Protokoll der Sitzung vom 24.08.2016

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 19/435, auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Kenntnis.

Milliardenschwere Steuerhinterziehungen durch manipulierte Kassen Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen vom 10. August 2016 (Neufassung der Drucksache 19/395 vom 19. April 2016) (Drucksache 19/682)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Bürgermeisterin Linnert.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Ravens.

(Beifall SPD)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Überschrift lautet „Milliardenschwere Steuerhinterziehungen durch manipulierte Kassen“. Was steckt dahinter? Wir sind jetzt nicht im Ratespiel. Aber wenn ich könnte Ihnen die Frage zurufen: Was verstehen Sie unter Eraser? „Fixer“ hat in dem Fall nichts mit Drogenpolitik, „Styler“ nichts mit Friseur und „Sneaker“ nichts mit Schuhen zu tun.

Nein, meine Damen und Herren, das sind ganz kleine Computerprogramme, mit denen sich Registrierkas sen manipulieren lassen. Wo werden sie eingesetzt? Jeder glaubt, das hat nur etwas mit Lokalitäten, mit Restaurantbetrieben zu tun. Nein, nein! Das finden Sie in der Gastronomie und im Einzelhandel. Bei Apotheken, bei Friseuren und bei Tankstellen ist man fündig geworden. Ich wusste selbst nicht, dass man auch im Taxigewerbe fündig geworden ist, wie die Steuerfahndung erzählt. Ich komme nachher darauf zu sprechen, was Hamburg anbelangt.

Nach Überzeugung der Länder und des Bundes rechnungshofs werden diese geheimen Schummel programme jeden Tag an Hunderttausenden Kassen eingesetzt, um die Umsätze zu drücken und dann natürlich auch Steuern zu sparen. Jetzt streitet man über die Beträge. Als letzte Summe habe ich von der Steuergewerkschaft gehört, dass 10 Milliarden Euro im Raum stehen. Dieser Betrag wird auch von Herrn Walter-Borjans aus Nordrhein-Westfalen immer genannt. Es stimmt so ungefähr. Es können auch 8, 9 oder 12 Milliarden Euro werden.

Diese Betrügereien, diese Steuerhinterziehungen gehen natürlich am Staat vorbei. Damit Sie eine Größenordnung haben: Das entspricht ungefähr so viel wie dem gesamten Kfz-Steueraufkommen. Wenn wir dieses Geld mehr im Steuersack hätten und jedes Land davon 500 Millionen Euro bekommen würde, dann hätten wir keine Schwierigkeiten, Kitas, Schulen, Seniorenheime, Pflegeeinrichtungen und Krankenhausfinanzierung bezahlen.

(Beifall SPD)

All das könnte man davon finanzieren.

Meine Damen und Herren, der Bundesrechnungshof hat sich dieser Problematik seit Längerem angenom men und einen Bericht an das Bundesfinanzministeri um geschickt. Es schildert den Fall eines aufgeflogenen Eiscaféinhabers in Nordrhein-Westfalen. Dieser hat durch die Manipulation seiner drei Kassen in vier Jahren rund 2 Millionen Euro an Steuern hinterzo gen. 2 Millionen Euro! Ein einziger mit drei Kassen!

Als der Geschäftsmann von der Steuerfahndung gefragt worden ist, wie er das gemacht hat, hat er den Steuerprüfern erzählt, der Verkäufer sei bei ihm gewesen, habe ihm das Kassensystem verkauft und ihm gleich Zubehör in Form eines USB-Sticks inklusive der Bedienungsanleitung und Einweisung für diese Schummelsoftware mitgeliefert. Das ist genauso schlimm wie das Einsetzen der Software, finde ich.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe bei den Betriebsprüfern in Bremerhaven gefragt. Auch diese haben es gemerkt. Sie sind auf der Fachmesse gewesen und haben die Hersteller inkognito an den Ständen besucht und gefragt. Diese haben ganz bereitwillig Auskunft über diese Tricks freigegeben. Wenn gesagt wurde: „Ich möchte eine Kasse kaufen“, wurde geantwortet: Selbstverständ lich! Was wollen Sie haben?

Ich finde es schon schlimm, wenn einer Steuern hinterzieht. So etwas zu machen, habe ich mir aber nicht träumen lassen.

Meine Damen und Herren, als Klassiker dieser Schum melsoftware gilt die sogenannte Trainingseinstellung. Das ist den Prüfern gesagt worden. Die Trainingsein stellung bedeutet, wenn jemand einen neuen Kell ner einstellt, sagt der Inhaber: Du kennst dich noch nicht so gut damit aus, aber drück einmal die „9“. Ich habe mir das erklären lassen. Auf der „9“ ist die Trainingseinstellung, die sogenannte Lehreinstellung hinterlegt. „Lehr-“ schreiben wir mit „h“, während der Inhaber darunter eine Leereinstellung versteht, unter der nicht gebucht wird. Das ist der Unterschied.

Auf dem Bon können Sie schauen, wie Sie wollen. Darauf finden Sie nichts. Dann fragt man sich, wie die Prüfer eigentlich darauf gekommen sind. Das fällt nur auf, wenn zum Beispiel wir als Abgeordnete jemanden einladen, es dem Finanzamt gegenüber als notwendige Ausgabe angeben, den Bon auf ei nen Zettel kleben und den Anlass dazuschreiben. Kommt dem Prüfer Ihre Einkommensteuererklärung ein bisschen komisch vor, macht er sich eine Kopie und gibt sie der Steuerfahndung. Der Betriebsprüfer weiß bei der Prüfung dieses Restaurant, am 26. Au gust letzten Jahres ist ein Betrag von 58,72 € gebucht worden. Sucht er den Beleg vergebens, weil er auf der Endabrechnung nicht enthalten ist, weil er einfach wegeflutscht ist und nicht mehr existiert, fällt das auf.

Meine Damen und Herren, wenn Sie bei einem Kellner im Eiscafé bestellen und sagen: „Ich möchte gern zwei Kugeln Vanille, drei Kugeln davon und fünf Kugeln davon“, und so weiter, dann gibt er die Bestellung in ein Gerät ein, das oftmals nur zur Theke weiterleitet, aber nicht über das Kassensystem läuft. Nur derjenige, der das Eis ausgibt, bekommt die Bestellung, aber in der Kasse ist sie nicht gelandet.

Es gibt auch ganz tolle – natürlich illegale – Software, die Umsätze gar nicht oder später aufzeichnet. Es

ist die einfachste Methode, dass es gar nicht ausge druckt wird. Komfortable Programme erlauben es auf Knopfdruck, alle Barumsätze um einen bestimmten Prozentsatz zu minimieren, wurde mir erzählt. Wenn Sie abends den Kassenabschluss machen, macht das Programm minus zehn Prozent und Sie haben statt 1 000 Euro eben entsprechend weniger.

Einige Programme – auch das gibt es für Einzel handelsgeschäfte – ersetzen teure Positionen durch billige Waren. Sie kaufen einen Mantel für 500 Euro, und das Programm setzt dann 230 Euro ein. Nur das steht auch im System.

Meine Damen und Herren, bei der PhysikalischTechnischen Bundesanstalt in Braunschweig wurde das System INSIKA entwickelt. Die Abkürzung IN SIKA basiert auf einer digitalen Signatur, also einer manipulationssicheren elektronischen Unterschrift. Diese wird über eine Smartcard erzeugt, sodass die Umsätze nicht am Staat vorbeigehen.

In Hamburg hat das System seine Praxistauglichkeit schon bei den Taxen bewiesen. Dort sind nämlich zwei Drittel der Taxen mit INSIKA ausgestattet. Auf wundersame Weise ist der Umsatz bei den Taxen gestiegen. Sie hatten ganz plötzlich Mehreinnahmen.

Meine Damen und Herren, es gibt technische Lösun gen nicht nur durch INSIKA. So etwas haben auch andere Firmen entwickelt. Die Länder haben auch auf die Einführung gedrängt. Wie hat es aber Herr Walter-Borjans gesagt? Er wirft Schäubles Beamten ein falsches Spiel vor. Er sagt nämlich: Er bremst uns aus. Ich zitiere aus der „Frankfurter Rundschau“:

„Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass einige im Bundesfinanzministerium die von uns vorgeschla genen Maßnahmen gegen die Manipulation von Registrierkassen verhindern oder zumindest immer weiter verzögern wollen.“

So weit Herr Walter-Borjans! Er kommt auf die Idee – ein Schelm, der Böses dabei denkt –, dass es hier einen Zusammenhang gibt.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wissen Sie, wer in Wahlkreis 284 wohnt? Herr Dr. Wolfgang Schäuble! Er kommt aus Gengenbach im Schwarzwald. Das ist die Postleitzahl 77652. Merken Sie sich das einmal. Dann habe ich recherchiert und gesehen, es gibt dort drei ganz große Firmen, die Kassensysteme und ‑waagen herstellen. Eine ist Ihnen bekannt. Das ist die Firma Bizerba, Postleitzahl 72336 Balingen. Die andere Firma heißt A-K-S Aulich-Kassen-Systeme, Postleitzahl 78628 Rottweil. Eine weitere Firma heißt BACnet Entwicklungs- und Support GmbH, Postleit zahl 76461 Muggensturm.

Meine Damen und Herren, ich finde, dieser milli ardenschwere Steuerbetrug muss schnellstmöglich unterbunden werden.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Abg. Tassis [AfD], Abg. Timke [BIW])

Da meine Zeit abgelaufen ist – –

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Nur die Redezeit! – Abg. Frau Grotheer [SPD]: Die erste!)

Die Redezeit, ja, das hoffe ich auch!

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen gerade ein ganz einfaches und überschaubares Verfahren erklärt. Das kann man sofort durchschlagen. Eines ist ganz wichtig. Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Waltemathe – viele kennen ihn gar nicht mehr – saß von 1972 bis 1994 im Bundestag. Er sagte einmal: „Politik ist die Fähigkeit, aus einem einfachen Sach verhalt einen gordischen Knoten zu knüpfen.“ Lassen Sie uns diesen gordischen Knoten heute durchschla gen. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es fällt schwer, nach dem Kollegen Ravens noch etwas zu finden, was noch nicht gesagt wurde. Gleichwohl möchte ich mit dem Hinweis beginnen, dass es heute einen Antrag der Regierungskoalition gibt, der ein Lob für die Bundesregierung enthält. Es ist ein durchaus seltenes Lob. Wir möchten uns aber konstruktiv mit dem auseinandersetzen, was auf der Bundesebene geschieht. Es geht in diesem Falle um Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe.

Es ist viel zu einfach, Registrierkassen zu manipu lieren. Das ist eben in den anschaulichen Beispielen des Kollegen Ravens noch einmal sehr deutlich geworden. Nicht alles, was eingebont wird, lan det am Ende in der Steuererklärung oder ist für das Finanzamt beziehungsweise die Betriebsprüfer nachvollziehbar. Eingebonte Summen können bei spielsweise ziemlich schnell gelöscht oder gekürzt werden, ohne dass es registriert wird und ohne dass man das im Nachhinein im System nachvollziehen und deswegen auch begründen können muss. Dem Betrug ist damit in vielen Bereichen unseres Lebens Tür und Tor geöffnet.

Die Bundesregierung hat nun einen ersten und wich tigen Schritt gemacht. Chapeau! Trotzdem warten wir Grüne dann doch lieber auf die Umsetzung, denn man hat die Bundesregierung bis hierhin zuerst einmal zum Jagen tragen müssen. Auf Druck der Länder und des Bundesrechnungshofs ist es jetzt endlich zu einem ersten Schritt gekommen.

Der Bundesregierung fehlte aber der Mut, konsequent den zweiten Schritt zu gehen. Wir benötigen am Ende des Tages die Registrierkassenpflicht. Bei denjenigen, die eine Registrierkasse betreiben, eine Manipulation durch Software auszuschließen, treibt diejenigen,

die gern im Verborgenen arbeiten möchten, nach der jetzigen Regelung wieder dazu, eben nicht mit einer Registrierkasse zu arbeiten, sondern zurück zur Zigarrenschachtel zu gehen, die Bilanz des Tages dann je nach Wunsch und Laune zu korrigieren und gegenüber dem Finanzamt zu verschleiern.

Eine wirksame Bekämpfung der Steuerhinterziehung ist nur dann möglich, wenn man es macht wie unser Nachbarland Österreich, wo eine Registrierkassen pflicht eingeführt worden ist. Das fordern wir im zweiten Beschlusspunkt unseres heutigen Antrags. Damit würden die gleichen Spielregeln für und die gleichen Anforderungen an alle, die Umsatz machen, gelten. Nur so kann man wirksam und verantwor tungsvoll handeln.

Bei der Bundesregierung durchgesetzt hat sich die andere Seite. Ich meine die Lobbyistenverbände, die in Sachen Panikmache überall unterwegs sind. Ja, es gibt Firmen, die nicht so viel Umsatz machen, dass sich für sie eine Registrierkasse lohnen würde. Um diesem Umstand gerecht zu werden, ist in Österreich eine Bagatellgrenze eingeführt worden. Damit fallen zahlreiche kleine Unternehmen nicht mehr unter die Registrierkassenpflicht. Jetzt komme bitte niemand mit dem Sportverein, der Kirchengemeinde oder dem Stand auf dem Flohmarkt; denn diese dürften die Bagatellgrenze erst recht nicht überschreiten. Wir können uns in Gottes Namen noch einmal über die Höhe der Bagatellgrenze und über Übergangsfristen unterhalten, um bei besonderen Härten zu vernünf tigen Lösungen zu kommen.

Am Ende des Tages gilt aber, dass wir der Manipu lation nur dann einen Riegel vorschieben können, wenn wir die Registrierkassenpflicht haben. SPD und Grüne setzen sich gemeinsam dafür ein und hoffen heute auf Ihre Zustimmung. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Professor Dr. Hilz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zahlen, die hier im Raum stehen, sind erschre ckend. Der Bundesrechnungshof hat in der Tat 10 Milliarden Euro Umsatzsteuerhinterziehung festge stellt. Das bedeutet bei einem Gesamtaufkommen an Umsatzsteuer von 159 Milliarden Euro, dass ungefähr 8 Prozent der Umsatzsteuer hinterzogen werden.

Gänzlich belastbar ist diese vom Bundesrechnungshof genannte Zahl nicht; ich hoffe, dass sie tatsächlich nicht ganz so hoch ist. Wenn wir die Zahl auf das Land Bremen umrechnen, kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir mit Umsatzsteuerhinterziehung im Umfang von 100 Millionen Euro konfrontiert sind, wobei die Gefährdung in den Bereichen, in denen viel Bargeld über die Ladentheke geht, am höchsten ist.

Aus unserer Sicht muss man selbstverständlich daran arbeiten, der Umsatzsteuerhinterziehung Herr zu werden, wenn sie sich so bewahrheiten. Wir Freie Demokraten sind dabei, wenn die Koalition mani pulationssichere Registrierkassen fordert. Selbstver ständlich ist es auch unser Bestreben, dass Regist rierkassen nicht manipuliert werden können, dass wir ein sicheres System haben. Die Bundesregierung ist bei ihren Bemühungen schon ein Stück weiterge kommen, aber offensichtlich noch nicht ganz fertig. Wir unterstützen die Bemühungen, dem, was Herr Ravens beschrieben hat – das ist systematischer Betrug –, einen Riegel vorzuschieben, um die Steu ereinnahmen zu generieren.

Womit wir ein Problem haben, ist das, was Herr Fecker gesagt hat, die Registrierkassenpflicht für jeden. Wir können uns gern über eine Bagatellgrenze unterhalten. Eine Grenze von 17 500 Euro Umsatz ist extrem niedrig. Daher können wir diese Grenze nicht mittragen. Jede Bude auf dem Freimarkt macht in den zwei Wochen mehr als 17 500 Euro Umsatz. Hier sind wir in einem Bereich, der von Ihrer Seite extrem niedrig angesetzt ist, den wir nicht mittragen können.