Protokoll der Sitzung vom 14.06.2017

Damit komme ich zum vierten Punkt. Der Entwurf sieht vor, dass das Urteil darüber, was Beleidigung, Verleumdung oder gar Volksverhetzung ist, von privaten Unternehmen, nämlich den sozialen Netzwerken selbst, gefällt wird. Sie wissen, ich bin ein Freund privater Unternehmen. Aber das geht entschieden zu weit. Facebook und Co. dürfen morgen nicht zu Ermittler, Richter und Staatsanwalt in einer Person werden.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Fünftens: Der Entwurf sieht nicht einmal eine Clearingstelle vor, bei der man Zweifel anmelden oder Widerspruch einlegen könnte. Damit erfolgt ein Angriff auf unsere Meinungsfreiheit. Es gibt übrigens auch keine Meldestelle bei der Staatsanwaltschaft. Für mich entsteht hiermit der Eindruck, dass eher im Vordergrund steht, die Macht von Facebook unter Kontrolle zu bekommen, statt sich dem eigentlichen Problem zu widmen, nämlich der Strafverfolgung der Täter.

(Beifall FDP)

Es geht nicht nur darum, dass das Gesetz bereits als rechtswidrig eingestuft wird. Mir geht es um den Schutz unserer Freiheit. Dieses Gesetz richtet sich nur an Plattformen mit mehr als 2 Millionen Usern im Inland. Ich befürchte, dass es zu einer Radikalisierung auf kleineren Plattformen kommen wird. Es gibt eine schöne Internetseite. Die kann ich Ihnen sehr empfehlen. Da sieht man, wie viele User gerade online sind. Alleine jetzt, aktuell, sind 2 Milliarden User weltweit bei Facebook online. Das alles unter Kontrolle zu bekommen, ist schwierig. Trotz allem gibt es ein Korrektiv. Die kleineren Plattformen haben Sie nicht mehr unter Kontrolle. Dort wird man sich radikalisieren. Dann wird diese Hetze dort noch gefeiert, und Sie werden diese kleineren Plattformen stärken. Das ist für uns überhaupt nicht der richtige Weg.

Liebe Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese Hass-Kommentare endlich verfolgt werden. Wir brauchen eine Justiz, die so ausgestattet ist, dass sie dagegen vorgehen kann und das auch schafft. Vorbildlich funktioniert es bei Straftatbeständen wie der Kinderpornografie. Die Landesmedienanstalten mit den dazugehörigen Jugendschutzstellen klären Fälle in der Regel innerhalb von 48 Stunden auf.

Wir sollten endlich anerkennen, dass unsere Gesetze auch im Netz gelten, und eine Strafverfolgung dort nicht weniger ambitioniert angehen. Des Weiteren braucht es die Vermittlung von Medienkompetenzen, die unsere Schüler für dieses Thema sensibilisiert.

(Beifall FDP)

Was wir nicht brauchen ist ein Gesetz, welches unsere heutigen Freiheiten einschränkt. Das sind die Freiheit, die wir uns über Jahrhunderte erkämpft haben, und für die die ganze Welt mit Stolz auf uns blickt.

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Abgeordneter Timke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das von SPDJustizminister Maas eingebrachte Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken - kurz: Netzwerkdurchsetzungsgesetz - ist ein politischer Schnellschuss, der weder mit dem Grundgesetz, noch mit europäischen Vorschriften vereinbar ist. Diese Auffassung vertreten nicht nur zahlreiche Juristen, sondern auch der Wissenschaftliche Dienst

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des Deutschen Bundestages. Das Gesetz verstößt zudem gegen das Völkerrecht, wie unlängst der Sonderbeauftragte der UNO für Meinungsfreiheit, David Kaye, festgestellt hat.

Das Gesetz ist schon formal verfassungswidrig; denn der gesamte Medienbereich und damit natürlich auch die Medien an sich unterfallen der Kulturhoheit der Länder. Der Bund hat auf diesem Feld keine Regelungskompetenz. Schon aus diesem Grund müssen sich die Länder diesem Gesetz entschlossen entgegenstellen und den Eingriff in ihre Zuständigkeiten abwehren.

Auch materiell wird das Netzwerkdurchsetzungsgesetz weder vor dem Bundesverfassungsgericht, noch vor europäischen Gerichten Bestand haben. Die Vorschrift, die sich derzeit noch in der parlamentarischen Beratung befindet, verfolgt laut Gesetzesbegründung den Zweck, Hass-Kriminalität und andere strafbare Inhalte in großen kommerziellen, sozialen Netzwerken wirkungsvoller zu bekämpfen. Die Ausgestaltung des Gesetzes wird aber in der Praxis zu einer Zensur nonkonformer Ansichten und damit zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit führen. Dafür sorgen unklare, interpretationsoffene Bestimmungen und viel zu kurze Löschfristen, vor allem aber die Androhung exorbitant hohe Bußgelder gegen die Betreiber sozialer Netzwerke, die bis zu 50 Millionen Euro betragen können. Diese unverhältnismäßigen Strafen, die vor allem für kleinere Anbieter existenzgefährdend sein können, bewirken doch folgenden Einschüchterungseffekt:

So unter Druck gesetzt, werden die Betreiber im Zweifel alle Inhalte löschen, die von Dritten als rechtsverletzend angezeigt wurden, selbst wenn gar kein Gesetzesverstoß gegeben ist. Klar ist, meine Damen und Herren: Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird der Staat eine Löschorgie auslösen und den Gedankenaustausch im Internet über Gebühr einschränken, was mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gemäß Artikel 5 Grundgesetz nicht vereinbar ist.

Der eigentliche Knackpunkt ist aber, dass die Entscheidung, ob eine Meinungsäußerung rechtlich zulässig ist oder nicht, von den Netzwerbetreibern selbst getroffen wird. Damit werden privatwirtschaftliche Unternehmen zu Richtern gemacht und unter dem Druck kurzer Fristen und hoher Bußgeldandrohungen geradezu genötigt, inkriminierte Nutzereinträge zu löschen. Wer sich einmal intensiver mit dem Äußerungsrecht beschäftigt hat, weiß, wie komplex und vielschichtig diese Materie ist.

Wie schwierig solche Entscheidungen im äußerungsrechtlichen Sinne sind, haben doch zuletzt

die Causa Böhmermann und dessen Spottgedicht zum türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gezeigt. Wir Bürger in Wut meinen deshalb, über die Frage, ob eine Meinungsäußerung rechtlich zulässig ist oder nicht, entscheiden in einem Rechtsstaat immer noch die Gerichte und nicht Mitarbeiter von Facebook, Twitter oder Google.

(Beifall BIW)

Wird ein Beitrag vom Betreiber eines sozialen Netzwerks gelöscht, hat der Verfasser keine realistische Möglichkeit, sich dagegen juristisch zur Wehr zu setzen. Er müsste eine Privatklage anstrengen, und das vermutlich in den Vereinigten Staaten; denn die großen Player im Bereich des Internets sind alle in den Staaten. Dass solche Klagen nicht nur teuer, sondern regelmäßig auch aussichtslos sind, dürfte klar sein.

Meine Damen und Herren, um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Selbstverständlich müssen die Verbreitung von strafbaren Inhalten und Hass-Kriminalität vom Staat bekämpft werden. Das gilt selbstverständlich auch für das Internet; denn das ist kein rechtsfreier Raum. Die erforderlichen Gesetze, die zum Teil spürbare Strafen vorsehen, sind längst vorhanden. Sie werden aber oftmals nicht angewandt, weil es der Justiz an Personal und Ressourcen fehlt.

Ermittlungsverfahren werden deshalb eingestellt. Betroffene werden auf den Weg der Privatklage hingewiesen, den viele schon aus Kostengründen natürlich nicht beschreiten werden. Deshalb bleiben viele Straftaten wie Beleidigungen oder Hass-Reden, die sich im Internet in großer Zahl finden, ungesühnt. Doch statt Staatsanwaltschaften und die Gerichte in die Lage zu versetzen, solche Delikte effizient zu verfolgen, will der Gesetzgeber mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz die Sanktionierung von Rechtsverstößen im Internet privatisieren. Das ist nach Meinung von Juristen rechtswidrig und verfassungswidrig.

Wie eingangs bereits gesagt, wird das Netzwerkdurchsetzungsgesetz juristisch keinen Bestand haben. Es ist mit heißer Nadel gestrickt und ist aus der Furcht der etablierten Parteien geboren, aufgrund von Internetenthüllungen insbesondere im Vorfeld der Bundestagswahl Stimmen und Pfründe einzubüßen.

Strategisch steckt hinter dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz der perfide Versuch, private Betreiber sozialer Netzwerke durch unverhältnismäßige Sanktionsandrohungen zu unfreiwilligen Handlangern staatlicher Zensurbestrebungen zu machen. Unter dem Deckmantel der

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Rechtsdurchsetzung wird das Ziel verfolgt, unliebsame Kritik an gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, die häufig nur noch im Internet wirksam artikuliert werden kann, aus dem politischen Willensbildungsprozess zu verdrängen.

(Glocke)

Ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin!

Das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz dürfte dabei nur der Anfang sein. Weitere politische Initiativen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet dürften folgen. Dagegen müssen sich alle Demokraten in diesem Hause zur Wehr setzen. Wir von der Gruppe Bürger in Wut fordern deshalb die Bremische Bürgerschaft auf, hier und heute diesem Zensurdurchsetzungsgesetz der Bundesregierung eine Absage zu erteilen, sich davon zu distanzieren und dem vorliegenden Antrag, der sich gegen die Gesetzesinitiative von SPD und CDU richtet, zuzustimmen, für Meinungspluralismus und die Freiheit im Internet, gegen Zensur und die staatliche Kontrolle des politischen Diskurses. - Vielen Dank!

(Beifall BIW - Dr. vom Bruch [CDU]: Das war je- denfalls einmal eine neue Theorie! - Abg. Tschöpe [SPD]: Ich glaube, das ist eine Aliud- Theorie!)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Aulepp.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bisschen irritiert bin ich von dem Antrag und der heutigen Debatte schon. Ich habe mich in der Vorbereitung an eine Debatte vom April letzten Jahres erinnert. Sie hieß: „No Hate Speech“. Wir alle haben über alle Fraktionsgrenzen hinweg einmütig, wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, Hass-Botschaften im Internet verurteilt, aber auch darüber hinaus bessere Mechanismen zur Durchsetzung des Schutzes vor und auch der Ahndung von Straftaten im Internet gefordert.

(Beifall SPD)

Dazu gehörte auch die Kritik am unzureichenden Handeln der Netzwerkbetreiber selbst, die - auch das war nahezu einhellig - insoweit durchaus ein bisschen mehr Druck gebrauchen könnten. Deswegen bin ich von der heutigen Debatte ein bisschen irritiert.

Ich möchte vorab sagen: Für mich und für meine Fraktion ist die strafrechtliche Verfolgung

von Verleumdung, Beleidigung und Volksverhetzung nicht per se ein nicht hinzunehmender Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit, sondern ist wichtig, um genau diese zu gewährleisten.

(Beifall SPD)

Ich möchte an dieser Stelle genauso deutlich sagen, dass es für eine wirkliche Veränderung der Debatte und eine wirkliche Veränderung der gesellschaftlichen Stimmung entscheidend darauf ankommt, dass wir alle und zu jeder Zeit entschiedene Gegenrede führen, dass wir uns das trauen, egal, ob man verletzende, rassistische oder verfassungsfeindliche hetzerische Äußerungen online oder offline, analog oder digital, mitbekommt. Natürlich sind eine verantwortungsvolle Presse, gemeinnützige Organisationen, Parteien und vor allen Dingen auch Bürgerinnen und Bürger, Leute, die in Netzwerken und in echt unterwegs sind, die sich offen und lautstark, also sichtbar und hörbar, gegen Falschmeldungen und Hass-Kommentare positionieren, die wichtigsten Elemente im Kampf gegen Intoleranz, Diskriminierung und Hetze. Da stimmen wir völlig überein.

(Beifall SPD)

Es braucht aber auch - das haben Sie schon mehrfach und heute sicherlich nicht zum letzten Mal von mir gehört - Gesetze, um einen gesellschaftlichen Diskurs zu prägen, Standards zu setzen und denen, die Straftaten begehen, und denen, die Straftaten zulassen oder die Augen davor verschließen, zu zeigen, was richtig und was falsch ist. Der Erlass von Gesetzen kann gesellschaftliche Realität verändern. Diese Gesetze müssen dann natürlich auch angewandt und durchgesetzt werden.

In diesem Sinne müssen wir die Dienstleister im Netz, die Betreiber sozialer Netzwerke, die im Übrigen nicht gemeinnützig im Hinblick auf die Meinungsfreiheit handeln, sondern daran Millionen oder gar Milliarden verdienen, in die Pflicht nehmen. Sie müssen es ermöglichen, dass Nutzerinnen und Nutzer solche Straftaten und Inhalte von Hass und Gewalt leicht melden können. Wir müssen sie auch in die Pflicht nehmen, diese Inhalte konsequent zu löschen. Dafür haben die Anbieter bislang, seit unserer Debatte vor einem Jahr und trotz zahlreicher Appelle aus Politik und Gesellschaft, noch nicht genug getan. Meine Damen und Herren, da droht kein Overblocking, und da droht auch keine Löschorgie, sondern da braucht es nach wie vor Druck, und den braucht es an der Stelle eben auch durch Gesetze.

(Beifall SPD)

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Ich möchte an der Stelle auch noch mit einem Missverständnis aufräumen. Natürlich ist Strafverfolgung originär eine hoheitliche Aufgabe. Das stellt aber auch niemand infrage#. Die Netzbetreiber sollen kein Strafrecht anwenden und niemanden bestrafen. Sie sollen sich einfach an das Recht halten und Inhalte, die Straftatbestände erfüllen, von ihren Plattformen löschen.

Meine Damen und Herren, es ist doch auch bigott, in dieser Debatte so zu tun, als entschieden Betreiber sozialer Netzwerke nicht schon längst, was da gepostet werden darf und was nicht.

(Beifall SPD)

Nur ist offensichtlich zurzeit ein nackter weiblicher Busen anstößiger als rassistische Hetze. Ich finde, das können wir in einem Rechtsstaat nicht hinnehmen.

(Beifall SPD)

Ja, natürlich sind für die Auslegung des Strafrechts und dann auch für das Aussprechen von Rechtsfolgen Strafgerichte zuständig und keine Privatleute oder Unternehmen. Wir alle müssen uns aber doch immer überlegen, dass das, was wir tun, Konsequenzen hat. Wir müssen uns auch überlegen, ob das, was wir tun und sagen, strafrechtliche Konsequenzen hat. Genau diese Prüfung verlangen wir auch von Facebook und Co. Das ist keine Privatisierung von Strafverfolgung, sondern es bedeutet, dass die sich an ihre eigene Nase fassen und endlich Verantwortung übernehmen.