Protokoll der Sitzung vom 24.02.2016

Der Koalitionsantrag ist für uns ein sehr wichtiges und gutes Signal, um endlich der Gewalt gegen Frauen konsequent entgegenzutreten und sie zu bekämpfen. Deswegen stimmen wir ihm gern zu.

(Beifall FDP, ALFA)

Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Aulepp das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bevor ich etwas zu einem Aspekt aus dem Antrag der LINKEN sage, muss ich leider wieder sagen, dass in der Rede der FDP mit Unterstellungen gearbeitet worden ist. Ich weise zurück, dass die Polizei ihre Arbeit nicht ordentlich macht und Anzeigen nicht aufnimmt und Berichte nicht erstattet. Frau Steiner, Sie haben nicht richtig zugehört.

(Abg. Frau Steiner [FDP]: Wir sind nicht die einzigen, die das gesagt haben!)

Sie haben auch an der Stelle nicht richtig zugehört, als wir gesagt haben, dass es alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft, in denen Verbesserungen vorgenommen werden sollten. Dass Sie sagen, wir könnten den

Menschen, die bedroht sind, hier keinen Schutz gewährleisten, finde ich rechtsstaatlich bedenklich, aber möglicherweise haben Sie das nicht so gemeint. Das weiß man bei Ihnen nicht immer so genau.

(Abg. Frau Steiner [FDP]: Oh, dann müssen Sie einmal zuhören! – Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Wollen Sie sich um unsere Zustimmung bringen, oder warum kriti- sieren Sie uns?)

Jetzt möchte ich noch etwas zu dem Aspekt sagen, den ich noch nicht angesprochen habe. Ich habe gesagt, die Istanbul-Konvention geht über den Bereich des Strafrechts und des unmittelbaren Schutzes der betroffenen Frauen hinaus und macht deutlich, dass es eben auch um die Veränderung der gesellschaftlich nach wie vor akzeptierten und gelebten tradierten Geschlechterungleichheit geht. Ich habe schon gesagt, es geht um patriarchale Macht. Diese Machtstrukturen müssen überwunden werden, meine Damen und Herren!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Daran müssen wir arbeiten, und zwar an allen Stellen, an denen staatliche Institutionen auf gesellschaftliche Realität Einfluss nehmen können.

(Glocke)

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Buhlert zu? – Bitte sehr!

Frau Kollegin Aulepp, stimmen Sie mit mir überein, dass man die Ausstattung der Polizei nicht als so gut bezeichnen kann, dass sie dem Problem wirklich vollumfänglich begegnen kann, und es hier richtige Kritik der Abgeordneten Steiner daran gab, dass die Ausstattung nicht ausreicht und wir dort vielleicht auch mehr Menschen brauchen?

Herr Dr. Buhlert, ich rede im Moment nicht über die Ausstattung der Polizei. Ich habe Frau Steiner an der Stelle kritisiert, an der sie die Arbeit unserer Polizei kritisiert hat.

(Abg. Frau Steiner [FDP]: Habe ich nicht!)

Darauf habe ich mich beschränkt. Ich würde an dieser Stelle gern fortfahren!

(Beifall SPD)

Frau Bernhard hat die Veränderung der gesellschaftlichen Realität in den Mittelpunkt gestellt. Meine Damen und Herren, das ist richtig so! Wir müssen weiter daran arbeiten, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, aber auch in der Gesellschaft ent

sprechend wahrgenommen werden. Auch das ist ein wichtiger Punkt im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und gegen sexualisierte Gewalt.

(Beifall SPD)

Bremen tut schon viel. Die Grundlagen sind gelegt. Die guten Gesetze, Beschlüsse und Maßnahmen müssen umgesetzt und im Alltag gelebt werden. Dazu brauchen wir keinen weiteren Beschluss in diesem Haus, sondern das muss umgesetzt werden. Ich spreche hier über die Verpflichtung auf die geschlechtergerechte Erziehung auch im Hinblick auf sexuelle Selbstbestimmung und gegen Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung oder Identität. Die ist im Bremischen Schulgesetz verankert und wird mit regelmäßigen Fortbildungen, Handreichungen und Unterrichtsmaterial umgesetzt. Das gilt auch für entschlossenes Vorgehen gegen sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt in den Bereichen und auch in der offenen Jugendarbeit. Im aktuellen Rahmenkonzept nimmt die geschlechtergerechte Jugendarbeit einen breiten Raum ein. Meine Damen und Herren, in der offenen Jugendarbeit wird Gender Mainstream praktisch gelebt.

(Beifall SPD)

Auch wenn wir also allgemein viele Übereinstimmungen haben, schießt der Antrag der LINKEN meiner Meinung nach und nach der Auffassung meiner Fraktion an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinaus. Dass wir die bremischen Vergnügungsviertel – die Frage ist, welche das eigentlich sind – mit Präventionskonzepten schützen sollen, klingt mir zu sehr nach der Armlänge Abstand. Deswegen werden wir den Antrag der LINKEN ablehnen. Ich bitte aber um Zustimmung zum Koalitionsantrag! – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat Senator Günthner das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns treibt ja nicht erst seit heute die Frage um, wie es uns gelingt, die Verurteilungsquote zu erhöhen. Wir, das Innenressort und das Justizressort, haben ja diese niedrige Verurteilungsquote 2014 zum Anlass genommen, das Ipsos-Institut zu beauftragen, herauszufinden, woran es liegt, sich Fälle, einschlägige Akten der Staatsanwaltschaft aus dem Jahr 2012, anzuschauen und sie auszuwerten. Bremen ist damit das erste Bundesland gewesen, das das gemacht hat. Ich will zum Zweiten darauf hinweisen, dass es nach meiner festen Überzeugung zentral notwendig ist, das, was an Strafbarkeitslücken da ist, zu schließen. Sie haben schon das Beispiel des Bundesjustizministers und des Bundesjustizministeriums benannt, das Vor

schläge gemacht hat. Nach unserer Überzeugung ist das ein erster Schritt, um die Strafbarkeitslücken zu schließen. Gleichzeitig ist es nach unserer Auffassung notwendig, weiterzugehen. Deswegen unterstützen wir auch ausdrücklich den Versuch Hamburgs im Bundesrat, die Strafbarkeit insbesondere nicht von der Anwendung von Gewalt oder von der Gegenwehr des oder der Betroffenen abhängig zu machen. Vielmehr muss das fehlende Einverständnis der oder des Betroffenen Anknüpfungspunkt sein. Das ist das, was hier in der Debatte schon als sogenannte „Nein heißt Nein“-Lösung diskutiert worden ist. Wir sind der Überzeugung, dass man über technische Ausstattung sprechen kann und sprechen muss, wie wir das auch, abgeleitet aus der IPSOS-Studie, machen. Wir wollen polizeiliche Vernehmungen künftig generell mit Audiogeräten aufzeichnen, damit die Aussagen des Opfers möglichst authentisch und mit hoher Qualität für das weitere Verfahren gewährleistet werden. Die Vernehmungen sollen damit wortgetreu verschriftlicht werden. Schon heute funktionieren die Vernehmungen der Opferzeuginnen durch die spezialisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachkommissariate gut. Allerdings könnten die Polizeibeamtinnen noch besser als bisher auf die Zeugin eingehen, wenn sie nicht während der Vernehmung auch noch Protokoll führen müssten. Ich muss in dem Zusammenhang darauf hinweisen, dass Bremen vor 30 Jahren mit dem sogenannten Bremer Modell, das nämlich eine Schaffung eines Sonderdezernats bei der Staatsanwaltschaft, wo wir im Moment drei Staatsanwältinnen haben, und bei der Polizei, mit dem K32 mit 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und mit dem K31 in Bremerhaven, vorsieht, Fachkommissariate bei der Polizei eingeführt haben, um das, was an Expertenwissen notwendig ist, dann auch ins Feld führen zu können. Nach diesem Bremer Modell wird noch heute verfahren. Aber bei den niedrigen Verurteilungsquoten, bei der Anklagequote, über die man möglicherweise ebenfalls kritisch diskutieren kann, kommt es eben nicht darauf an, zu sagen, dass wir schon eine ganze Menge machen, sondern es kommt darauf an, daran zu arbeiten, wie es noch besser werden kann. Dazu gehört ebenfalls, dass wir im Sinne des Opferschutzes, wenn es rechtlich zulässig erscheint, frühzeitig eine richterliche Videovernehmung durchführen wollen. Schon heute wird dieses Instrument der richterlichen Videovernehmung genutzt. Das Gericht nutzt hierfür die Räumlichkeiten der Polizei. Zukünftig sollen diese richterlichen Videovernehmungen im Amtsgericht stattfinden. Dafür schaffen wir im Moment die räumlichen und technischen Voraussetzungen. Die Verfahrensbeteiligten von Justiz und Polizei sollen für die Vernehmungen besonders weitergebildet werden. Die Ermittlungen im Umfeld des Tatverdächtigen sollen, wo es sinnvoll und mit der Unschuldsvermutung vereinbar erscheint, intensiviert werden. Eine der mit diesen Fällen speziell befassten Staatsanwältinnen soll die Anklage auch in der Hauptverhand

lung vertreten. Damit dies zukünftig besser gelingt, wird die Staatsanwaltschaft das Gericht schriftlich bitten, die Terminierung der Hauptverhandlung mit der Staatsanwaltschaft abzusprechen, wie mit der Verteidigung und der Nebenvertretung auch. Die Opfer sollen noch stärker als bisher auf Unterstützungsangebote durch Zeugenbeistände und Nebenklagevertreterinnen hingewiesen werden. Das Opfermerkblatt wird zurzeit unter Einbeziehung der Opferschutzorganisationen entsprechend überarbeitet. Sie sehen also, dass wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen auflegen wollen, dass Justiz und Inneres eng an der Umsetzung dieser Maßnahmen arbeiten, dass wir den Runden Tisch weiter in den kritisch-konstruktiven Dialog über die Umsetzung einbeziehen wollen und natürlich ebenfalls gern im Rechtsausschuss über diese Fragestellungen mit Ihnen diskutieren wollen. Klar ist aber eben nach meiner festen Überzeugung auch, dass wir die Strafbarkeitslücken, über die in Deutschland verhältnismäßig lang diskutiert worden ist, schließen müssen. Ich sage das mit der gebotenen Zurückhaltung. Ich freue mich jetzt, dass auch von denen, die politisch in Berlin in Verantwortung gewesen sind, signalisiert wird, den Vorschlag, den der Bundesjustizminister gemacht hat, in den Gremien durchlaufen zu lassen, dass sie nicht nur den Ansatz des Bundesjustizministers richtig finden, sondern dass sie darüber hinaus weitere Strafbarkeitslücken schließen wollen. Ich freue mich ausdrücklich über diese Unterstützung. Ich finde, dass die Bremische Bürgerschaft damit insgesamt ein deutliches Zeichen gegen sexuelle Gewalt setzt, ein deutliches Zeichen setzt, dass wir den Betroffenen das an Recht, was notwendig und richtig ist, zukommen lassen wollen und wir dafür auch über die Hürden, die der eine oder andere in den Diskussionen bisher aufgebaut hat, hinwegspringen können. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Als Erstes lasse ich über den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 19/301 – Neufassung der Drucksache 19/261 – seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! Ich bitte um die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

(Einstimmig)

Nun lasse ich über den Antrag der Fraktion DIE LINKE abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 19/299 – Neufassung der Drucksache 19/292 – seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür DIE LINKE, CDU, ALFA)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Ich schlage vor, jetzt in die Mittagspause einzutreten. Ich unterbreche die Sitzung bis 14.40 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung 13.29 Uhr)

Vizepräsident Imhoff Weber eröffnet die Sitzung wieder um 14.42 Uhr.

Die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Mitglieder des kurdischen Vereins Barati.

(Beifall)

Bevor wir die Tagesordnung fortsetzen, teile ich Ihnen mit, dass nachträglich interfraktionell vereinbart wurde, bei Tagesordnungspunkt 8, Freihändige Vergaben und beschränkte Ausschreibungen nur mit Tarifbindung – Gesetz zur Änderung des Bremischen Gesetzes zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe, Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen, Drucksache 19/191, auf eine Aussprache zu verzichten.

Wir setzen die Tagesordnung fort.

Menschenrechte in der Türkei verteidigen – für Aufklärung der Ermordung Tahir Elçis und für sofortige Freilassung der inhaftierten Journalisten! Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 8. Dezember 2015 (Drucksache 19/217)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Staatsrätin Hiller.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.