Protokoll der Sitzung vom 10.05.2017

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Kastendiek.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns einig, dass es der richtige Ansatz ist, sich mit Bürokratie, Bürokratieumfang und Bürokratiekosten bei Förderprojekten der öffentlichen Hand kritisch auseinanderzusetzen. Deswegen überlegen wir hier auch einmütig und gemeinsam, was an Bürokratie ist notwendig und was nicht.

Ich glaube, wir sind uns auch in der Einschätzung einig, wenn es um die Zuwendung öffentlicher Mittel geht. Wenn private Vereine oder Institutionen jeglicher Art öffentliche Fördermittel bekommen, muss es Regeln geben. Das ist vollkommen klar. Es geht darum, Mitnahmeeffekte und Ineffizienzen zu vermeiden und die Mittel möglichst wirksam für den Zweck einzusetzen, für die sie gedacht sind, ob das nun im Bereich des ESF oder EFRE ist oder den Fischereifonds angeht. Ich glaube, da sind wir uns völlig einig.

Deswegen fand ich es auch sehr angenehm, dass in der Diskussion einzelne Aspekte hervorgehoben wurden, bei denen wir als Bundesland Bremen dazu beitragen können, dass diese Mittel attraktiver für Institutionen, Vereine und Unternehmen sein können. Das Interesse muss natürlich auch sein, dass nicht immer wieder die gleichen Institutionen, Verbände und Unternehmen auf die gleichen Töpfe zugreifen. Das ist nicht Sinn und Zweck der ganzen Angelegenheit. Diejenigen, die am geschicktesten Anträge stellen, haben sonst die größten Chancen, und es steht weniger die Frage nach dem Erfolg und der Wirksamkeit des jeweiligen Projekts und des effektiven Einsatzes der Mittel im Vordergrund. Das sollte Leitfaden einer solchen Diskussion sein. Deswegen ist es sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir in diesem Sinne Regelungen, Vorgaben und Bürokratie abbauen können, um eine höhere Attraktivität solcher Programme zu erreichen.

Ich sage es einmal aus meiner beruflichen Sicht. Wenn man sich Gedanken darüber machen würde beziehungsweise müsste, ob man an einem Förderprogramm teilnimmt, schaut man sich die Anzahl der Fragen an. Es spielt kaum eine Rolle, wie tief man in die einzelne Frage hineingehen muss. Wenn man Sie 20, 30 Fragen sieht, sagt man: Komm, vergiss es! Dafür muss man jemanden schulen, dafür muss man einen Berater haben und

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so weiter. Dann ist es auch noch eine Fragestellung - Herr Reinken, ich gebe Ihnen vollkommen recht, Sie haben es gesagt -, die eigentlich keine Relevanz mehr hat. Es ist schon interessant, dass Sie Ihr Abstimmungsvotum für die Mindestlohndebatte morgen davon abhängig machen, welche Einlassung die Fraktionsvorsitzende gleich macht.

(Abg. Bücking [Bündnis 90/Die Grünen]: Da haben Sie mich ganz falsch verstanden!)

Es könnte ein spannendes Experiment sein, ob der Ankündigung jetzt auch Taten folgen. Fakt ist aber, dass das Landesmindestlohngesetz keine Relevanz hat, denn wir haben ein Bundesmindestlohngesetz, und das findet Anwendung.

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Denken Sie einmal an die Ausnahmen!)

Ob man das Gesetz jetzt gut oder schlecht findet, spielt gar keine Rolle. Es ist da. Das Landesmindestlohngesetz - so wichtig oder unwichtig, so bedeutend oder weniger bedeutend es in der Entstehungsgeschichte war - ist überflüssig.

Herr Bücking, ich habe Sie bisher so kennengelernt, dass Sie mehr Optimismus ausstrahlen. Vier Monate vor der Bundestagswahl - das war Ihre Prognose - schätzen Sie also den Wahlerfolg der FDP so stark ein, dass sie nach der Bundestagswahl über Nacht entsprechenden Einfluss auf die Bundesregierung hat. Gut, dem will ich zuerst einmal nicht widersprechen. Das würde bedeuten, dass es eher zu einer bürgerlichen Regierung kommt als zu irgendeinem anderen Bündnis. Wenn es wirklich so sein sollte, dann könnten Sie jederzeit wieder ein Landesmindestlohngesetz einführen, wenn ich jetzt einmal unterstelle, Sie bleiben hier an der Regierung. Das wäre überhaupt kein Problem. Das schaffen Sie, wenn Sie es einigermaßen kreativ anstellen, innerhalb eines Vierteljahres. Wenn es also in Ihrer Logik wirklich einen gesellschaftlichen Notstand gäbe, könnten Sie ihn an der Stelle beheben.

Es ist also ein überflüssiger Prüfungsprozess, ob das nun richtig oder weniger richtig ist. Wir haben ja gerade gehört, es betrifft Institutionen, Verbände und vor allen Dingen eher kleine und mittelständisch strukturierte Unternehmen und nicht die großen Unternehmen. Die Unternehmen - ob groß oder klein - sagen, dass jeder einzelne Prüfungsprozess und jede einzelne Prüfungsschleife behindert und solche Programme weniger attraktiv macht.

Es gibt aber keine Begründung, warum nun im Land bei diesen Förderprogrammen andere Schwellenwerte angewandt werden als im Bund.

Ich weiß, wir haben Vergaberichtlinien auf Landesebene, aber auch da konnten Sie keine vernünftige Begründung dafür finden, warum die Schwellenwerte im Land Bremen andere sind als im Bund. Auch da kneift die Argumentation.

Bei allen berechtigten Nachfragen, warum und was an Bürokratie und Regeln notwendig ist, vermisse ich in dem Ansatz, darüber nachzudenken, wo wir Regelungen reduzieren können. Wo können wir ein niedrigschwelliges Angebot - -?

(Glocke)

Habe ich die zwei Minuten des Kollegen schon aufgebraucht?

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Mehr als das!)

Wir haben noch so viel Arbeit.

Einen kurzen Satz zum Schluss, damit ich die Geduld des Präsidenten nicht allzu sehr überstrapaziere! Wir sollten uns Gedanken machen, wie wir es attraktiver machen können. Dazu gehört natürlich auch der Abbau von Bürokratie. Vielleicht können wir das Thema in einer der nächsten Deputationssitzungen aufrufen. Ich glaube, dann wäre eine Menge erreicht. - Herzlichen Dank!

(Beifall CDU, FDP)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Rupp.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir das noch einmal angeschaut, weil die Frage im Raum stand, was man jetzt eigentlich konkret machen kann, um die Situation zu verbessern. Als Erstes müssten wir tatsächlich noch einmal schauen, wer eigentlich an der letzten Förderperiode partizipiert hat. Waren es einzelne Firmen, war es der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, oder waren es andere? Da kann man noch einmal hinschauen.

Man kann natürlich auch schauen: Gibt es eine wiederkehrende Antragstellung? Gibt es also eine Ecke in Bremen, in der das sozusagen professionalisiert worden ist? Ist das eigentlich richtig so? - Nach meinem Kenntnisstand ist ganz wichtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit diesem Thema befasst sind, besser auf ihre Arbeit vorbereitet werden und dass man in Brüssel dafür wirbt, nicht alle naselang Vorschriften zu ändern. Das sind sozusagen die beiden Hauptwidersprüche in

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dieser ganzen Geschichte: dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum Gelegenheit haben, Änderungen nachzuvollziehen und dass sie deswegen oft ganz unsicher sind, was eigentlich noch zu tun ist oder nicht.

Bei solchen Dingen gibt es zwei weitere Möglichkeiten, etwas zu ändern. Man schaut, ob es eigentlich so etwas wie Relevanzgrenzen gibt. Wenn man jemanden einen Tag damit beschäftigt, zu suchen, woran ein Cent Differenz gelegen hat, ist das möglicherweise nicht besonders sinnvoll. Andererseits geht die Steuerbehörde mittlerweile nicht mehr jede einzelne Einkommenssteuererklärung akribisch Seite für Seite durch, sondern sagt: Pass auf, bei dieser Gehaltsstufe und bei dem, was der Steuerzahler angibt, können wir jetzt eine Stunde suchen und finden dann fünf Euro. Das lohnt sich nicht. So what? Man zieht also, wie gesagt, Relevanzgrenzen ein und macht Stichproben und Tests. Auf diesem Wege könnte man einiges erreichen und den bürokratischen Aufwand senken, und zwar sowohl für die Bezieher dieser Leistungen als auch für diejenigen, die entscheiden, wer etwas bekommt. Das ist eine spannende Sache. Wir sind auch ein Stück weit gezwungen, in diese Richtung zu denken, denn nach meiner Wahrnehmung ist das neue Förderprogramm noch nicht richtig im Gange. An der Stelle holen uns die Dinge, die wir schon in der Vergangenheit nicht besonders gut gemacht haben, wieder ein. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächster hat das Wort Senator Günthner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe für mich aus der Debatte mitgenommen, dass der Landesmindestlohn, der von Teilen des Hauses immer kritisch gesehen worden ist, weiterhin kritisch gesehen wird

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Der gesetzliche!)

und dass Sie kritische Fragen zum Tariftreue- und Vergabegesetz haben. Ich habe nicht ganz verstanden, ob Sie zusammen mit dem Landesmindestlohn- auch das Tariftreue- und Vergabegesetz abschaffen wollen, weil Sie es für überflüssige Bürokratie halten. Ich sage Ihnen ganz deutlich, dass wir das Tariftreue- und Vergabegesetz für richtig und wichtig halten.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen - Abg. Pro- fessor Dr. Hilz [FDP]: Hätten Sie einmal zugehört, dann hätten Sie es verstanden!)

Wir halten den Landesmindestlohn ebenfalls für richtig und wichtig, weil er die Voraussetzung dafür war, dass es überhaupt möglich geworden ist, auf der Bundesebene einen Mindestlohn einzuführen. Deswegen ist es richtig gewesen, in Bremen vorwegzugehen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Darüber hinaus habe ich zur Kenntnis genommen, dass sich beim Bürokratieabbau, wie es bei diesem Thema eigentlich immer so ist, alle im Grunde bei der Überschrift einig sind; dann wird es ein bisschen komplizierter. Herr Rupp hat versucht, das rund um die europäischen Förderprogramme zu erklären. Wir setzen dort Regularien um, die sich die Europäische Union gegeben hat und die zu Teilen eben auch auf nationalen Regularien basieren.

Weil in der Anfrage der FDP vor allem nach Nebenbestimmungen gefragt wird, könnte man den Eindruck gewinnen, dass die EU-Bestimmungen keinen großen Teil ausmachen. Sie machen aber insgesamt, wenn man auf Projektförderung schaut, einen erheblichen Teil aus. Sie haben einen erheblichen Umfang. Wenn man sich das Gesamtpaket der EU-Anforderungen anschaut, wird deutlich, dass die EU mit aktuell rund 4 000 Seiten an Verordnungen, Leitlinien und Richtlinien - diese Zahl hat das Bundeswirtschaftsministerium ermittelt - ganz erheblich zur Belastung der Verfahren und der Begünstigten bei EU-geförderten Projekten beiträgt. Insofern haben wir natürlich ein gemeinschaftliches Interesse.

Wir sind jetzt bei im Grunde genommen bereits abgerechneten und endgeprüften Projekten in einer hängenden Phase. Sie sind erneut überprüft worden und durch die gesamte Maschinerie gegangen. Dort wurden dann Fehler gefunden und es wurde über Fehler und die Gewichtung von Fehlern diskutiert. An dieser Stelle kommt es insgesamt zu einer Beeinträchtigung von Förderprogrammen. Wir möchten zu einer Vereinfachung kommen, hängen aber letzten Endes an den Vorstellungen der Europäischen Union. Wir kämpfen dabei gemeinschaftlich mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern und auf der Bundeseben dafür, dass es zu Vereinfachungen kommt und wir hier einen Bürokratieabbau vornehmen können.

Ich möchte zu dem Punkt kommen, den die FDP in ihrem Einstiegstext behauptet. Sie sagt, private Unternehmen würden ab einem Beihilfewert von über 50 000 Euro öffentlichen Auftraggebern gleichgestellt. Das trifft schlicht nicht zu. Es trifft so, wie Sie es behaupten, nicht zu. Wir haben Ihnen in

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unserer Antwort alle Unterschiede tabellarisch aufbereitet, damit diese deutlich werden und damit auch deutlich wird, dass es nicht viele Unterschiede sind. Ab einem Zuwendungsbetrag von 50 000 Euro trifft Nummer 3.1 der Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderungen für Unternehmen zu. Dann muss Abschnitt 2 des Tariftreue- und Vergabegesetzes angewendet werden. Diese Anforderungen gelten für öffentliche Auftraggeber unabhängig von der bewilligten Zuwendungshöhe, also auch unterhalb von 50 000 Euro. Die Anforderungen für öffentliche Auftraggeber gehen darüber aber auch noch hinaus. So müssen diese zum Beispiel auch den Abschnitt 3 des Tariftreue- und Vergabegesetzes anwenden, der unter anderem Bestimmungen zur umweltverträglichen Beschaffung enthält.

Private Unternehmen, die eine Förderung ab einem Beihilfewert von über 50 000 Euro erhalten, werden somit öffentlichen Auftraggebern nicht gleichgestellt. Lediglich ein bestimmter Teil, und zwar Abschnitt 2 des Tariftreue- und Vergabegesetzes, ist wie bei öffentlichen Auftraggebern anzuwenden. Macht man sich allerdings die Mühe, genauer in den Abschnitt 2 des Tariftreue- und Vergabegesetzes zu schauen, stellt man fest, dass dieser die Wertgrenzen regelt, nach denen bestimmte Auftragsvergaben im Wege freihändiger Vergaben und beschränkter Ausschreibungen vereinfacht durchgeführt werden können. Ohne jene Wertgrenzen käme die ansonsten geltende Bundesregelung zur Anwendung, die zwar auch freihändige Vergaben und beschränkte Ausschreibungen möglich macht, dies jedoch unter eingeschränkten Voraussetzungen. Durch die Anwendung des Tariftreue- und Vergabegesetzes verhindern wir somit, dass die Bundesregelung zur Anwendung kommt, und vereinfachen damit sogar die Auftragsvergabe.

Ich will auf diesen Punkt ausdrücklich hinweisen, weil die Behauptung, dass alles, was in Nebenbestimmungen geregelt worden ist, in Bremen zu mehr Bürokratie beiträgt, schlicht nicht zutreffend ist. In diesem konkreten Punkt ist das Gegenteil der Fall. Das macht deutlich, dass Sie sich beim Stellen der Anfrage möglicherweise noch etwas intensiver mit den Nebenbestimmungen und den daraus resultierenden Folgen hätten beschäftigen müssen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion der FDP Kenntnis.

Wir haben vereinbart, dass ich jetzt Tagesordnungspunkt 20 aufrufe. Es ist nur eine Fünf-Minuten-Debatte, sodass wir den Punkt noch in der vorgesehenen Zeit abarbeiten können.

Abbiegeassistent bei Lkw kann Leben retten Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 6. April 2017 (Drucksache 19/1017)

Dazu als Vertreter des Senats Staatsrat Meyer.