Protokoll der Sitzung vom 20.09.2017

(Beifall DIE LINKE)

Für die Jahre 2018 und 2019 sind im Wesentlichen deutliche Mehrausgaben für Bildung und für andere Verstärkungsprojekte vorgesehen. Das ist gut. Die Dinge, die im Bereich der Kindertagesstätten, im Bereich der Bildung und im Bereich zusätzlichen Personals gemacht werden, sind ohne Zweifel richtige Maßnahmen. Ich finde aber, man darf sich erst dann dafür loben, wenn man den Nachweis erbracht hat, dass das genug ist, dass das die Situation verbessert und dass es nicht nur Mehrausgaben aufgrund eines höheren Bedarfes sind.

Die Anzahl an Kindern unterschiedlichen Alters ist deutlich gestiegen. Das zieht automatisch Mehrausgaben nach sich, wenn man das Niveau nicht weiter senken will. Den Nachweis, dass diese Mehrausgaben trotz Mehrbedarfs, Tarifsteigerungen und Ähnlichem wirklich eine Verbesserung darstellen, muss man erbringen. Erst dann kann man sich für diese Taten loben.

(Beifall DIE LINKE)

Meines Erachtens gibt es nach wie vor Fehlbedarfe, die wir nicht ignorieren dürfen. Das betrifft die Integration, die Armutsbekämpfung, die Überwindung sozialer Spaltung, die Reduzierung von Langzeitarbeitslosigkeit und Hilfen für Alleinerziehende. Das sind Kriterien, die wir heranziehen müssen, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob uns die nächsten beiden Haushalte und die Haushalte 2020 und 2021 nach vorn bringen.

Wir geben zwar deutlich mehr Geld für Schulen aus, müssen aber schauen, was wir tun müssen, um bei den PISA-Tests die „rote Laterne“ loszuwerden.

Wir wissen, wir benötigen mehr Geld für die Inklusion. Die Anzahl der Kinder in Risikolagen steigt. Bremens Armutsgefährdungsquote be

trägt vier Prozent. Deutschlandweit sind es 0,9 Prozent. Circa 120 000 Menschen in Bremen sind arm oder drohen arm zu werden. 7 000 Menschen in Bremen sehen sich täglich gezwungen, bei der Tafel zu speisen, also an Armenspeisungen aus privaten Spenden teilzunehmen. Alleinerziehende habe ich schon genannt.

In den Neunzigerjahren gab es knapp 80 000 Sozialwohnungen; inzwischen sind es noch 8 500. Natürlich brauchen wir mehr Wohnungen, und es stellt sich die Frage, ob wir schnell genug sind. Ja, es werden mehr Wohnungen gebaut, und zwar deutlich mehr als vorher. Das ist ein Schritt. Aber auch hier muss man fragen, ob dies den Fehlbedarf deckt, ob dies die Lage verbessert oder ob es die Lage nur weniger schlimm macht.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Frage muss man beantworten. Das kann man nicht, indem man hier sagt, wir seien auf einem guten Weg. Man muss es vielmehr rechnen. Zahlen sind ein vergleichsweise wichtiger Indikator dafür, ob bestimmte Dinge ausreichen oder nicht.

Die aktuelle Lage: Die Ausgaben für Integration und im Zusammenhang mit Geflüchteten betragen 2018 und 2019 noch einmal 296 Millionen Euro beziehungsweise 283 Millionen Euro. Die Mittel für Integration nehmen sich dagegen bescheiden aus, auch wenn es für die Bildung 1,3 Millionen Euro und für Soziales 1,6 Millionen Euro sind. Ich bin sehr dafür, bei der Frage, wie viele Mittel wir an welchen Stellen für Integration ausgeben, noch einmal genau hinzusehen. Das werden wir auch im Detail tun. Wir brauchen diese Mittel im Sport. Wir brauchen diese Mittel in der Kultur. Dafür sind 20 000 Euro vorgesehen. Wir müssen Maßnahmen für traumatisierte Migranten ergreifen. Dafür sind 60 000 Euro vorgesehen. Das scheint mir zu wenig zu sein. Für Sprachkurse für Erwachsene sind 200 000 Euro vorgesehen. Diesen Ansatz haben wir im Haushalt gefunden. Es ist zu fragen, ob diese Summe auch nur annähernd ausreicht, um erwachsenen Migrantinnen und Migranten beziehungsweise geflüchteten Menschen eine entsprechende Ausbildung angedeihen zu lassen.

Die Mittel für Jugendzentren sind in der Vergangenheit kaum gestiegen. Dieses Mal werden sie erhöht, aber auch hier ist zu fragen, ob das ausreicht. In Bremen wird an vielen Orten im Alltag ganz praktische Integrationsarbeit geleistet: in den kulturellen Einrichtungen, in den Jugendzentren, in den Mütterzentren und in den Gesundheitszentren. Überall dort arbei

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ten Menschen entweder unter sehr schlechten Bedingungen oder sogar ehrenamtlich. Sie leisten viel, damit Integration im Alltag überhaupt denkbar wird. Wir tun gut daran, in diese Menschen und in diese Einrichtungen mehr zu investieren, denn das bekommen wir durch Minderausgaben wieder zurück.

(Beifall DIE LINKE)

Bevor ich zu dem komme, was man unserer Meinung nach tun müsste, will ich noch zwei, drei Worte zu Herrn Röwekamp sagen. Die CDU ist eine christlich-demokratische Union. Ich bin früher katholisch gewesen und habe damals immer die Geschichte von der wundersamen Brotvermehrung gehört. Darin kam jemand, der die Fähigkeit hatte, aus einem Laib Brot so viele Laibe Brot und aus einem Fisch so viele Fische zu machen, dass Hunderttausende satt wurden. In Ihrer Rede, Herr Röwekamp, geben Sie vor, ein solcher Mensch zu sein.

(Abg. Tschöpe [SPD]: Was wird denn das?)

Sie haben kein Brot vermehrt, aber Geld. Ich würde mir wirklich wünschen, dass Sie Ihre Detailforderungen, Ihre Forderungen nach Kürzungen, nach Tilgung und nach Beseitigung des Sanierungsstaus sowie ihre berechtigte Forderung nach Beseitigung von Armut ein einziges Mal in Zahlen gießen und mir dann zeigen, wie das in diese Haushalte passt. Dann würde diese Form von Oppositionsarbeit glaubwürdig.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grü- nen, FDP - Abg. Gottschalk [SPD]: Das geht nicht zusammen! Das kann er nicht!)

Wir müssen - das geht auch an die Adresse des Kollegen Röwekamp - deutlich zwischen Schulden, die wir für konsumtive Ausgaben machen, und Krediten, die wir für Investitionen aufnehmen, unterscheiden. Es muss auch nach 2020 möglich sein, investive Ausgaben in irgendeiner Weise über Kredite zu finanzieren, denn aus dem laufenden Haushalt wird das mit aller Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein.

(Beifall DIE LINKE)

Ich schließe eine Frage an, die auch an Herrn Röwekamp geht. Sie stellen zu Recht fest, wir brauchten mehr Kitas, mehr Schulen und andere Dinge. Wie würden Sie das finanzieren, wenn Sie feststellten, dass die Einnahmen dafür nicht ausreichen? Diese Frage muss beantwortet werden. Ich sage nach wie vor: Es gibt Investitionen, die man über Kredite finanzieren muss, weil man sonst in der Zukunft

Mehrausgaben oder weiteren Sanierungsstau hat oder soziale Probleme schafft, die man dann nicht mehr beseitigen kann.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt wird die Gewerbesteuer um zehn Punkte erhöht. Ich habe einmal grob nachgerechnet: Wenn jemand 50 000 Euro einnimmt, die der Gewerbesteuer unterliegen, bedeutet eine Erhöhung um zehn Punkte eine Steuererhöhung um etwa 100 Euro. Das hängt ein bisschen davon ab, was er alles abziehen kann. Ich finde, es ist zulässig, dies für zwei Jahre zu machen. Wir können aber auch gern einmal darüber sprechen, alle einzubeziehen, die selbstständig arbeiten. Ich habe ein Planungsbüro. Ich zahle keine Gewerbesteuer. Warum eigentlich nicht? Diese Frage kann mir keiner beantworten. Wenn wir Steuergerechtigkeit in der Gewerbesteuer schaffen und künftig auch Freiberufler - meinetwegen ab einem bestimmten Umsatz - Gewerbesteuer zahlen, dann können wir den Gewerbesteuersatz senken, ohne auf Einnahmen zu verzichten. Dieses Kooperationsprojekt schlage ich Ihnen vor. Sie können es gern auf Bundesebene vortragen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass wir genau hinschauen werden, welche Verbesserungen die kommenden Haushalte bringen. Ich habe angemerkt, dass ich an vielen Stellen den Eindruck habe, dass sie nur den Mehrbedarf decken, die Situation aber nicht viel besser machen.

Wir haben grundsätzlich ein paar Dinge zu bedenken. Jetzt wird immer auf die Jahre 2020 und 2021 geschielt. Ich bin sicher, in vielen Fragen, insbesondere in Fragen der sozialen Spaltung, können wir nicht weitere zwei Jahre zuwarten. Das würde das Problem verschlimmern.

(Beifall DIE LINKE)

Es geht um Integration und Armutsbekämpfung. Das haben wir hier diskutiert. In der Zeit, in der wir mit vielen Geflüchteten konfrontiert waren, war eines völlig klar: Wenn wir nicht sowohl den Geflüchteten als auch den Menschen in schwierigen Lebenssituationen helfen, erzeugen wir Konkurrenz in der Armut. Wir sehen jetzt gerade, was diese Konkurrenz in der Armut mit dieser Gesellschaft macht: Ein wütender, durchgedrehter rechter Mob zieht durch die Lande, und eine Partei, vor der man nur warnen kann, erzielt hohe Wahlergebnisse. Das ist doch die Folge davon, dass sich viele Menschen abgehängt fühlen.

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(Beifall DIE LINKE)

Rechtspopulisten wird es leichtgemacht, auf diesen Staat zu schimpfen, weil wir die Zeichen der Zeit in dieser Frage nicht erkannt haben. Deswegen werbe ich dafür, deutlich herauszustellen, dass in Bremen mittlerweile beides angegangen wird. Deswegen werbe ich dafür, genau hinzuschauen, ob die bisher dafür eingesetzten Mittel ausreichen.

Ich werbe dafür, dass wir den Sicherheitsabstand zur Grenze der Neuverschuldung ausnutzen. Wenn ich richtig hingeschaut habe, sind das jetzt noch 30 Millionen Euro im Jahr. Ich bin relativ sicher, dass wir dieses Geld insbesondere in der Integration und in der Armutsbekämpfung gut ausgeben können. Sollte sich herausstellen, dass wir dieses Geld nicht hätten in den Haushalt einstellen dürfen, weil bestimmte Ereignisse hinzukommen, die uns die Obergrenze überschreiten lassen, muss man das im Nachhinein kontrollieren. Das ist gegen Ende des Jahres absehbar.

Ich werbe auch dafür, darüber nachzudenken, ob wir die 2016 diskutierte Ausnahmeregelung nicht auch für 2018 und 2019 diskutieren müssen. Es geht darum, dass wir uns aus unterschiedlichen Gründen in einer haushalterischen Notlage befinden. Ich weise noch einmal auf unsere Landesverfassung hin. Darin steht nicht nur, dass wir die Schuldenbremse einhalten müssen. Darin steht auch - ich formuliere es etwas flapsig -: Wenn jemand keine Wohnung hat, muss der Staat ihm eine stellen, wenn jemand keine Arbeit hat, muss der Staat dafür sorgen, dass er eine bekommt. Diese Teile der Verfassung ignorieren wir in den letzten zehn Jahren gründlich. Es muss möglich sein zu sagen: Wir können diese widerstrebenden Teile der Verfassung nicht länger hinnehmen. Wir wollen Wohnungen schaffen. Wir wollen Arbeit schaffen. Das ist aber nur möglich, wenn wir den Ausnahmetatbestand in der Schuldenbremse ziehen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir müssen über eine Änderung der Landesverfassung nachdenken. Das habe ich gesagt. Bremen darf keine schlechteren Bedingungen haben als andere Bundesländer. Weil wir ab 2020 keine Kredite mehr aufnehmen dürfen, sind wir in der Klemme. Was ist, wenn wir Geld für größere Projekte brauchen, wenn wir Wohnungen in dem Umfang bauen müssen, wie wir sie jetzt bauen müssen, wenn wir Schulen bauen müssen und das nicht aus dem laufenden Haushalt möglich ist, wie es in aller Regel der Fall ist? Was machen wir dann?

Ich empfehle, darüber nachzudenken, wie wir Gesellschaften wie die BREBAU oder die GEWOBA durch Bürgschaften so unterstützen können, dass sie in der Lage sind, diese Investitionen zu tätigen, so lange die Schuldenbremse in den Verfassungen steht. Wenn beispielsweise eine BREBAU Schulen baut, müssen wir diese Schulen mieten. Das finde ich immer noch besser als die Alternative, dass sich Investorinnen und Investoren langfristig die Hände reiben, weil sich die öffentliche Hand in eine Zwangslage begeben hat.

Als Alternativen werden jetzt öffentlich-private Partnerschaften genannt. Wir wissen, diese Partnerschaften gehen in aller Regel so aus, dass alle Vorteile bei den Privaten und alle Nachteile bei der öffentlichen Hand liegen. Wenn ich mich auf zehn Jahre über eine bestimmte Summe bei einem privaten Investor oder bei einer Bank verpflichte, sind das auch Schulden. Mit der Behauptung, dass ab 2020 keine neuen Schulden mehr aufgenommen werden, streut man doch Sand in die Augen. Die Schulden werden nur andere sein.

(Beifall DIE LINKE)

Wir tun alle gut daran, direkte und indirekte Steuersenkungen für Wohlhabende und Reiche zu verhindern. Die Erhöhung des Kinderfreibetrages nützt zum Beispiel nur Leuten, die Kohle haben. Leute, die keine Kohle haben, haben nichts davon.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: So ist es!)

Lassen Sie mich zuletzt noch ein Wort zur Zukunftskommission sagen. Soweit ich mich erinnere, habe ich es schon einmal gesagt. Uns liegen Lebenslagenberichte der Arbeitnehmerkammer vor. Ein parlamentarischer Ausschuss hat sich über Armut in Bremen Gedanken gemacht. Wir haben viele wichtige Erkenntnisse gesammelt. Ich bin relativ sicher, dass wir heute schon in der Lage sind, eine Menge Maßnahmen auszumachen, die die Zukunft dieses Landes extrem verbessern können. Dazu brauchen wir im Moment nicht unbedingt externe Experten. Hier in diesem Haus und auch im Senat sollte es genügend Sachverstand geben, um diese Fragen zu beantworten.

Meiner Meinung nach liegt es in unserer Verantwortung, das zu tun. Die Bürgerschaft gehört dazu. Sie ist übrigens gar nicht in dieser Zukunftskommission vertreten. Wie fallen dort also die Entscheidungen? Wir werden hinterher nur mit Ergebnissen konfrontiert. Ich sage:

Landtag

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Die Zukunftskommission Bremens sitzt hier in diesem Saal. Das ist unsere Verantwortung. Deswegen halte ich die Zukunftskommission, so wie sie gestaltet wird, nicht für nötig.

(Beifall DIE LINKE)