Protokoll der Sitzung vom 24.06.2016

(Beifall DIE LINKE, CDU, FDP)

Ich komme dazu, warum wir auch sagen, dass Frau Linnert persönlich nichts dafür getan hat, uns davon zu überzeugen, dass wir ihr vertrauen sollen: Frau Linnert hat letzte Woche in ihrer Rede zum Haushalt gesagt, dass Finanzpolitik für sie am Ende des Tages nicht absolut stehe, sondern – ich zitiere wörtlich – „sich in einem Feld des Abwägens mit anderen Politikbereichen wie zum Beispiel Sozialpolitik befindet“.

Frau Linnert, das sind schöne Worte. Aber wenn man Ihren beschlossenen Haushalt ansieht, dann hat das in der Praxis leider keine Folgen, denn seit Jahren halten Sie als Finanzsenatorin und der Senat ideologisch an einem Hauptziel fest: Bloß nicht die Finanzierungsvereinbarung reißen! Dieser Maxime wird alles untergeordnet, und die desaströsen Folgen sehen wir in diesem Land tagtäglich.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sagen natürlich auch, dass es einen Alternativkurs gegeben hätte, diese Stadt auf einen sozialen und solidarischen Kurs zurückzuholen. Wir haben mehrfach konstruktive Vorschläge unterbreitet, nicht nur in dieser Haushaltsdebatte, sondern immer. Wir haben auch gesagt: Lassen Sie uns doch einmal diesen Diskurs in diesen beiden Städten führen, wohin dieses Bundesland steuert, wenn man an dieser Politik festhält, die man landläufig Austeritätspolitik nennt! Worauf steuern wir denn hinaus? Wir haben eine Situation – damit hat die CDU völlig recht –, in der es an allen Dingen mangelt, nicht nur im Bereich öffentlicher Infrastruktur oder im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, sondern auch in dem Bereich, welches Klima man für Investitionen schafft. Diese Folgen erleben wir, und das ist doch der Grund, warum Bremen das einzige Bundesland ist, das immer noch mit dem Rücken an der Wand steht.

Ehrlich gesagt, warum erwartet ausgerechnet die grüne Fraktion, dass wir dieser Finanzsenatorin das Vertrauen aussprechen, wenn alle unsere Befürchtungen, die wir hier seit neun Jahren, Frau Schaefer, vortragen, tatsächlich auch zutreffen? Wir reden nicht über Hirngespinste. Sie haben vor einigen Jahren immer gesagt, dass wir diese Situation falsch bewerten. Wir sind aber an einen Punkt gekommen, an dem sie nicht mehr so bewertet wird.

Ich finde es höchst gefährlich, Frau Dr. Schaefer, wenn Sie immer von Politikverdrossenheit sprechen, weil wir sagen, wohin dieser Kurs führt. Das hat ein we

nig die Haltung von jemandem, der mit der Kasse durchbrennt und schreit: Haltet den Dieb! Ich glaube, die Politikverdrossenheit entsteht dadurch, dass man den Menschen vormacht, es gäbe keine Alternative, wenn man ein Bundesland in die Stagnation treibt.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sind heute in einer Situation, in der man auch einmal ganz klar sagen muss – ich habe mir nämlich diesen sogenannten blauen Brief auch angeschaut –, dass es tatsächlich nicht so ist, dass Berlin den Finger wegen des doppelten Haushaltes gehoben hat, wegen des Versuchs, die integrationsbedingten Kosten in einen anderen Haushalt zu schieben, was wir als Linksfraktion grundsätzlich mitgetragen haben, wenn auch mit Bauchschmerzen – mit Bauchschmerzen deshalb, Frau Dr. Schaefer, weil es der Öffentlichkeit ein wenig suggeriert, wir hätten kein Problem mit dem Sanierungskurs und es gäbe keine integrationsbedingten Mehrkosten. Das finden wir grundsätzlich schwierig und gefährlich. Der blaue Brief des Stabilitätsrates sagt ganz klar – wir sprechen ja noch gar nicht über den jetzigen Haushalt, er steht erst im nächsten Jahr zur Diskussion –, dass der Versuch, diese Konsolidierungs- und Sanierungsvereinbarung einzuhalten, von Berlin äußerst kritisch gesehen und gesagt wird, dass wir an Grenzen stoßen. Das sagt die Finanzsenatorin übrigens auch zu jedem mittleren Finanzrahmen, den sie vorlegt.

Liebe Kollegin Schaefer, wenn solch ein blauer Brief kommt, ist es im Sinne einer parlamentarischen Auseinandersetzung und einer parlamentarischen Demokratie durchaus üblich, dass sich durchaus auch die Opposition damit auseinandersetzt und sich fragt, welche Folgen das hat. Dass naturgemäß die CDU und DIE LINKE zu grundsätzlich anderen Schlüssen kommen, was das bedeutet, das ist doch nicht weiter verwunderlich. Dass wir das aber hier nicht sagen oder benennen dürfen, finde ich sehr wohl problematisch, weil es in meinen Augen Politikverdrossenheit fördert.

(Beifall DIE LINKE, CDU, FDP)

Wir glauben ebenfalls wie die CDU, dass wir einen Richtungswechsel brauchen. Wir wollen ganz klar nicht den Richtungswechsel der CDU, Frau Dr. Schaefer.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Schade eigentlich! – Abg. Güngor [SPD]: Dann wissen Sie ja, wie Sie heute ab- stimmen! – Zurufe von der SPD)

Das ist ganz klar.

(Abg. Güngor [SPD]: Also enthalten Sie sich?)

Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 25. (außerordentliche) Sitzung am 24.06.16 1850

Herr Güngör, wir werben für unseren Kurs, und zwar ganz stringent. Seit Jahren sagen wir, dass wir das Neuverschuldungsverbot für ökonomischen und sozialen Unsinn und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt für höchst gefährlich halten.

(Beifall DIE LINKE)

Sie tun immer so: Wir machen die Augen zu und wurschteln uns in der Mitte durch. Da hat die CDU recht, das funktioniert nicht mehr. Das hat Berlin auch gesagt. Wir werben nicht für den Kurs der CDU, sondern für unseren, und wir wollen, dass Sie sich entscheiden.

(Abg. Güngör [SPD]: Entweder steigen Sie dort drü- ben ein oder nicht! So läuft das nicht!)

Das ist unsere Ansage, weshalb wir sagen, dass diese Regierung vor einem Jahr nicht unser Vertrauen hatte und ein Jahr später erst recht nicht mehr. In diesem Jahr ist nichts passiert.

(Beifall DIE LINKE)

Mit diesem Kurs, den Sie seit neun Jahren beziehungsweise nach Unterzeichnung der Sanierungsvereinbarung fahren, hat sich im letzten Jahr nichts ergeben, was in irgendeiner Weise einen Ausschlag zugunsten Ihrer Politik gegeben hätte. Ganz im Gegenteil! Die Eckdaten in allen Bereichen in Bremen werden immer schlimmer.

(Abg. Öztürk [Bündnis 90/Die Grünen]: Was heißt das?)

Es ist völlig klar, dass dieser Kurs ohne integrationsbedingte Mehrkosten letztlich nicht zu halten sein wird. Es ist durchaus berechtigt, in einer Situation, in der Bremen an einem Scheideweg steht, diese Diskussion aufzumachen und zu fragen, welchen Weg die Regierung will. Will sie den Weg der CDU gehen, oder hat sie den Mut zu sagen, okay, diese Sanierungsvereinbarung ist zum Scheitern verurteilt, wir müssen finanz- und haushaltspolitisch einen grundsätzlich anderen Weg im Sinne der Verantwortung für die Menschen gehen, die in diesem Bundesland leben?

(Beifall DIE LINKE)

Aus unserer Sicht ist ein Richtungswechsel in Bremen nötig. Dieser darf eine angemessene Neuverschuldung für dieses Bundesland nicht von vornherein ausschließen. Da Ihre Finanzsenatorin letzten Mittwoch genau das wörtlich wiederholt hat, hat sie hier und heute unser Vertrauen nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Dieser Richtungswechsel müsste vor allem gegenüber Berlin und den anderen Bundesländern vertreten werden und vor allem dann, wenn im Grundsatz noch das Grundgesetz in Deutschland gilt, dass in den Ländern gleichwertige Lebensverhältnisse herrschen sollen. Dann steht Bremen und den Bremern und Bremerhavenern deutlich mehr zu als das, was sie jetzt durch diese rot-grüne Regierung bekommen.

(Abg. Gottschalk [SPD]: Das wollen Sie mit CDU und FDP erreichen, ja?)

Es wäre Aufgabe der Landesregierung, Herr Gottschalk, diese Haltung offensiv gegenüber anderen Ländern zu vertreten und auch gegenüber den Bremern und Bremerhavenern. Sie streuen den Leuten doch manchmal Sand in die Augen.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Und das von Ihnen! – Abg. Güngör [SPD]: Das ist doch Ihre Aufgabe!)

Dann wundern Sie sich, dass Sie hier eine politische Doktrin aufgemacht haben, bei der Sie nachher mit den Menschen diskutieren müssen, ob eine Neuverschuldung überhaupt sinnvoll ist, und beschweren sich darüber, dass hier ein Dogma des Neuverschuldungsverbots herrscht. Sie haben diese Politik doch verursacht und nicht die Menschen, die Ihnen geglaubt haben.

(Beifall DIE LINKE)

Wir bleiben dabei, dass mit den aktuellen Mittelzuweisungen gleichwertige Lebensverhältnisse nicht aufrechtzuerhalten sind. Die Bürgermeister und die stellvertretende Bürgermeisterin sind in der Pflicht, diese Problematik aufzuzeigen und sich nicht noch weitere Sparanstrengungen auferlegen zu lassen. Bremen kann und sollte nicht weiter sparen. Es ist wichtig, dass diese Message endlich auch einmal beim Stabilitätsrat ankommt. Unsere Fraktion und auch unser Landesvorstand haben große Zweifel, dass Sie, Frau Linnert, noch die richtigen Botschaften in diesem Sinne beim Stabilitätsrat in Berlin vortragen.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb haben wir uns nach mehreren Tagen der Diskussion – das war nicht nur unser Landesvorstand, sondern auch unsere Fraktion – dazu entschlossen, dieser Finanzsenatorin und diesem Senat insgesamt heute nicht unser Vertrauen zu geben. Ehrlich gesagt war das bei der Senatswahl vor einem Jahr auch schon so. Wir haben damals auch schon merkwürdige Anrufe bekommen, anlässlich derer ich mich gefragt habe, warum man, wenn die grüne Fraktion ein Problem hat, von uns LINKEN erwartet, dass wir Senatorinnen und Senatoren einer Regierung wählen,

Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 25. (außerordentliche) Sitzung am 24.06.16 1851

der wir nicht angehören. Das müssten Sie mir einmal erklären.

(Beifall DIE LINKE, CDU und ALFA – Abg. Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Was? Sie erzählen schon auf Facebook immer diesen Blödsinn! – Zurufe Bünd- nis 90/Die Grünen)

Wir haben auch überhaupt kein Problem damit, das hat Herr Rupp auch mehrfach in der letzten Woche gesagt, dass Frau Linnert für einen Kurs steht, den wir inhaltlich falsch finden und nicht tragen. Sie steht unserer Meinung nach für eine Liberalisierung im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, die wir nicht mittragen werden. Dieser Kurs, der Bremens sozialen Zusammenhalt nachhaltig gefährdet, hat nicht unser Vertrauen und daher auch diese Finanzsenatorin nicht. – Danke!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Steiner.

Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Gäste! Die letzten Wochen in diesem Haus waren mehr als turbulent. Gerade von Rot-Grün wurde ein Doppelhaushalt verabschiedet, der die Eigenständigkeit Bremens fahrlässig aufs Spiel gesetzt hat.

(Beifall FDP)

Er verstößt gegen die Konsolidierungsvereinbarung mit dem Bund. Gleichzeitig kündigte sich die nächste Katastrophe an, als bekannt wurde, dass Bremen seine Landesbank an Niedersachsen verkaufen muss. In beiden Bereichen stand vor allem eine Person im Mittelpunkt: unsere Finanzsenatorin Karoline Linnert. Frau Linnert hat es nicht geschafft, dem Stabilitätsrat in Berlin glaubhaft zu versichern, dass Bremen es mit dem Sparen ernst meint. Auch in der Rolle als Aufsichtsratsvorsitzende der Bremer Landesbank hat sie leider kein Geschick bei den Verhandlungen um die Zukunft der Bank bewiesen. Ganz im Gegenteil: Anstatt in diesen beiden hochkritischen Punkten dafür zu sorgen, dass Bremen weder Ansehen noch Geld verliert, haben Sie beides fahrlässig verspielt.

(Beifall FDP)

Anstatt Lösungen zu finden, sind Sie in beiden Fällen zum Anwalt gegangen. Der Haushalt wurde verteidigt, bevor er überhaupt verabschiedet wurde, denn zum Haushalt gab es gleich das Rechtsgutachten, welches belegt, dass der von Ihnen vorgelegte Haushalt nicht gegen die Konsolidierungsvereinbarung mit dem Bund verstößt. Was die EZB betrifft, wollen Sie auch da gleich klagen: gegen die Risikobewertung der europäischen Bankenaufsicht, die durch die Kapitalaus

stockung bei der BLB notwendig geworden ist. Frau Linnert, von dieser Art der Politik hat wirklich niemand etwas, außer den Anwälten, die Sie beauftragen, um Ihr Versagen mit juristischen Winkelzügen zu verdecken.

(Beifall FDP)