Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle die Fragestunde beenden und in unserer Tagesordnung innehalten.
Heute Morgen erreichte mich der Anruf von Frau Christine Koschnick, die mir mitteilte, dass ihr Mann, unser früherer Bürgermeister Hans Koschnick, in den frühen Morgenstunden verstorben ist. Ich bitte darum, dass Sie sich von Ihren Plätzen erheben.
Hans Koschnick ist tot. Vielen war er ein Vorbild, auch eine Art Volkstribun. Seine Volksnähe war fühlbar. Er teilte mit den Bürgerinnen und Bürgern gern die Freuden, aber auch die Sorgen und Nöte. Er stellte sich jeder Verantwortung, selbst wenn sie für ihn bittere Folgen hatte. Hans Koschnick, der große Bremer Politiker von staatsmännischem Format und internationaler Ausstrahlung, ist heute Morgen gestorben.
Die Bremische Bürgerschaft trauert um einen großen Politiker der alten Schule, authentischen Sozialdemokraten, Bremens Ehrenbürger und herzensguten Menschen. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie, insbesondere seiner Ehefrau Christine, die für ihn mehr war als Partnerin und Beraterin, nämlich eine couragierte Mitstreiterin, insbesondere auf dem Gebiet der Aussöhnung und Völkerverständigung.
Hans Koschnick, dessen Eltern von den Nazis verfolgt und interniert wurden und dessen Jugend von Entbehrungen, von Bombenhagel geprägt war, übernahm schon früh Verantwortung. Seine Konsequenz aus den Schrecken des Zweiten Weltkriegs lautete: Obacht geben und sich engagieren, damit so etwas nie wieder passiert.
Mit 26 Jahren wurde er der jüngste Abgeordnete, der in die Bremische Bürgerschaft einzog. Im Landesparlament blieb er sieben Jahre, um dann in die Exekutive zu wechseln. Als 37-Jährigen wählte man ihn zum Bürgermeister und Präsidenten des Senats. Seine weiteren Stationen in der Politik, die ihm Berufung waren: Stellvertreter von Willy Brandt in der BundesSPD, europäischer Administrator der Stadt Mostar in Bosnien-Herzegowina, Gründer des Europäischen Freiwilligendienstes und Bundestagsabgeordneter.
Unvergessen bleibt sein wegweisender Einsatz für den Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie“. Gerechtigkeit und Glaubwürdigkeit bildeten die Kernanliegen im politischen Handeln Koschnicks. Mit Nachdruck lebte und pflegte er die Solidarität mit jenen Völkern, die Opfer des nationalsozialistischen Terrors geworden waren. Er gehörte zu den ersten deutschen Politikern, die in Israel, in Polen und Jugoslawien Kontakte und Gespräche suchten und alsbald Städtepartnerschaften initiierten. Seine Botschaft lautete: Es gibt in Deutschland durchaus viele Menschen, die sich nicht am kollektiven Verdrängungseffekt beteiligen, sondern die Schuld Deutschlands anerkennen. Koschnick selbst fiel von Anfang an als Vorkämpfer für das gewollte Miteinander der Völker in Europa auf.
Am Lebensende stellte Hans Koschnick sorgenvoll einen starken Prozess von Unverständnis für das Unbekannte, bis hin zur Fremdenfeindlichkeit, in
der deutschen Bevölkerung fest. Originalton Hans Koschnick: „Man kann die eigenen Probleme gut abladen, wenn man den Beelzebub bei anderen findet.“
5. Bericht über die Tätigkeit des Landesbehindertenbeauftragten für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2014 vom 4. Januar 2016 (Drucksache 19/232)
Als erster Redner hat das Wort der Berichterstatter, Herr Dr. Steinbrück, unser Landesbehindertenbeauftragter.
Herr Dr. Steinbrück: Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft! Auch mich hat gerade erst die Nachricht vom Tode Hans Koschnicks erreicht. Ich möchte, weil das viele von Ihnen wahrscheinlich nicht wissen, kurz daran erinnern, dass er vor einigen Jahren, schon alt geworden, die Schirmherrschaft für das Bremische Behindertenparlament übernommen und uns damals Mut zugesprochen hat, uns weiterhin für die Rechte behinderter Menschen zu engagieren. Dafür möchte ich mich nach seinem Tode ausdrücklich bedanken. Mich hat er sehr getroffen. Dies als persönliche Vorbemerkung, ehe ich mich nun dem fünften Tätigkeitsbericht widmen.
Ich möchte mich zunächst für die Gelegenheit bedanken, hier persönlich zu meinem Tätigkeitsbericht Stellung zu nehmen. Für mich ist es jedes Mal, wenn ich die Gelegenheit habe, hier zu reden, ein ganz besonderes Ereignis. Vielen Dank!
Gestatten Sie mir eine weitere persönliche Vorbemerkung, weil mich das doch sehr bewegt. Wenn man auf die Welt schaut, gibt es an vielen Stellen Kriege, Not und Menschen, die deshalb auf der Flucht sind. Wenn ich dies betrachte, wird mir immer bewusst, wie besonders es ist, im Frieden aufgewachsen zu sein, eine Ausbildung erfahren zu haben und leben und arbeiten zu können. Hierfür bin ich dankbar, denn Frieden, Demokratie und eine Gesellschaft, in der es normal ist, anders zu sein, sind unabdingbare Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen, auf die die Behindertenrechts
Doch nun etwas nüchterner zu meinem Tätigkeitsbericht! Er zeigt, dass sich meine Tätigkeit auf fünf Aufgabenfelder bezieht: Mitwirkung an politischen Entscheidungen, auch auf der Ebene der politischen Entscheidungsprozesse, Gesetzgebungsverfahren, Verordnungen, Richtlinien et cetera; außerdem, da Bremen ein Stadtstaat ist, Beteiligung an Bau- und Anmietungsvorhaben, bei der barrierefreien Gestaltung öffentlicher Wege, Straßen, Plätze und Gebäude. Das Dritte ist die Bearbeitung von Anliegen und Beschwerden einzelner Bürger. Viertens ist seit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention die Förderung und Begleitung der Umsetzung dieser Konvention hinzugekommen. Fünftens: Öffentlichkeitsarbeit und, wie ich es nenne, Bewusstseinsbildung – in der Behindertenrechtskonvention gibt es einen entsprechenden Artikel –, das heißt, durch Halten von Fachvorträgen, die Durchführung von Fachveranstaltungen, durch Newsletter, Pressemitteilungen und Internet-Seiten über die Situation behinderter Menschen und die gleichberechtigte Teilhabe aufzuklären, zu werben und in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Das habe ich lange nicht erwähnt, aber ich merke: Auch das macht Arbeit und kostet Zeit. Deshalb spreche ich es an.
Ein Highlight im Berichtzeitraum war die Erarbeitung des Landesaktionsplans zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention, in die ich als Vorsitzender des Arbeitskreises, der ihn erarbeitet hat, stark eingebunden war. Wir haben das hier schon debattiert, sodass ich im Einzelnen nicht weiter darauf eingehen möchte. Wichtig am Landesaktionsplan ist, dass mit ihm ein Landesteilhabebeirat, dessen Vorsitzender ich bin, gebildet wurde, der in Bremen eine neue Struktur zur Beteiligung behinderter Menschen und ihrer Verbände geschaffen hat.
Die jüngst erfolgte Novellierung des Radio-BremenGesetzes macht dies deutlich, weil dort, wofür ich mich bedanken möchte, auch geregelt worden ist, dass der Landesteilhabebeirat einen Vertreter oder eine Vertreterin in den Rundfunkrat von Radio Bremen entsenden kann. Hier ist dieses Gremium durch ein anderes Gesetz ausdrücklich gewürdigt worden. Wir haben im Übrigen gestern Vertreter und Stellvertreterin gewählt und können jetzt sagen: Radio Bremen hat dauerhaft einen Vertreter beziehungsweise eine Vertreterin im Rundfunkrat.
Wenn wir meinen Tätigkeitsbericht und den Landesaktionsplan betrachten, lässt sich zweierlei feststellen, was insbesondere die Bestandsaufnahme zu den einzelnen Handlungsfeldern im Landesaktionsplan
deutlich macht: In der Behindertenpolitik ist in den vergangenen Jahren in den einzelnen Handlungsfeldern viel erreicht worden. Zugleich zeigen die rund 200 Maßnahmen im Landesaktionsplan: Wir haben noch viel vor. Ich sage „wir“, weil es sich um einen Plan des Senats handelt, weil die Bürgerschaft diesen Aktionsplan positiv gewürdigt hat und ich die Aufgabe habe, gemeinsam mit dem Landesteilhabebeirat die Umsetzung des Landesaktionsplanes zu begleiten und zu fördern. Also ist es eine gemeinsame Aufgabe. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Ich möchte, um die Redezeit nicht überzustrapazieren, auf vier Themen, die meines Erachtens auch in Zukunft zu bearbeiten sind, eingehen. Das eine hat sich in meiner Tätigkeit als Dauerbrenner herausgestellt und ist ein vielleicht kleines Ärgernis, für die davon betroffenen Menschen kann es aber im wahrsten Sinne des Wortes Notlagen hervorrufen. Das sind die Behinderten-WCs in Gaststätten, die häufig als Abstellraum benutzt werden, aus Unwissenheit, nicht unbedingt nur aus Missachtung der Notwendigkeiten für Menschen mit Rollstuhl. Ich habe im vergangenen Jahr bei einem gemeinsamen Ortstermin von einem Mitarbeiter des Stadtamtes, der für die Kontrolle der Behinderten-WCs in Gaststätten zuständig ist, gehört, er wisse bei der Überprüfung der Barrierefreiheit gar nicht genau, worauf er achten müsse. Ich habe daraufhin gegenüber dem zuständigen Amt eine Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeregt. Sie ist meines Wissens bis heute nicht erfolgt. Ich spreche das hier an, weil ich, offen gesagt, darüber verärgert bin. Die Betroffenen müssen immer wieder feststellen, dass Behinderten-WCs, obwohl angegeben und ausgewiesen, für sie nicht nutzbar sind. Sie sind natürlich manchmal ebenfalls verärgert.
Bei Punkt 2 wird es schon etwas positiver: Ich halte es für notwendig, in Kooperation mit bremen.de den Stadtführer weiterzuentwickeln, ansonsten besteht die Gefahr, dass die qualitativ hochwertigen Daten und die sehr gute Präsentation auf bremen.de schnell veraltet und wertlos wird. Die Bürgerschaft hat in der Vergangenheit wichtige Impulse zur Entwicklung dieses Projektes gesetzt. Ich hoffe, offen gesagt, weiterhin auf Ihre Unterstützung in diesem Punkt.
Drittens halte ich es für unbedingt notwendig, den Prozess der gleichberechtigten Teilhabe behinderter Schülerinnen und Schüler am allgemeinen Bildungs- und Schulsystem – kurz Inklusion genannt – weiterzuentwickeln und ressourcenmäßig abzusichern.
Die ressourcenmäßige Absicherung halte ich für ganz wichtig. Daneben gibt es einstellungsbedingte Barrieren, Barrieren in den Köpfen. Ich habe bei einer Studienreise nach Südtirol feststellen dürfen, dass es dort selbstverständlich ist, dass die Verantwortung für behinderte Schülerinnen und Schüler bei allen
Lehrkräften, nicht etwa nur bei spezialisierten Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen oder, wie es dort heißt, Integrationslehrern, liegt. Ich glaube, an der einen oder anderen Stelle bedarf es noch einer Bewusstseinsveränderung. Es gibt kein Recht auf Aussonderung, sondern eines auf gleichberechtigte Teilhabe.
Der vierte und letzte Punkt ist die Weiterentwicklung der Psychiatriereform. Es gibt insbesondere auch Beschlüsse der Bremischen Bürgerschaft, die den Senat aufgefordert haben, hierbei tätig zu werden. Ich weiß, dass daran gearbeitet wird. Für mich als Landesbehindertenbeauftragten ist es wichtig, weil Menschen mit psychischen oder seelischen Beeinträchtigungen nach der Definition der Behindertenrechtskonvention zur Gruppe behinderter Menschen gehören, im Übrigen unabhängig von der Frage, ob sie einen Ausweis haben. Ich denke, dabei gibt es auch in Bremen, obwohl wir an diesem Punkt sicherlich nicht schlecht dastehen, noch Handlungsbedarf: Weiterentwicklung der Ambulantisierung einschließlich „Home Treatment“, Schaffung eines Modellvorhabens zum Regionalbudget, Verankerung des trialogischen Prinzips, das heißt die durchgängige Beteiligung psychiatrieerfahrener Menschen und ihrer Angehörigen, sowie die Frage der Schaffung einer Beschwerdestelle Psychiatrie.
Das sind Beispiele, wo ich noch Handlungsbedarf sehe. Ich denke, vor mir, vor uns liegen noch viele Aufgaben. Ich freue mich auf die Arbeit und die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen, für die ich mich bedanken möchte. In der Vergangenheit war sie vorhanden. Ich denke und hoffe als Optimist, das bleibt so. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor uns liegt der 5. Bericht des Landesbehindertenbeauftragten. Darin finden wir auf rund 37 Seiten komprimiert die viele Arbeit, die in diesem Bereich getan worden ist. Der Aufgabenbereich des Landesbehindertenbeauftragten umfasst alle Senatsressorts und erfordert nicht nur umfängliches Wissen und eine Beschäftigung mit den unterschiedlichen Aufgaben und Problemen, sondern er verlangt für die Arbeit des Landesbehin
dertenbeauftragten und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine straffe Organisation und Termin- und Aufgabenplanung. Im Namen meiner Fraktion spreche ich dem Landesbehindertenbeauftragten, Herrn Dr. Steinbrück, dafür unseren Respekt, unsere Anerkennung und unseren herzlichen Dank aus.
Unser Dank gilt ausdrücklich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ihn in seiner Arbeit unterstützen.
Meine Damen und Herren, der Berichtszeitraum liegt bereits ein wenig zurück. Deshalb möchte ich keine einzelnen Punkte oder Politikbereiche aus dem Bericht herausgreifen. Vielmehr möchte ich zwei grundsätzliche Arbeitsfelder in den Fokus rücken. Herr Dr. Steinbrück hat angesprochen, dass wir in den zurückliegenden Jahren 2012 bis 2014 unter Leitung des Landesbehindertenbeauftragten insgesamt 25 Sitzungen des temporären Expertinnen- und Expertenkreises, TEEK, hatten. Er hat sich mit der Entwicklung des Landesaktionsplanes beschäftigt. Ich will nicht einzelne Punkte herausgreifen, sondern aus meiner Wahrnehmung – ich konnte an einigen Sitzungen teilnehmen – sagen, das war ein vorbildlicher Weg der Beteiligung derer, die mit dem Thema Menschen mit Behinderung auf ganz unterschiedliche Weise ehrenamtlich oder in ihren Arbeitszusammenhängen befasst sind. Gerade hat eine Mitarbeiterin eines Ressorts gesagt, die Sitzung dieses Arbeitskreises sei die beste Fortbildung zur Inklusion gewesen.
Zweitens ist das Behindertenparlament immer etwas Besonderes. Ich kann Sie nur ermutigen und ermuntern, einmal daran teilzunehmen. Wer einmal dabei gewesen ist, ist beeindruckt von der Führung durch das gewählte Präsidium dieses Behindertenparlaments, vor allem auch vom respektvollen Umgang unter- und miteinander.