst eben auch leider dazu, dass diese Stadtteile von der Politik in der Vergangenheit viel zu wenig beachtet wurden und die Ressourcensteuerung an diesen Stadtteilen oft vorbeiging.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich zitiere hierzu auch Günter Warsewa aus der

zweiten Sitzung, der als Sachverständiger für das IAW anwesend war: „In vielen Bereichen ist es für die Menschen einfach sinnlos zu wählen, weil sie sich zu Recht nichts davon versprechen.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das wirklich ändern wollen, dann wird es auch Zeit, dass wir die Empfehlungen des Ausschusses nicht nur als Emp fehlungen stehen lassen, sondern in der nächsten Legislaturperiode alles daransetzen, davon auch einen großen Teil umzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ebenso zog sich durch die gesamte Arbeit des

Ausschusses, dass gut funktionierende Projekte nach dem Auslaufen der Förderung aus Bundesmitteln oder auch aus EU-Mitteln nicht durch das Land weiterfi nanziert wurden, ich will das einmal an dem Beispiel Alleinerziehender deutlich machen: Alleinerziehende sind besonders von Armut betroffen, und 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. 54 Prozent der Alleinerziehenden, also über die Hälfte, sind auf Leistungen nach dem SBG II angewiesen. Haben Alleinerziehende zwei oder mehr Kinder, sind sogar 73 Prozent von ihnen auf staatliche Leistungen ange wiesen, das heißt, sie können im Grunde genommen auch nicht durch Arbeit aus den Sozialleistungen herauskommen.

Um Alleinerziehenden Perspektiven zu geben, die

auch mit ihrer Lebenswirklichkeit zusammenpassen, muss es Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote geben, die in Teilzeit angeboten werden. In diesem Bereich sind zwei Projekte ausgelaufen und wurden dann durch das Land nicht weiterfinanziert. Dieses Beispiel zeigt meines Erachtens, dass der Senat in der Vergangenheit nicht den politischen Willen oder den politischen Mut hatte, Geld an der richtigen Stelle auszugeben. Hier muss man sagen: Dieser selbst auferlegte Kürzungszwang der rot-grünen Regierung hat auch effektive Armutsbekämpfung in den letzten acht Jahren verhindert.

(Beifall bei der LINKEN)

An dieser Stelle muss ich ganz deutlich sagen: