Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 20. (außerordentliche) Sitzung am 04.05.16 1478
Ich komme auf den Bereich Kinderbetreuung, weil sie mir sehr wichtig ist. Wir sehen der Entwicklung da draußen nicht als Unbeteiligte zu und sagen: Wir haben einen Konsolidierungspfad, und was in der Gesellschaft passiert, interessiert uns nicht, Hauptsache, wir bekommen einen statistischen Prozess durch. Nein, wir werden bis Ende 2017 zusätzlich 550 weitere Plätze für Kinder unter drei Jahren und 702 Plätze für Kinder über drei Jahren bereitstellen. 2,4 Millionen Euro werden zur Steuerung der Qualität in die Kindertagesstätten fließen. Ich glaube, man muss bei aller Kritik anerkennen, dass die Koalition im Rahmen der geschlossenen Verträge alles macht, um den Bereich Kinder und Jugendliche deutlich zu fördern.
Ich verhehle nicht, dass sich die Fraktionen abweichend vom Senat vorgenommen haben, da vielleicht noch ein bisschen draufzupacken. Ich glaube, da wird noch etwas gehen, ich hoffe das. Ich glaube, dass wir im Bereich Inklusion noch deutlich drauflegen müssen, um gesellschaftlichen Problemen Rechnung zu tragen.
Kommen wir zu einem weiteren Schwerpunkt! Sicherheit ist ein Thema, das viele Menschen in unserer Stadt und in der Politik beschäftigt. Fakt ist, das wissen wir alle, die Personaldecke der Polizei ist dünn. Bis 2018 stehen wir vor einer Durststrecke, weil schlicht der Nachwuchs fehlt und Polizisten auf dem freien Markt nicht einzuwerben sind. Das erfordert ohne Zweifel ein Umdenken. Wir alle müssen darüber nachdenken, in welchen Bereichen die Arbeit der Polizeibeamten teilweise auch durch Angestellte übernommen werden kann. Wir müssen auch über die Organisation der Polizeiarbeit nachdenken – Kollege Röwekamp, da sind zumindest wir beide nicht weit auseinander. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in Anbetracht der terroristischen Bedrohung zu einer neuen Sicherheitsarchitektur zwischen Bund und Ländern kommen müssen. Der Bund muss viel mehr Verantwortung übernehmen, schlicht und ergreifend, weil die kleinen Polizeibehörden der Länder das nicht können.
Es ist auch klar, das kann man an dieser Stelle ehrlich sagen, dass es einen weiteren Reformprozess bei der Polizei geben muss. Wir haben uns das vorgenommen, der Senat weiß das. Wir werden nicht umhinkommen, noch einmal über die Revierstruktur nachzudenken. 18 Reviere in der Stadtgemeinde Bremen, zwei in Bremerhaven! Rechnet man, stellt man fest, dass da ein Ungleichgewicht ist. Wenn wir das
ordentlich organisieren wollen, müssen wir an dieser Stelle weiterarbeiten. Das heißt, auch da wird es zu Veränderungen kommen müssen.
Um die Situation zu entspannen, ist aber bereits ein Schritt gemacht worden. Im vergangenen Jahr haben 100 angehende Polizisten ihre Ausbildung begonnen, in diesem Jahr sind es 120. Was die Ausstattung angeht, stellt der Haushaltsentwurf die richtigen Weichen. So werden für die Ersatzbeschaffung von Fahrzeugen bei Polizei und Feuerwehr knapp 4,3 Millionen Euro vorgesehen. Fast 1,2 Millionen Euro fließen in die allgemeine Schutzausrüstung sowie die Ausstattung der Polizeispezialeinheiten mit Waffen, Geräten und Schutzausrüstung. Insgesamt stimmt die Grundlage, aber ich glaube auch, dass weite Teile des Parlamentes einig darin sind, dass wir die bisher vorgesehene Zielzahl von 2 540 Polizeibeschäftigten deutlich auf 2 600 erhöhen müssen.
Es muss aber ein realistischer Blick auf die Situation erlaubt sein. Wir leben in Bremen und Bremerhaven nicht in einem Sicherheitsparadies, aber auch nicht im Chicago der Dreißigerjahre. Unsere beiden Städte sind in den letzten 25 Jahren unbestreitbar sicherer geworden. Die Kriminalität ist seit 1991 um ein Drittel gesunken. Allein zwischen 2005 und 2014 hatten wir einen Rückgang der Straftaten um 15 Prozent zu verzeichnen, und das bei einer ungefähr gleichen Anzahl von Polizeibeschäftigten. Das berechtigt allerdings nicht, zu dem Schluss zu kommen, dass man, wenn es ein Drittel weniger Straftaten gibt, dann klugerweise ein Drittel weniger Polizisten braucht. Ich glaube, das genau ist nicht der Fall.
Wir müssen auf die Veränderungen der Gesellschaft reagieren. Die Polizei sieht sich anderen Herausforderungen gegenüber. Gesellschaftliche Veränderungen bei Massenveranstaltungen, steigende Gewaltbereitschaft in Gruppen, Terror, das alles sind zusätzliche, neue Einsatzfelder. Für mich steht deshalb außer Frage, dass wir den Polizistinnen und Polizisten für ihre hohe persönliche Belastung – dazu muss man nur einen Blick auf die Überstunden werfen – zu Dank verpflichtet sind und allein deshalb auch materiell versuchen müssen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Kommen wir zum Bereich Wirtschaft und Arbeit! Gerade dieser Bereich ist ein ausgeprägter Schwerpunkt dieses Haushaltsentwurfes und findet eine klare Unterstützung in beiden Koalitionsfraktionen. Neben den vorgesehenen Investitionen in die Wirtschaftsstruktur und die Wirtschaftsförderung sieht der Doppelhaushalt insgesamt 7 Millionen Euro für ein Landesprogramm zur Förderung von langzeitarbeitslosen Menschen vor. Ziel dieses Programms ist, 500 neue sozialversiche
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rungspflichtige Stellen im öffentlichen Bereich zu schaffen. Dabei geht es nicht nur um einfache Jobs, sondern darum – das ist mir als Sozialdemokrat besonders wichtig –, Perspektiven für Menschen zu entwickeln, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass da, wo es geht, sinnvolle Arbeit Menschen Würde und Perspektive gibt. Daran müssen wir immer arbeiten, wenn wir Menschen in dieser Gesellschaft einen Platz organisieren wollen. Wenn der Sinn dieser Arbeit insbesondere darin besteht, soziale Strukturen in den Stadtteilen zu stützen, dann ist ein solches Programm eine Win-win-Situation für alle Betroffenen, für die Stadt und letztlich auch für die Gesellschaft. Zum Thema Wohnen! Es hat nicht unmittelbar etwas mit dem Haushalt zu tun, ist aber abgesichert: Das, was an notwendigen Dingen geschehen muss, dass wir nämlich bauen, bauen, bauen müssen, um unsere Mietpreise in den Griff zu bekommen und um die Flüchtlinge unterzubringen, ist klar erkannt. Ich erspare Ihnen die Details, weil wir diese Debatte geführt haben. Das Wohnungsbauprogramm des Senats findet hier haushalterisch eine absolute Absicherung. Ich bin fest davon überzeugt, dass es uns gelingen wird, die Zahlen, die wir uns vorgenommen haben, zeitnah umzusetzen.
Klar ist auch, in der Haushaltslage unseres Bundeslands ist nicht alles, was wünschenswert ist, bezahlbar, aber das Zahlenwerk, das uns vorliegt, setzt meines Erachtens die richtigen Schwerpunkte. Jetzt ist das Parlament an der Reihe. Für die SPD-Fraktion ist dabei klar: In den Haushaltsberatungen nur nach mehr Geld zu verlangen, ist schwierig, das bringt uns nicht weiter. Beide Regierungsfraktionen werden daher alle Vorschläge mit klaren Finanzierungsmodellen hinterlegen, und zwar in dem Bewusstsein, dass man alles, was man an einer Stelle draufpackt, an anderer Stelle wegnehmen muss oder dass dafür zusätzlich Einnahmen generiert werden müssen. Kollege Röwekamp, am Ende möchte ich noch auf eine Besonderheit eingehen, die Sie kritisiert haben. Für 2016/2017 werden parallel zum Kernhaushalt die Kosten für die Integration der Menschen ausgewiesen, die vor Krieg und Terror bei uns Schutz suchen. Neben einer menschenwürdigen Unterbringung der Flüchtlinge ist es vor allem wichtig, diejenigen Menschen, die dauerhaft hier bleiben, schnellstmöglich zu integrieren.
ben aus ihrer Migrationsgeschichte gelernt. Es ist allemal besser, von Anfang an in Menschen zu investieren, als zum Teil jahrzehntelang sozialen Entwicklungen hinterherzuklempnern.
Darin ist sich das Parlament weitestgehend einig – mit Ausnahme der Rechtsausleger, die wir in diesem Parlament haben. Die Bewältigung dieser Aufgaben kostet Geld. Dafür sind 322 Millionen Euro im Jahr 2016 und 267 Millionen Euro im Jahr 2017 vorgesehen. Die Technik, die dahintersteckt, ist auch klar: Das sind keine deckungsfähigen Posten, die für irgendetwas anderes verwendet werden können, sondern diese Posten sind mit den entsprechenden Haushaltsvermerken so hinterlegt, dass wir, wenn wir weniger Sozialhilfe zahlen müssen, schlicht und ergreifend weniger ausgeben. Wenn wir weniger Flüchtlingsheime bauen müssen, weil die Leute Unterkunft haben, werden wir weniger Geld für Flüchtlingsheime ausgeben. Die 20 und 30 Millionen Euro im Integrationsbudget werden weitestgehend fließen müssen, weil man Klassen einrichten muss, weil man in den Stadtteilen Strukturen schaffen muss, weil man Jugendarbeit machen muss. Das ist nicht unbedingt so volumenabhängig wie die anderen Dinge. Seien Sie sicher, da gebe ich Ihnen mein Wort: Es wird nichts ausgegeben, was für die Flüchtlinge nicht wirklich erforderlich ist!
Ich meine, das ist verdammt gut angelegtes Geld! Jetzt kann man sich über die These von Herrn Korioth streiten: Ist die Zuwanderung, die wir erlebt haben, sozusagen im Sinne der Schuldenbremse tatsächlich ein Ausnahmetatbestand, oder ist sie das nicht? Darüber kann man, weil wir die Ersten sind, die unter diesen Bedingungen einen Haushalt aufstellen, wahrscheinlich sogar juristische Dissertationen anfertigen. Ich bin mir sicher, dass wir keine andere Möglichkeit haben, denn zu diesen gesellschaftlich notwendigen Kosten, dass die Leute Deutsch lernen, dass ihre Kinder zur Schule gehen, dass sie hier ausgebildet werden und dass wir alles dafür tun, dass sie in den Arbeitsmarkt integriert werden, haben wir keine Alternative, das müssen wir jetzt machen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass das rechtlich zulässig ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass das transparent dargelegt ist. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Ausnahmesituation rechtlich unbestreitbar vorliegt. Deshalb kann man das nicht nur so machen, man muss das so machen.
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Satz enden: „Ist das nötige Geld vorhanden, ist das Ende meistens gut.“ Das ist ein schöner Globalsatz. Ich glaube, die Aufgabe dieses Parlamentes, die Aufgabe der Regierungsfraktionen ist, das nötige Geld für Arbeit, Bildung, Wohnen und Sicherheit zur Verfügung zu stellen. – Ich danke Ihnen!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines vorwegschicken! Ich möchte mich im Namen der grünen Fraktion bei den vielen Menschen bedanken, die an der Vorbereitung dieses Haushaltsentwurfes mitgewirkt haben, der uns heute vom Senat zur ersten Lesung vorgelegt wurde. Ich möchte mich ganz herzlich dafür bedanken. Das ist unter den derzeitigen Rahmenbedingungen sicherlich eine besonders schwierige Aufgabe gewesen.
Lassen Sie mich als Erstes für uns Grüne sagen: Für uns ist die Leitlinie dieser beiden Haushalte investieren in die Zukunft und die nachfolgenden Generationen! Konkret sind unsere politischen Schwerpunkte daher Kinder, Jugendliche und Bildung, Nachhaltigkeit, Klima und Umweltschutz.
Die vorliegenden Haushaltsentwürfe stellen aus unserer Sicht hierfür inhaltlich die richtigen Weichen. Zunächst aber möchte ich etwas zu den besonderen Herausforderungen sagen, denen wir mit der Erstellung dieser Haushalte genügen müssen, erstens, und das ist für uns ganz klar, unsere Verpflichtung gegenüber dem Stabilitätsrat einzuhalten, und zweitens, die Kosten der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zu bewältigen.
Wenn man sich die wichtigsten Kennzahlen des Haushaltes ansieht, ist festzustellen, diese beiden Haushalte halten trotz schwierigster Rahmenbedingungen weiterhin Kurs, um Bremen nachhaltig zu konsolidieren und auch künftig die finanzielle Handlungsfähigkeit des Landes und der beiden Städte zu sichern. Wir verringern das strukturelle Defizit stetig. Das ist auch die Voraussetzung, um den Haushalt ins Lot zu bringen. Zugleich sind auch etwas höhere Investitionen möglich. Aber der Haushalt ist knapp, und es ist nicht so, dass hier Leute stehen und sagen, es ist doch alles „tutti frutti“. Herr Röwekamp, das scheint einer Ihrer neuen Lieblingsbegriffe zu sein, Sie haben ihn jetzt schon öfter in Ihren Reden verwendet. Ich habe das nicht gehört, und es gehört zur
Gemeinsam mit dem Stabilitätsrat wurde festgelegt, wie viel Kredit Bremen jährlich aufnehmen darf, und dieser Rahmen wurde bisher mit einem sogenannten Sicherheitsabstand immer unterschritten, den sich Bremen sich selbst auferlegt hat. Diesen Sicherheitsabstand haben wir uns mit gutem Grund auferlegt, denn wir müssen damit unvorhergesehene Ereignisse aus dem laufenden Haushalt bestreiten. Das ist uns in all den Jahren auch gelungen. Jetzt, das gehört auch zur Ehrlichkeit und zur Transparenz, muss man sagen, dass der Sicherheitsabstand 2017 nur noch 67 Millionen Euro beträgt. Viel Unvorhergesehenes darf also nicht passieren.
Der Senat weist die Mehrausgaben für die Aufnahme und die Integration von Flüchtlingen in diesem Haushalt gesondert aus. Das ist nach Ansicht der grünen Fraktion richtig und gerechtfertigt. Allein für 2016 belaufen sich diese Kosten auf mehr als 350 Millionen Euro. Wir Grüne finden es richtig, dass dieses Geld ausgegeben wird. Wir müssen und wollen Flüchtlinge nicht nur adäquat unterbringen, sondern wir müssen sie auch vernünftig integrieren, ihnen unsere Sprache und unsere Kultur vermitteln, die der Schlüssel für eine Teilhabe an unserer Gesellschaft sind.
Wir wollen die Kinder in Kindergärten, Schulen und Ausbildungen schicken und den Erwachsenen Erwerbsmöglichkeiten ermöglichen. Ich möchte mich an Herrn Röwekamp und Herrn Professor Hilz – er ist gerade nicht da, ich erwähne es trotzdem – richten, der gestern der Presse mitteilte, die Zahlen und Ausgaben müssten nach unten korrigiert werden. Wir müssen die Menschen, die jetzt hier sind, adäquat unterbringen und integrieren. Dafür benötigt es Geld. Ganz ehrlich, wenn man sich hier hinstellt und sagt, in Mazedonien sind die Grenzen derzeit dicht, deswegen kommen weniger Flüchtlinge, deswegen brauchen wir auch weniger Geld, dann sage ich: Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass man erwähnt, zu welchem Preis in Mazedonien die Grenzen dicht sind. Seitdem sind Tausende Menschen im Mittelmeer gestorben. Ich bin eine überzeugte Europäerin, trotzdem schäme ich mich als Europäerin ein Stück weit, dass es Europa nicht hinbekommt, Menschen, die Zuflucht suchen, diese adäquat zu gewähren und sie einfach draußen vor den Grenzen lässt. Zu welchem Preis akzeptieren wir, dass hier die Flüchtlingszahlen heruntergehen?
Die für all diese Anstrengungen notwendigen Kosten in dreistelliger Millionenhöhe lassen sich nicht einfach an anderer Stelle kompensieren. Deswegen
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weist Bremen diesen Haushaltsposten, der beim Unterzeichnen der Sanierungsvereinbarung 2011 in dieser Höhe nicht absehbar war, gesondert aus. Dafür nehmen wir die Regelung für Ausnahmesituationen in Anspruch. Es handelt sich um eine außergewöhnliche Situation, formal heißt es „außergewöhnliche Notsituation“, und das externe Gutachten hat bestätigt, dass dies möglich ist. Das kann man auch im Fazit des Gutachtens lesen. Das ist doch selbstverständlich, Herr Röwekamp. Sie haben gesagt, das sei an Anforderungen geknüpft, die Kosten müssten transparent dargelegt werden. Wo ist das Problem? Das soll gemacht werden, das ist richtig, und das wird auch so gemacht!