Protokoll der Sitzung vom 25.02.2016

(Glocke)

Ich komme zum Schluss! Diese Obergrenze ist keine rechtliche, damit haben Sie recht. Es ist aber auch keine gesellschaftliche, sondern die Obergrenze ist eine Frage der auskömmlichen Ausstattung öffentlicher Haushalte,

(Beifall SPD)

und wir können gemeinsam auch auf Bundesebene noch daran arbeiten, dass nicht zum Beispiel die CSU nach wie vor eine Einigung bei der Erbschaftsteuer blockiert, sondern dass wir sagen, dass starke Schultern mehr tragen müssen als schwache, um die Haushalte auskömmlich zu finanzieren und Integration zu gewährleisten. Das wären echte Lösungen und keine Scheinlösungen, und dafür werden wir uns vehement einsetzen. – Ich danke Ihnen!

(Beifall SPD und CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zicht.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Röwekamp, auch wenn wir in der Sache hier vielleicht nicht immer einer Meinung sind, so sind wir doch mit dem gleichen Vorsatz in die Debatte gegangen. Auch ich habe mir vorgenommen, heute einen Ton anzuschlagen, der es nicht dazu kommen lässt, dass wir einen ähnlichen Tiefpunkt erleben.

(Zuruf des Abg. Röwekamp [CDU])

Dann will ich auch einen lauteren Ton anschlagen. Danke!

Ich empfand gerade die Aktuelle Stunde im Januar in meiner kurzen Zeit in dieser Bürgerschaft als einen gewissen Tiefpunkt in der Debattenkultur, und ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass es nicht noch einmal dazu kommt. Ich hoffe, es gelingt mir ebenso gut wie Ihnen, Herr Röwekamp. Ich erlaube mir allerdings auch, ein wenig mehr auf die vorliegenden Anträge einzugehen.

Wir debattieren heute erneut neue Asylgesetze auf Bundesebene, und wiederum muss ich an dieser Stelle begründen, warum wir Grünen diese Gesetze ablehnen. Angesichts der gigantischen Herausforderung, vor der wir stehen, würde ich Ihnen viel lieber erzählen, dass auf Bundesebene endlich ein Asylpaket beschlossen wurde, dem wir zustimmen können, ein Asylpaket, das tatsächlich zu einer Beschleunigung der Asylverfahren beiträgt, ohne die Rechte der Asylsuchenden auf ein ordentliches Verfahren zu untergraben, ein Asylpaket, das Integration fördert statt verhindert.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Die von der Bundesregierung geplanten Gesetze werden diesen Ansprüchen leider wieder nicht gerecht, und das bedauern wir sehr.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Dass wir es erneut mit einem Gesetzgebungsvorhaben zu tun haben, dem wir Grünen nicht zustimmen können, liegt bereits darin begründet, wie die Gesetze entstanden sind. Es ist doch so: Bei der Bundestagswahl am 22. September 2013 haben die Wählerinnen und Wähler 63 Abgeordnete der Grünen in den Bundestag gewählt, damit diese dort für unsere Partei an der Bundesgesetzgebung mitwirken. Wenn die Union ein ernsthaftes Interesse hätte, mit uns Grünen zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, dann würde sie die mehrmals ausgesprochenen Angebote unserer Bundestagsfraktion zur Zusammenarbeit annehmen. Mit ziemlicher Sicherheit würde dann etwas herauskommen, dem auch der Bremer Senat im Bundesrat zustimmen könnte. Es käme etwas heraus, das tatsächlich endlich zu einer Entlastung des BAMF beitragen würde. Es enthielte möglicherweise eine Altfallregelung für unangemessen lang andauernde Asylverfahren, damit endlich der Antragsstau beim BAMF aufgelöst wird.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Es würde möglicherweise eine Abschaffung des obligatorischen Widerrufsverfahrens vorsehen, wonach das BAMF drei Jahre nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verpflichtet ist, jeden Antrag noch einmal neu zu überprüfen – eine völlig irrsinnige Verschwendung der Ressourcen des BAMF.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Aber an einer solchen konstruktiven Zusammenarbeit auf Bundesebene hat die Bundesregierung offensichtlich bisher kein Interesse. Stattdessen heißt das Motto: „abschieben, abschotten und abschrecken“. Der Bundestag wird vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Asylgesetze werden in einem unwürdi

gen Schnellverfahren durch das Parlament gejagt, und am Ende hofft die Bundesregierung, dass ihnen eine oder zwei Landesregierungen mit grüner Beteiligung, soweit erforderlich, zur nötigen Bundesratsmehrheit verhelfen. Die Union und die Bundesregierung zeigen also in Wahrheit überhaupt kein Interesse daran, die Grünen in dieser schwierigen Zeit mit ins Boot zu holen, sondern sie wollen uns schlicht auseinandertreiben. Das ist natürlich Ihr gutes Recht, aber stellen Sie sich dann bitte nicht mehr hier hin und werfen uns mangelndes Verantwortungsbewusstsein vor, denn dieser Vorwurf ginge dann gleich zurück an den Absender.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

In der Sache gibt es sehr viele Gründe, warum wir das Asylpaket II ablehnen. Ich möchte hier nur die drei wichtigsten nennen. Der erste Grund, warum wir dem Asylpaket II nicht zustimmen können, ist das sogenannte beschleunigte Verfahren. Bei allem Verständnis für das Ziel, die Verfahren zu beschleunigen, so geht es nicht. Was hier vorgesehen ist, ist nur noch die schlechte Karikatur eines ordentlichen und fairen Verfahrens. Die Menschen werden in sogenannte besondere Aufnahmeeinrichtungen gesteckt und durch ein Ein-Wochen-Schnellverfahren gejagt. Dabei unterliegen sie einer strengen Residenzpflicht, sodass es ihnen in vielen Fällen nicht möglich sein wird, rechtzeitig einen Termin bei einer Beratungsstelle, einem Anwalt oder auch einem Arzt zu bekommen.

Wenn sie gegen diese Residenzpflicht verstoßen, weil sie zum Beispiel in der nächstgrößeren Stadt lange vermisste Freunde oder Verwandte aufsuchen oder weil sie nur dort einen Termin bei einem Anwalt oder Arzt bekommen haben, dann gilt – so ist jetzt die Regelung im Asylpaket II – der komplette Asylantrag als zurückgenommen, und dem Betroffenen droht Abschiebung ins Herkunftsland, selbst wenn ihn dort Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen erwarten. Das, meine Damen und Herren, ist doch völlig unverhältnismäßig und kann von uns absolut nicht mitgetragen werden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Der zweite Grund, warum wir dem Asylpaket nicht zustimmen können, ist die Verschärfung beim Familiennachzug. Das ist ein echter Integrationskiller und führt viele Integrationsanstrengungen, die wir hier in Bremen unternehmen, ad absurdum.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Frauen und Kinder werden den Schleppern geradezu in die Arme getrieben und werden sich auf gefährliche Fluchtwege begeben müssen. Wir können daher jedes einzelne Wort des Antrags der Linksfraktion unterschreiben und würden ihm nur allzu

gern zustimmen, auch wenn er teilweise von der Entwicklung überholt wurde. Auf Bitten unseres Koalitionspartners müssen wir den Antrag leider ablehnen. Zu meiner Freude habe ich aber heute in der Zeitung lesen können, dass mit Sarah Ryglewski immerhin eine der beiden Bremer SPD-Bundestagsabgeordneten das Asylpaket ablehnen wird. An dieser Stelle daher meinen Respekt und Dank an Sarah Ryglewski für diese Entscheidung!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Der wesentliche Grund, aus dem wir dem Asylpaket II nicht zustimmen können, sind die neuen Regelungen zu Abschiebehindernissen in gesundheitlicher Hinsicht. Hier werden Asylsuchende unter Generalverdacht gestellt, Erkrankungen lediglich vorzutäuschen, um eine Abschiebung zu verhindern. Tatsächlich ist es aber doch so, dass Flüchtlinge deshalb psychische Erkrankungen sehr häufig als Abschiebehindernis geltend machen, weil sie nun einmal häufig unter psychischen Erkrankungen leiden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Das ist doch auch logisch angesichts des Horrors, dem sie oftmals ausgesetzt waren.

Dass eine schwerwiegende posttraumatische Belastungsstörung künftig in der Regel kein Abschiebehindernis mehr darstellen soll, ist vor diesem Hintergrund nicht zu rechtfertigen. Angesichts der Debatten nach den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht ist mir wirklich unbegreiflich, wie die Bundesregierung gerade auch Frauen, die auf ihrer Flucht Opfer von Vergewaltigungen wurden, derart schutzlos stellen kann.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

So viel in aller Kürze zum Asylpaket II! Das Paket enthält neben einigen wenigen diskutablen Vorschlägen noch viele weitere indiskutable Regelungen, auf die ich hier nicht im Einzelnen eingehen kann. Auch beim Thema sichere Herkunftsstaaten will ich mich kurz fassen. Sie kennen die grundsätzliche Kritik meiner Fraktion an diesem Instrument. Es ist übrigens schlicht falsch, wenn behauptet wird, erst die Einstufung der Westbalkanstaaten als sicher habe zu einem erheblichen Rückgang der Zahl der Asylsuchenden aus diesen Ländern geführt, denn der Rückgang der Zahlen insbesondere aus dem Kosovo und Albanien erfolgte bereits vor dieser Einstufung und beruhte offensichtlich darauf, dass die Bundesregierung in diesen Ländern Informationskampagnen durchgeführt hat, um auf die realen geringen Erfolgsaussichten von Asylanträgen in Deutschland hinzuweisen.

Wie man nun allen Ernstes behaupten kann, dass in den Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien eine politische Verfolgung landesweit für alle Per

sonen und Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden könne, ist mir wirklich schleierhaft.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

In Marokko laufen Angehörige linksgerichteter Gruppen Gefahr, von Polizei und Sicherheitskräften gefoltert zu werden. Journalisten werden aufgrund von konstruierten Anklagen verurteilt. In Tunesien werden Schwule wegen ihrer sexuellen Orientierung vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt. In Algerien lösen Sicherheitskräfte friedliche Demonstrationen gewaltsam auf. Aktivisten werden festgenommen. Alle drei Länder durchlaufen eine Phase des gesellschaftlichen Umbruchs. Es ist wirklich völlig abwegig, unter diesen Umständen davon auszugehen, dass es dort zu keiner politischen Verfolgung kommt.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Merkwürdig finde ich, dass die CDU in ihrem Antrag hervorhebt, es liege gerade im Bremer Interesse, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Dadurch wird der Eindruck erweckt, als helfe dies irgendwie dabei, den Kriminalitätsproblemen Herr zu werden, die wir mit nordafrikanischen Jugendlichen in der Stadt haben. Wer so etwas behauptet, streut den Menschen Sand in die Augen.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Das steht aber auch nicht darin!)

Denn – –.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Das steht nicht darin!)

Es steht aber darin, dass es im Bremer Interesse liege, – –.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Ja, genau!)

Genau!

(Abg. Hinners [CDU]: Was ist dagegen einzuwen- den?)

Ich komme dazu, Herr Hinners! Für unbegleitete minderjährige Ausländer gelten die Regelungen zu sicheren Herkunftsstaaten gar nicht. Weil die Maghreb-Staaten nicht zu den Ländern mit besonders vielen Asylanträgen gehören, werden erwachsene Asylsuchende aus diesen Staaten bisher nur auf bestimmte Bundesländer verteilt, und Bremen gehört gerade nicht dazu. Darum kommen gar keine erwachsenen Asylsuchenden aus den Maghreb-Staaten nach Bremen.

Für die Jugendlichen aus Marokko, Tunesien und Algerien, die hier in Bremen zur Schule gegangen und

nun einen Job gefunden oder eine Lehre angefangen haben, hätte eine Einstufung ihrer Heimatländer als sichere Herkunftsstaaten übrigens durchaus verheerende Folgen. Denn sobald sie volljährig werden und einen Asylantrag stellen, würde für sie dann plötzlich das im letzten Herbst von Ihnen eingeführte absolute Arbeitsverbot gelten. Das heißt, sie müssten ihren Job aufgeben beziehungsweise ihre Lehre abbrechen. Welchen integrationspolitischen Sinn das hätte, kann mir wirklich keiner erklären.