Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

Kleine Anfrage der Fraktion der FDP

vom 1. April 2016

35. Zusammenarbeit des Landes Bremen mit Dataport

Kleine Anfrage der Fraktion der FDP

vom 1. April 2016

36. Was ist aus dem Integrationsplan für ausländische Roma geworden?

Kleine Anfrage der Fraktion der CDU

vom 12. April 2016

37. Landschaftsschutzgebiet im Bereich „Hohe Lieth“ in Bremerhaven

Kleine Anfrage der Fraktion der SPD

vom 12. April 2016

38. Panama-Papers: Immobilien im Land Bremen im Besitz von Offshore-Briefkastenfirmen?

Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE

vom 14. April 2016

39. Organisierten Betrug bei staatlichen Sozialleistungen in Bremerhaven und Bremen bekämpfen

Kleine Anfrage der Fraktion der SPD

vom 19. April 2016

III. Sonstiger Eingang

Mitteilung des Senats über die vom Senatbeschlossene Mitantragstellung zur Bundesratsinitiative „Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Transparenz bei Steueroasen und Briefkastenfirmen – Antrag des Landes Niedersachsen“ Mitteilung des Senats vom 12. April 2016 (Drucksache 19/378)

Wird das Wort zu den interfraktionellen Absprachen gewünscht? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann lasse ich nun darüber abstimmen. Wer mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden.

(Einstimmig)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde liegen zwei Themen vor, und zwar erstens auf Antrag des Abgeordneten Röwekamp und Fraktion der CDU:

Massenhaften Sozialversicherungsbetrug in Bremerhaven lückenlos aufklären – Schaden für die öffentlichen Haushalte minimieren

Als zweites Thema wurde beantragt von den Abgeordneten Schäfer, Leidreiter und der Gruppe ALFA:

Teilnahme des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft an einer Veranstaltung der „Islamischen Föderation Bremen“ (IFB), dem hiesigen Regionalverband, der vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachteten „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“ (IGMG), am Ostersonntag in Bremen – Neufassung des Antrags vom 31. März 2016

Als erster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Röwekamp. – Bitte, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesen Tagen, so auch heute, erfahren wir jeden Tag Neuigkeiten über einen Sozialbetrug, der in Bremerhaven stattgefunden haben soll, in einem Ausmaß, das bundesweit bisher einmalig ist. Deswegen will ich vorab für die CDU-Fraktion erklären: Wir erwarten von allen beteiligten Behörden und allen beteiligten handelnden Personen eine rückhaltlose vollständige Aufklärung sämtlicher öffentlich bekannt gewordener Vorwürfe!

(Beifall)

Dieser Skandal, der sich offenbart, hat eine Vielzahl von Dimensionen. Es geht um eine Menge Geld. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Mittel des Bundes, des Landes oder der Kommune Bremerhaven handelt. Jeder Euro, der durch kriminelle Machenschaften in solchen Verfahren ausbeuterisch erlangt und entsprechend verwendet worden ist, rechtfertigt es, dass wir als Parlament genau hinschauen, unter welchen Umständen, mit welchen Beteiligten und mit welchen Auswirkungen ein solches Ausmaß an Sozialbetrug stattfinden konnte.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, ALFA, Abg. Tassis [AfD])

Es gibt zurzeit viel mehr Fragen als Antworten. All die Antworten, die gegeben werden, werfen wieder neue Fragen auf – so auch heute ein Beitrag in der „Nordsee-Zeitung“ über die Einlassung des in Bremerhaven zuständigen Sozialstadtrates. Ich will deswegen für die CDU-Fraktion sagen, dass wir darauf vertrauen, dass der strafrechtliche Vorwurf im laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren geklärt und die strafrechtlich Verantwortlichen entsprechend zur Rechenschaft gezogen werden.

Wegen dieses Verfahrens ergeben sich aber trotz des vollen Vertrauens in unsere Justiz schon jetzt einige Fragen, zum Beispiel, warum es trotz einer

Strafanzeige bereits im August 2015 so lange gedauert hat, bis strafprozessuale Maßnahmen wie die der Durchsuchung ergriffen wurden. Es stellt sich auch die Frage, warum es beispielsweise einer der Hauptbeschuldigten noch geschafft hat – offenkundig nach der Strafanzeige, aber vor den strafprozessualen Maßnahmen –, einen sechsstelligen Betrag auf ein Auslandskonto zu überweisen. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob das Ermessen des Haftrichters in Anbetracht dieser Umstände eigentlich richtig ausgeübt worden ist. Ich glaube, wenn man schon einen sechs-, fast siebenstelligen Betrag ins Ausland überweist, ist die Bereitschaft, dem Geld hinterherzufahren, größer, als wenn man das nicht tut.

Diese Maßnahmen, die die unabhängige Justiz prüft und beantragt, gehören immer auch in die parlamentarische Überprüfung. Deswegen werden wir uns das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsergebnis sehr genau anschauen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass geklärt werden muss, warum es eigentlich so lange gedauert hat, bis das Verfahren richtig Fahrt aufgenommen hat.

Daneben gibt es eine weitere, wesentlich wichtigere Frage: Wie konnte das eigentlich passieren? Wie konnte sich solch ein massenhafter Sozialbetrug in wahrscheinlich bis zu 1 500 Fällen im Jobcenter in Bremerhaven überhaupt unbemerkt ereignen? Je mehr über diesen Sachverhalt bekannt wird, desto fragwürdiger wird, warum nicht viel früher etwas passiert ist.

Ich habe mir einmal einen der diesem Sozialbetrug zugrunde liegenden Arbeitsverträge angeschaut. Es handelt sich um massenhaft kopierte Vorlagen, in die individuell jeweils nur die Daten der Leistungsempfänger eingetragen worden sind. Nun kann man sagen: Wenn man als Sachbearbeiter einen solchen Arbeitsvertrag vorgelegt bekommt, wird man erst einmal nicht stutzig. Wenn wir aber über 1 500 Fälle reden und das Jobcenter insgesamt für alle Beratungsbereiche 260 Stellen hat, dann hätten jedem Sachbearbeiter des Jobcenters, selbst wenn jeder in diesen Fällen mit der Leistungsgewährung und Leistungsprüfung beauftragt gewesen wäre, ungefähr fünf solcher Arbeitsverträge auf dem Tisch gelegen. Ich vermute, dass es viel mehr sind. Wenn man sieht, dass die Beschäftigung – das finde ich im Übrigen besonders makaber – in der Regel als Hauswirtschafterin zur Orientierung im Rahmen eines Frauenqualifizierungsprojektes für die benachteiligten Frauen aus den EU-Staaten ausgewiesen wurde, und man von solchen Verträgen mehr als einen, vielleicht sogar mehr als zwei, auf jeden Fall, wenn man sie dutzendfach vorgelegt bekommt, erwarte ich, dass bei jedem Sachbearbeiter die Alarmglocken schrillen.

(Beifall)

Der Vorgang hätte viel früher auffallen müssen, und es hätten viel früher Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen.

Ich höre, dass der Leiter des Jobcenters jetzt erklärt, erste Auffälligkeiten seien bereits im Jahr 2013 offenbar geworden. Dann frage ich: Wieso braucht eigentlich eine Behörde – das Jobcenter, eine leistungsfähige Behörde, deren Träger neben der Kommune Bremerhaven auch die Bundesagentur für Arbeit ist – 15 Monate, um aus Auffälligkeiten einen prüfbaren Vorgang und eine Strafanzeige zu machen? Ich habe bei dem derzeitigen Sachstand für dieses Verhalten der Behörde keinerlei Verständnis.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, ALFA, Abg. Tassis [AfD])

Daneben stellt sich aber auch die Frage, was außerhalb des Jobcenters passiert ist. Wann wussten eigentlich Behörden des Landes und der Stadt von diesen Vorgängen? Ich habe heute in der „NordseeZeitung“ gelesen, dass es sehr früh, nämlich bereits im Sommer letzten Jahres, eine gemeinsame Unterredung mit den Behörden der Senatorin für Finanzen und des Senators für Wirtschaft gegeben haben soll. Ein auch für mich neuer Sachverhalt!

Was war Inhalt dieser Besprechung? Was war der Anlass, diesen Vorgang mit den Senatorischen Behörden zu besprechen? Hat das tatsächlich stattgefunden, wie Herr Rosche es heute in der „Nordsee-Zeitung“ in Bremerhaven verkündet? Meine Damen und Herren vom Senat, hier ist Aufklärung von Ihnen geboten! Wir wollen wissen, wann die Senatorischen Behörden von diesen Vorfällen Kenntnis hatten und was sie unternommen haben, um das Ausmaß dieses Sozialbetruges zu vermindern! Ich hoffe, dass die heutige Aktuelle Stunde dazu einen Beitrag leisten kann und sich die Vertreter des Senats zu diesen Vorfällen erklären können.

Wir wissen zwischenzeitlich, dass auch kommunale Behörden Kenntnis von diesen Verdachtsfällen hatten, und zwar schon sehr früh.

Wir wissen auch, dass Vertreter dieses Vereins eine große Nähe zur Partei der Sozialdemokraten in Bremerhaven hatten. Wir müssen im Zuge der weiteren Aufklärung sicherstellen, dass diese Nähe zur Sozialdemokratie keine Auswirkungen auf die Aufklärung und Abarbeitung dieses Vorgangs hatten. Bisher gibt es dafür keine Anhaltspunkte, aber es muss unser gemeinsames Interesse sein, dass am Ende der Aufklärung Klarheit darüber herrscht, ob diese Vorgänge aus parteinahen Gründen und unter Beteiligung von Parteivertretern der Sozialdemokratie in Bremerhaven gedeckt, ermöglicht oder deren Aufklärung verhindert worden ist. Hier brauchen wir klare Antworten!

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Mit jeder Tatsache tauchen neue Fragen auf. Ich bin etwas überrascht, dass der Stadtrat in Bremerhaven jetzt sagt, dass er erste Hinweise zwar schon im Mai