Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

Bevor wir zur Abstimmung kommen, habe ich noch eine Frage: Frau Bernhard, habe ich das richtig verstanden, dass Sie Ihren Änderungsantrag zurückgezogen haben?

(Zuruf: Ja!)

Wir kommen zur Abstimmung.

Als Erstes lasse ich über das Gesetz zur Änderung des Bremischen Gesetzes zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe, Drucksache 19/382, mit der Neufassung der Drucksache 19/191 in zweiter Lesung abstimmen.

Wer das Gesetz zur Änderung des Bremischen Gesetzes zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe unter Berücksichtigung der eben vorgenommenen Änderung in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen!

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Abg. Ravens [parteilos])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen CDU, FDP, ALFA, Abg. Tassis [AfD])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in zweiter Lesung.

Nun lasse ich über den Gesetzesantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 19/140, in erster Lesung abstimmen.

Wer das Gesetz zur Änderung des Bremischen Gesetzes zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe, Drucksache 19/140, in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen!

(Dafür CDU, DIE LINKE, FDP, ALFA, Abg. Tassis [AfD])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Abg. Ravens [parteilos])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft lehnt das Gesetz in erster Lesung ab. Damit unterbleibt gemäß Paragraf 35 Satz 2 der Geschäftsordnung jede weitere Lesung.

Die Gesetzesanträge der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit den Drucksachen 19/244 und der staatlichen Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen mit den Drucksachen 19/338 sind durch die Neufassung des Antrags der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen erledigt.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von dem Bericht der staatlichen Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen mit der Drucksache 19/338 Kenntnis.

Spielräume nutzen für neue Wege in der Cannabispolitik Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 15. März 2016 (Drucksache 19/340)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Professor Dr. Quante-Brandt.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zicht.

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob Sie es wissen: Heute ist zufällig der „420 Day“, der internationale Marihuana-Tag. Die Tradition besagt, dass man sich um 20 nach vier draußen trifft und gemeinsam einen Joint zieht. Deswegen empfehle

ich Ihnen, der Debatte bis zum Schluss beizuwohnen; sonst machen Sie sich möglicherweise verdächtig.

(Heiterkeit)

Zehn Monate nach Beginn der Wahlperiode debattieren wir hier in der Bürgerschaft heute erstmals über die rot-grünen Vorhaben in Sachen Cannabis. Zehn Monate, allein dieser lange Zeitraum zeigt schon, dass der gelegentlich zu hörende Vorwurf, die Koalition wolle mit diesem Thema nur von irgendwelchen anderen politischen Fragen ablenken, nun wirklich Quatsch ist. Der politische Umgang mit Cannabis ist ein Thema, das in aller Munde ist – kein Wunder, wenn man bedenkt, dass ziemlich viele Menschen von der Kriminalisierung unmittelbar betroffen sind.

Nach den vor zwei Wochen veröffentlichten Zahlen der Drogenbeauftragten der Bundesregierung haben über 20 Prozent der jungen Männer in Deutschland in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert. Sie alle gelten somit als kriminelle Straftäter. Zwar ist der Konsum, im Gegensatz zum Besitz, für sich genommen straffrei, aber man kann schwerlich Cannabis konsumieren, ohne es zu besitzen. Selbst wer nur einmal an einem fremden Joint zieht und ihn dann weiterreicht, macht sich strafbar, denn das gilt dann als sogenannte Abgabe von Betäubungsmitteln.

In Bremen wurden zuletzt Jahr für Jahr über 2 500 Strafverfahren wegen des bloßen Besitzes oder Erwerbs von Cannabis eingeleitet. In zwei Dritteln aller Fälle sind Erwachsene älter als 21 Jahre betroffen. Etwa 1 000 Verfahren vor Bremer Gerichten wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz enden Jahr für Jahr tatsächlich mit einer Verurteilung, und bei über 10 000 Personen hat die Polizei Bremen in ihrem Informationssystem INPOL den sogenannten personenbezogenen Hinweis „BTM-Konsument“ eingetragen – bei über 10 000 Personen! Der ploppt dann bei jeder Personalienkontrolle auf.

Viele Bremerinnen und Bremer haben durch die Strafverfolgung ihres Cannabiskonsums und die damit verbundene Stigmatisierung richtig Probleme bekommen, sei es privat oder beruflich. Wenn immer gesagt wird, bei geringen Mengen habe doch niemand etwas zu befürchten, dann ist das schlicht falsch.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Ich glaube, es ist letztlich ähnlich wie in der Causa Böhmermann und beim Paragrafen 103 Strafgesetzbuch, worüber wir heute Vormittag diskutiert haben: Wenn der Staat mit seiner schärfsten Waffe, dem Strafrecht, gegen Menschen vorgehen will, dann braucht er dafür verdammt gute Gründe. Diese guten Gründe gibt es hier aber nicht, und das macht die Cannabis-Prohibition so unerträglich.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Ich will gar nicht behaupten, Cannabis sei eine harmlose Droge. Auch wenn Cannabis unter dem Strich etwas weniger schädlich sein mag als Alkohol, so hat es doch ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial. Insbesondere für Jugendliche ist Cannabis alles andere als harmlos. Aber die Kriminalisierung minimiert eben die Gefahren nicht, sondern verschlimmert sie noch.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will auch nicht behaupten, die Kriminalisierung würde keinen einzigen Menschen vom Drogenkonsum abhalten. Natürlich gibt es Menschen, auf die das Strafrecht tatsächlich in gewisser Weise abschreckend wirken mag. Aber umgekehrt hat gerade bei Jugendlichen eben auch das Verbotene seinen besonderen Reiz. Vor allem aber zeigen alle internationalen Vergleiche, dass die Prohibition, wenn überhaupt, nur einen allenfalls minimalen Einfluss auf die Verbreitung des Cannabiskonsums in der Gesellschaft hat. Ganz eindeutig und unbestreitbar ist, dass die Kriminalisierung jede Menge gravierender Kollateralschäden anrichtet.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Kriminelle Märkte kennen nämlich weder Jugendschutz noch Verbraucherschutz. Auf kriminellen Märkten haben Kriminelle das Sagen; der Staat verliert völlig die Kontrolle. Auf kriminellen Märkten gilt das Recht des Stärkeren, es regieren Gewalt und Einschüchterung, Menschen werden getötet. Weltweit profitieren Drogenmafia und Drogenkartelle, der Rechtsstaat hat das Nachsehen. Kriminelle Märkte kommen dem Staat teuer zu stehen: Ihm entgehen Steuereinnahmen, gleichzeitig muss er hohe Kosten für Polizei und Justiz aufwenden.

Aus all diesen Gründen ist es höchste Zeit, nach neuen Wegen in der Drogenpolitik zu suchen. Ich bin unserem Koalitionspartner – insbesondere der Kollegin Steffi Dehne – sehr dankbar, dass er diesen Weg mit uns gemeinsam gehen möchte.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Auch bei der SPD auf Bundesebene scheinen mittlerweile einige Fronten aufzubrechen. Aber die Bremer SPD-Fraktion ist da schon noch ein bisschen weiter, und davor habe ich großen Respekt.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Für den richtig großen Umschwung hin zu einer rationalen Drogenpolitik braucht es Mehrheiten im Bundestag. Die scheinen derzeit noch nicht zu bestehen, jedenfalls nicht vor der kommenden Bundestagswahl im nächsten Jahr. Aber als Bundesland

hat Bremen schon heute gewisse Spielräume, und wir sind fest entschlossen, diese Spielräume auszureizen.

Darum geht es in unserem Antrag. Meine Kollegin Dr. Kappert-Gonther wird gleich in der zweiten Runde aus der Perspektive der Gesundheitspolitikerin, Psychiaterin und Psychotherapeutin dazu sprechen. In der dritten Runde komme ich dann noch einmal zurück und gehe näher darauf ein, welche Spielräume wir in Sachen Strafverfolgung und Führerschein nutzen wollen. – Erst einmal vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Dehne.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich festhalten: Gesellschaftlich und vor allem für die Betroffenen ist der bisherige repressive Umgang mit Cannabis ein großes Problem. Die bisherige Drogenpolitik – das ist, glaube ich, ziemlich offensichtlich geworden – ist gescheitert.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Herr Zicht ist eben schon darauf eingegangen. Die Idee, dass der Gebrauch einer Droge durch Verbote oder durch Strafe eingeschränkt wird, hat zu nichts geführt – im Gegenteil! Die jüngsten von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlichten Zahlen zeigen einen weiteren Anstieg der Konsumentenzahlen. 2013 haben wir 2,4 Millionen regelmäßiger Cannabiskonsumentinnen und ‑konsumenten, und wenn man dann noch die dazurechnet, die nicht regelmäßig, sondern gelegentlich kiffen – das haben wir auch in unserer Expertenanhörung gehört –, dann sind wir in Deutschland bei ungefähr 6 bis 7 Millionen Menschen, die Cannabis konsumieren.

Man kann also wirklich nicht sagen, dass das bisherige Verbot den Konsum irgendwie eindämmt oder eine abschreckende Wirkung hat. Die generalpräventive Wirkung, die dem Verbot unterstellt wurde, ist einfach nicht vorhanden, und darum ist es so wichtig, dass wir hier jetzt neue Wege gehen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist nicht so, dass wir die Ersten sind. Es gibt viele Länder, in denen es schon eine Liberalisierung gibt. Dort sieht man, es ist nicht zu einem Anstieg der Nutzerzahlen gekommen, wenn es eine liberalere Regelung gibt. Mir ist auch, gerade als Gesundheitspolitikerin, an dieser Stelle wichtig: Natürlich ist Cannabis nicht harmlos. Cannabis ist, genau wie Alkohol oder andere Drogen, nicht harmlos. Ein eigenverantwortlicher Umgang mit Cannabis aber ist bei Erwachsenen genauso möglich wie beim Alkohol oder bei Zigaretten.