Protokoll der Sitzung vom 24.02.2016

Wird das Wort zu den interfraktionellen Absprachen gewünscht? – Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Wer mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden.

(Einstimmig)

Des Weiteren möchte ich davon Kenntnis geben, dass die Fraktion der CDU ihre Kleine Anfrage zum Thema „Paraffinische Kraftstoffe in Bremen“ inzwischen zurückgezogen hat.

Ferner möchte ich Ihnen mitteilen, dass der Abgeordnete Turhal Özdal mit Wirkung vom 15. Februar 2016 sowohl aus der Partei als auch aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ausgetreten ist und sein Mandat als parteiloser Abgeordneter, bis auf Weiteres als Hospitant bei der CDU-Bürgerschaftsfraktion, weiterhin ausüben wird.

(Beifall CDU)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Aktuelle Stunde

Meine Damen und Herren, für die Aktuelle Stunde ist von der Abgeordneten Frau Vogt und Fraktion DIE LINKE folgendes Thema beantragt worden:

Land unter an den Schulen – Forderungen der Bremer Schulleitungen schnell umsetzen

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Dr. Bogedan.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Es gibt aktuell drei Anlässe, aus denen wir die Aktuelle Stunde beantragt haben.

Es gab erstens vor zwei Wochen den Brandbrief der elf Schulleiter und Schulleiterinnen aus dem Bre

mer Westen sowie der Leiterin des ReBUZ zur Umsetzung der Inklusion. Der eigentliche Auslöser für die Beantragung der Aktuellen Stunde war zweitens die Teilpersonalversammlung der Schulleiterinnen und Schulleiter im Land Bremen, die einen umfassenden Forderungskatalog erhoben haben. Drittens gab es letzte Woche Donnerstag auch noch die Personalversammlung der Lehrerinnen und Lehrer, die mit über 2 500 Beschäftigten an Bremer Schulen sehr gut besucht wurde und auf der ziemlich deutliche Worte zum Zustand, der Situation an den Schulen gefunden wurden.

Dass sich Schulleitungen so öffentlich und so massiv äußern, das ist, ehrlich gesagt, ein Alarmzeichen, weil Schulleitungen im Gegensatz zu Gewerkschaften und Personalräten eher leisere Töne anschlagen. Sie sagen aber ganz klar: Die Probleme an den Schulen können nicht länger ignoriert und kleingeredet werden. Aus den Schulen wird inzwischen auch „Land unter“ gemeldet. Deswegen denken wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss jetzt gehandelt werden,

(Beifall DIE LINKE)

und es muss jetzt Planungssicherheit für die Schulen geschaffen werden. Wir können nicht auf die Haushaltsberatungen warten, denn wir wissen bis heute nicht, wann sie stattfinden und wann der Haushalt hier verabschiedet werden wird.

Beide Stadtgemeinden sind von den Problemen an den Schulen betroffen. Das Land steht unseres Erachtens in der Pflicht, gegenzusteuern und insbesondere Bremerhaven nicht mit den Problemen alleinzulassen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Stellungnahmen zu den drei Ereignissen weisen auf die gleichen Probleme an den Schulen im Land Bremen hin, wenn auch jeweils eigene Schwerpunkte gesetzt werden. Folgende vier Kritikpunkte finden sich in allen Stellungnahmen der Schulleiter, die sich geäußert haben, wieder: erstens die Probleme bei der Umsetzung der Inklusion, zweitens die große Herausforderung bei der Beschulung der Kinder von Geflüchteten, drittens die Überlastung, die deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist, der Schulleitungen und einzelner Lehrkräfte und viertens die fehlende Planungssicherheit.

Ich will deswegen kurz zu den vier Punkten, die die Schulleitungen deutlich und offen kritisiert haben, Stellung nehmen. Die Umsetzung der Inklusion – das ist hier oft debattiert worden –, ist nicht mit ausreichendem Personal und ausreichenden Ressourcen ausgestattet. Es war ein Irrglaube – und auch das ist hier schon häufig thematisiert worden –, dass man eine solch umfassende Reform weitestgehend ohne zusätzliche Kosten umsetzen könne, indem man Lehrerin

nen und Lehrer der Förderzentren einfach auf die Schulen umverteilt. Die mangelhafte Umsetzung, die wir hier wirklich schon des Öfteren besprochen haben, hat inzwischen zumindest in einigen Stadtteilen und Regionen zum Teil dramatische Auswirkungen angenommen.

Die Schulleiter und die ReBUZ-Leitungen sagen ganz deutlich, dass die Störungsbilder bei Kindern nicht abnehmen, sondern dass sie sich verstärken. Die Teilhabe, der Grundgedanke der Inklusion, wird damit überhaupt nicht verwirklicht. Es ist besonders erschreckend, dass alle Kinder unter schlecht umgesetzten Maßnahmen leiden, da die Regelkinder nicht mehr die Aufmerksamkeit bekommen, die sie vorher hatten.

In der Folge – und das ist besonders schwierig – verlieren Eltern, und zwar insbesondere die Eltern von Kindern mit Förderbedarf, das Vertrauen in das bremische Schulsystem. Alle bildungspolitischen Sprecher der hier im Hause vertretenen Fraktionen haben mit Sicherheit in den letzten Jahren Briefe von Eltern erhalten, in denen darum gebeten worden ist, dass die Förderzentren weiter Bestand haben sollten. Das kann aber nicht in unserem Interesse liegen.

Es ist auch völlig klar, dass die Situation in einigen Regionen dramatischer ist als in anderen. Es gibt Schulen, an den die Umsetzung der Inklusion kein besonderes Problem darstellt. Das hat dann natürlich etwas damit zu tun, dass die Inklusion einfach umfassend ist. Es sind einige Stadtteile mit multiplen Schwierigkeiten und Herausforderungen vorhanden. Als Stichworte nenne ich beispielhaft die Armut, mehr geflüchtete Kinder, mehr Kinder, die zugewandert sind, mehr Kinder mit Migrationshintergrund aus armen Familien, und zwar nicht die Kinder der Facharbeiter bei Mercedes. Genau an dieser Stelle gibt es Kinder mit größerem Förderbedarf, und genau an dieser Stelle arbeiten die Schulen mit der Folge am Limit, dass die Inklusion nicht umgesetzt werden kann. Wie gesagt, diese Situation finden Sie nicht in der gesamten Stadt vor, in Bremerhaven ist sie allerdings ein bisschen gleichmäßiger verteilt.

Wir als LINKE vertreten die Auffassung, dass diese Situation dringend geändert werden und dringend eine Umsteuerung stattfinden muss.

(Beifall DIE LINKE)

Die Schulleiterinnen und Schulleiter im Bremer Westen haben vor zwei Wochen auf der öffentlichen Beiratssitzung gesagt, dass von elf ZuP-Leitungsstellen im Bremer Westen seit dem 1. Februar nur noch eine Stelle besetzt ist. Das ist, ehrlich gesagt, ein Skandal. Es ist natürlich dringend notwendig, dass diese freien Stellen besetzt werden. Es reicht aber nicht. Es ist in meinen Augen peinlich, dass nach dem massiven Hilferuf der Schulen weder der Senatorin noch den Vertretern der Koalition bis auf die Stellenbesetzungen keine weiteren Maßnahmen einfallen.

Meines Erachtens ist es auch ein Zeichen der Hilflosigkeit, wenn die Bildungssenatorin sich dahingehend äußert, dass es für die freien Stellen nicht genügend Bewerber gebe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Dr. Bogedan, das sind hausgemachte Probleme. Uns ist klar, dass Sie diese Probleme nicht zu verantworten haben. Es ist aber eine Tatsache, dass inzwischen viele engagierte Lehrkräfte und viele engagierte Sonderpädagogen, die ganz enthusiastisch die Inklusion umsetzen wollten und sich zum Teil aus Niedersachsen nach Bremen versetzen ließen, aus Enttäuschung über die Realität an den Bremer Schulen und aus der Verantwortung für ihre Kinder jetzt sagen, sie könnten nicht so tun, als sei alles in Ordnung und dass es verantwortungslos sei, die ZuP-Leitung niederzulegen, um anschließend als normale Lehrkraft in den Schulen zu arbeiten. Das ist ein Problem. Es hat nichts mit der ungenügenden Bewerbungslage, sondern mit der Situation an Bremens Schulen zu tun.

(Beifall DIE LINKE)

Wir müssen die Inklusion mit weiteren Maßnahmen stützen, weil sie sonst zu scheitern droht. Wir wollen das nicht. Ich will es zumindest nicht, und ich glaube, meinen Kolleginnen und Kollegen wollen es auch nicht. Es müssen zusätzliche Stellen für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen geschaffen werden. Außerdem müssen die Stellen lukrativer ausgestattet werden, damit es endlich für auswärtige Bewerber attraktiv wird, sich in Bremen zu bewerben.

Bremen muss – und auch das ist die Wahrheit – schnell und massiv zusätzliche Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen ausbilden. Es war natürlich fatal, dass die Fortbildung der Lehrer, die bereits das Lehramt ausüben, auf die lange Bank geschoben worden ist, weil sie seinerzeit ein Teil der Auseinandersetzung über die Finanzen zwischen dem Ressort und dem übrigen Senat gewesen ist.

Natürlich war das fatal, und natürlich ist es genauso fatal, dass ausgerechnet der renommierte Studiengang Behindertenpädagogik geschlossen worden ist. Das heißt im Umkehrschluss, wenn wir zu wenig Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen ausbilden, dann müssen wir jetzt die Weichen stellen. Wir müssen jetzt die Studienkapazitäten an der Universität ausbauen. Wenn wir damit bis nach den Haushaltsberatungen warten, dann ist das Zulassungsverfahren für die Universitäten abgeschlossen, das heißt, es ist wieder einmal zu spät.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt genug junge Menschen, die sich für den Beruf des Lehrers für Kinder mit Förderbedarfen interessieren. Wir können es uns nicht leisten, diesen jungen Menschen keinen Studienplatz anzubieten.

Ich finde, die Inklusion kann noch gelingen, wenn sofort gehandelt wird und die Weichen neu gestellt werden.

Zweitens, die Beschulung der Kinder von Geflüchteten! Wir haben uns in den vergangenen Monaten zuerst Gedanken über die Vorkurse und den Ausbau des Vorkurssystems gemacht. Es ist allen Fraktionen – zumindest denjenigen, die hier ernsthaft arbeiten – klar, dass wir vor besonderen Schwierigkeiten stehen, weil wir teilweise gar nicht wissen, wie viele Kinder beschult werden müssen. Die Zahlen ändern sich ständig.

Wir müssen uns – und das ist in den letzten Monaten ein wenig zu kurz gekommen, das monieren die Schulleiter zu Recht – dringend darum kümmern, was im Anschluss an die Vorkurse passiert, denn die Kinder können nach dem Besuch eines sechs- beziehungsweise zwölfmonatigen Vorkurses nicht perfekt Deutsch sprechen. Sie beherrschen insbesondere nicht die Fachsprache. Sie müssen also weiterhin gefördert werden, selbst dann, wenn sie am Regelunterricht teilnehmen. Geschieht das nicht, wird die Integration in unser Schulsystem schwierig, und sie werden keinen Abschluss nach ihren Fähigkeiten schaffen.

Diese besondere Förderung gestaltet sich schwierig, weil – die entsprechenden Vorlagen haben der Deputation vor einem Monat vorgelegen – bis auf die ersten und die fünften Klassen im Prinzip alle Klassen in allen Schulformen und in allen Schulstufen in den nächsten Jahren zusätzliche Schüler aufnehmen müssen, und zwar zwei pro Klasse.

Es wundert mich nicht, dass dieses Vorhaben bei den Schulleitungen und bei den Lehrkräften auf Widerstand stößt. Ich habe bereits vor einem Monat in der Deputationssitzung gesagt, dass man meiner Meinung nach nur mit einer konsequenten Doppelbesetzung mit zwei Lehrkräften in den Grundschulen – eigentlich aber auch in den Oberschulen – dafür sorgen kann, dass die Kinder ausreichend gefördert und in den Klassen mit angemessenen Mitteln der Binnendifferenzierung gearbeitet werden kann.

(Beifall DIE LINKE)

Ich betone, das gilt insbesondere und vordringlich für Schulen, die sowieso schon durch die hohen Sozialindikatoren vor besonderen Aufgaben und Herausforderungen stehen. Ich finde, es ist ein enormes Problem, wenn in die Grundschulen, in denen der Migrationsanteil bei 80 Prozent liegt – und in einigen Schulen werden über 40 Eingangssprachen gesprochen –, zusätzliche Kinder in die Klassen aufgenommen werden sollen, ohne dass eine zweite Lehrkraft in die Klassen geschickt wird. Es ist dann eigentlich vorprogrammiert, dass alle Schüler dieser Schulen Schwierigkeiten haben werden. Aus meiner Sicht ist die Forderung nach einer zweiten Lehrkraft deshalb als absolut gerechtfertigt und sinnvoll anzusehen.

(Beifall DIE LINKE)

Mitte Januar hat der Senat in seinem Integrationskonzept zusätzliche Wochenstunden für Doppelbesetzungen in Aussicht gestellt, aber – das ist das Problem – es fehlt bis heute jegliche Konkretisierung, was das im Einzelnen bedeuten soll. Die Vorstellung der Senatorin und die Senatsvorlage sind schlichtweg noch nicht beschlossen worden. Die Realität sieht einfach anders aus. Ankündigungen helfen uns hier nicht weiter.

Der dritte Punkt, den die Schulleitungen moniert haben, ist die Überlastung. Wir haben einfach eine Vielzahl neuer Aufgaben für die Schulen und die Schulleitungen geschaffen, aber nicht mehr Arbeitszeit zur Verfügung gestellt. Das sagen alle Stellungnahmen, sie benennen eine massive Überlastung und weisen darauf hin, dass der Krankenstand entsprechend hoch ist. Die Überlastung berührt unter anderem daher, dass Lehrkräfte und Schulleitungen all die zusätzlichen Aufgaben, die ihnen von der Politik seit 2009 übertragen worden sind, in der gleichen Arbeitszeit schaffen sollen. Das ist schlichtweg nicht möglich, liebe Kolleginnen und Kollegen!