Protokoll der Sitzung vom 24.09.2015

Ich eröffne die 5. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Medien.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Abgeordneten Frau Sascha Aulepp zu ihrem heutigen Geburtstag die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen!

(Beifall)

Erlauben Sie mir, unseren muslimischen Kolleginnen und Kollegen heute einen besonderen und schönen Tag zu wünschen!

(Beifall)

Die Muslime weltweit feiern heute zum Gedenken an den Propheten Abraham ihr Opferfest Kurban Bayrami, es ist das höchste Fest im Islam. Abgesehen vom religiösen Hintergrund nimmt man sich frei, trifft sich mit der Familie und mit Freunden, auch um gemeinsam zu essen, und es wird geteilt, abgegeben an diejenigen, die bedürftig sind. Natürlich kümmern sich unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger intensiv um Flüchtlinge, die derzeit zu uns kommen. Sie können sich wahrscheinlich stärker als unsereins in das Schicksal dieser Menschen hineinversetzen, deren Flucht intensiv nachvollziehen und insbesondere die Gründe, die dazu führen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben noch ein paar Tage des Feierns vor sich, und dass Sie heute an diesem Festtag mit uns arbeiten, freut uns besonders!

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde ist von den Abgeordneten Rupp, Frau Vogt und Fraktion DIE LINKE folgendes Thema beantragt worden:

Haushaltssperre, Haushaltsrisiken: Bedarfsgerechte Haushaltspolitik sieht anders aus.

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Bürgermeisterin Linnert.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Rupp.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag auch von mir!

In der letzten Woche gab es eine interessante Vorlage für den Haushalts- und Finanzausschuss, die wir zu dem Zeitpunkt leider noch nicht diskutieren konnten. Diese Vorlage konstatiert, dass wir im Haushaltsjahr 2015 ein Risiko von ungefähr 250 Millionen Euro haben. Das Problem ist, bei einem Risiko ist es immer interessant, wie hoch dessen Eintrittswahrscheinlichkeit ist, und unseres Erachtens ist die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Haushaltsrisiken ziemlich hoch.

Wir haben diese Vorlage intensiv studiert, und ich bin ausgesprochen dankbar dafür, dass insbesondere das Sozialressort sehr viel Mühe aufgewendet hat, einmal die Hintergründe und die Entwicklung der Haushaltsrisiken darzustellen. Meiner Meinung nach ergibt sich daraus eine Reihe von Befunden, die mich ausgesprochen unruhig machen und die dringend einer Lösung bedürfen.

Der erste Befund ist scheinbar offensichtlich. In diesem Haus wissen viele, dass es so etwas gibt wie eine Obergrenze bei der Neuverschuldung im Rahmen des Sanierungspfades, und wir haben ja auch schon des Öfteren den Abstand zur Obergrenze dieser Neuverschuldung diskutiert, und was man damit macht. In diesem Jahr beträgt der Abstand zur Obergrenze der Neuverschuldung circa 190 Millionen Euro, und wenn wir Haushaltsrisiken von 250 Millionen Euro mit einer sehr hohen Eintrittswahrscheinlichkeit haben, bedarf es einer Grundrechnung, um festzustellen, dass wir möglicherweise in diesem Jahr nicht in der Lage sein werden, die Obergrenze der Neuverschuldung zu unterschreiten. Das bedeutet, wir laufen möglicherweise Gefahr, die sogenannte Sanierungsvereinbarung mit dem Bund nicht einhalten zu können, was zur Folge hätte, dass Bremen 300 Millionen Euro an Zinsbeihilfen nicht bekommt.

Die Gegenfrage lautet, ob wir eigentlich noch die Möglichkeit haben, durch andere Maßnahmen unterhalb dieser 190 Millionen Euro an anderen Stellen zu kürzen. Nach meiner persönlichen Einschätzung – insbesondere, weil wir in diesem Jahr schon einmal über ungefähr 73 Millionen Euro für einen Nachtragshaushalt oder Mehrkosten diskutiert haben – wird das einen Preis kosten, den wir möglicherweise auch nicht bezahlen können. Also, der erste Befund ist – und das ist offensichtlich –, wir werden darüber reden müssen, ob wir eigentlich unterhalb der Obergrenze der Neuverschuldung bleiben können.

Der zweite, auch dramatische Befund bezieht sich auf die prognostizierten Kosten für die Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen. Wer die Vorlage studiert hat, wird sehen, dass die in diesem Jahr notwendigerweise aufzubringenden Kosten deutlich unterhalb derer liegen, die wir im nächs

ten und im übernächsten Jahr aufbringen müssen, es wird von Steigerungsraten im nächsten Jahr von 80 Millionen Euro und dann noch einmal von 80 Millionen Euro gesprochen. Das sind Prognosen, aber klar ist, dass es Größenordnungen annimmt, die die Haushaltsaufstellung in den nächsten beiden Jahren in einem ähnlichen Rahmen, den wir jetzt haben, meines Erachtens nicht nur schwierig, sondern physikalisch nicht möglich machen.

Der dritte Befund liegt unterhalb der Oberflächlichkeit, denn wir haben uns die Frage gestellt, was eigentlich wäre, wenn hier die ausgesprochen schwierige Situation mit den Flüchtlingen nicht bestünde. In den 250 Millionen Euro gibt es nach unseren Berechnungen Haushaltsrisiken in Höhe von circa 80 Millionen Euro, die mit der Flüchtlingssituation gar nichts zu tun haben, und die im Rahmen einer ganz normalen Haushaltsentwicklung entstanden sind, und die Art dieser Risiken ist nicht einmalig. Diese Risiken gelten nicht nur für dieses Jahr, sondern es ist eine Reihe von Indizien dafür vorhanden, dass sie auf Dauer bestehen. Die Frage lautet also – deswegen finde ich es auch notwendig, dass wir jetzt anfangen, darüber zu diskutieren –, wie wir es schaffen, die Haushalte 2016/2017 in einen Rahmen zu pressen, der noch in irgendeiner Weise funktioniert.

Es gibt einen vierten Befund, der sich insgesamt mit den verschiedenen Kostenarten befasst. Die Vorlage, die mit „mehr Haushaltrisiken im Sozialbereich“ untertitelt ist, stellt fest, dass eine der Annahmen, auf der die Koalitionsvereinbarung beruht – nämlich dass die Sozialhilfekosten um 1,9 Prozent in den nächsten Jahren steigen werden –, nicht nur optimistisch, sondern eher falsch ist. Aus der Vorlage ergibt sich, dass wir jedes Jahr eine Steigerung der Sozialhilfekosten von circa vier Prozent haben werden, und zwar auch in der Zukunft. Ich habe versucht, zumindest einmal eine Größenordnung zu entwickeln, was das für das Jahr 2020 bedeutet, und danach ergeben sich für 2020 ungefähr Mehrausgaben von circa 100 Millionen Euro, die im Finanzplan der Koalitionsvereinbarung noch gar nicht ausgewiesen sind.

Ich finde, insbesondere diese Steigerung macht deutlich, dass wir an einem Punkt angelangt sind, bei dem möglicherweise die Schulden in Geld einen wichtigen Faktor für die Haushaltsprobleme darstellen, aber die sozialen Schulden, die wir mittlerweile angehäuft haben, mehr, in Anführungszeichen, Zinsen erzeugen als die Banken. Diese Sozialhilfekosten, die es auf Dauer geben wird, und bei denen es überhaupt noch nicht den Ansatz einer Senkung gibt – also die Senkung aufgrund einer Vermeidung der Ursachen –, sind auf Dauer gestellt. Diese Kosten sind ein Ausdruck für soziale Schulden. Die Höhe dieser Sozialhilfeausgaben ist ungefähr so hoch, als hätten wir nicht nur 20 Milliarden Euro Schulden bei den Banken, sondern noch einmal 20 Milliarden Euro zusätzlich. Das kann man ungefähr nachrechnen, glauben Sie mir, denn die Größenordnung stimmt.

Der fünfte Befund – da muss man auch genau hinschauen – ist unserer Meinung nach der, dass wir aufhören müssen zu glauben, dass wir mit der PEPQuote langfristig Geld sparen.

Würden wir die sogenannte Personalentwicklungsquote – 1,5 Prozent weniger Personal jährlich – an unterschiedlichen Stellen unter dem Strich einhalten, wären die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Das steht wörtlich darin. Ich finde das in Ordnung, das muss man an dieser Stelle vielleicht auch einmal so sagen.

Bei der Abrechnung und Prüfung von EFRE- und ESFMitteln sind mittlerweile Risiken in zweistelliger Millionenhöhe aufgelaufen. Noch ist unklar, wie viele dieser Risiken eintreten. Klar ist aber, dass in Bremen die Abrechnung und Prüfung der Maßnahmen der vergangenen Förderperiode offensichtlich nicht in der Geschwindigkeit funktionieren, die notwendig wäre, um zu funktionieren, und dass daraus Haushaltsrisiken entstehen, die in diesem Jahr vielleicht nur in einer Liquiditätsfrage münden, weil wir das Geld nicht in diesem Jahr, sondern vielleicht im nächsten Jahr bekommen. Die Debatte zeigt aber auch, dass wir im nächsten Jahr dieses Geld möglicherweise nicht bekommen.

Ich finde, das ist schwierig und eigentlich nicht zu tolerieren, insbesondere weil dieselbe Problematik zukünftige Projekte gefährdet und auch Geld für zukünftige Projekte, also für die laufende Förderperiode, nicht eingestellt oder nicht von der Europäische Union eingeworben und zur Verfügung gestellt werden kann.

Sechstens: Die Haushaltssperre wird möglicherweise, wie auch beim letzten Mal, neun bis zehn Millionen Euro an Kürzungen oder Ersparnissen bringen. Ich bin fest davon überzeugt: In einem Haushalt, der auf Kante genäht ist, kann man eher nicht um diese neun bis zehn Millionen Euro kürzen, ohne Folgekosten zu produzieren.

(Beifall DIE LINKE)

Ich finde, wir haben eine Situation, in der folgende Dinge notwendig sind:

Erstens, ich bin vollkommen überzeugt, dass die finanziellen Mittel für die Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen komplett vom Bund übernommen werden müssen. Bremen und auch andere Kommunen sind überhaupt nicht in der Lage, das Geld auch nur anteilig aufzubringen, ohne an anderer Stelle Probleme zu produzieren.

Zweitens, insbesondere vor dem Hintergrund der steigenden Sozialhilfekosten ist es auch notwendig, über ein effektives und wirksames Armutsbekämp

fungsprogramm in Bremen – jenseits von Flucht und Vertreibung sowie Unterbringung dieser Menschen hier – nachzudenken.

(Beifall DIE LINKE)

Machen wir das nicht, produzieren wir weiter soziale Schulden.

Drittens, die Kosten für die Flüchtlinge in Bremen dürfen keinesfalls dazu führen, dass die Zinsbeihilfen gestrichen werden. Ich verweise auf Artikel 131 a Absatz 3 Landesverfassung, nach dem man sozusagen in Notsituationen die sogenannte Schuldenbremse überschreiten darf. Ich finde, das ist eine solche Notsituation, man muss mit dem Stabilitätsrat verhandeln. Das gilt auch für Armutsbekämpfungsprogramme, denn wenn wir das jetzt nicht tun, haben wir kaum eine Chance, irgendwann tatsächlich eine schwarze Null im Haushalt zu schreiben. Wir müssen jetzt sowohl Flucht als auch Armut in den Fokus nehmen und beides bekämpfen, sonst werden wir nie einen auskömmlichen Haushalt haben. Klar ist auch, die Rahmenbedingungen für die Bund-Länder-Finanzen werden jetzt gerade geklärt. Bremen braucht dafür mehr Geld.

Viertens, ich halte insbesondere die jetzige Haushaltssituation für angebracht, noch einmal darüber zu diskutieren, ob nicht diejenigen in unserem Land, die in den vergangenen 20 Jahren hohe private Vermögen angehäuft haben, stärker zur Finanzierung der aktuell schwierigen Situation herangezogen werden. Ich bin dafür, dass wir wieder über eine Vermögensabgabe und eine Vermögenssteuer diskutieren, weil ich fest davon überzeugt bin, dass alle anderen Wege nicht zu einer Lösung führen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Schierenbeck.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ja, Herr Rupp, und nun? Wir können Ihrer Analyse im Wesentlichen nur zustimmen, denn das, was Sie hier vorgetragen haben, ist im Wesentlichen das, was in den Vorlagen des Haushalts- und Finanzausschusses steht. Wir müssen in Bremen feststellen, dass die Einnahmen nicht ausreichen, um unsere Ausgaben zu decken, das ist uns, glaube ich, in diesem Hause allen bewusst. Klar ist auch, dass es grundsätzlich drei Möglichkeiten gibt, mit diesem Problem des nicht ausgeglichenen Haushalts umzugehen.

Sie haben vorgeschlagen, die Einnahmen zu erhöhen. Das halten wir, genauso wie Sie, für richtig,

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

und ich denke, da sind wir uns mit Ihnen und mit der SPD weitgehend einig.

Gerade für die Kommunen brauchen wir bessere Einnahmen. Deswegen haben wir vorgestern in der Stadtbürgerschaft eine Erhöhung der kommunalen Steuern beschlossen. Unsere wesentlichen Einnahmen allerdings, die Steuern, von denen unser Haushalt abhängt, und die Frage, wie die Steuern zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufgeteilt werden, werden auf Bundesebene festgelegt, und das wissen Sie genauso gut wie wir. Wir sind froh, dass sich unsere Finanzsenatorin im Bundesrat dafür einsetzen wird, dass das Thema Erbschaftssteuer anders gehandhabt wird, als dies vorgesehen ist.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Die zweite Möglichkeit, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, ist, die Ausgaben zu senken. Wir wissen, dass DIE LINKE das anders sieht als wir. Ich finde, gerade angesichts der Lage, die wir hier und auch weltweit haben, lohnt es sich, auch einmal ein bisschen über den Tellerrand hinauszuschauen und nicht sozusagen alles schlecht zu finden, was wir hier in Bremen machen. Wir müssen, glaube ich, aber auch einmal ehrlich über unsere Standards reden, und wenn ich die Aufkleber „Luxus für alle“, die die Linksjugend verteilt, sehe, kann ich nur sagen: Das ist eine Haltung, die nicht passt, sie passt angesichts der Weltlage einfach nicht!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wir müssen auch einmal darüber reden, dass wir teilen müssen, dass wir abgeben müssen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir dabei an die Menschen heranmüssen, die viel Geld haben, die ein Vermögen haben, aber wir können auch nicht sagen, dass das, was wir an Standards im öffentlichen Dienst haben, alles schlecht sei.