Sophia Leonidakis

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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Grobien, lassen Sie mich ein bis zwei Worte zu Ihren Ausführungen zum angeblich rechten und linken Populismus verlieren, der die EU bedroht. Ich finde, die Gleichsetzung von Linken und Rechten an dieser Stelle entbehrt wirklich jeder Grundlage. Frau Grobien, wenn wir uns anschauen, wie die Lage, wie die Situation in der EU ist, dann wird, glaube ich, die europäische Einheit eher von den Kurzens, von den Orbáns, von der PiS-Regierung oder auch von den Salvinis in Europa bedroht und gerade nicht von den Linken, die sehr stark daran arbeiten, dass eine europäische Einigkeit und ein Friedensprojekt weiter erhalten bleibt.
Die Welle des Nationalismus oder nationalistischen Regierung in Europa, die wurde bereits benannt. Wir halten das für eine große Gefahr und es ist wichtig, dass sich dagegen Protest und Widerstand bildet, und das passiert auch. Es gibt europaweit Bewegungen für eine Öffnung der EU, für Bewegungsfreiheit, die sich für Diversität stark machen, und das finden wir sehr positiv. Auch Großbritannien mit dem Brexit – der ist viel diskutiert worden – stellt inzwischen fest, dass es doch nicht so einfach ist. Wir haben da eine Hängepartie festzustellen, aber immerhin nimmt Großbritannien an der Europawahl teil und ein harter Brexit bleibt uns vorerst einmal erspart, was auch für Bremen positive Seiten hat.
Wir sehen weitere positive, zarte Pflänzchen auf der europäischen Ebene. Ich möchte hier besonders die soziale Säule hervorheben, denn was wir doch sehen, ist, dass deutlich geworden ist, dass die EU als Zentrum von Deregulierung und Neoliberalismus ausgedient hat, und dass deutlich ist, es braucht auch einen Rettungsschirm für Menschen, es braucht eine soziale Säule, es braucht die Stärkung der sozialen Rechte in ganz Europa. Auch das finden wir sehr positiv.
Wir müssen natürlich feststellen, das gilt nicht für alle Bereiche. Insbesondere möchte ich hier den Bereich Migration hervorheben, bei dem es keine positiven Bewegungen auf der europäischen Ebene gibt. Das Relocation-Programm ist gescheitert, Schengen ist ausgesetzt und die EU-Grenze ist nach wie vor die tödlichste Grenze der Welt. Die EU schließt Abkommen mit Diktaturen oder despotischen Regierungen, wie zum Beispiel in Libyen und dem Sudan. Wir glauben, wenn die EU weiterhin ein Friedensprojekt sein will oder wieder ein Friedensprojekt werden will, wenn sie ein Projekt der Menschenrechte sein will, dann lässt sich dieser Widerspruch auf Dauer nicht aufrechterhalten, und wir unterstützen Bewegungen wie die Seebrücke, die sich europaweit dafür einsetzen, dass diese Grenzabschottung und die Kriminalisierung der Seenotrettung endlich ein Ende findet.
Soweit zu den grundsätzlichen Worten zur Europäischen Union am Europatag. Wir reden hier auch über die EU-Strategie des Senats. Diese wurde 2016 beschlossen und ich muss sagen, vieles davon ist sehr gut. Wir nehmen teil, die Verwaltung wurde zur Teilnahme an den Förderprogrammen der EU ESF, EFRE, Horizont und weiterer vorbereitet. Da ist, glaube ich, viel passiert. Trotzdem muss man sich natürlich fragen, was ein Bundesland mit dieser Europa-Strategie will und ob es ausreicht, an Programmen teilzunehmen. Oder muss man das nicht auch inhaltlich strategisch füllen?
Frau Hiller ist ja die Bundesbeauftragte und dass wir im Bundesrat einen Sitz haben, heißt noch nicht, dass wir eine Deutschland-Strategie haben, deswegen muss man schauen, wie man diese Strategie inhaltlich füllen kann. Ich glaube, das, was insbesondere im Bereich der europapolitischen Bildung passiert, ist sehr vorbildlich. Wir haben häufig darüber diskutiert, wir hatten mehrere Vorlagen, wir haben über die Europaschulen, über Erasmus
et cetera gesprochen. Wir haben es auch im Ausschuss behandelt, und ich glaube, da kann es nicht nur um Quantität gehen. Wir haben bisher immer quantitativ diskutiert, wir haben darüber diskutiert, dass zu wenige Schulen an Erasmus teilnehmen, dass wir gern mehr europapolitische Bildung hätten, aber da müssen wir nicht nur quantitativ diskutieren, sondern wir müssen auch qualitativ diskutieren.
Wir glauben, dass wir vielleicht in der nächsten Legislaturperiode die europapolitische Bildung noch einmal inhaltlich diskutieren müssen. Wir glauben, es reicht nicht, wenn man – ich unterstelle das auch nicht – ein Wissen über die EU transportiert, dass in der EU alles in Ordnung ist, sondern man muss auch eine kritische Bewertung der EU in der europapolitischen Bildung vornehmen. Sie muss kritisch und sie muss aber auch praktisch sein und deswegen begrüßen wir ganz ausdrücklich die Initiative zu den Europäischen Hochschulen. Wir unterstützen es, dass die Universität an der Pilotausschreibung teilnimmt, und wir finden es wichtig, dass für Erasmus und Erasmus+ mehr Unterstützung, insbesondere an den Schulen, stattfindet. Das, was wir gehört haben, wurde bereits genannt und es wurde auch von den Schulleiterinnen und Schulleitern im Ausschuss artikuliert, dass dafür viel zu wenig Ressourcen bereitstehen, dass eigentlich alles von der Initiative und dem privaten Engagement einzelner Personen abhängt, damit steht oder fällt. Das kann nicht sein!
Wenn wir die Schülerschaft für Europa fit machen wollen und eine kritische Auseinandersetzung und auch eine praktische Auseinandersetzung mit der EU wollen, dann muss das mit Ressourcen unterfüttert sein, und da bin ich ganz positiv, dass das in Zukunft noch besser gelingt.
Wenn Sie erlauben, einen abschließenden Satz: Das ist die letzte Europadebatte heute am Europatag und ich möchte mich für die kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, internationale Kontakte und Entwicklungszusammenarbeit bedanken. Es hat mir immer sehr viel Spaß gemacht und ich wünsche Ihnen alles Gute!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren haben wir hier an dieser Stelle bereits über die ambulante Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung gesprochen. Damals war die humanitäre Sprechstunde ad hoc geschlossen worden und wir hatten einen Antrag zur Wiedereröffnung gestellt. In der damaligen Debatte betonte die Gesundheitssenatorin Frau Prof. Dr. Quante-Brandt, die heute leider nicht hier ist, das Menschenrecht auf Gesundheit und dem möchte ich mich heute noch einmal anschließen.
Gesundheit ist ein Menschenrecht und die Behandlung von Krankheiten, Vorsorge, Geburtshilfe und die Erhaltung der körperlichen und psychischen Gesundheit sind ein Menschenrecht, das nicht vom Geldbeutel oder vom aufenthaltsrechtlichen Status eines Menschen abhängen darf.
Das ist unser grundsätzlicher Leitsatz.
Zum Zweiten gibt es eine Annahme, die wir zugrunde legen und die es nicht zu vernachlässigen gilt: Sondersysteme sind bisherigen Erfahrungen zufolge immer teurer und aufwendiger, als die Aufnahme aller in die Regelsysteme. Das haben wir bei den Sachleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz gesehen, die im Vergleich zu Geldleistungen teurer sind. Das sehen wir beim Vergleich von privatem Wohnraum versus Sammelunterkünften, die auch noch isolierend, stigmatisierend und desintegrativ wirken. Das Gleiche gilt auch im Bereich der Gesundheitsversorgung.
Es gibt mehrere Vergleiche und ich möchte nur auf einen von Georg Classen aus dem Jahr 2013 verweisen, in dem er die Kosten einer medizinischen Notfallversorgung von Geflüchteten nach den Paragrafen 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes mit dem Bremer Modell verglichen hat. Dieser Vergleich hat ergeben, dass das Bremer Modell nicht nur weniger stigmatisiert, sondern auch für die öffentliche Hand günstiger ist, weil es weniger Bürokratie enthält.
Das Gleiche kann man auch für die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung annehmen. Man kann davon ausgehen, dass die frühzeitige Behandlung von Krankheiten grundsätzlich nicht nur das Menschenrecht garantiert, sondern auch die Folgekosten von ver
schleppten Krankheiten und stationären Behandlungen vermeidet und die öffentliche Gesundheit verbessert. Die Einrichtung der humanitären Sprechstunde im Jahr 2009 folgte dieser Idee, die gut war, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie ist aber aus unserer Sicht inzwischen auf halber Strecke stehen geblieben, denn sie ist natürlich noch immer ein Sondersystem und auch wenn nach dem Eklat im Jahr 2017 das Geld aufgestockt wurde – jetzt stehen 100 000 Euro für Sachkosten, wie Medikamente und die Facharztbehandlung, bereit – ist es dennoch ein Sondersystem.
Es gibt zwar inzwischen diese Vereinbarungen mit gynäkologischen Praxen und zur zahnärztlichen Versorgung sind sie in der Vorbereitung, aber es fehlen immer noch Facharztrichtungen und wenn die fachärztliche Behandlung jenseits der Gynäkologie benötigt wird, dann muss das jeweils individuell terminiert, vereinbart und abgerechnet werden.
Das ist ein großer Verwaltungsaufwand und dieses Abrechnungssystem ist so kompliziert, dass Berichten von Beteiligten zufolge, einige Behandlungen daran scheitern, weil Ärztinnen und Ärzte nicht bereit sind, diesen Aufwand zu betreiben mit den individuellen Abrechnungen, mit den Verhandlungen über den Behandlungsumfang et cetera. Und daran scheitern eben auch teilweise Behandlungen. Das ist nicht der Sinn der Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen, das lässt sich aber im aktuellen System nicht vollständig vermeiden, weil man nicht mit allen einzelnen Facharztrichtungen und allen einzelnen Praxen Vereinbarungen treffen kann.
Deswegen sind wir davon überzeugt, dass zehn Jahre nach der Gründung der humanitären Sprechstunde jetzt der Schritt Nummer zwei kommen muss. Wir wollen eine Aufnahme ins Regelsystem erreichen, wir wollen Sondersysteme abschaffen und wir glauben und da sind wir uns sogar mit dem Senat einig, dass wir das durch die Einführung einer anonymen Gesundheitskarte erreichen können, die ähnlich funktioniert wie die Gesundheitskarte, die AOK-Karte für Geflüchtete, nur eben anonymisiert.
Die Ausgabe könnte weiterhin durch die humanitäre Sprechstunde erfolgen und dort könnte weiterhin eine niedrigschwellige Grundversorgung geleistet werden. Für die weitere Behandlung, für den
Abbau von Bürokratie, für die stigmafreie und hürdenarme Sicherstellung der Gesundheitsversorgung ist die anonyme Gesundheitskarte die beste Lösung.
Da sind wir uns, wie gesagt, mit dem Senat einig und sehr froh, dass der Senat in der Antwort auf die Anfrage dargelegt hat, dass auch er diese Lösung favorisiert.
Wir möchten aber auch ein Wort der Kritik verlieren: Wir haben schon vor zwei Jahren – –. Hier wurde angekündigt, dass ein neues Konzept für die humanitäre Sprechstunde vorgelegt wird. Bis heute hat dieses Konzept das Licht der Öffentlichkeit nicht erblickt. Es wäre schön gewesen, wenn man hier schon eine breite Einigkeit hat, dass man dann auch die Weiterentwicklung, den zweiten Schritt zur ambulanten Gesundheitsversorgung von nicht versicherten Menschen, schneller hätte umsetzen können.
Wir versichern an dieser Stelle, dass wir uns auch nach dem 26. Mai 2019 für die anonyme Gesundheitskarte einsetzen werden und wir hoffen, dass dann in der nächsten Legislaturperiode auch die Umsetzung von dem erfolgen kann, worin wir uns jetzt an dieser Stelle wenigstens verbal einig sind. – Dankeschön!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass der Raum noch so leer ist und die Senatsbank auch noch nicht gefüllt ist. Das Thema
ist nämlich wichtig. Es geht um das Thema Kinderarmut. Ich glaube, das müsste uns alle hier in Bremen ganz besonders interessieren.
Wir von der Fraktion DIE LINKE haben uns bereits zu Anfang dieser Legislaturperiode auf den Weg gemacht, Wege aus der Kinderarmut zu suchen, und auch davor schon im Armutsausschuss unter anderem dazu gearbeitet. Wir haben uns mit Expertinnen und Experten beraten, wir haben eine Fachkonferenz in Gröpelingen zu kommunalen Ansätzen der Kinderarmutsbekämpfung und auf Bundesebene durchgeführt. Wir haben den Antrag eingereicht, den wir heute beraten, und zwar schon im Mai 2017, der dann in die Deputation für Soziales, Jugend und Integration überwiesen wurde. Dort wiederum haben wir eine Anhörung mit vielen Experten durchgeführt, die aus dem Bundesgebiet angereist sind. Jetzt ist dieser Antrag zurück im Plenum und es hängt ziemlich viel Arbeit daran. Ich finde, die verdient das Thema Kinderarmut auch.
Bremen ist mit 33,1 Prozent nach wie vor trauriger Spitzenreiter im Ländervergleich. 35 000 arme Kinder, das sind 35 000 zu viel.
Bundesweit wird von bis zu 4,4 Millionen Kindern in Armut gesprochen und diese schockierenden Zahlen sind ein Armutszeugnis für die viertgrößte Weltwirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Kinderarmut ist neben Altersarmut die Gerechtigkeitsfrage unserer Gesellschaft. Ich muss sagen, hierzulande herrscht Ungerechtigkeit. Paare mit Kindern sind in Deutschland doppelt so häufig armutsbetroffen wie Paare ohne Kinder. Einelternfamilien, immerhin jede vierte Familie in Bremen, haben die mit Abstand höchste Armutsquote überhaupt. In Bremen befinden sich 56 Prozent der rund 17 000 Alleinerziehenden im SGB-II-Bezug und davon wiederum 60 Prozent über vier Jahre. Diese jahrelangen Armutslagen bedeuten für die Kinder, dass ihre Zukunftsaussichten von Anfang an trübe sind. Wenn in Gröpelingen nur eins von sieben Kindern das Abitur schafft, während es in Schwachhausen sechs von sieben Kindern sind, wenn arme Kinder eine acht Jahre kürzere Lebenserwartung
haben, dann kann man hier nicht mehr von Einzelschicksalen sprechen. Dann haben wir ein Problem im System.
Dieses System muss geändert werden. Nach wie vor werden Kinder in den Sozialsystemen wie kleine Erwachsene behandelt. Sie bekommen dann noch das Bildungs- und Teilhabepaket dazu, aber diese zehn Euro für Nachhilfe zum Beispiel reichen natürlich vorn und hinten nicht. Selbst diese Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket kommen bei Weitem nicht bei allen Kindern in Bremen an. Wir haben das abgefragt und in Bremerhaven, der Kommune mit der bundesweit höchsten Armutsquote mit über 40 Prozent unter den Kindern, bekommen 60 Prozent der leistungsberechtigten Kinder keine Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket. Das heißt, wir haben hier extreme Versorgungslücken. Das kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dazu gibt es natürlich noch die versteckte Armut der Kinder, die aus Familien kommen, die zum Beispiel Anrecht auf den Familienzuschlag haben, ihn aber nicht beantragen. Wir haben hier diese Lücken und die wollen wir mit der Kindergrundsicherung schließen, denn die armutsbetroffenen Kinder bezahlen ja für das politische Versagen dabei, an dieser Stelle Abhilfe zu schaffen. Sie bezahlen mit ihrer Zukunft, mit ihrer Gesundheit, mit schlechten Arbeitsbedingungen in der Zukunft. Das ist ungerecht und das ist aber politisch gewollt.
Es ist ja zumindest bis heute nicht geändert. Wir haben bei den staatlichen Familienleistungen eine starke Ungerechtigkeit. Wir haben den Kinderfreibetrag, der wohlhabende Familien mit bis zu 300 Euro im Monat entlastet, während die Familien mit mittlerem oder niedrigem Einkommen das Kindergeld in Höhe von 204 Euro bekommen, und die armen Familien, nämlich die im Leistungsbezug, bekommen genau das wieder abgezogen. Das ist doch ungerecht.
Zu Recht regte sich eine Mutter auf unserer Armutskonferenz darüber auf, dass die zehn Euro oder die zwei Euro Kindergelderhöhung, die ohnehin schon lächerlich sind, bei ihr noch nicht einmal
ankommen. Damit spart man nämlich bei den Ärmsten der Gesellschaft. Das ist ein Unding und genau das wollen wir stoppen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Fraktion der FDP in ihrem Antrag genau das beklagt, dann beschweren Sie sich bitte bei Ihrer Bundespartei. Es war nämlich die schwarz-gelbe Koalition, die die Anrechnung des Kindergeldes auf den Hartz-IV-Betrag eingeführt hat und das ist absolut unsoziale Politik.
Ich glaube, wir sind uns alle einig, denn dass die eklatante Kinderarmut in unserem Land ein Problem ist, das wissen wir alle.
Es wird regelmäßig Mitgefühl geheuchelt. Die Frage ist, was eigentlich daraus folgt. Herr Dr. Sieling hat sich für eine Kindergrundsicherung ausgesprochen. Er meint damit aber die Zusammenfassung bestehender Leistungen. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine echte Kindergrundsicherung, die bei allen ankommt, in Höhe von 573 Euro. Andere Verbände haben eine Höhe von 619 Euro errechnet. Das sind tatsächlich an reellen Existenzkosten errechnete Beträge. Wir wollen das Geld aber nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern wir wollen, dass dieses Geld in voller Höhe bei den armen Familien ankommt und dann mit zunehmendem Familieneinkommen abschmilzt. Das ist sozial, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Danke!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Redebeitrag hat mich noch einmal dazu ermutigt, ein paar grundsätzliche Anmerkungen anzubringen, was das Menschenbild angeht, das hier beschrieben wurde. Wenn hier Kinderarmut mit kulturellen Defiziten erklärt wird oder wenn die Frak
tion der FDP in ihrem Antrag schreibt, dass Erziehungsberechtigte Geld zweckentfremden, oder die CDU sagt, Alleinerziehende bräuchten einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme, dann kann ich Ihnen nur sagen: Eltern, Mütter und Väter, wollen alle arbeiten, wollen alle ihre Familien ernähren.
Das Problem ist, sie haben schlechte Rahmenbedingungen und die staatlichen Leistungen und die Arbeitszeitmodelle erlauben es ihnen nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das Problem in diesem Land und das ist auch genau das, was ich vorhin meinte.
Genau! Viele Alleinerziehende müssen aufstocken, weil das Einkommen aus Vollzeittätigkeit nicht ausreicht, um ihre Familie zu ernähren, weil die Arbeitszeitmodelle zum Beispiel in Schichtbetrieben im Einzelhandel nicht mit dem Modell der Einelternfamilie vereinbar sind.
Genau das sind die Probleme, mit denen wir es hier zu tun haben und zu denen von unserer Seite schon viele Vorschläge gemacht worden sind, wie man damit umgehen kann. Sie können gern unserem Antrag für 12,63 Euro Landesmindestlohn zustimmen, dann hätten wir unter anderem das Problem der Elternarmut teilweise beseitigt. Das ist natürlich ein Problem, Herr Kollege Möhle, dass Kinderarmut immer gleichzeitig die Elternarmut ist.
Ich glaube, wir sind diejenigen, die relativ viele Vorschläge machen, wie man Elternarmut beseitigen kann, wie man die staatliche Infrastruktur von Kitas et cetera so aufstellen kann, dass sie möglichst Armut auffangen und beseitigen. Wir würden uns freuen, wenn die ganzen Bekenntnisse, die Kinderarmut beseitigen zu wollen, dazu führen würden, dass diesen Vorschlägen zugestimmt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte noch einmal, damit es jetzt nicht so aussieht, als wäre das meine Meinung, die Bertelsmann-Stiftung zitieren. Die Bertelsmann-Stiftung ist, wie Sie wissen, nicht gerade bekannt dafür, linksradikal zu sein. Ich zitiere aus einer Studie von der Bertelsmann-Stiftung vom November 2018.
Die Studie heißt „Gegen Armut – Geld für Familien kommt bei Kindern an“, und darin steht: „Kinder profitieren von direkten staatlichen Geldtransfers. Entgegen bestehender Vorurteile werden diese so genannten Direktzahlungen von den Eltern in der Regel nicht zweckentfremdet“, liebe FDP, „sie werden vielmehr in größere Wohnungen, bessere Bildung, bessere Betreuung und in die Hobbys der Kinder investiert.“ Das zeigt, es ist erwiesen, dass Eltern das Geld, das ihnen zur Verfügung steht, für die Kinder ausgeben. Es wird der Realität von Eltern und armen Kindern in diesem Land nicht gerecht, von Zweckentfremdung zu sprechen und ich finde das schäbig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Jetzt komme ich einmal zur Koalition: Ich habe vorhin gesagt, wir sind uns alle einig, wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. Wenn das Problem der grassierenden Kinderarmut, das wirklich ein eklatantes Gerechtigkeitsproblem in dieser Gesellschaft ist, wenn dieses Problem seit Jahren beziehungsweise Jahrzehnten bekannt ist, wenn wir wissen, dass Bremen das Bundesland mit der höchsten Kinderarmut unter allen Bundesländern ist, wenn wir wissen, in Bremerhaven leben über 40 Prozent der Kinder in Armut, dann müssen wir im Tempo wirklich etwas zulegen, diese Armut beseitigen zu wollen. Wenn man das nicht tut, ist das fahrlässig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da muss ich sagen, dass mir Ihr Tempo nicht reicht und mir das Tempo des Senats auch nicht reicht.
Wir haben einen Vorschlag gemacht, der sehr gut ausformuliert ist, den wir uns auch nicht im stillen Kämmerlein ausgedacht haben, sondern den wir in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten ausgearbeitet haben, wie dem Paritätischen Landesverband, der einen eigenen Vorschlag zur Erarbeitung einer Kindergrundsicherung erstellt hat.
Ja, natürlich dem Bundesrat, weil man es auf Bundesebene erarbeiten muss. Sehr geehrter Herr Dr. Güldner, in der Vorlage steht – –.
Nein danke, ich möchte jetzt erst zu Ende sprechen, Sie können sich ja später noch melden. Die Beschlussvorlage der Deputation für Soziales, Jugend und Integration besagt: Wir lehnen ihren Antrag ab. Die Begründung dazu ist, man würde den Konsens zwischen den Ländern aufkündigen und es wäre im Bundesrat nicht mehrheitsfähig. Wenn man so ambitionslos an die Bekämpfung von Kinderarmut herangeht, dann erreicht man nie etwas, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das, was die ASMK, die Arbeits- und Sozialministerkonferenz erarbeitet, ist ein so genanntes Teilhabegeld, das die bestehenden Leistungen auch wieder zusammenführt. Das heißt, wir bleiben im bestehenden System, das zum Beispiel auch Sanktionen enthält. Wir haben das im Dezember hier an dieser Stelle abgefragt. Allein im Bundesland Bremen wurden im letzten Jahr 1 636 Sanktionen gegen Haushalte mit Minderjährigen ausgesprochen.
Da haben wir doch ein Problem, denn das ist das Geld, das am Ende des Tages auch bei den Kindern fehlt. Da wünsche ich mir mehr Ambitionen, da wünsche ich mir mehr Entschiedenheit, dass Sie das System systematisch verändern und zu einer echten Kindergrundsicherung kommen, die genau diese Lücken und Sanktionen nicht mehr enthält, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Danke schön!
Ich hatte mich eigentlich nach dem Beitrag von Herrn Dr. Güldner gemeldet. Ich finde, die Beschreibung gehoppelt passt ganz gut zu dem Antrag der FDPFraktion. Ich finde, sie passt aber auch ganz gut zu Ihrem eigenen Koalitionsantrag.
Sie haben im Jahr 2015 versprochen, Sie würden ab jetzt aus der Sicht des Kindes denken. Sie haben sich viele Maßnahmen in den Koalitionsvertrag geschrieben, unter anderem die Kindergrundsicherung. Das steht in Ihrem eigenen Koalitionsvertrag. Sie haben bis heute nicht gesagt, wie Ihr Modell der Kindergrundsicherung eigentlich konkret aussehen soll. Das haben Sie bis heute nicht geäußert. Wir haben uns diese Arbeit gemacht. Und das Einzige, was wir von Ihnen heute verlangen, ist, Ihren eigenen Koalitionsvertrag umzusetzen.
Deswegen finde ich es wirklich enttäuschend, dass Sie sich nicht dazu durchringen können, heute einem Antrag für eine Kindergrundsicherung zuzustimmen. Denn das, was wir von Ihnen verlangen, ist ja, das haben Sie richtig vorgelesen oder richtig gelesen, dass wir dem Bundesrat einen Vorschlag unterbreiten. Das ist ein Diskussionsbeitrag, das ist ein Modell, ein Vorschlag, den man in die Diskussion im Bundesrat, sei es im Sozialausschuss oder meinetwegen auch in der ASMK einführen kann, denn das, was dort passiert, reicht doch nicht. Da sind wir uns doch einig, dass das Teilhabegeld nicht geeignet ist, die Familienförderung vom Kopf auf die Füße zu stellen, dass es nicht geeignet ist, Versorgungslücken zu schließen, Sanktionen abzuschaffen et cetera. Wenn Sie mit mir dieser Meinung sind, dann stimmen Sie heute unserem Antrag zu. – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag enthält unter anderem die Forderung, die in der Auseinandersetzung um die EU schon eine lange Geschichte hat: Die Forderung nach der Aufnahme einer sozialen Fortschrittsklausel in die EU-Verträge. Diese soziale Fortschrittsklausel wurde 2008 vom Europäischen Gewerkschaftsbund gefordert, das war eine Reaktion auf eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs, zu denen später dann auch das Rüffert-Urteil gehörte, das einigermaßen bekannt ist.
In all diesen Urteilen ging es um Tarifrecht und Streikrecht, und in all diesen Urteilen machte der Europäische Gerichtshof deutlich: Im Zweifelsfall sind die Tarifrechte der europäischen Freiheit des Binnenmarktes unterzuordnen, weil die Freizügigkeit von Unternehmen zu den Grundprinzipien aus den EU-Verträgen gehört und die Tarifrechte nicht. Soziale Grundrechte sind in den EU-Verträgen nicht verankert und deswegen haben sie nicht den gleichen Stellenwert wie der freie Binnenmarkt. Das hat Konsequenzen für die Tariftreue, für das Streikrecht, für öffentliche Vergabe, für die Häfen, für viele Bereiche, in denen die EU massiv versucht, neoliberale Deregulierung durchzusetzen.
Deshalb fordern die europäischen Gewerkschaften und viele andere auch: An diesem Punkt muss das Vertragswerk der EU nachgebessert werden. So etwas passiert immer wieder. Die Verträge sind mehrfach geändert worden, zuletzt 2007. Da ist der Verweis auf die Charta der Grundrechte aufgenommen worden. Die Wirkung ist relativ weich und unverbindlich. Das hat man zum Beispiel an Griechenland gesehen, wo die EU oder europäische Institutionen sich massiv für die Aufweichung des Arbeitsrechts eingesetzt haben.
Die Versuche, nationales Arbeitsrecht und soziale Grundrechte auszuhebeln, haben unter anderem zur Akzeptanzkrise der EU beigetragen. Gerade weil an vielen Punkten für Beschäftigte die Erfahrung war, dass EU heißt, dass national erkämpfte Arbeitsrechte wieder ausgehebelt werden. Das erzeugt keine Begeisterung für Europa, ganz im Gegenteil. Es wird keine breite Bereitschaft zur Vertiefung der europäischen Integration geben, wenn nicht gesichert ist, dass Europa die sozialen Grundrechte nicht untergräbt, sondern schützt. Das ist der Schritt, der erreicht werden muss.
Die Europäische Säule der sozialen Rechte, sie ordnet sich dort ein. Sie ist, wie es im Antrag heißt, ein
wichtiges politisches Signal, sie ist aber kein Primärrecht, das der Freiheit des Binnenmarktes gleichgestellt wäre. Deshalb ist es richtig, dass der vorliegende Antrag genau diese Forderung erhebt. An dem Punkt könnte es auch sein, dass der Brexit eine positive Nebenwirkung hätte, denn Großbritannien hat an der Stelle immer gebremst. Die Rolle der Bundesregierung ist aber auch nicht ganz deutlich.
Deswegen ist es gut, dass sich einzelne Länderparlamente mit diesem Thema beschäftigen. Es gab andere Länderparlamente wie in NRW, Bayern, et cetera, die sich schon mit ähnlichen Anträgen befasst haben und die quasi Druck auch von unten auf die Bundesregierung ausüben, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass durch die soziale Säule endlich soziale Grundrechte ins Primärrecht aufgenommen werden. Dann gibt es natürlich noch die Frage: Wie verhalten sich die anderen Mitgliedstaaten?
Das ist keine ganz einfache Frage, und da sehe ich tatsächlich sehr große Hürden angesichts der aktuellen Gemengelage in der EU. Trotzdem ist die Frage: Was passiert bis zur Aufnahme sozialer Grundrechte ins Primärrecht? Ich wage, die Prognose aufzustellen, dass bis dahin noch einige Zeit vergehen wird. Die Frage ist: Was passiert bis zu diesem Zeitpunkt? Da muss ich sagen, wir schauen uns das an und es kommt darauf an, was man vor Ort tut. Was passiert in den Ländern, was passiert in den Mitgliedstaaten, was tun die nationalen Regierungen, was tun die Länderregierungen, was tun die Kommunen vor Ort?
Wenn wir von Subsidiarität sprechen, gibt es einige Handlungsspielräume, um soziale Grundrechte schon vor Ort auszubauen. Da ist die Bundesregierung nicht immer mit leuchtendem Beispiel vorangegangen. Zum Beispiel wurde der Sozialleistungsausschluss von sechs Monaten auf fünf Jahre verlängert, und Bremen hat dort mitgestimmt. Da würde ich Sie in die Pflicht nehmen. Wenn Sie solche Anträge schreiben, dann würde ich erwarten, wenn man von sozialen Grundrechten spricht, dass man im Bundesrat nicht die Hand hebt zu einem Sozialleistungsausschluss von fünf Jahren, der die sozialen Grundrechte vieler Menschen hier vor Ort in Bremen untergräbt und ihr Leben erschwert.
Da würde ich mir wirklich wünschen: Dass man solche wohlfeilen Anträge in die Praxis einfließen
lässt und bei solchen sozialen Aushöhlungen nicht mitmacht. – Dankeschön!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt ein bisschen verwirrt. Wenn man sich für das Asylrecht einsetzt, dann muss es erst einmal für alle gelten, egal ob gebildet oder nicht gebildet, das Asylrecht ist ein universelles Recht, das für alle gilt. Ich glaube, das muss hier noch einmal kurz richtiggestellt werden. Wir diskutieren heute einen Antrag der Fraktion der FDP, der Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien als sicher erklären möchte beziehungsweise die Zustimmung des Senats im Bundesrat will. Ich finde, ehrlich gesagt, da haben Sie wirklich altbekannte Sachen hervorgeholt, und ich finde, es ist auch ein ziemlich billiges Manöver, das jetzt wieder aufzuwärmen.
Die Bundesregierung hat das ja schon 2016 versucht, im März 2017 hat der Bundesrat dann genau zu diesem Ansinnen nein gesagt, auch mit den Bremer Stimmen, und das war auch richtig so.
Herr Seehofer hat diesen Beschluss dann ignoriert, er versucht es jetzt noch einmal. Er hat es in den Bundestag eingebracht und ich finde, er ignoriert damit nicht nur den Bundesrat, sondern er ignoriert auch alle Fakten. Mit ihm tun das auch die FDP und leider auch die SPD im Bund. Die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts sind ziemlich eindeutig, was die Einstufung von Ländern als angeblich sicher angeht. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dort dürfe keine Folter oder unmenschliche
Behandlung drohen. Nun gibt es eine Studie des BAMF und das BAMF ist nicht gerade verdächtig, linksradikal, zu menschenrechtsorientiert oder dergleichen zu sein. Eine BAMF-Studie, die sagt, sie ist intern, wurde aber veröffentlicht: Es gebe Foltervorwürfe, politische Verfolgung, Verfolgung von Frauen, Homo- und Transsexuellen und Menschenhandel in den drei Maghreb-Staaten. Wir haben gehört, Marokko besetzt nach wie vor die West-Sahara. Dort findet politische Verfolgung von Oppositionellen statt, die sich gegen die Besetzung wehren. In Algerien werden die Ahmadiyya, eine religiöse Minderheit, verfolgt und unterdrückt. In Tunesien werden Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle strafrechtlich verfolgt. In allen drei Maghreb-Staaten steht Homosexualität mit fünf Jahren Haft in Strafe.
Ich glaube, Ihr Vorhaben hat keinerlei Grundlage, und das sagen im Übrigen auch die Anerkennungszahlen, die Herr Seehofer und Sie, Herr Zenner, hier schönen. Denn wenn man sich die bereinigten Schutzquoten anschaut – und man muss sie bereinigen, denn die reinen Anerkennungszahlen enthalten zum Beispiel auch zurückgenommene Asylanträge et cetera, man muss die bereinigten Anerkennungszahlen nehmen –, dann kommt man für 2018 auf über 5 Prozent bis zu 10,8 Prozent, also zwischen 6,3 und 10,8 Prozent. Das sind offizielle Angaben der Bundesregierung, die können Sie gern nachlesen, wir machen dazu jedes Quartal Anfragen im Bundestag. Ich glaube, wenn man sich das einmal anschaut, dann wird ganz klar, dass dieses Vorhaben jeglicher Grundlage entbehrt.
Andere Zahlen sind ja viel interessanter, und da kommt man dem Kern der Sache näher. Der Anteil der Asylantragsteller aus den vier Ländern beträgt im Vergleich zur Gesamtheit der Asylantragstellerinnen und Antragsteller weniger als ein Prozent. Im letzten Jahr waren das zwischen Januar und April bundesweit 1 600 Personen. Das sind für Bremen 16 Personen in dem Zeitraum. Wir können jetzt nicht gerade sagen, dass das die Asylverfahren stark entlastet, wenn man da 1 600 Personen weniger hat, zumal die ja trotzdem den Asylantrag stellen. Man fragt sich also, warum Sie eigentlich so ein Aufhebens davon machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die FDP hat das damit begründet – ich habe mir Ihren Antrag durchgelesen, auch eine Pressemitteilung von Ihrer Fraktionsvorsitzenden – , Kapazitäten für tatsächlich Schutzbedürftige zu erhöhen. Das passt nicht so zusammen, wenn man
sich vor Augen führt, dass es sich hier um weniger als ein Prozent der Asylantragsteller handelt.
Dann sagen Sie, Sie wollen die Akzeptanz des Asylrechts erhöhen. Man erhöht also die Akzeptanz des Asylrechts, indem man das Asylrecht aushöhlt. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, oder?
Wir lehnen – das wissen Sie auch, da erzähle ich Ihnen kein Geheimnis – das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ganz grundsätzlich ab, weil es eine Beweislastumkehr vorsieht. Es sieht sehr verkürzte Rechtsbehelfsfristen von einer Woche vor. Und innerhalb von einer Woche als Asylantragsteller in einem fremden Land einen Rechtsbeistand zu bekommen, die sozialen Kontakte und das Geld dafür zu haben, das ist auch eine soziale Frage. Hier ist es nicht in Ordnung, diese Art von Verfahrensverkürzung hinzunehmen, denn das ist eine soziale Auslese, die dort stattfindet. Das können dann nur die, die wirklich gute Kontakte zu Beratungsstellen, zu Anwälten et cetera haben, die schaffen das innerhalb von einer Woche. Viele andere schaffen das nicht, deswegen ist das eine faktische Aushöhlung des Asylrechts und bringt, dass Menschen nicht zu ihrem Recht kommen können, das sie eigentlich hätten.
Deswegen lehnen wir es ab. Dann frage ich mich bei der Beweislastumkehr, wie sollen dann eigentlich Lesben und Schwule das nachweisen? Haben Sie sich das einmal überlegt? Sie können das gern einmal beim CSD vertreten, wie Sie sich das vorstellen. Sollen dann Fotos vorgezeigt werden oder wie stellen Sie sich das vor?
Ich habe noch eine zweite Rederunde, da werde ich dann den Rest noch los. Aber vielleicht können Sie ja noch antworten. Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Zenner, ich mache mir ehrlich gesagt ein bisschen Sorgen wegen des Niveaus hier. Wenn Ihnen vorgeworfen wird, dass man Länder auf dem Papier als sicher deklariert und Ihr Gegenbeweis dann der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist, dann finde ich das schwach. Zu den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Sie angeführt haben: Ich weiß nicht, welche Sie meinen. Lesen Sie doch einmal bei queer.de nach, beim LSVD, lesen Sie doch einmal bei Pro Asyl nach oder bei Amnesty International, das sind zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich sehr wohl mit dem Thema befasst haben und dazu ganz eindeutige Einschätzungen abgeben. Ich glaube, das würde tatsächlich zur Versachlichung der Gemengelage führen.
Ich habe schon gesagt, die Asylanerkennungszahlen der Bundesregierung sind nicht die, die es tatsächlich sind. Wir haben, ich wiederhole das noch einmal, denn das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen, zwischen 6,3 und 10,8 Prozent bereinigte Anerkennungsquoten. Man muss hier von der bereinigten Anerkennungsquote ausgehen. Ich habe aber auch gar nicht das Gefühl, dass die FDP ein ehrliches Interesse daran hatte, sich mit dem Thema an sich zu beschäftigen.
Ich habe eingangs schon gesagt, ich halte das für ein billiges Manöver, das Sie hier vornehmen. Frau Steiner, weil Sie hier schon dazwischenrufen, ich habe mir Ihre Pressemitteilung durchgelesen. Ich muss sagen, dass Sie es unverständlich finden, dass Länder nicht zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden, die ein beliebtes Urlaubsziel sind, –
da muss ich wirklich sagen, das zeigt einfach nur Ihre Kleinkariertheit und nichts anderes.
Hauptsache, einen schönen Urlaub machen, genau. Wenn Sie nicht in der Lage sind, zu differenzieren, was es für jemanden wie Sie bedeutet, in Tunesien Urlaub zu machen, und was der Unterschied zur Lebensrealität von Schwulen, Lesben oder Transsexuellen ist, die dort im Gefängnis sind, oder was die Realität von den Polisario ist, die politisch verfolgt werden, dann sparen Sie sich solche Anträge.
Ich hätte mich gefreut, da Sie sich mit einem Urteil von wegen Urlaubsland so weit an die Presse wagen, wenn Sie die Gelegenheit nutzen und sich mit den Gästen von den Polisario aus der West-Sahara, die heute hier in Bremen sind, einmal auf einen Kaffee treffen und sich einmal mit denen unterhalten, wie eigentlich die politische Lage in Marokko ist.
Wenn Sie das gemacht haben, unterhalten Sie sich doch einmal und hören einmal auf die Fakten anstatt auf billige Wahlkampfmanöver. – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Güngör, werfen wir einmal zusammen einen Blick zurück. Im Dezember 2016 haben wir hier gemeinsam die koalitionäre, damals neue Beitragstabelle und drei weitere Oppositionsanträge beraten. Damals forderte das Finanzressort noch zwei Millionen Euro Mehreinnahmen, obwohl von 36 Prozent der beitragsbefreiten Eltern nun 56 Prozent beitragsbefreit werden sollten. Heraus kam eine Beitragstabelle mit Beiträgen bis zu 465 Euro, und das Ganze ging zurück auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen.
Dann machte Niedersachsen die Kitas beitragsfrei. Herr Meyer-Heder, der Spitzenkandidat der CDU, kam mit einem Vorschlag um die Ecke, und was machen Sie? Sie machen die Kitas beitragsfrei.
Ich finde, Ihre Kita-Beitragspolitik ist ambitionslos und getrieben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition! Im März wurde der Senat von der Bürgerschaft beauftragt, ein Konzept vorzulegen, das die Beitragsfreiheit – –. Herr Güngör, Sie sind gerade nicht daran!
Danke, Herr Präsident! Es kann ja sein, Herr Güngör, dass es Ihnen nicht gefällt, wenn herausgearbeitet wird, dass Sie ambitionslos und getrieben sind, aber genauso ist es doch. Sie können nicht sagen, dass Sie von selbst auf diese Idee gekommen sind. Das waren an dieser Stelle ja wohl andere.
Oder es war das Oberverwaltungsgericht, oder es war Niedersachsen, oder jetzt ist es der Bund. Von selbst sind Sie nicht auf diese Idee gekommen. Vor zwei Jahren fanden Sie das noch nicht machbar,
jetzt geht es plötzlich. Also scheint es nicht Ihre eigene Ambition gewesen zu sein, das jetzt durchzusetzen, liebe Koalition.
Im März dieses Jahres wurde der Senat von der Bürgerschaft beauftragt, ein Konzept vorzulegen, das die Beitragsfreiheit für Kinder von drei bis sechs Jahren in den Kitas und in der Tagespflege vorsieht. Das finden wir gut.
Herr Güngör, würden Sie vielleicht zuhören? Danke schön! Ich habe Ihnen eben auch zugehört.
Es gibt jetzt die Beitragsfreiheit für drei bis sechs Jährige, das finden wir richtig. Was Sie aber außen vor lassen, sind die Krippen und die Horte. Dazu muss ich ganz ehrlich sagen, auch das finde ich ambitionslos, denn Sie verzichten auf sozialpolitische Steuerungsmöglichkeiten, die man mit der Beitragsfreiheit vereinbaren und verbinden könnte. Was Sie machen, ist ein Krippenfernhaltekonzept, liebe Kolleginnen und Kollegen, und auch das finden wir falsch.
Denn, was Sie doch eben gesagt haben, wo wir uns doch einig sind: Wir wollen die Kinder mit den Sprachförderbedarfen aus den sozialen Lagen in die Krippen und Kitas bringen. Des Weiteren ist das, was Sie im Moment machen, auch übrigens gleichstellungspolitisch kontraproduktiv.
Denn was hier passiert, ist doch Folgendes: Die Eltern werden sich ganz genau überlegen, ob sie ihr Kind in eine Krippe geben oder ob sie warten, bis die Kita beitragsfrei ist, und dann erst mit dem dritten Lebensjahr das Kind in die Kita bringen. Wenn Sie die Krippen auch beitragsfrei gemacht hätten, wäre das ein Anreiz und die Möglichkeit gewesen, genau dieses Ziel zu erreichen, nämlich die Kinder früher in die Kinderbetreuung zu bringen und damit auch ihre späteren Bildungschancen zu verbessern, die übrigens nachgewiesen sind. Eine Bertelsmann-Studie von 2009 – das ist nicht unsere ideologische Bandbreite, sage ich einmal – hat schon
nachgewiesen, dass die Bildungschancen von Kindern von 36 Prozent auf 50 Prozent erhöht werden, wenn sie in eine Krippe gehen, und was Sie jetzt machen, ist eben ein Krippenfernhaltekonzept. Deswegen finden wir das falsch.
Im Übrigen, wenn Sie von sozial benachteiligten Kindern sprechen, bei den benachteiligten Familien steigern sich die Bildungschancen um zwei Drittel. Genau da hätte man eingreifen können.
Genau an dem Punkt hätte man sagen können, wir wollen diese Kinder aus den benachteiligten Stadtteilen, die eher später in die Kita gehen, eben früher in die Kitas bekommen, und zwar auch in die Krippen, denn ein Jahr Sprachförderung reicht nicht. Das weiß Herr Dr. vom Bruch, das weiß Frau Vogt; aus allen Bildungsstudien ist bewiesen, dass ein Jahr Sprachförderung nicht reicht. Man muss die Kinder früher in die Krippen und Kitas bekommen, und genau das erreichen Sie nicht. Sie verzichten mit Ihrem Konzept auf diese sozialpolitischen Steuerungsmöglichkeiten, und das finden wir verkehrt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wenn wir jetzt auf die Kosten schauen, Sie haben ja die Kosten von 10 Millionen Euro nächstes Jahr und 25 Millionen Euro in den darauf folgenden Jahren ausgerechnet. Wir haben einmal ausgerechnet, was es denn kosten würde, wenn man die Krippen und Horte auch noch beitragsfrei machte. Das wären 4,2 Millionen Euro nächstes Jahr und 11,1 Millionen Euro im darauf folgenden Jahr.
Was Sie ja machen, ist, das Geld aus dem GuteKita-Gesetz in die Beitragsfreiheit zu geben. Dafür ist es auch gedacht, das ist völlig legitim. Sehr viel mehr bringen Sie aber nicht darauf. Ich finde, die Beitragsfreiheit und genau diese sozialpolitischen Anreize, die ich eben genannt habe, wären es wert gewesen, diese 11,1 Millionen Euro für die Krippen und Horte noch in den Jahren ab 2020 zu investieren. Das hätte wirkliche Effekte für die Kinder in diesem Land gehabt, für die Chancen und für die Bildungsgerechtigkeit in unseren beiden Städten. Bremerhaven braucht das übrigens auch sehr dringend. Das wäre eine wirkliche Investition für die Kinder und die Familien in diesem Land gewesen, und sie wären es wert gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich komme zum Schluss! Wir haben ja noch eine zweite Runde. – Danke schön!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Güldner, Sie haben offensichtlich nicht richtig zugehört, das mag vielleicht auch nicht verwundern, weil Herr Güngör neben Ihnen vielleicht zu laut gesprochen hat. Ich habe deutlich gesagt, dass wir die Beitragsbefreiung richtig und dass wir sie gut finden.
Das habe ich hier auch schon 2016 und im März 2018 gesagt. Da kann man nicht sagen, dass das Pessimismus oder alles schlecht dargestellt ist. Das haben wir schon immer gut gefunden, aber natürlich sagen wir, das reicht nicht. Und wir haben 2016 hier an dieser Stelle, als Sie Ihre Beitragstabelle mit bis zu 465 Euro beschlossen haben, ein ausgewogenes Konzept vorgelegt. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, manchmal ist die Halbwertzeit von Informationen relativ kurz, aber da haben wir
deutlich gesagt, wir wollen ein ausgewogenes Konzept, das den Bedarfen der Eltern und den Bedarfen von Qualitätsverbesserung und Ausbau in einem gerecht wird. Dieses Konzept sah eine stufenweise mitwachsende Beitragsbefreiung vor, die quasi die stufenweise Beitragsbefreiung der Eltern vorgesehen hätte.
Das war ausgewogen. Was Sie gemacht haben, war stattdessen, den Gerichten oder Niedersachsen zu folgen. Ganz ehrlich, liebe CDU, Sie können sich jetzt auf die Schulter klopfen, dass Sie da einen ausgezeichneten Vorschlag hatten, auch das war ambitionslos, denn es war nur angelehnt an Niedersachsen. Das war keine neue ausgezeichnete Idee, sondern alle hier in diesem Haus folgen Niedersachsen, folgen der CDU, die Niedersachsen folgt, oder folgen den Gerichten. Das war das, was ich als ambitionslos beschrieben habe und auch das, was ich unzureichend finde.
Ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich jetzt anschaut – –. Ich habe ja schon gesagt, Matthias Güldner war damals auch im Jugendhilfeausschuss, als wir die Debatte zu den Beiträgen führten. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, da hat Petra Krümpfer noch interveniert und gesagt: Nein, das muss anders gehen.
Der erste Vorschlag war ja noch viel unausgewogener. Bei dieser Debatte, falls Sie sich erinnern, wurde ganz deutlich gesagt, das stand übrigens auch in der Presse, dass gerade Familien mit mittlerem Einkommen, das sind nicht die ganz oben in der Beitragstabelle, das sind die mit mittlerem Einkommen, 50 000 Euro, 70 000 Euro im Jahr, in diesen Gruppen, das wissen wir doch aus den Familienlagenberichten, sind in der Regel die Frauen mit kleinen Kindern diejenigen, die hinzuverdienen, die in Teilzeit arbeiten. Die überlegen sich ganz genau, lieber Dr. Matthias Güldner, ob sie vielleicht noch ein Jahr länger zu Hause bleiben und das Kind erst mit drei in die Kita geben oder ob es sich vielleicht doch nicht lohnt, wenn man 300, 400 Euro Beitrag bezahlt und ob es dann vielleicht den Zuverdienst, den man hat, aufbraucht.
Also, ob sich das lohnt? Ich glaube, genau diese Gruppe von Familien, da werden die Frauen vom beruflichen Wiedereinstieg ferngehalten und die Kinder von der Krippe. Genau das war die Gruppe, die ich gemeint habe. Im Übrigen haben Sie hier selbst Anträge geschrieben: Alle Kinder mitneh
men. Das gilt vor allem auch für migrantische Kinder, und wenn Sie sagen, wir wollen dort die Sprachförderung voranbringen, dann, liebe Frau Kollegin Ahrens, das wollte ich noch sagen, das letzte Jahr reicht nicht für die Sprachförderung, das haben wir hier besprochen, da muss man sehr viel früher einsteigen.
Wir glauben im Übrigen, dass das Konzept, das der Senat jetzt vorgelegt hat, natürlich nicht den Bürgerschaftsauftrag vom März 2018 erfüllt. Was der Senat im Moment nicht tätigt, sind Aussagen zur Qualitätsverbesserung. Sie haben als Bürgerschaft mehrheitlich den Senat beauftragt, dieses Konzept vorzulegen. Sie haben ihn übrigens auch beauftragt, dass die Viertquartalskinder wieder in die Krippengruppen hineinkommen. Dazu sagt der Senat nichts. Ich finde es gut, –
dass ein Qualitäts- und Finanzierungsgesetz angekündigt ist und vorher nach den bisherigen Pleiten, Pech und Pannen ein einmaliger Zuschuss gewährt werden soll.
Was die Kita-Beiträge angeht, bezweifle ich, dass es bei einem einmaligen Zuschuss bleiben wird. Ich hoffe, dass das, was jetzt im Moment geschieht, nämlich die Förderlücken bei den Förderkindern und die Förderlücken bei der Indexausstattung allmählich zu schließen, mit nicht wenig, das gebe ich zu, 2,3 Millionen Euro für die Sozialpädagogen und die 760 000 Euro für die Inklusion, die man jetzt bereitstellt. Das sind einfach Mittel, die noch dazugegeben werden, die nicht einmal die Mehrbedarfe kompensieren.
Da braucht es wirklich eine grundlegend neue Finanzierungsgrundlage. Die Finanzierung muss auf neue Grundlagen gestellt werden, und die sozialen Bedarfe und die Bedarfe für Inklusion müssen dauerhaft und bedarfsgerecht abgesichert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auf diese Debatte freue ich mich wirklich.
Das bedeutet auch, dass man perspektivisch die Kita-Gruppen vor allem in benachteiligten Stadtteilen verkleinern muss und von diesen Debatten der Vergangenheit über Gruppenvergrößerungen
wegkommen muss. Diese Debatten sind die notwendigen Debatten. Ich hoffe, dass dann noch Geld vorhanden ist, denn was Sie jetzt machen, ist, das Geld, das aus Berlin kommt, für die Beitragsfreiheit zu verwenden. Wie gesagt, wir haben aus unserer Sicht ein ausgewogenes Konzept vorgelegt.
Wir hätten uns gefreut, wenn Sie dem gefolgt wären, dann wäre allen Eltern geholfen. – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Brexit wird für die hiesige Wirtschaft, auch in Bremen und Bremerhaven, kein Spaziergang. Das zeichnet sich schon jetzt deutlich ab.
Die EU-Kommission hat eine Einschätzung zu den Auswirkungen des Brexits auf Regionen und Städte in den Mitgliedsstaaten vorgelegt. Darin kommt Hessen ausführlich vor, und das ist deswegen der Fall, weil Hessen eine eigene Studie in Auftrag gegeben hatte, wie sich der Brexit für Hessen auswirken wird. Der Senat hat eine solche Studie für Bremen und Bremerhaven für nicht erforderlich gehalten. Das bedauern wir, denn wir glauben, dass das eine gute Idee gewesen wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Unabhängig vom Showdown heute Abend, wir werden sehen, was dabei herauskommt, halten wir den Brexit trotzdem für sehr wahrscheinlich. Er wird kommen, die Frage ist: Wird es ein weicher oder ein harter Brexit? Die CDU hat in ihren Anfragen schon verschiedene Modelle skizziert, das Kanada-, Türkei- oder Brasilien-Modell. Es ist auch noch das Norwegen-Modell im Gespräch, Norwegen ist Mitglied im EFTA und im Schengen-Raum. Derzeit erscheint vieles möglich, der Brexit wird aber ganz sicher längerfristige Folgen haben, aber auch kurzfristige. Es wird Anpassungsprobleme geben, die auch die Wirtschaft in Bremerhaven und Bremen treffen werden.
Damit steht natürlich die Frage im Raum, was passieren muss, um gerade in dieser Übergangszeit Struktureinbrüche zu verhindern. Darüber muss auch mit der Bundesregierung verhandelt werden. Dafür wäre es taktisch eine gute Grundlage, wenn der Senat sich bemüht hätte, eine klarere Einschätzung zu erlangen. Je weniger man weiß, desto schlechter lässt sich mit dem Bund über Übergangshilfen und Maßnahmen verhandeln, aber genau darum geht es ja.
In Bremen und Bremerhaven werden vor allem die Kfz-Industrie und die Fischwirtschaft unmittelbar betroffen sein. Für die Exportindustrie ist dabei nicht einmal die Verteuerung am schlimmsten, die mit möglichen Zöllen einhergeht, sondern die möglicherweise größten Auswirkungen, das hat auch Herr Herr in der Anhörung im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, internationale Kontakte und Entwicklungszusammenarbeit deutlich gemacht, werden die Unsicherheit und die Verzögerung in den Lieferketten sein. 73 Prozent der Ausführungen aus Großbritannien sind Kraftfahrzeuge. Das ist vor allem ein Übergangsproblem, und im Fall eines harten Brexits wären die Auswirkungen im nächsten Jahr ab April durchaus spürbar.
Für die Fischerei werden die britischen Fischfanggründe wegfallen, und der Fisch wird zumindest vorübergehend möglicherweise teurer werden. Das wird die Fischwirtschaft in Bremerhaven natürlich treffen, und daran hängen dann nicht nur die Absatzmärkte, sondern natürlich auch die entsprechenden Arbeitsplätze.
Ebenso wird der Brexit sehr wahrscheinlich dazu führen, dass die Strukturprogramme der EU gekürzt werden. Bislang ist noch nicht einmal klar, ob Großbritannien seine Verpflichtungen bis Ende des Jahres 2020 erfüllt. Spätestens aber ab dem Jahr
2021, wenn der neue mehrjährige Finanzrahmen greift, betrifft es dann die Wirtschaftsförderung und die Arbeitsmarktpolitik des Landes Bremen. Hier muss man klar sagen, für das Prinzip der gleichen Lebensverhältnisse innerhalb Deutschlands, für den Ausgleich wirtschafts- und strukturpolitischer Ungleichheit und für eine wirksame Landesarbeitsmarktpolitik werden derzeit die 1,8 Millionen Euro EU-Mittel, die von Großbritannien an Bremen fließen, eingeplant. Wenn es hier zu Einbrüchen kommt, dann muss das kompensiert werden.
Hier ist der Senat gefragt, aber auch Berlin. Auch die Bundesregierung ist hier in der Pflicht, das muss der Senat in Berlin unmissverständlich deutlich machen. Diese Haltung sehe ich auch aus den Antworten des Senats bisher nicht. Das muss sich ändern.
Warum Bremen keine Brexit-Taskforce braucht, erschließt sich aus den Antworten des Senats nicht. Insgesamt ist die Antwort des Senats von der Haltung getragen: Wir arbeiten das formal ab, wir kümmern uns um die Anpassung von Normen und um die verwaltungstechnische Bewältigung des Brexits. Das wird aber nicht ausreichen, liebe Kolleginnen und Kollegen, denn es ist gut möglich, dass sich im britischen Parlament die Brexit-Hardliner durchsetzen.
Wir werden heute Abend mehr darüber wissen. Dann haben wir im März 2019 eine zugespitzte Situation. Im Großen und Ganzen wartet der Senat aber ab, welche Probleme dann auftreten werden. Das finden wir unzureichend, denn es ist wirtschaftspolitisch, arbeitsmarktpolitisch und haushaltspolitisch nicht verantwortungsvoll, momentan nicht auch dieses Szenario einzurechnen.
Deshalb muss von dieser Debatte hier heute das Signal ausgehen, in der Vorbereitung auf den Brexit muss deutlich mehr passieren, damit ein harter Brexit in Bremen und Bremerhaven nicht zu einem harten Aufprall führt. – Danke schön!
Herr Staatsrat, wie sieht denn das Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren aus, wenn die Staatsangehörigkeit nicht geklärt ist? Sind Ihre ausschließlichen Ansprechpartner die Botschaften, oder arbeiten sie weiterhin mit Delegationen aus dem Ausland zusammen?
Wie sieht das für die weiteren Herkunftsländer aus?
Herr Staatsrat, können Sie das ausschließen?
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die letzten Monate waren für das gesellschaftliche Klima und für das Asylwesen ein Giftcocktail. Seine Zutaten: unbelegte Vorwürfe, haltlose Vorverurteilungen und mediales Aufbauschen. Gemixt haben ihn politisch und dienstlich Verantwortliche, serviert wurde er von der nationalen und internationalen Presse. Verabreicht wurde er den Asylsuchenden und einer ganzen stillgelegten BAMF-Außenstelle, die noch heute die Folgen tragen.
Nebenwirkung hat es gegeben für das Rechtsstaatsverständnis – mit der Unschuldsvermutung war es nicht mehr weit her – und auch für das Bild von Bremen. Es ist an der Zeit, offiziell aufzuräumen, die Scherben wegzukehren und Konsequenzen zu ziehen.
Werfen wir dafür gemeinsam einen Blick zurück! Nachdem die ehemalige Leiterin der BAMF-Außenstelle suspendiert wurde, trat Anfang Januar die Interimsleiterin Josefa Schmid in Bremen ihren Dienst an. Im Februar verfasst sie einen Bericht über unrechtmäßig erstellte Asylbescheide, es wird über 1 200 unrechtmäßige Asylbescheide spekuliert. Im April gibt es einen zweiten Bericht von Schmid. Darin wird Bremen als Schlupfloch der Republik beschrieben. Sie schreibt von Bussen voller Geflüchteter aus mehreren Bundesländern, die hier quasi im Schnelldurchlauf die Anerkennung bekämen.
Es ist die Rede von kriminellen Clan-Strukturen und Manipulationen im großen Stil und von über 3 000 unzulässigerweise in Bremen bearbeiteten Asylanträgen. Sie redet in dem Zusammenhang vom größten Flüchtlingsskandal der Bundesrepublik. Die Medien berichten inzwischen von systematischem Asylmissbrauch. Teilweise ist von über 4 000 falschen Anerkennungen die Rede. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bestechung und Bestechlichkeit sowie wegen des Vorwurfes der bandenmäßigen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung gegen sechs Beschuldigte.
Im Mai fabuliert Dobrindt von einer angeblichen Anti-Abschiebeindustrie und Staatssekretär Stephan Mayer von einer hochkriminellen und bandenmäßigen Arbeitsweise einiger BAMF-Mitarbeiter. Seehofer legt dann die ganze Bremer BAMFAußenstelle inklusive Integrationsreferat lahm. Innensenator Mäurer begrüßt das und liefert als Begründung gleich sein Urteil mit. Ich zitiere: „Durch die offensichtlich rechtswidrige Praxis dieser Bundesbehörde ist Bremen ein noch nicht absehbarer immenser Schaden in Millionenhöhe entstanden.“, wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, an dem die eigene polizeiliche Ermittlungsgruppe noch nicht einmal Räume hatte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wenn wir uns also fragen, was bleibt von all dem übrig, dann können wir feststellen, die interne Prüfgruppe hat inzwischen ihren Abschlussbericht vorgelegt, in dem sie alle 18 347 Positivbescheide seit 2006 überprüft hat, und sie stellt fest, lediglich 145 waren bewusst manipuliert, das sind 0,8 Prozent aller Entscheidungen, und ich möchte anmerken, 75 Prozent dieser Entscheidung wurden zwischen 2014 und 2016 erstellt, einer Zeit, in der bekanntermaßen im BAMF in ganz Deutschland Ausnahmezustand herrschte.
Von den ehemals angeblich mehreren tausend betrügerischen Anerkennungen wurden inzwischen lediglich sechs widerrufen und 13 zurückgenommen. Die Busse waren nicht von kriminellen Strukturen, sondern von der Stadt Cuxhaven bestellt. Die Staatsanwaltschaft hat bisher keine Anklage erhoben, und aus den Ermittlungen sind als Bestechung bisher nur eine Hotelübernachtung und ein Restaurantbesuch bekannt.
Die Medien sind inzwischen sehr selbstkritisch, das ringt mir Respekt ab. Dem Innenministerium hingegen musste gerichtlich untersagt werden, weiter üble Nachrede zu verbreiten. Die ursprünglichen skandalträchtigen Vorwürfe haben sich weitgehend erledigt.
Das wird in der internationalen Presse wahrscheinlich keinen Platz finden. Die Stammmannschaft ermittelt weiter, wir werden das abwarten, und ich bin sehr gespannt, ob es irgendwann zu einer Anklage, und wenn ja, ob es zu einer Verurteilung kommen wird. Der politische Schaden aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, der politische Schaden von Fake News, Vorverurteilung und Wasser auf die Mühlen rechter Hetzer, der bleibt.
Angesichts dessen ist es das Mindeste, wenn sich diejenigen, die vorverurteilt haben, bei den Betroffenen und bei der Öffentlichkeit entschuldigen. Dazu gehören zu allererst Josefa Schmid und das Innenministerium, aber auch Innensenator Mäurer. Wir finden es notwendig, dass aus diesem Haus heute ein klares Signal nach Berlin geht, dass das Bremer BAMF umgehend geöffnet werden muss, denn nach wie vor ist es nicht klar, wann die Öffnung erfolgen soll.
Es geht dabei nicht nur um die Frage des Zeitpunktes, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es geht auch um die Rehabilitation des Bremer Rufes, denn der hat Schaden genommen, und hier soll aus diesem Haus heute das klare Signal hinausgehen: Bremen ist kein Schlupfloch, in Bremen wird das Asylrecht gewahrt. Das ist das Signal, was wir heute von Ihnen verlangen. – Danke schön!
Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Senkal, Herr Fecker, ich möchte Ihnen danken für die selbstkritischen Worte hier an dieser Stelle. Das gehört, glaube ich, auch zur Aufarbeitung dazu, dass man auch selbst schaut, was man falsch gemacht hat und jeder an seiner Stelle auch schaut, was man falsch gemacht hat.
Diese Selbstkritik trifft ja nicht auf alle in diesem Haus zu. Herr Zenner, wenn Sie sagen, dass das hier schöngeredet oder verschwiegen wird: Nein, ich bin vollkommen dafür, dass nichts schöngeredet wird, dass nichts verschwiegen wird. Aber ich bin auch dafür, ein vollständiges Bild zu zeichnen. Sie zeigen wieder nur eine Seite der Medaille. Es gibt auch eine andere Seite der Medaille.
Warum reden Sie denn zum Beispiel nicht darüber, dass 42 Prozent der Asylablehnungen vor Gericht wieder korrigiert werden? Das ist eine Fehlerquote, über die wir reden müssten, die untersucht werden müsste. Die wurde aber nicht von der inneren Revision untersucht, und die tragen Sie hier auch nicht vor als eine Fehlerquote, die wirklich ein Problem darstellt.
Denn hier wird Asylsuchenden das Recht auf Schutz verwehrt von BAMF-Außenstellen. Das ist ein Problem, das untersucht werden muss. Hier geht es um existenzielle Rechte, zu deren Inanspruchnahme Asylsuchende erst ein Gericht aufsuchen müssen, damit sie das bekommen. Im Fall von Syrien und Afghanistan wird bei 60 Prozent der
Ablehnungen die Ablehnung hinterher von dem Gericht wieder rückgängig gemacht. Das sind Probleme, über die müssen wir reden. Wenn man aber sagt, dass 0,8 Prozent von falschen Asylbescheiden, ja, die gibt es, 145 falsche Bescheide, ja, darüber habe ich auch geredet.
Darüber muss man reden. Wenn man aber eine 42prozentige Fehlerquote von Ablehnungen, darüber spricht, dann betrifft das mehrere 100 000 Fälle. Wenn wir uns vor Augen führen, dass 372 000 Ablehnungen bei deutschen Gerichten bei Verwaltungsgerichten anhängig sind, dann reden wir hier über eine ganz andere Größenordnung, und dann reden wir über den Eingriff in existenzielle Rechte. Ich möchte, dass dieses Problem skandalisiert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie können sich gern hier hinstellen und sagen, wir müssen alle BAMF-Außenstellen schließen, denn sie verweigern das Recht auf Asyl in 42 Prozent. Das können Sie machen. Sie können sich auch hier hinstellen und sagen, wir müssen die Jobcenter schließen, weil 40 Prozent der Jobcenterbescheide hinterher von den Sozialgerichten aufgehoben werden. Das können Sie tun. Das wäre eine andere Größenordnung, aber bei diesen Größenordnungen, über die wir hier sprechen, weiterhin die Schließung einer BAMF-Außenstelle zu rechtfertigen, das finde ich, ehrlich gesagt, ohne jede Begründung. Das entbehrt jeder Grundlage.
Ich finde, da hat die Koalition wirklich ein besseres Bild abgegeben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Zum Abschluss, Herr Senkal, wenn Sie sagen, unser Antrag sei Polemik, dann muss ich dem natürlich entschieden widersprechen. Herr Seehofer hat immer noch nicht gesagt, wann er die Außenstelle eröffnen möchte, ob das jetzt, in zwei Wochen oder in fünf Monaten ist, wissen wir nicht. Wir glauben, –
dass die unverzügliche Öffnung nötig ist, denn Herr Fecker hat es dargestellt. Es werden immer noch Asylsuchende nach Bad Fallingbostel gefahren. Die Asylanträge, die Asylverfahren verzögern sich. Es gibt jetzt ein Hin- und Herfahren mit Bussen durch die Entscheidung von Seehofer, durch die Schließung. Wir glauben, dass es auch darum geht, das habe ich in meinem ersten Redebeitrag deutlich gemacht, dass es auch um die Rehabilitation eines Bremer Rufes geht, der verunglimpft wurde von Politikern und Politikerinnen, die daraus ihr Kapital, ihr rechtspopulistisches Kapital ziehen wollten.
Ja, Frau Schmid kandidiert im Moment für die FDP im bayerischen Landtagswahlkampf. Herr Seehofer hat da auch ein gewisses Interesse. Diese üble Nachrede, Bremen als Schlupfloch darzustellen, das müssen wir korrigieren, und dieses Signal soll heute von diesem Haus ausgehen. – Ich danke Ihnen!
Sehr geehrter Herr Präsident! Merhaba und Salam, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht so genau, was ich zu diesem Antrag sagen soll. Ich habe mich ernsthaft bemüht, so etwas wie Inhalt zu finden. Es war sehr schwer, kann ich Ihnen sagen.
Ich glaube, Sie wollen die hiesige Rechtslage beim Umgang mit dem Islam an Österreich anpassen und die Asylgesetze an Dänemark. Begründen tun Sie das inhaltlich nicht, Herr Tassis, außer mit einem, ich zitiere „deutsch geprägten Rechtskreis
und einer angeblich mentalitätsgeschichtlichen Irreleitung von Eliten“. Dieser Antrag, Herr Tassis, und Ihr Redebeitrag hat es nicht besser gemacht, ist dermaßen wirr und irregeleitet, dass ich mich allen Ernstes gefragt habe, welche Drogen Sie beim Schreiben genommen haben.
Ich habe dann ein bisschen recherchiert. Ihr Antrag gibt dazu ja keine Informationen, was Sie eigentlich genau wollen, und Überraschung: Es ist nichts Gutes! Dänemarks Integrationsministerin, wobei ich diesen Titel ehrlich gesagt nicht ganz richtig finde, brüstete sich im Jahr 2017 mit einer Torte auf Facebook damit, dass sie die 50. Asylrechtsverschärfung durchgebrachte hatte. Inzwischen sind es 89 Asylrechtsverschärfungen, darunter, das hat internationale Aufmerksamkeit erregt, das so genannte Schmuckgesetz, das besagt, dass Geflüchtete beim Grenzübertritt Schmuck und Bargeld ab einer Grenze von 1 300 Euro abgeben müssen. Es wurden die Sozialleistungen auf die Hälfte des regulären Sozialleistungssatzes reduziert. Ich kann Ihnen sagen, das Bundesverfassungsgericht in Deutschland hat dazu ein sehr deutliches Urteil gesprochen, das sagt: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren. Was Sie hier fordern ist verfassungswidrig, Herr Tassis. Ich stehe an dieser Stelle zur Verfassung.
Auch gehört zu den 89 Asylrechtsverschärfungen in Dänemark in der letzten Zeit die Aussetzung des Familiennachzuges, die komplette Aussetzung auf mindestens drei Jahre, häufig auch auf fünf Jahre. Auch hier glaube ich, das ist kein Vorbild. Das Recht auf Familie muss für alle gelten. Die Folge aus diesen 89 Asylrechtsverschärfungen ist ein historischer Tiefstand der Asylantragszahlen in Dänemark. Dieses Jahr hat die Regierung ihre Prognose für ein Jahr von 3 000 auf 1 000 Asylanträge reduziert. Ich glaube, so eine Abschottungspolitik ist kein Vorbild – im Gegenteil, das ist ein abschreckendes Beispiel.
Man kann ja nicht auf der einen Seite die Genfer Flüchtlingskonvention unterschreiben und auf der anderen Seite Vorschläge machen, wie sie jetzt von der dänischen Regierung kommen: Wir gewähren Asyl, aber das soll bitte an einem, ich zitiere „nicht sonderlich attraktiven Ort in Europa oder Afrika“
gewährt werden. So geht das nicht, wenn man immer sagt: Ja, aber not in my backyard. Dann gibt es am Ende kein Grundrecht auf Asyl. Und ich stehe hier, und das tut das ganze Haus, glaube ich, außer Ihnen, zur Genfer Flüchtlingskonvention, Herr Tassis.
Kommen wir zur so genannten Islam-Gesetzgebung. In Dänemark gibt es ein Burka- und NiqabVerbot. Es tragen meiner Recherche zufolge, auch da haben Sie ja keine Begründung geliefert, gerade einmal 200 Frauen den Niqab. Eine Burka gibt es, soweit ich weiß, gar nicht. Das Gleiche gilt übrigens für Österreich, wo Sie Ihre Gesetze anpassen wollen. Dort gilt seit etwa einem Jahr ein Burka- beziehungsweise Gesichtsverhüllungsgesetz. Nach einem halben Jahr Auswertung waren bei den Behörden 29 Anzeigen wegen Verstoßes gegen dieses Verbot eingegangen, 15 davon in Wien, 14 außerhalb von Wien. Diese 14 außerhalb wurden ausgewertet, und da stellte sich heraus: nur vier bezogen sich auf eine Burka, der Rest waren zum Beispiel Skibrillen oder Atemmasken. Und diese vier, die sich auf eine Burka bezogen, richteten sich gegen nur eine Person.
Wir wissen also, es gibt in Österreich eine Burkaträgerin außerhalb von Wien. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Phantomgesetze. Hier wird ein Phantomproblem herbeigedichtet, anstatt sich wirklichen Problemen zu widmen.
Der einzige Zweck solcher Gesetze ist es, antimuslimischen Rassismus zu befeuern. Und ich glaube, ich hoffe, da spreche ich für das ganze Haus, dieser Antrag ist überflüssig wie ein Kropf. – Danke schön!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Das Innenministerium hat im August die sogenannten „Eckpunkte zum kohärenten Ansatz Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“ vorgelegt. Diese enthalten im Grundsatz die Abschaffung der Vorrangprüfung, aber auch einen Ausschluss von Sozialleistungen, sie fokussieren auf Drittstaatenangehörige mit Berufsausbildung, sie sehen eine bessere Anerkennung von Abschlüssen vor und eine Weiterbildungsstrategie für hiesige Arbeitssuchende. Nicht enthalten sind der Spurwechsel, die Verhinderung von Lohndumping oder auch Bildungsmigration. An dieser Stelle greift der jetzt vorliegende Antrag ein.
Das sind auch aus unserer Sicht Verbesserungen, denn auch wir wollen den Spurwechsel und die Aufhebung der extrem restriktiven Regelungen in der Arbeitsmigration. Aber,
jetzt kommt das Aber: Alle vorliegenden Vorschläge sehen die Arbeitseinwanderung ausschließlich unter einer Verwertungslogik. Das schließt an die bisherige Politik im Bund an. Im Jahr 2007 beschlossen Rot-Grün das Aufenthaltsgesetz, in dessen § 1 Absatz 1 steht: „Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland …“ Unter § 18, der die Beschäftigung regelt, steht: „Die Zulassung ausländischer Beschäftigter orientiert sich an den Erfordernissen des Wirtschaftsstandortes Deutschland...“
Jetzt fordern Sie ein Einwanderungsgesetz nach Punktesystem. Wir sind uns in vielen Dingen einig, immer wieder, an dieser Stelle aber nicht.
Wir glauben, dass das bisherige Aufenthaltsgesetz und die vorgesehenen Punktesysteme einem Nützlichkeitsprinzip folgen. Wir sind grundsätzlich dagegen, die Einwanderungspolitik nach Nützlichkeit auszurichten. Klar, die gibt es, das stellen wir auch gar nicht in Abrede. Schon heute können viele Unternehmen freie Stellen nicht besetzen und um die Renten aktuell zu sichern müssten jedes Jahr, laut IAB aus der Wissenschaft, 400 000 Menschen einwandern. Im Jahr 2017 bekamen lediglich 127 000 eine Arbeitserlaubnis zur Beschäftigung. Hier gibt es also ein Problem. Wir glauben aber nicht, dass die Einwanderung dazu dient, die Renten zu sichern, sondern es sollte eine rechtebasierte Einwanderungspolitik geben.
Herr Remkes, wenn Sie sagen, das ist kein aktuelles Problem, sondern vielleicht ein zukünftiges Problem, dann muss ich Ihnen sagen, Sie leben so etwas von im Gestern. Wer pflegt Sie denn heute im Krankenhaus? Wer stellt Ihren Döner her?
Schon jetzt gibt es ein großes Problem und offensichtlich sind Sie noch nicht in der Gegenwart angekommen, die eindeutig eine Einwanderungsgesellschaft hat, das haben Sie noch nicht begriffen, Herr Remkes, Sie werden es aber begreifen, spätestens wenn Sie in das Krankenhaus kommen.
Wir sind uns einig darin, dass nicht jede Form der Einwanderung in das Asylsystem gepresst werden kann und genau deswegen braucht es den Spurwechsel, weil das Asylsystem momentan eine der wenigen Möglichkeiten zur Einwanderung gibt. Das ist falsch. Deswegen braucht es mehr legale Arbeitsmigrationsmöglichkeiten, deswegen braucht es den Spurwechsel und eben die Ausweitung der Regelung zur Arbeitsmigration.
Derzeit muss man über einen Arbeitsvertrag verfügen. Es gibt die Vorrangprüfung und man muss ein Mindesteinkommen von 52 000 Euro vorweisen oder 40 000 Euro in den Mangelberufen. Zum Beispiel in der Pflege, da haben wir einen Fachkräftemangel, beträgt der durchschnittliche Jahresbruttoverdienst knapp 29 000 Euro. Es gibt einen Mangel, aber man kommt nicht in den Genuss eines Visums zur Beschäftigung nach § 18 Aufenthaltsgesetz, weil der Verdienst zu gering ist. Dann würde ich einmal sagen, Verdienste hochsetzen und Restriktionen für die Arbeitsmigration heruntersetzen. Das wäre doch einmal eine Lösung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dass man mit der jetzigen Abschottung nicht weiterkommt, das ist jetzt offensichtlich auch bei Herrn Seehofer angekommen. Das ist gut. Allerdings blockiert die CSU weiterhin bei dem Spurwechsel. Ich glaube, das wird sich nicht ewig so aufrechterhalten lassen, denn dieses Märchen, dass Geflüchtete Gäste auf Zeit wären, das hier auch noch einmal vertreten wurde – –.
Ja, das wurde auch schon den Gastarbeitern unterstellt, dass sie Gäste wären, deswegen werden sie ja so genannt. Fakt ist, sie waren nie Gäste, sondern sie bleiben und das ist auch richtig so und deswegen muss man ihnen auch die Integration und das Ankommen in dieser Gesellschaft ermöglichen.
Und das tut der Spurwechsel und das tut man, indem man eben auch die Beschäftigung ermöglicht.
In unserer Partei, wie gesagt, lehnen wir Punktesysteme ab, weil sie eben einer Verwertungslogik folgen.
Wir diskutieren durchaus auch ein Einwanderungsgesetz, deswegen werden wir uns an dieser Stelle enthalten, weil wir glauben, es sind viele gute Forderungen enthalten. Dennoch ist es aus unserer Sicht nicht weitgehend genug. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
Wir fragen den Senat:
Erstens: Gab es im Land Bremen seit dem Jahr 2015 Suizide von Geflüchteten, und wenn ja, wie viele? Bitte nach Bremen und Bremerhaven unterscheiden!
Zweitens: Wie viele Geflüchtete haben seit dem Jahr 2015 versucht, im Land Bremen Suizid zu begehen, und welchen Aufenthaltsstatus hatten sie? Bitte ebenfalls nach Bremen und Bremerhaven unterscheiden!
Drittens: Welche Staatsangehörigkeit, welches Alter und Geschlecht haben oder hatten die in Frage eins und zwei gemeinten Personen?
Danke, Herr Präsident! Erst einmal, Herr Senator, möchte ich mich ganz herzlich bedanken, dass Sie das manuell ausgewertet haben. Eine Rückfrage: Sie haben angegeben, dass 60 Personen in der Stadtgemeinde Bremen versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Haben Sie eine Erklärung für diese extrem hohe Zahl?
Danke, Herr Präsident! Herr Senator, Ihre Antwort bezog sich ja nun auf die drei vollzogenen Suizide, aber meine Frage bezog sich auf die 60 versuchten Suizide, deren Anzahl sehr hoch ist. Haben Sie dort auch noch einmal genauer hingeschaut? Könnte es einen Zusammenhang mit Unterbringungsbedingungen oder anderen Faktoren geben?
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir blicken zurück auf eine lange und tragische Geschichte der Grenzabschottung Europas. Wir beklagen seit dem Jahr 1990 über 25 000 Todesopfer, allein dieses Jahr hat die Grenzabschottung Europas laut Angaben der NGO borderline-europe Menschenrechte ohne Grenzen e. V.
mindestens 1 500 Menschenleben gekostet.
Menschen in Europa wollen das nicht hinnehmen und engagieren sich in der zivilen Seenotrettung. Ich finde, das ist gut so, und das verdient unser aller Respekt, –
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Diese Menschen, die sich engagieren, privat mit ihrem eigenen Kapital, mit Schiffen, die Spenden sammeln, die Öffentlichkeitsarbeit machen gegen diese tödliche Grenzabschottung, sie werden kriminalisiert. Hier haben wir eine lange Geschichte der Kriminalisierung, die bereits 2004 anfing. Das ist kein neues Problem, sondern das ist schon 2004 mit der spektakulären Festnahme der Cap Anamur und der Anklage von Elias Bierdel durch die italienische Regierung entstanden.
Diese Geschichte wird weitergeschrieben von Regierungen Europas. Wir haben die Aquarius der NGO SOS MEDITERRANEE Deutschland e. V., an der auch Bremerinnen und Bremer beteiligt sind, die im Juni einen tagelangen Streit um das Rettungsschiff Aquarius hatten, der Italien und Malta eine Woche lang die Einfahrt mit 629 Geflüchteten an Bord verweigerten.
Wir haben die Geschichte des Mission Lifeline e. V., dessen Schiff Lifeline von Italien die Einfahrt mit 234 Geretteten nicht genehmigt wurde und Malta den Kapitän Claus-Peter Reisch anklagt hat und immer noch anklagt. Er darf Malta nicht verlassen. Er ist zwar auf freien Fuß gesetzt gegen eine Kaution von 100 000 Euro, aber er ist weiter konfrontiert mit einer Anklage durch die maltesische Justiz.
Wir haben die Alexander Mærsk, ein Containerschiff, das Geflüchtete gerettet hat, also seiner Pflicht nach dem internationalen Seerecht, Menschen in Seenot zu retten, gefolgt ist, dies als die gesetzlich vorgesehene Pflicht vollzogen hat und der Italien das Anlegen in einem italienischen Hafen verweigert hat. Das heißt, hier wird nicht nur privates Engagement verhindert. Es wird auch verhindert, dass zum Beispiel Containerschiffe das internationale Seerecht befolgen. Sie werden abgeschreckt, weil ihnen damit signalisiert wird: Wenn ihr Menschen rettet, wenn ihr eure Pflicht vollzieht, wenn ihr das tut, was das internationale Seerecht vorsieht, dann werden wir euch nicht in unsere Häfen lassen. Dann habt ihr Kosten, und ihr habt das Problem der Irrfahrt und der Geflüchteten, diese irgendwo in einem Hafen anlanden zu lassen.
Wir hatten die Sea-Watch 3, die in Malta festgesetzt wurde und unter niederländischer Flagge fährt, und wir haben viele weitere, zum Beispiel das Schiff der Organisation Jugend rettet e. V., deren Schiff IUVENTA 14 000 Geflüchtete aus der Seenot gerettet hat. Das Schiff ist nach wie vor in einem
italienischen Hafen festgesetzt und darf nicht wieder auslaufen.
Wir haben die libysche Küstenwache, die auf ein spanisches Schiff der spanischen NGO Proactiva Open Arms geschossen hat und das ohne Konsequenzen seitens der EU, die nach wie vor der libyschen Küstenwache – –. Man muss eigentlich sagen, das sind paramilitärische Milizen, denen auch kriminelle Handlungen vorgeworfen werden die dokumentiert sind in Videos von Geflüchteten, denen Sklavenhandel vorgeworfen wird.
Es gibt Berichte aus Lagern von diesen Milizen, nach denen es sogar Erschießungen geben soll. Es gibt Vergewaltigungen, es gibt unmenschliche Bedingungen in den Lagern. Diese Milizen haben sogar auf NGO-Schiffe geschossen, und die EU zieht keinerlei Konsequenzen daraus. Sie gibt den libyschen Milizen nach wie vor 50 Millionen Dollar.
Diese NGOs füllen eine Lücke, die die staatliche Seenotrettung nicht füllen kann. Wir haben seit 2015 die Seenotrettungsmission „Sophia“. Sie ist aber in erster Linie keine Seenotrettungsmission. Sie ist eine Mission zur Verhinderung von Menschenhandel, so ist die offizielle Aufgabe. Diese Mission „Sophia“ wurde aber auch zurückgefahren, sie hat zwischendurch pausiert, und die italienische Regierung verweigert sogar den Schiffen dieser offiziellen Mission der EU das Anlegen in den eigenen Häfen.
Wir hatten letzte Woche dieses Drama um das Schiff Diciotti, das ist ein Schiff der italienischen Küstenwache im Rahmen der Seenot-Rettungsmission „Sophia“. Selbst diesem eigenen Schiff hat Italien die Einfahrt verweigert und nicht zugelassen, das die 177 Geflüchteten an Bord das italienische Land betreten.