Protokoll der Sitzung vom 09.03.2017

(Glocke)

Ganz anders sieht dies Frau Schwesig, die einen Entwurf vorgelegt hat, allerdings noch ohne konkrete Formulierung, der das Elternrecht schwächen und das staatliche Wächteramt stärken soll.

(Glocke – Abg. Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist keine Hintergrundmusik!)

Das können Sie schon in der Presse nachlesen, Herr Kollege, auch das lehnen wir ab!

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat der Abgeordnete Professor Dr. Hilz das Wort.

Frau Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren! Nicht erst seit Ihrem Antrag tun wir uns als Freie Demokraten schwer mit dem Thema, Kinderrechte in das Grundgesetz aufzu nehmen. Es gilt, die Frage zu beantworten, welche Regelungen das Grundgesetz enthalten sollte und welche nicht. Wir haben uns als Fraktion entschie den, Ihrem Antrag zuzustimmen. Wir sprechen uns also dafür aus, die Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen.

(Beifall FDP, SPD)

Es ist ein Symbol. Verfassungsrechtlich ist ein großes Fragezeichen, welche Auswirkungen von einer Auf nahme der Kinderrechte im Grundgesetz tatsächlich ausgehen. Überprüfungen müssen folgen, aber dieses Symbol muss gelebt werden. Wir nehmen Sie auch in die Pflicht, meine Damen und Herren von der SPD und von den Grünen, Ihrem Beschluss auch Taten folgen zu lassen.

(Abg. Senkal [SPD]: Uns alle, Sie bewegen sich auch auf dem Boden des Grundgesetzes!)

Wir nehmen uns selbst in diesem Bereich immer in die Pflicht,

(Beifall FDP)

aber Sie insbesondere, denn Sie tragen hier Regie rungsverantwortung. Sie müssen im Land Bremen eine besondere Rolle bei der Umsetzung dessen spielen,

was Sie für ein besseres Umfeld der Kinder fordern, denn nur durch die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung wird unsere Gesellschaft nicht kindgerech ter, nur dadurch ist keinem einzigen Kind geholfen. Die Schritte, die danach folgen, sind entscheidend. Wir setzen darauf, dass sie umgesetzt werden. Wir stimmten Ihrem Antrag zu. – Vielen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.

Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich den aktuellen Text des Grundgesetzes anschaut, dann steht im Artikel 6 des Grundgesetzes, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht seien. Über ihre Betätigung wache die staatliche Gemeinschaft. Das ist der Artikel, in dem Kinder im Grundgesetz vorkommen.

Aus diesem Wortlaut ergibt sich ganz klar, dass die Kinder nur von ihren Eltern abgeleitete Rechte haben. Das ist der Wortlaut. Im Jahr 2008 hat das Bundes verfassungsgericht festgestellt, dass Kinder nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung sind, sondern dass ein Kind Rechtssubjekt und Grundrechtsträger ist und die Eltern dem Kind schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten.

(Beifall DIE LINKE)

Trotz dieser Rechtsprechung gibt der Wortlaut des Grundgesetzes, der nach dem Urteil nicht geändert worden ist, die Trias Kind, Eltern und Staat eben nicht angemessen wieder, denn nach dem Wortlaut sind es immer noch abgeleitete Rechte.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Nein, falsch!)

Darf ich bitte ausreden, Frau Sandra Ahrens?

Deswegen hat die Linksfraktion 2012 im Bundestag eine Grundgesetzänderung beantragt, mit der sie beabsichtigte, die Klarstellung der Kinder als Rechts subjekte und Träger eigener Rechte zu installieren. SPD und Grüne stellten im Bundestag ähnliche An träge. Der Familienausschuss des Bundestags hat eine Anhörung durchgeführt, in der Rechtsprofes sorinnen und Rechtsprofessoren sagten – das muss man der Ehrlichkeit halber auch anerkennen –, dass die Ergänzung verfassungsrechtlich nicht notwendig sei, da Kinder bereits Träger aller Grundrechte seien und eine Änderung des Grundgesetzes deswegen Symbolcharakter hätte.

Ich finde allerdings, selbst wenn man der Auffassung folgt, dass es ein Symbol ist, dann schadet es trotzdem nicht, Kinder zu fördern, Kinder zu beteiligen und

Kinder explizit als Grundrechtsträger noch einmal festzuschreiben.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Ich teile diese Meinung jedoch nicht, ebenso wie Grüne und SPD im Bundestag. Ich finde, wenn das Grundgesetz die Rechtsprechung und die gesell schaftliche Situation im Wortlaut nicht widerspiegelt, dann sollte es angepasst werden.

Mittlerweile haben 14 Bundesländer die Kinderrechte als Grundrechte in ihren Landesverfassungen instal liert, so auch Bremen. Viele ostdeutsche Bundesländer haben die Kinderrechte um soziale Kinderrechte ergänzt, wie das Recht auf Erziehung, frühkindliche und darüber hinausgehende Bildung. In NordrheinWestfalen gibt es sogar – und das ist sehr interessant, ich empfehle, den Text einmal nachzuschlagen – mit Artikel 6 der Landeverfassung einen eigenen Artikel für Kinder und Jugendliche, in dem steht, Zitat, „dass allen Jugendlichen die umfassende Möglichkeit zur Berufsausbildung und Berufsausübung zu sichern ist“. In anderen Ländern sind also sehr, sehr weitge hende Rechte der Kinder und Jugendlichen in den Landesverfassungen.

Wenn man sich die UN-Kinderrechtskonvention anschaut – es ist bereits erwähnt worden, dass sie vor 25 Jahren verabschiedet worden ist –, dann stellt man fest, dass es einen UN-Ausschuss gibt, der die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in den Mitgliedstaaten überwacht. Dieser Ausschuss erstellt Jahresberichte. In diesen Berichten kann man immer noch strukturelle und sächliche Mängel feststellen beziehungsweise stellt der Ausschuss sie fest. Er kritisiert, dass die Kinderrechte noch nicht im Grund gesetz verankert worden sind.

Er kritisiert aber auch weitere Aspekte, zum Beispiel dass es keine Ombudsleute gibt. Ein Vorschlag ist, dass Ombudsleute auf Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene zu installieren sind. Lediglich Sachsen-Anhalt hat in Deutschland Ombudsleute ein geführt. Dort gibt es einen Landeskinderbeauftragten und 100 kommunale Kinderbeauftragte. SachsenAnhalt ist damit tatsächlich der einzige Leuchtturm in der Bundesrepublik. Es ist hier natürlich noch deutlich Luft nach oben vorhanden.

Der UN-Ausschuss kritisiert weiterhin die Hartz-IVSanktionen gegen Minderjährige. Ich finde, damit hat er vollkommen recht!

(Beifall DIE LINKE)

In Bremen wurden im letzten Jahr 13 000 Sanktionen ausgesprochen. In dieser Zahl sind die Sanktionen gegen Minderjährige natürlich auch enthalten, und das geht überhaupt nicht!

(Beifall DIE LINKE)

Der UN-Ausschuss kritisiert auch, dass Jugendhil feeinrichtungen nicht angemessen personell und finanziell ausgestattet werden. Wenn man sich an schaut, dass in Bremen 70 Prozent der Jugendlichen außerhalb Bremens platziert werden, weil es nicht genügend Jugendhilfeplätze gibt, dann hat der Aus schuss damit recht. Es ist deutlicher Verbesserungs bedarf vorhanden.

(Beifall DIE LINKE)

Der UN-Ausschuss kritisiert darüber hinaus die Se lektivität des Bildungssystems und die Diskriminie rung von Kindern mit Migrationshintergrund. Wenn man sich anschaut, dass im Ortsteil Ohlenhof nur 15 Prozent der Kinder das Abitur erreichen und in Schwachhausen 85 Prozent, dann besteht ein deut licher Verbesserungsbedarf.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Zusammenfassend: Wir stimmen Ihrem Antrag zu, aber ich möchte betonen, dass es für uns damit nicht getan ist.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Das haben wir auch nicht erwartet!)

Es sind Kinderbeauftragte im Bund, in den Ländern und auf kommunaler Ebene vorzusehen, die Beschwer den entgegennehmen können. Die Wünsche der Kinder und Jugendlichen sind stärker einzubeziehen, wenn es um Entscheidungen geht, die sie betreffen.

(Glocke)

Es ist aber auch die Gleichwertigkeit der Entwick lungschancen sicherzustellen. Sandra Ahrens, ich sage einmal, das eine tun und das andere nicht lassen, damit wäre die Welt schon besser, vor allem für die Kinder und die Jugendlichen!

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Für eine Kurzintervention hat das Wort die Abgeordnete Frau Ahrens.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Verfassungskommission hat bei der großen Verfassungsreform nach der Wieder vereinigung 1989 ausdrücklich geprüft, ob der Bereich des Kindeswohls in das Grundgesetz aufgenommen werden soll oder nicht. Sie hat ausdrücklich davon Abstand genommen. Ich will Ihnen kurz die Gründe erläutern.

Spezielle Kinderrechte, Kindergrundrechte, würden den Grundrechtsschutz der Kinder sachwidrig spal ten und schwächen. Eine auf das Wohl der Kinder

ausgerichtete Staatsbestimmung liefe Gefahr, den bestehenden Schutz zu relativieren, würde die Kinder jedenfalls nicht in institutionell überzeugender Weise schützen. Besondere Kinderrechte, welche diese ge genüber den Eltern geltend machen können, würden Kinder in rechtliche Distanz zu ihren Eltern bringen und dem Kindeswohl schaden. Ein effektiver Schutz der Kinder verlangt keine Grundrechtsänderung, es gilt vielmehr, den bestehenden grundgesetzlichen Schutzauftrag entschlossen zu erfüllen.

(Beifall CDU)

Diesen Worten, die von Verfassungsrechtlern kommen und die die Rechtslage eindeutig aufzeigen, habe ich an dieser Stelle wirklich nichts hinzuzufügen.

(Beifall CDU)