Protokoll der Sitzung vom 20.01.2016

etwas Neues ist die Anzahl der Übergriffe in so kurzer Zeit.

(Abg. Frau Ahrens [CDU] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage. – Glocke)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Ahrens?

Ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Wenn das nicht unparla- mentarisch wäre, würde ich sagen, das ist Schwach- sinn, was Sie da sagen!)

Hören Sie doch zu!

(Abg. Röwekamp [CDU]: Ich höre die ganze Zeit zu! Das macht es doch nicht besser!)

Ich habe gerade gesagt, der große Unterschied ist die Anzahl der Übergriffe in so kurzer Zeit. Das ist das Neue. Das ist das, was hier diskutiert wird.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso wie nicht jeder Mann deutscher Herkunft beim Kölner Karneval Frauen sexuell belästigt, belästigt auch nicht jeder Mann aus dem Maghreb Frauen sexuell. Auch das muss man einmal sagen dürfen.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Frauen, die das in den letzten Wochen gesagt haben, wurden Kommentare auf ihre Facebook-Seiten geschrieben, in denen öffentlich zur Vergewaltigung dieser Frauen aufgerufen wurde. Das war das Klima der letzten Wochen, Herr Röwekamp. Das ist das, was mich, ehrlich gesagt, ziemlich erschüttert und erschreckt hat.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

So, wie die Debatte in der Öffentlichkeit geführt wird, könnte man den Eindruck bekommen, jeder arabische Mann wäre für Frauen tatsächlich eine Bedrohung. Das stimmt genauso wenig, wie jeder deutsche Mann eine Bedrohung für Frauen ist.

(Beifall DIE LINKE)

Die Stimmung, die hier geschürt wird, macht die Diskussion so verstörend. Diese Vermischung finde ich äußerst gefährlich.

Wenn man bei einer sachlichen Auseinandersetzung bleiben würde, könnte man sich bei den aufgeworfenen Fragen durchaus einmal der Situation und der Problematik annähern. In welchem Klima kommt es zu massiven sexuellen Übergriffen auf Frauen? Liegt das nur und ausschließlich daran, dass es eine Gruppe von Männern arabischer Herkunft war, die ganz offensichtlich das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nicht achten und die sie ganz bewusst aus einer Gruppe heraus erniedrigen wollen? Das ist überhaupt nicht wegzudiskutieren.

Liegt es vielleicht auch daran, dass Frauen in unserer Gesellschaft sowieso schlecht vor sexuellen Übergriffen geschützt sind? Ich glaube, das kommt hinzu. Sexuelle Belästigung ist bis heute nicht strafbe

wehrt. Auch das haben meine Vorredner zum Teil erwähnt. Es ist bis heute nicht strafbewehrt! Eine Frau, die Sexualstraftaten anzeigen möchte, ist nach wie vor teilweise entwürdigenden Umständen ausgesetzt. So berichten Frauen aus Köln, die sexuelle Übergriffe beim Karneval anzeigen wollten, Herr Röwekamp, dass ihnen auf den Wachen gesagt wurde „Sie dürfen eben nicht zum Karneval gehen, wenn Sie das nicht wollen.“ Das ist doch ein Problem.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Zum traumatischen Erlebnis kommt noch eine Bagatellisierung, die betroffene Frauen nicht nur stigmatisiert, sondern auch noch dazu führt, dass das Umfeld nicht angemessen reagiert und Frauen nicht angemessen schützt. Eine erniedrigende Bagatellisierung führt dazu, dass sexuelle Straftaten von Frauen meistens gar nicht angezeigt werden.

Herr Hinners, Sie hatten eben nach Statistiken gefragt. Das LKA Niedersachsen beispielsweise kam in einer Studie 2012, also vor drei Jahren, zu dem Schluss, dass nur vier bis fünf Prozent aller strafrechtlich relevanten Sexualstraftaten angezeigt werden. Von den nicht strafrechtlich relevanten Taten reden wir gar nicht.

(Abg. Hinners [CDU]: Hellfeld, Dunkelfeld!)

Bei den Verfahren, in denen es überhaupt zu einer Anklage kommt, werden zwischen 76 und 85 Prozent der Verfahren eingestellt. Der Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen in Bremen sagt, dass es in den letzten sechs Jahren nur in zwei von ihm betreuten Vergewaltigungsfällen zu Verurteilungen gekommen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man aus Köln gesetzgeberische Konsequenzen ziehen möchte, dann meines Erachtens Folgende: Ja, die Gesetzeslage muss geändert werden, Herr Hinners. Sexuelle Belästigung muss endlich Straftatbestand werden.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Eine Vergewaltigung ist nach wie vor erst mit Strafe bewehrt, wenn sich die betroffene Person ausreichend gewehrt hat. Selbst wenn einige den Plenarsaal verlassen haben, als mein Vorredner Herr Zicht das gesagt hat, hier muss auch im Strafrecht endlich gelten, das ein Nein auch nein bedeutet!

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Der Straftatbestand der Nötigung muss dringend reformiert werden, denn Überraschungsangriffe, wie zum Beispiel das Begrabschen, werden nicht als sexuelle Nötigung erfasst, und die Täter gehen damit straffrei aus. Ich möchte, dass das endlich geändert wird.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das wäre eine Reaktion, die ich nach Köln, Hamburg und Stuttgart als angemessen ansehen würde. Wir müssen uns ebenso der Frage annähern, aus welchen Gründen die sexuellen Übergriffe dermaßen massiv ausgefallen sind. Das vermutlich kollektive Vorgehen, Herr Röwekamp, der Männer in Köln zeigt meines Erachtens ein Problem auf, das die viel zitierten Parallelgesellschaften mit sich bringen. Wenn sich nämlich Menschen nicht als Teil dieser Gesellschaft fühlen

(Abg. Röwekamp [CDU]: Jetzt sind wir auch noch da- ran schuld, oder was?)

und es auch gar nicht sein wollen, dann sind Ausbrüche, Herr Röwekamp, gegen Schwächere – und meistens gegen Frauen im öffentlichen Raum – leider durchaus an der Tagesordnung.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Ja, die hatten eine schwe- re Kindheit!)

Darum geht es gar nicht!

(Zuruf Abg. Röwekamp [CDU])

Es gibt doch überhaupt keine Rechtfertigung!

(Zuruf Abg. Röwekamp [CDU] – Unruhe – Glocke)

Zwischen Rechtfertigung und Erklärung gibt es große Unterschiede!

(Abg. Röwekamp [CDU]: Das ist kein Argument!)

Ich rechtfertige es überhaupt nicht! Jeder Täter in Köln muss meines Erachtens strafrechtlich verurteilt werden. Ich finde, die Ermittlungsquote ist, ehrlich gesagt, schäbig gering!

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe keine Lust auf eine Gesellschaft, die dermaßen auseinanderdriftet, dass Gettos entstehen und dass es zu einem Gettoverhalten kommt.

(Unruhe und Zurufe CDU)

Wir haben in den letzten beiden Jahrhunderten, liebe Kollegen von der CDU, genügend Beispiele dafür, auf welche Weise Parallelgesellschaften entstehen und mit welchen Mitteln man ihr Entstehen verhindern kann. Der Ruf nach ausschließlich schärferen Gesetzen, zusätzlichen Polizisten und weiterer Repression hat in allen modernen Gesellschaften eher zu einer

Verstärkung der Abschottungsprozesse geführt, aber nicht zu einer Integration. Das ist auch bekannt!

(Beifall DIE LINKE)

Liebe Kollegen von der CDU, Sie fordern, dass der Senat Abschiebungen schneller durchführt und wollen damit suggerieren, dass damit irgendeine Situation gelöst wird oder dass Frauen vor sexuellen Übergriffen geschützt werden können. Das trifft überhaupt nicht zu. Sie reden von Abschiebegesetzen. Es gibt keine Abschiebegesetze. Es gibt die Möglichkeit, Abschiebungen durchzuführen, wenn Menschen anderer Staatsangehörigkeit nachvollziehbar ausreisepflichtig sind, ihr Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen worden ist und keine Abschiebehindernisse vorliegen.

Davon reden Sie aber nicht, das ist auch gar nicht Ihr Thema. Ihnen geht es nicht um die Abschiebung im aufenthaltsrechtlichen Sinne, über die sich auch vortrefflich streiten ließe, sondern Sie meinen irgendetwas anderes. Ihr Anliegen ist mir, ehrlich gesagt, überhaupt nicht verständlich. Wollen Sie Straftäter aus Bremen abschieben?

Nach geltendem Recht sind Abschiebungen zulässig, wenn vorher eine Ausweisung verfügt worden ist und wenn sie rechtskräftig geworden ist. Die gesetzlichen Regelungen für Muss- und Regelausweisungen wurden gerade erst mit Wirkung vom 1. Januar 2016 verschärft. Es ist schon irgendwie interessant, dass die Große Koalition zwölf Tage später zu einer weiteren Verschärfung der Regelungen kommen möchte. Regelausweisungen sollen nicht nur nach einer verhängten einjährigen Freiheitsstrafe zukünftig erfolgen, sondern auch dann, wenn die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die beabsichtigte Regelung ist überhaupt nicht rechtsfest. Sie streuen den Menschen Sand in die Augen. Eine Bewährungsstrafe wird dann verhängt, wenn keine Wiederholungsgefahr vom Täter ausgeht und wenn die Sozialprognose günstig ist. Mit diesen Voraussetzungen können Sie die Ausweisung nicht rechtfertigen. Was wollen Sie eigentlich?