Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Manches dauert möglicherweise etwas länger, aber es ist so nah – und lebensnah! Ich richte an Sie alle den Appell: Nehmen Sie sich Anfang Dezember, wenn Sie den Termin erhalten, nichts vor und kommen Sie zu dieser Sitzung ins Haus! Dort werden Beschlüsse gefasst, von denen ich hoffe, dass sie uns über die Ressorts in den Deputationen erreichen, denn es sind Dinge, die uns nicht nur in unserer politischen Arbeit begleiten, sondern zu denen wir auch Entscheidungen zu treffen haben.

Ich will wie Herr Dr. Steinbrück den Blick auf die anstehenden Aufgaben richten. Bundesweit wird an einem Bundesteilhabegesetz gearbeitet. Das Gesetzgebungsverfahren ist eröffnet, die Referentenentwürfe sind nahezu auf dem Tisch. Dabei geht es um eine Weiterentwicklung des Behindertenbegriffes und darum, behinderte Menschen aus dem Fürsorgesystem herauszuholen und mehr und bessere Teilhabemöglichkeiten für sie zu schaffen. Das ist einer der ganz wichtigen Punkte. Ich bin sicher, wir werden uns auch in diesem Hause mit dem Bundesteilhabegesetz an unterschiedlichen Stellen auseinandersetzen müssen und das, so hoffe ich, gerne tun – im Sinne der Menschen mit Behinderung.

Ich kann mich den Punkten, die Herr Dr. Steinbrück im Einzelnen genannt hat und die für die nächste Zeit auf der Agenda stehen, anschließen und will zwei oder drei Punkte hinzufügen: Der barrierefreie Stadtführer ist eines der Themen, die mir am Herzen liegen. Ich hoffe, dass wir es gemeinsam hinbekommen, ihn weiterzuentwickeln.

(Glocke)

Ja, ich bin sofort fertig, Herr Präsident!

Wir haben uns ein großes Thema vorgenommen: das Medizinische Zentrum für Erwachsene mit Behinderung. Wir möchten das Kinderzentrum in Richtung der Betreuung und Behandlung von erwachsenen Menschen mit Behinderung weiterentwickeln. Wir müssen das Thema Behinderung und Migration auch mit dem Bremer Rat für Integration weiter in den Blick nehmen, und auch das Thema Inklusion an und in Schule wird uns natürlich begleiten.

Das sei mein letzter Satz: Herr Dr. Steinbrück, Sie haben gesagt, wir haben noch viel vor uns. – Ja, vor uns stehen die Haushaltsberatungen. Ich glaube, wir alle tun gut daran, auch in den Haushaltsberatungen immer wieder das Thema Inklusion und Menschen mit Beeinträchtigungen in den einzelnen Politikfeldern in den Blick zu nehmen. – Vielen herzlichen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Wendland.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute einen Bericht des Landesbehindertenbeauftragten Dr. Joachim Steinbrück. Lesen wir ihn aufmerksam, wird wieder einmal deutlich, dass Behindertenpolitik kein Randthema sein darf, sondern alle angeht.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Es ist ein hoher Anspruch, Teilhabe, Gleichstellung und volle Selbstbestimmung zu verwirklichen. Um diese Ziele der Behindertenpolitik zu erreichen, haben wir seit 2003 das Bremische Behindertengleichstellungsgesetz. Wir haben einen Landesbehindertenbeauftragten berufen, der am Rednerpult hier im Parlament für diese Ziele streitet und sich einsetzt. Das ist richtig und wichtig, denn trotz starker Beteiligung der Behindertenverbände und des starken persönlichen Engagements von Herrn Dr. Steinbrück konnten längst noch nicht überall die Benachteiligung behinderter Menschen beendet und Barrierefreiheit ausreichend sichergestellt werden. Deshalb ist es gut, dass parlamentarische Debatten wie die heutige dazu beitragen, immer wieder zu betonen, an welchen Stellen Senat und Verwaltung ihrer Pflicht bereits nachgekommen sind, um Angebote für behinderte Menschen barrierefrei zu gestalten, um Benachteiligung zu vermeiden. Ebenso tragen die Debatten immer wieder dazu bei, zu betonen, wo dies noch nicht der Fall ist.

(Beifall SPD)

Richtig gut sind wir in Bremen zum Beispiel darin, behinderten Menschen mehr und mehr selbstbestimmtes Wohnen zu ermöglichen. Bei uns gilt: Ambulant vor stationär! – Dazu werden zunehmend stationäre Wohnplätze abgebaut und durch ambulante Angebote ersetzt. Gemäß Planung für 2016 und 2017 sollen insgesamt 65 stationäre Plätze in ambulante umgewandelt werden. Das ist gut, weil behinderte Menschen in dieser Wohnform selbstbestimmt über ihr eigenes Geld verfügen können und zudem einen eigenen Mietvertrag haben.

Auch liegt uns viel daran, behinderte Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir haben zum Beispiel mit dem Modellprojekt „Budget für Arbeit“ Sozialleistungen für Werkstattbeschäftige so gebündelt und ergänzt, dass sie trotz ihrer erheblichen Leistungsminderung eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben können. Das Modellprojekt läuft jetzt an, und wir hoffen mit dem Bundesteilhabegesetz gerade für diesen Bereich auf eine bundeseinheitliche Regelung.

Mobil zu sein ist ein Grundbedürfnis. Deshalb setzen wir Grüne uns weiterhin dafür ein, dass alle öffentlichen Verkehrsmittel vollständig barrierefrei werden. Das Bauressort beteiligt sich mit dem Programm zur barrierefreien Umgestaltung der Haltestellen für Linienbusse. Dazu gehört aber auch, die Anzahl barrierefreier WCs im Rahmen der „netten Toilette“ zu erhöhen. Vorgesehen sind bis Ende 2017 insgesamt 30 Stück.

Auf der Wunschliste steht auch, den Stadtführer „Barrierefreies Bremen“ inhaltlich weiterzuentwickeln. Sie erinnern sich sicherlich: Dieser Stadt- und Hotelführer wurde zum ersten Mal auf dem Kirchentag 2009

vorgelegt. Im Maßnahmenkatalog zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist vorgesehen, dass bis zu diesem Jahr 1 000 öffentlich zugängliche Einrichtungen auf ihre Barrierefreiheit hin untersucht werden. Das sind Hotels oder Museen, doch es geht auch um Einrichtungen, die für den Alltag von Bedeutung sind, also Arztpraxen, und den Zugang zu Physiotherapeuten.

Bei der Erhebung hinken wir hinterher. Nur 500 der 1 000 Einrichtungen sind bisher erfasst. Dort wünsche ich mir mehr Tempo. Im Sinne der behinderten Menschen müssen die Daten schnellstmöglich ermittelt werden, auch um das Teilprojekt „Teilhabe durch Urlaub“ umsetzen zu können.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Der barrierefreie Stadtführer ist übrigens bundesweit einzigartig, finanziell für die Zukunft jedoch noch nicht abgesichert. Ich hoffe darauf, dass im Rahmen der Haushaltsaufstellung noch dafür gesorgt wird, dass jedes Ressort 15 000 Euro für die Realisierung bereitstellt.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Die genannten Beispiele zeigen, dass wir immer noch besser werden können, damit beeinträchtigte oder behinderte Menschen wirklich selbstbestimmt leben können. Auch deswegen hat sich Bremen mit dem Aktionsplan auf den Weg gemacht, die UNBehindertenrechtskonvention umzusetzen. Das war und ist uns Grünen immer ein Anliegen. Genauso ist es uns ein Anliegen – Herr Dr. Steinbrück, Sie haben es in die Debatte eingebracht –, die Psychiatriereform im Sinne der behinderten Menschen voranzubringen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Alle Fachbereiche und Senatsressorts sind gefragt. Ich würde mich darüber freuen, wenn sich noch mehr meiner Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament dafür einsetzen, dass die umfangreichen Maßnahmen im Aktionsplan tatsächlich umgesetzt werden. Behindertenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist längst nicht mehr nur Aufgabe der Sozialpolitik. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Als ich das erste Mal den Bericht des Landesbehindertenbeauftragten in der Hand hatte, dachte ich: Mannomann, das ist erstens mit 74 Seiten ganz schön lang. Als ich

hineinschaute, dachte ich für mich: Das ist auch gut so, das ist wirklich richtig gut.

Was ist daran gut? Meine Vorredner haben deutlich gesagt, offene Posten, teilweise Beschreibungen von Missständen seien enthalten. Was ist daran also gut? Wer sich den Bericht anschaut, stellt fest, dass das Team Steinbrück in jeden Winkel dieser Stadt, in jedes Tätigkeitsfeld von Politik oder Menschen seine Nasen hineingesteckt und geschaut hat, was im Sinne von Barrierefreiheit, von Inklusion noch zu verbessern geht. Das finde ich gut, das haben Sie gut gemacht,

(Beifall DIE LINKE)

vor allem auch, wenn man daran denkt, dass der Landesbehindertenbeauftragte keine Gesetze erlassen, mit keinen Instrumenten drohen, sondern eigentlich nur beraten kann. Er kann, wie er es so schön für einen Teil seiner Arbeit gesagt hat, Bewusstsein bilden. Ich denke, das ist eine wichtige Sache. Wenn man sich den jetzigen Bericht anschaut, stellt man fest: Das ist in vielen Bereichen unserer Gesellschaft gelungen. Behindertenpolitik, Barrierefreiheit sind heute noch nicht überall praktisch verwirklicht, aber zumindest in den Köpfen werden sie an vielen Stellen mitgedacht und sind präsent. Diese Entwicklung ist über die letzten Jahre gelaufen. Man muss froh über sie sein, man kann sich darüber freuen. Das Team Steinbrück hat wieder einmal einen hervorragenden Arbeitsnachweis vorgelegt.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Was macht man mit so einem Bericht? Das Beste wird sein – wir als Linken-Fraktion zumindest haben uns das vorgenommen –, sich ihn neben den Aktionsplan auch in der Fraktion überall auf den Schreibtisch zu legen und bei allem, was man macht, nachzuschlagen, was in ihm dazu steht. Wie ist dazu der Stand der Dinge, was müssen wir vielleicht beachten? Der Bericht wirft einige Fragen auf, um die sich das Team Steinbrück gekümmert hat, die wir als Linke für besonders hervorhebenswert halten, zum Beispiel die Frage des zu gering vorhandenen barrierefreien Wohnraums. Der zweite Punkt ist der bessere Zugang zum Arbeitsmarkt, der dritte die Frage gesicherter und vor allem ausreichender Schulassistenz und nicht endgültig oder abschließend auch die Auseinandersetzung um das neue PsychKG und die Frage nach Zwangsmedikation und Ähnlichem. Diese Punkte sind – auch für uns Linke – in Zukunft stärker zu beachten.

(Beifall DIE LINKE)

Ich denke, Herr Steinbrück hat mit seinem Team gut beschrieben, dass sie viele Einzeleingaben bearbeitet haben. Ich finde es alarmierend, wenn in einem Zeit

raum von einem Jahr immerhin 160 Einzeleingaben das Team Steinbrück erreicht haben, in denen sich Menschen darüber beschwert haben, wie schwer für behinderte Menschen der Umgang mit dem JobCenter bei der Finanzierung, Mietübernahme oder den Kosten der Unterkunft für barrierefreie Wohnungen ist. Darum muss man sich gesondert kümmern, denn das kann nicht sein.

(Glocke)

Herr Steinbrück hat sich mit Vereinen, wie zum Beispiel dem Komfort e. V. und Selbstbestimmt Leben e. V., gesagt: Wir mischen uns in das Bündnis für Wohnen ein, um auch dort deutlich zu sagen, dass barrierefreie Wohnungen, vor allem auch bezahlbare barrierefreie Wohnungen, ein Punkt sind, der immer noch im Argen liegt und weiterer Bearbeitung bedarf.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn ich noch schnell einen letzten Punkt nennen darf: Bremen ist keine Insel. Ich wollte darauf hinweisen, dass seit dem 15. März im Deutschen Bundestag das Behindertengleichstellungsgesetz behandelt wird. Man sieht, dass noch vieles im Argen liegt. Trotz der Einwände der Behindertenverbände und -organisationen – auch wir Linken haben einen Antrag gestellt – ist es bisher nicht gelungen, im Behindertengleichstellungsgesetz eine Verpflichtung zu Barrierefreiheit für private Anbieter festzuschreiben, was Wohnungen und Produkte betrifft. Daran sieht man: Es ist noch viel zu tun. Packen wir es an! – Danke!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist angemessen – die Vorredner haben das auch getan, und ich finde es wichtig, dass alle es tun –, für diesen Bericht zu danken. Herr Steinbrück und seine Mitarbeitenden haben wieder einmal deutlich gemacht, wo Bremen steht, wo wir viel erreicht haben und wo wir noch viel tun müssen. An einigen Stellen haben Sie zu Recht den Finger in die Wunde gelegt. Auch wenn wir an vielen Stellen führend sind, was Inklusion betrifft, gibt es viele Bereiche, in denen wir besser werden können und müssen. Insofern leisten Sie immer aufs Neue wertvolle Arbeit. Bei dieser Fülle müssen Sie zwangsläufig Schwerpunkte setzen – das geht nicht anders. Aber Sie tun das mit Bedacht und richtig. Ohne Herrn Steinbrück und die Diskussionen, die wir in den letzten Jahren geführt haben, wäre Bremen nicht bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention unter den Bundesländern in einer führenden Position. Dafür herzlichen Dank!

(Beifall FDP, CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Der Landesaktionsplan ist angesprochen worden. Es ist wichtig, die Verbände einzubeziehen, andererseits aber auch immer wieder den Einzelnen zu sehen und einzubeziehen, die Menschen, die mit Behinderung, mit Beeinträchtigung leben, und ihre Interessen, ihre Sichtweise direkt in den Prozess einzubringen. Das ist an vielen Stellen gelungen, muss aber auch weiter gelingen – nicht nur über das Behindertenparlament organisiert, sondern auch in der Arbeit und durch die Gespräche mit Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen. Es kommt darauf an – das ist uns als Freien Demokraten sehr wichtig –, immer den Einzelnen zu sehen. Wir reden leicht über Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen, aber es gilt wie für jeden Menschen: Kennt man einen Menschen, kennt man genau ihn und seine Probleme. Kennt man einen Behinderten, kennt man genau ihn und seine Probleme. Man muss trotzdem Lösungen finden, die wir als Gesetzgeber, als Gesellschaft in Regelungen für uns alle gießen können.

Gut und richtig finde ich die Forderung, dass wir uns der Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen stärker annehmen müssen. Bremen ist auch durch das Herausbringen aus Heimen, durch Aktionen der „Blauen Karawane“ weit gekommen, aber noch nicht so weit, wie es geht. Noch viel mehr ist möglich. Genau hinzuschauen ist wichtig, denn für unsere Gesellschaft ist es wichtig, zu lernen, wie diese Menschen mitten in unserer Gesellschaft leben können, wie wir sie akzeptieren und mit ihnen umgehen können – mit all ihren individuellen Eigenarten.

(Beifall FDP, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Punkte sind angesprochen worden. Bei der Inklusion in der Schule ist sicher noch vieles zu tun. Wir sind auf dem Papier weit besser als in der Umsetzung, auch wenn wir nach meiner Beobachtung in der Bundesrepublik an der Spitze stehen. Dort gibt es noch vieles zu tun, aber auch das Bewusstsein ist wachzuhalten: Inklusion in der Schule ist wichtig, endet aber nicht dort. Auch Inklusion in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft wollen wir erreichen, durch das Teilhabegesetz, das Arbeitsmarktbudget und andere Möglichkeiten.

(Beifall FDP)