Protokoll der Sitzung vom 22.07.2015

die es uns möglich gemacht haben, diese humanitäre Hilfe zu leisten.

Wir wissen aber auch, dass die Kommunen nicht allein die Lasten und die Folgen internationaler Konflikte schultern können. Deshalb werden wir uns dafür einsetzen, dass der Bund weitere Anstrengungen unternimmt, um die Länder und Kommunen zu stärken und ihnen zu helfen, diese große Herausforderung der Zukunft bewältigen zu können.

Der Senat wird sich zu diesem Thema organisatorisch neu aufstellen. Es ist nicht nur unser humanitärer Auftrag, sondern wir schulden es den Bremerinnen und Bremern, den Bremerhavenerinnen und Bremerhavenern, aber auch den zuwandernden Menschen, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten.

(Beifall SPD)

Das steht aber auch in dem Zusammenhang, dass wir eine Tradition als weltoffener Ort, als weltoffene Städte haben, auch das will ich hier noch einmal unterstreichen.

Ich sage dies, weil wir – daran will ich erinnern – in Bremen einen Migrantenanteil von 25 Prozent und in Bremerhaven von 20 Prozent haben. Dieser Senat steht dafür, dass die Menschen, die zugewandert sind, gleiche Chancen bei Bildung und auf dem Arbeitsmarkt haben, wann immer sie gekommen sind. Wir

stehen gemeinsam gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Zum Schluss möchte ich sagen, dass wir gemeinsam die Aufgabe haben, neben allen politischen Themen und neben der finanziellen Herausforderung eine Kraftanstrengung zu unternehmen, um die Demokratie in unserem Land wieder zu stärken. Ich hoffe dabei sehr auf die Debatten in den Fraktionen und unter den Abgeordneten. Wenn sich, wie geschehen, nur die Hälfte der Menschen an der Bürgerschaftswahl beteiligt, dann schrillen bei uns allen die Alarmglocken, das darf keine Frage der politischen Farben sein. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Fraktionen der Bürgerschaft dies übergreifend angingen. Der Senat wird dies unterstützen.

Die rot-grüne Koalition hat diskutiert, die Wahlorganisation zu prüfen, um das Wählen näher an die Menschen zu bringen. Wir schlagen vor, die Schwachstellen des neuen Wahlrechts zu identifizieren und zu beheben, wir wollen aber auch einen Dialog darüber, ob nicht die Verlängerung der Legislaturperiode in Bremen auf fünf Jahre ein Thema sein muss, denn Bremen ist das einzige Bundesland, in dem es noch eine vierjährige Legislaturperiode gibt.

All dies sind entscheidende Fragen, die wir neben den großen Themen für die Zukunftssicherung angehen müssen. Ich hoffe, dass Parteipolitik hierbei hintansteht, denn es geht um unsere Demokratie, meine Damen und Herren. Ich hoffe, dass es uns gelingt, vier Jahre lang, bis 2019, den Blick auf das Gesamte zu richten und die Einzelinteressen zurückzustellen. Dafür müssen wir streiten. Dieses Parlament, diese Bürgerschaft, ist der entscheidende Ort, um den politischen Diskurs über die Zukunft unserer Stadtpolitik zu führen. Der Senat wird sich dem stellen. Auch ich persönlich werde dieses Haus nutzen, um Rede und Antwort zu stehen und unsere Politik zu erklären. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Anhaltender Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir hatten für den jeweils ersten Redner je Fraktion bis zu 30 Minuten an Redezeit vereinbart. Nun hat der Bürgermeister 60 Minuten geredet. Ich bitte die Fraktionsvorsitzenden, das nicht nachzumachen, damit wir am Ende ungefähr die Zeitvorgabe einhalten, die wir uns vorgenommen haben.

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in den nächsten 60 Mi

nuten Ihre Aufmerksamkeit meiner Erwiderung auf die Regierungserklärung schenken würden!

(Abg. Rupp [DIE LINKE]: Muss das sein?)

Wenn wir in die Debatte eintreten, stellt sich zunächst einmal die Frage, woran man den Inhalt einer abgegebenen Regierungserklärung misst. Man könnte ihn daran messen, ob der neue Präsident des Senats das umzusetzen verspricht, was er den Wählerinnen und Wählern mit dem Parteiprogramm zur Bürgerschaftswahl und zur Wahl der Stadtverordnetenversammlung am 10. Mai dieses Jahres versprochen hat. Daran gemessen muss man sagen: Herr Bürgermeister Sieling, ich denke, es ist Ihnen gelungen, hier wiederzugeben, dass Sie das umsetzen wollen, was Sie in Ihren Wahlprogrammen versprochen haben.

Aber ist das der richtige Maßstab? – Man könnte auch die Frage stellen: Ist es nicht viel richtiger, eine Regierungserklärung daran zu messen, ob sie zu allen Problemen dieser Stadt und dieses Landes die richtige Antwort gibt? Auch hierzu muss ich sagen: Herr Bürgermeister Sieling, in Ihrer Rede war fast alles dabei, und das ist ja auch kein Wunder bei einer Stunde Redezeit. Dieter Thomas Heck hätte es wahrscheinlich geschafft, den gesamten Koalitionsvertrag in der von Ihnen genutzten Stunde vorzulesen. Dabei wäre definitiv nichts unberücksichtigt geblieben, Herr Bürgermeister Sieling.

(Heiterkeit CDU)

Sie haben es geschafft, dem Parlament ein umfängliches Paket von Biolandwirtschaft über Kreditzinsen bis hin zu Kontoführungsgebühren anzubieten und darzustellen, wie Sie Bremen in Zukunft zu regieren gedenken, allerdings haben Sie einen Punkt vergessen, obwohl er ein zentrales Projekt der Koalition ist: Die Freigabe von Cannabis kam in Ihrer Rede gar nicht vor.

(Heiterkeit und Beifall CDU, BBR – Zuruf Bürgermeis- ter Dr. Sieling)

Ich sage gern etwas dazu, Herr Sieling, das ist überhaupt kein Problem! Aber ich denke, es ist auch nicht der richtige Maßstab, hier zu fragen, ob alles dabei war, und dann zu sagen, jawohl, es war für jeden etwas dabei.

Ist das der Auftrag, den die Wählerinnen und Wähler am 10. Mai erteilt haben? Ich meine, am Schluss Ihrer Rede sind Sie darauf eingegangen: Sie haben eine ganz andere Aufgabe. Sie haben nicht die Aufgabe, jedem alles zu bieten, Sie haben auch nicht die Aufgabe, nur das umzusetzen, was in den Wahlprogrammen steht, denn die Wählerinnen und Wähler haben am 10. Mai ein eindeutiges Votum abgegeben.

Diese neue Regierungsmehrheit im Parlament und damit auch Sie im Senat, Herr Bürgermeister Sieling,

haben mit knapp 25 Prozent die geringste demokratische Legitimation, die eine Regierung unseres Bundeslandes je gehabt hat. Deswegen war die Botschaft vom 10. Mai: Es darf nicht so weitergehen wie in den vergangenen acht Jahren dieser Regierung. Die Menschen erwarten von Ihnen andere Antworten, sie erwarten von Ihnen neue Antworten. Sie erwarten von Ihnen keine Versprechungen, sondern Taten, um unser Bundesland voranzubringen und die Probleme dieses Landes zu lösen.

(Beifall CDU)

Das ist der Maßstab, Herr Bürgermeister Sieling, an dem man eine Regierungserklärung messen muss!

Ich sage Ihnen ganz offen – das wird Sie von einem Vertreter der CDU-Fraktion nicht überraschen –: Da bin ich noch nicht zufrieden. Ich denke, Sie haben nicht verstanden, dass die Menschen, die übrigens gleichzeitig die Wählerinnen und Wähler sind, am 10. Mai dieses Jahres eindeutig gesagt haben: Mit der bisherigen Haushalts- und Finanzpolitik darf es nicht so weitergehen wie bisher.

Sie haben gesagt, Bürgermeister Böhrnsen habe für die Koalition die richtige Schlussfolgerung aus dem Wahlergebnis gezogen. Ich hätte mir gewünscht, meine Damen und Herren, dass nicht nur Bürgermeister Böhrnsen, sondern auch die gescheiterte Finanzsenatorin die Konsequenzen aus diesem desaströsen Wahlergebnis gezogen hätte,

(Beifall CDU, BBR)

denn gerade in der Haushalts- und Finanzpolitik bleibt der von Ihnen versprochene Aufbruch definitiv aus.

Selbst wenn man den Koalitionsvertrag liest, findet man darin keine neuen Antworten auf den Spagat zwischen den begrenzten öffentlichen Mitteln und den zusätzlichen Anforderungen, die die Menschen in der Bildungspolitik, bei den Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder und in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stellen. Die Antwort kann nicht die sein, die im Koalitionsvertrag steht, nämlich dass Sie immer dann, wenn Sie neues Geld ausgeben wollen, den Menschen neue Zumutungen über Steuererhöhungen unterbreiten. Man kann einen Haushalt nicht dadurch sanieren, dass man den Kurs hält, alle Ausgaben fortsetzt und immer dann, wenn man etwas Neues machen will, einfach noch etwas oben dazugibt, meine Damen und Herren. So funktioniert solide Haushaltspolitik nicht,

(Beifall CDU, BBR)

und gerade dann nicht, Herr Bürgermeister Sieling, wenn man sich auch noch selber dazu in den Widerspruch setzt!

Sie haben hier angeführt, dass es ein großer Erfolg sei, dass mit der Mietpreisbremse eine Stabilität der Grundmieten eintrete.

Ja, da sage ich Ihnen, das haben wir erreicht! Aber was nützt es den Menschen, wenn Sie durch die Hintertür der Grundsteuer die Mieten in Bremen und Bremerhaven deutlich erhöhen? Wie widersprüchlich ist es eigentlich, sich als Retter der Mieter aufzuspielen und heimlich Mieterhöhungen zu beschließen?

(Beifall CDU)

Welchen inneren Zusammenhang hat eigentlich die Anhebung der Grundsteuer mit der versprochenen Einstellung neuer Lehrer? Es besteht überhaupt kein innerer Zusammenhang, denn Sie brauchen lediglich das Geld, um die Lehrerstellen zu finanzieren!

(Abg. Tschöpe [SPD]: Ja!)

Ich möchte Sie im Übrigen daran erinnern, dass Sie den Menschen versprechen, zusätzliche Unterrichtskräfte an die Tafel zu bringen, ich vermisse allerdings immer noch Ihre Aussage, wie viele neue Lehrerstellen eigentlich für das neue Schuljahr 2015/2016 geschaffen werden. In der Öffentlichkeit entsteht ja der Eindruck, es seien 200 neue Lehrerstellen geschaffen worden. Diesen Beschluss habe ich aber noch nicht gesehen. Die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses weist keine entsprechende Vorlage aus. Im Übrigen habe ich auch noch keine Stellenausschreibungen gesehen. Ich vermute, dass andere Bundesländer, Niedersachsen allen voran, sich bereits um Lehrkräfte bemühen.

Wo bleibt denn das Bemühen der neuen Regierung, als Erstes ein Zeichen dafür zu setzen, dass neue Lehrerstellen geschaffen und neue Lehrerinnen und Lehrer in unseren Schulen in Bremen und in Bremerhaven tätig werden können? Stattdessen streuen Sie den Menschen im Hinblick auf die Unterrichtsversorgung Sand in die Augen und sprechen von irgendwelchen Menschen an irgendwelchen Tafeln. Was die Menschen erwarten, ist eine Unterrichtsgarantie. Herr Bürgermeister Dr. Sieling, das Signal ist bis heute nicht gegeben worden, lassen Sie diesen Beschluss fassen!

(Beifall CDU)

Wenn Sie es am Ende wie Ihr Vorgänger machen, dass die Schippe drauf nichts anderes ist als eine zurückgenommene Sparmaßnahme, dann enttäuschen erneut Sie die Menschen, die am 10. Mai solchen Versprechungen eben keinen Glauben mehr geschenkt haben. Sie werden es dann mit inhaltlicher Politik und inhaltlichen Auseinandersetzungen nicht schaffen, die Menschen davon zu überzeugen, sich wieder verstärkt an der politischen Debatte zu beteiligen und an Wahlen teilzunehmen.

Meine Damen und Herren, Sie können die Legislaturperiode bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verlängern, Sie können meinetwegen auch die Wahlurnen zu den Wählern bringen, aber die Wahlbeteiligung wird nur steigen, wenn die Politik den Menschen zukünftig glaubwürdige Antworten auf ihre Probleme gibt. Herr Bürgermeister Dr. Sieling, Ihre Regierungserklärung ist das leider schuldig geblieben.

(Beifall CDU)

Sie haben gesagt, dass Sie bei Ihrem Marathon am Stadion angekommen seien. Ein Marathon ist ja 42,195 Kilometer lang, und wenn man den Sanierungszeitraum nach der Sanierungsvereinbarung nimmt, dann läuft er vom Jahr 2011 bis zum Jahr 2019. Wir sind jetzt im Jahr 2015, das heißt, von den neun Jahren sind fünf Jahre verstrichen. Umgerechnet auf den Marathon würde das bedeuten, dass Sie noch ungefähr 18 Kilometer vom Stadion entfernt sind, wenn es gut läuft. Herr Bürgermeister Dr. Sieling, ich bin mir ja noch nicht einmal sicher, dass Sie auf dem richtigen Weg sind,

(Heiterkeit CDU)

aber das Stadion, Herr Dr. Sieling, das ist noch richtig weit weg!

Sie haben in den ersten fünf Jahren Ihres Marathons mit Ihrer rot-grünen Regierung auch nicht gerade Tempo vorgelegt, meine Damen und Herren. Der Weg der Sanierung ist politisch noch nicht einmal auf der Hälfte des Weges angekommen. Sie richten vielleicht die Politik inhaltlich bis zum Jahr 2019 neu aus; man kann als CDU sagen, viel zu spät, denn wir warnen seit dem Jahr 2011 davor, dass Sie nicht von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr denken sollen.

Wir mahnen seit dem Jahr 2011 einen Sanierungsplan für unser Land an, der über den Tag hinaus denkt, Frau Linnert, der nicht immer nur das Morgen zur Debatte von heute macht, der nicht immer nur die Löcher stopft, die unterjährig neu entstehen, sondern der unser Land strukturell in die Lage versetzt, ohne weitere Hilfen des Bundes und anderer Länder perspektivisch aus eigenen Kräften heraus gestalten zu können. Das ist der Anspruch, den die CDU-Fraktion an unser Land hat, denn in unserem Land sind die Menschen zu dieser Leistung fähig.