Protokoll der Sitzung vom 23.08.2017

Nur, Ankündigungen in Aktuellen Stunden und Wahlkampfgetöse nutzen unseren Schulen nichts und sind, für sich genommen, keine substanziellen Beiträge zu einer sachorientierten Bildungspolitik, meine Damen und Herren.

Worum geht es in der Sache? Wie jedes Jahr hat das Institut der deutschen Wirtschaft den sogenannten Bildungsmonitor veröffentlicht, in dem eine länderbezogene Einschätzung des Standes der Bildung im Allgemeinen wiedergegeben wird, wie schon gesagt: auf der Grundlage lange bekannter Einzelstudien. Hierbei schneiden die Bereiche Hochschule, Berufsbildung und MINT zusammengefasst einigermaßen günstig ab. Dem schulischen Bereich der Bildung wird - nicht überraschend, aber drastisch - nochmals ein katastrophaler Stand attestiert.

Meine Damen und Herren, bei aller durchaus möglichen Kritik an der Aktuellen Stunde möchte ich deshalb nicht missverstanden werden. Der Senat und die Koalition haben ein geradezu beschämendes Ergebnis zu vertreten.

(Beifall CDU)

Darüber hinaus ist anzumerken: Für die Kriterien „Ausgabenpriorisierung“ und „Bildungsarmut“ gibt es ebenfalls hinterste Plätze. Sie haben für Schülerinnen und Schüler in Bremen und Bremerhaven im Bundesvergleich seit Jahren systematisch schlechtere Chancen zu vertreten.

Soweit zu dem Motto „Die SPD tut Bremen gut“, Herr Schulz! ist man versucht zu sagen. Mit den Realitäten in Bremen und Bremerhaven hat sich dieser Herr jedenfalls nicht auseinandergesetzt.

(Beifall CDU)

Wie gesagt, ohne die Felder Hochschule, Berufsbildung und MINT, die uns mühselig auf einen vorletzten Platz in der Gesamtbetrachtung hieven, wären wir wahrscheinlich weit abgeschlagen auf dem letzten Platz.

Nicht nur die Situation macht Sorgen. Auch die mangelnde und insgesamt sogar rückläufige Dynamik in der schulischen Entwicklung ist das falsche Signal, das leider bundesweit zu beobachten ist. Aber weder der Stand noch die Entwicklung sind gottgegebenes Schicksal, wie man an der beeindruckenden Entwicklung

Hamburgs sehen kann. Hier sind die notwendigen Konsequenzen gezogen worden. Hier sind jetzt auch in Zahlen ablesbare Verbesserungen erreicht worden, übrigens bei einer immerhin hinlänglich vergleichbaren sozialen Struktur, nur ein paar Nummern größer.

Wer sät, kann auch irgendwann ernten. Sie haben aber verschlafen zu säen, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Sie werden nun sagen: Jetzt, mit den vor uns liegenden Haushaltsbeschlüssen, geht es aber ganz fürchterlich los! Ja, die Haushaltsanschläge enthalten Verbesserungen, die man hier auch zur Kenntnis nehmen sollte. Aber lassen Sie mich dazu anmerken: Mit Finanzspritzen und kurzatmigem Reagieren nach Kassenlage, Steueraufkommen und Zinsniveau sprintet man nicht auf vordere Ränge. Wir brauchen stattdessen kontinuierliche Entwicklungen sowie eine langfristig orientierte Politik und keine verzweifelten Strohfeuer für einen seit Jahren auf Sicht gesteuerten und unterfinanzierten Bildungshaushalt.

Eine Besonderheit, die man meines Erachtens erwähnen sollte, hat der Bildungsmonitor allerdings doch. Auch wenn er in der Substanz nicht viel Neues enthält, kommuniziert er die Katastrophe mit breiter medialer Beachtung erneut in die ganze Republik. Treuherzig geben Sie, Frau Senatorin, in einem Interview zum Besten: „Rankings sind immer gut für das Marketing …“ Immer? Ja, immer dann, wenn man einigermaßen gut abschneidet. Sonst ist genau das Gegenteil der Fall. Hier muss man einfach sagen, dass Bildung für Bremen längst auch ein Imagefaktor geworden ist, leider mit einem negativen Vorzeichen. Sie sprechen vollmundig von der wachsenden Stadt und von dem Ziel, Einwohner gewinnen zu wollen. Glauben Sie eigentlich ernsthaft - Stichwort Marketing -, dass es für Betriebe und Familien vor dem Hintergrund dieser bildungspolitischen Bedingungen wirklich attraktiv ist, nach Bremen zu kommen? Die fragwürdige schulische Qualität ist an sich schon kritikwürdig, aber schulische Bildung als Standortnachteil droht insbesondere für die Zukunft die Katastrophe neben der Katastrophe zu werden, meine Damen und Herren.

Reflexhaft wird mehr Geld und gegebenenfalls noch mehr Geld gefordert. Ja, mehr Geld war und ist erforderlich. Das ist völlig unstrittig.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Aber auch Qualität!)

Stadtbürgerschaft 3580 47. Sitzung/23.08.17

Aber hierzu gibt die Studie ebenso lapidar wie trocken den richtigen Hinweis, dass es darauf ankommt, mit mehr Geld auch das Richtige zu tun. Ich füge an: nicht nur das Richtige in der Sache, sondern auch zur richtigen Zeit und in angemessener Geschwindigkeit. Als aktuelles Negativbeispiel sei hier das fortdauernde Herumdoktern am Rahmenbildungsplan null bis zehn erwähnt. Deshalb - Frau Bogedan, das haben Sie ebenfalls in dem schon erwähnten Interview versucht -, lässt sich umgekehrt nicht alles durch die Haushaltsnotlage erklären oder entschuldigen. Nein, Sie sind verantwortlich. Ihre Politik ist seit Jahren nicht Teil der Lösung, sondern mindestens zum Teil ein Teil des Problems, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Ein weiteres Beispiel ist das Personal. Längst darf man Zweifel haben, ob mehr Geld und Stellen im Haushalt wirklich automatisch gleichbedeutend mit mehr Lehrerinnen und Lehrern in den Klassenzimmern sind. Gibt es sie eigentlich auf dem Markt, insbesondere dann, wenn man sie in der Vergangenheit in nicht ausreichender Zahl ausgebildet hat? Kommen sie gegebenenfalls ausgerechnet nach Bremen, wenn die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen so sind, wie in dieser Studie nochmals dokumentiert? Bewerben sie sich eigentlich bei den an Überforderung grenzenden Bedingungen in den Klassen dort, wo wir sie am ehesten und am dringendsten brauchen, im Westen, in Blumenthal oder in Bremerhaven-Lehe?

Diese Fragen zu stellen, heißt, sie zu beantworten. Mehr ist hier auch nicht möglich und nicht nötig. Sie zeigen aber, dass Bildungspolitik nicht nur eine Spezialdisziplin der Haushaltspolitik ist. Nur Nullen zu vermehren, reicht erfahrungsgemäß in der Politik nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Aber diese Politik, sehr geehrte Frau Steiner, steht am 24. September eigentlich gar nicht zur Wahl. Dann wählen wir den Bundestag, der auf die Bildungspolitik der Länder nur sehr begrenzten Einfluss hat, insbesondere dann, wenn wir uns über die schulische Bildung unterhalten. Da werden Richtung Bund gern einmal Nebelkerzen geworfen, und es wird gern unterschlagen, dass man in einem Ranking zur Abwechslung einmal gut abschneiden könnte, wie das bei anderen Ländern durchaus möglich war und ist. Das ist auch in Bremen schon einmal gelungen, blickt man auf den Bereich der Hochschulen. Das ist übrigens auch in dieser Studie dokumentiert.

Anmerken darf ich in diesem Zusammenhang, dass das ganz maßgeblich auf die Zeit der Großen Koalition hier in Bremen zurückgeht, an die sich allerdings manche gar nicht mehr erinnern wollen. Damals hat sich gezeigt, wie verstärkter Mitteleinsatz und die richtige Politik nachhaltige Veränderungen bewirken können. Ihre Bilanz, die von Rot-Grün - damit meine ich die Ära Böhrnsen genauso wie die Ära Sieling -, ist mit Blick auf den schulischen Teil der Bildung dagegen ein Totalausfall. Die negativen Entwicklungen haben sich - das ist hier noch einmal dokumentiert - eher verfestigt.

Zum Schluss ein kurzer Blick in die Zukunft und auf die Stichworte, auf die es eigentlich ankommt: Ganztagsschulausbau, und zwar schneller, als von Ihnen beabsichtigt, Entwicklung von Qualität und Inklusion, aber nicht in Konkurrenz, sondern in Ergänzung zueinander, Digitalisierung nicht in Konfrontation, sondern in Kooperation mit dem Bund, Verbesserung der Chancengerechtigkeit und Begabungsförderung durch eine Verbesserung individueller Förderung und Integration und vor allem endlich sichtbare Fortschritte in der frühkindlichen Bildung als Schlüssel für nachhaltige Verbesserungen in der Zukunft, nicht nur durch quantitativen Kita-Ausbau, sondern endlich auch durch eine qualitative Verzahnung von Kita und Schule, und zwar flächendeckend und vielleicht zur Abwechslung einmal in überschaubarer Zeit.

Wenn hierzu der Bildungsmonitor ein Spiegel war, in dem man die Probleme nochmals plakativ betrachten konnte, und wenn er vielleicht endlich zum nachdrücklichen und nachhaltigen Handeln beiträgt, dann haben er und die heutige Diskussion über ihn vielleicht doch einen Sinn gehabt. - Herzlichen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Güngör.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben hier schon öfter über die Ländervergleichsstudien und unter anderem über den Bildungsmonitor diskutiert. Dabei haben wir immer wieder festgehalten, dass bei diesem Bildungsmonitor mit 93 verschiedenen Indikatoren auf zwölf verschiedenen Feldern verschiedene Rankings erstellt werden. Die Ergebnisse werden mit bekannten Methoden zusammengeführt. Die IQBLändervergleichsstudie wird hierbei noch einmal besonders gewichtet.

Es wurde bereits hinlänglich gesagt, dass uns die Ergebnisse der IQB-Studie bekannt sind.

Stadtbürgerschaft 3581 47. Sitzung/23.08.17

Deshalb ist es falsch, besonders mit Pressemitteilungen und öffentlichen Äußerungen den Eindruck zu erwecken, als hätten wir hier ein neues Ergebnis zu bewerten. Das ist nicht der Fall, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD - Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Das ist schlimm genug! Das macht es nicht bes- ser!)

Sie werden anscheinend auch nicht müde, das bremische Schulsystem durch das Vergleichen von Äpfeln mit Birnen schlechtzureden und populistisch zu versuchen, daraus ein Wahlkampfthema zu machen und das Thema damit auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler und der Lehrkräfte auszutragen.

(Beifall SPD)

Frau Steiner, Sie können sicher sein: Es hilft nichts, einen Dank an die Schüler auszusprechen, wenn in der Öffentlichkeit solche beleidigenden Aussagen getroffen werden.

Wir werden nicht müde werden, die Faktenlage immer wieder neu darzustellen.

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Machen Sie doch mal! - Abg. Frau Steiner [FDP]: Schauen Sie sich die Fakten einmal an! Was Sie liefern, bedeutet: Sechs, setzen!)

Wir haben eine besonders hohe Anzahl an Schülerinnen und Schülern, die aus einem bildungsfernen Haushalt kommen. Diese Faktenlage mag Ihnen fremd sein. Wir haben eine besonders hohe Anzahl an Schülerinnen und Schülern, die aus einem Erwerbslosenhaushalt kommen.

(Zuruf FDP: Wie kommt denn das?)

Auch im Vergleich zu Hamburg und Berlin hat Bremen bei allen drei Risikofaktoren die schlechteste Ausgangslage. Solange sich diese Situation nicht ändert, ist der Vergleich mit den Flächenländern einfach falsch, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD - Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Sie negieren hier!)

Deshalb sind die Ergebnisse des Bildungsmonitors mit Vorsicht zu genießen.

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Suchen Sie nicht immer nach Ausreden! Machen Sie doch etwas!)

Alle deutschen und im Übrigen auch internationalen Bildungsexperten erkennen an, dass der

Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängt. Das ist in Deutschland in besonderem Maße ausgeprägt. Deshalb ist das auch eine Herausforderung für den Bund und nicht nur eine bremische.

(Beifall SPD - Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Weil Sie es nicht geschafft haben!)

Ich frage mich, wie Sie irgendetwas geschafft haben.

(Zurufe FDP)

Trotz dieser schwierigen Ausgangslage stehen wir bei der beruflichen Bildung und bei der Akademisierungsquote gut da. Im Übrigen ist nichts an der Abiturquote schräg, liebe Frau Steiner. Ganz im Gegenteil. Bei der Abiturquote von Ausländern liegen wir auf Platz zwei, falls Sie das zur Kenntnis genommen haben.

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Integration interes- siert ja nicht!)