Protokoll der Sitzung vom 07.12.2017

Wir konzedieren auch, dass es bei vielen Angeklagten Schwierigkeiten geben kann, die Akten zu versenden, die Akten zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen und Termine mit Verteidigern in den Verfahren zu koordinieren. Das ist alles in Ordnung. Ich verspreche mir von dem elektronischen Verkehr mit der Justiz, dass wir vielleicht in der Zukunft eine Verbesserung bekommen, sodass nicht immer die Papiere in den Akten versendet werden müssen, sondern vielleicht auch elektronisch Akteneinsicht gewährt werden kann, sodass wir dort Verfahrensabschnitte abkürzen.

Dennoch, wenn Haft angeordnet worden ist, wenn Untersuchungshaft verfügt worden ist, dann gilt das Beschleunigungsgebot in besonderem Maße. Die Sechsmonatsfrist ist hier Ausdruck des Beschleunigungsgebots, denn die Freiheit ist ein hohes Gut nach unserer Verfassung. Wer zu Unrecht inhaftiert wird, ist im Zweifel auch später zu entschädigen und an diesen sind auch Vermögensschäden auszugleichen, die er möglicherweise während der Untersuchungshaft erlitten hat.

Es ist richtig, dass durch Haftbeschwerden die Untersuchungshaft aufgehoben worden ist, das ist richtig, und zwar durch Haftbeschwerden im Oktober. Die Haftentlassung ist ausschließlich auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestützt worden, denn es ist gesagt worden, wir haben hier ein Vergehen, und das Strafmaß, das die Täter zu erwarten haben, wird nicht ganz so hoch ausfallen, sodass wir schon jetzt entscheiden müssen, dass sie aus der Untersuchungshaft zu entlassen sind. Das ist ein Gesichtspunkt, der bei der Generalstaatsanwaltschaft zart mit angeklungen ist, aber das Entscheidende ist das Beschleunigungsgebot. Das Gericht hat zwar den ersten Verhandlungstag auf Anfang des Jahres 2018 terminiert, die Verhandlung auf 16 Monate gestreckt, 12 oder 14 Verhandlungstage.

(Staatsrat Schulz: 16 Wochen!)

Pardon, 16 Wochen! Nicht nur das Oberlandesgericht, sondern auch die Generalstaatsanwaltschaft - und zwar schon in ihrem Antrag - vertreten die Auffassung, dass diese Terminierung dem Beschleunigungsgebot nicht mehr gerecht wird. Wir dürfen also nicht nur von der Sechsmonatsfrist ausgehen, am Ende der Sechsmonatsfrist anfangen und dann letztlich Termine irgendwann am Sankt

Nimmerleins-Tag anberaumen, sondern wir müssen vielmehr vom Beschleunigungsgebot ausgehen und die Strafverfahren so schnell wie möglich abarbeiten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in diesem Fall die Einhaltung des Beschleunigungsgebots verneint und im Anschluss auch das Oberlandesgericht. Selbst die Ankündigung der Richterin, dass im Februar vielleicht noch ein paar mehr Termine vorgesehen werden könnten, hat das Oberlandesgericht für die Einhaltung des Beschleunigungsgebots nicht als ausreichend angesehen. Es hat deshalb von der Terminierung des Landgerichts ausgehend gesagt, ihr werdet dem Beschleunigungsgebot nicht gerecht, und deswegen heben wir diese Haftbefehle auf. Das war einer der tragenden Gesichtspunkte.

Meine Damen und Herren, man kann sich auch nicht justizpolitisch so verhalten, dass man dann sagt, wir kritisieren das Oberlandesgericht. Man kann hier und da eine andere rechtliche Auffassung vertreten, manchmal kann man auch das eine oder andere so auslegen, aber wenn die unabhängige Justiz eine Entscheidung in Bremen zum Beschleunigungsgebot trifft, dann müssen wir sie akzeptieren.

(Beifall CDU)

Dann müssen wir uns entsprechend bewegen, sodass wir in zukünftigen Fällen dem Genüge tun, aber nicht herummeckern.

(Beifall FDP, CDU, BIW)

Vom Justizsenator hätte ich eigentlich mehr Haltung erwartet. Ich hätte erwartet, dass er sich vor seine Richterschaft stellt und sie schützt, insbesondere auch deshalb, weil Herr Innensenator Mäurer nach einer Haftentlassung eines Algeriers durch das Amtsgericht lappalienmäßig kritisiert, das sei doch nur aus formalen Gründen so erfolgt. Das Landgericht hat diese Entscheidung dann wieder aufgehoben und ausgeführt, diese mäurerschen Gründe des Formalen seien überhaupt nicht der Hintergrund dafür, und sie seien überhaupt nicht die tragenden Gründe.

Ich sehe es so, dass der unabhängigen Justiz einfach der Respekt entgegengebracht werden muss und nicht dort kritisiert wird, sondern wir brauchen die entsprechenden Hinweise, die uns die Rechtsprechung gibt, die Hilfeschreie aus dem letzten Jahr und, wenn Sie so wollen, auch noch einmal die Bestätigung des Oberlandesgerichts, dass wir dem Beschleunigungsgebot gerecht werden müssen.

Das Entscheidende ist, dass wir dem nachkommen müssen, aber nicht daran herumkritisieren.

(Beifall FDP, CDU, BIW)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss! Wir haben sechs zusätzliche Richterstellen gefordert. Diese Forderung hat sich nicht nur auf die laufenden Haftverfahren bezogen. Dort ist einiges nachgearbeitet worden, und das ist wirklich auch anzuerkennen. Wir haben aber immer noch keine Aussage darüber, ob und inwieweit die Altverfahren, die über zehn Jahre alt sind und 35 bis 40 Fälle umfassen, abgearbeitet werden. Dafür brauchen wir mehr Richterstellen. Damit dem Anspruch des Rechtsstaats genügt wird und auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat nicht erschüttert wird, brauchen wir eine Justiz, die zügig und schnell reagiert.

Es ist immer in der allgemeinen Debatte bei uns der Punkt, wir sollen Täter schnell zur Verantwortung ziehen, wir sollen schnell terminieren. Dieses Beschleunigungsgebot hat das Oberlandesgericht uns noch einmal ganz dick in eine Entscheidung hineingeschrieben, und dem wollen wir nachkommen. Deswegen begrüßen wir unter diesem Gesichtspunkt auch diese Entscheidung, weil sie noch einmal deutlich macht, dass bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten zusätzliches Personal erforderlich ist, damit solche Fälle in Bremen in Zukunft nicht wieder vorkommen. - Danke schön!

(Beifall FDP, CDU, BIW)

Meine Damen und Herren, bevor ich der Abgeordneten Frau Schnittker das Wort erteile, begrüße ich recht herzlich auf der Besuchertribüne Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Integrationskurses der Sprachschule Inlingua in Bremen.

Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Schnittker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich am Freitag vor ungefähr zwei Wochen die „Nordsee-Zeitung“ aufgeschlagen und den Artikel „Polizeiangreifer auf freiem Fuß“ gelesen habe, war mein erster Gedanke: Das kann doch wohl nicht wahr sein!

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Meine Damen und Herren, genau diesen Satz habe ich den ganzen Tag über immer wieder gehört. In Bremerhaven gab es kein anderes Thema mehr, das die Menschen so sehr berührt hat. Sie sind entsetzt, und das aus meiner Sicht auch völlig zu Recht!

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Für uns ist dieser neue Fall, dass die Tatverdächtigen aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil die Anklage nicht fristgerecht erhoben worden ist, ein Skandal. Das haben meine Vorredner auch schon mehrfach betont, und ich finde, insbesondere auch unser rechtspolitischer Sprecher, Herr Yazici, hat das gut auf den Punkt gebracht: Es ist und bleibt ein Skandal, und das hat aus unserer Sicht allein Herr Senator Günthner, jetzt ja vertreten durch Herrn Staatsrat Schulz, zu verantworten.

Da hilft es auch nichts, Herr Schulz, dass Sie die Schuld dem Oberlandesgericht zuschieben. Auch über diese Rechtsauffassung hat ja Herr Yazici schon berichtet. Ich hätte erwartet, dass Sie die Verantwortung übernehmen, aber Sie schieben sie wieder auf andere. Dann, meine Damen und Herren, lieber Herr Staatsrat, wundern wir uns noch, wenn die Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die Politik verloren haben? Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln, denn was ist denn das eigentlich für ein Signal?

Dass Sie nicht in der Lage waren, das Verfahren gegen diese Gewalttäter innerhalb kürzester Zeit zu eröffnen, ist ja nicht nur ein Schlag in das Gesicht derjenigen Beamtinnen und Beamten, die sich auch jetzt weiterhin - im wahrsten Sinne des Wortes! - mit den Tätern herumschlagen müssen, sondern es ist auch ein Schlag in das Gesicht all derjenigen, die ihr Vertrauen in den Rechtsstaat gesetzt haben, denn wir reden ja hier nicht von Taschendieben oder kleineren Delikten, sondern wir reden hier von Straftaten, die auch massive Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben. Wenn ich dann lese, Herr Staatsrat, dass Sie und Ihre Partei nur wenige Tage nach dieser Geschichte einen ZehnPunkte-Plan verabschieden, mit dem Bremerhaven sicherer gestaltet werden soll, dann ist das in meinen Augen, insbesondere vor diesem Hintergrund, nur lächerlich und peinlich! Da geht mir persönlich die Hutschnur hoch!

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Ich könnte jetzt auch sagen, vor Wut könnte man fast dazu neigen, eine Tür einzutreten - damit haben Sie ja offensichtlich auch Erfahrung, Herr Schulz -, aber so geht das einfach nicht! Ich appelliere noch einmal, machen Sie einfach Ihren Job, dann haben wir nämlich solche Probleme gar nicht! - Vielen Dank!

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Schäfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat fällt es mir etwas schwer, den aktuellen Bezug dieser Debatte zu sehen, auch wenn es aktuelle Fälle gibt. In Wirklichkeit begleitet uns dieses Thema seit 20 Jahren, und manchmal, muss ich auch sagen, ist man Opfer des eigenen Erfolgs. Mich wundert so ein bisschen, dass seitens der Koalition diese Erfolge nicht herausgestellt worden sind.

Damit es keinen falschen Zungenschlag bekommt, es ist mitnichten so, dass wir heute mehr Straftaten in Bremen zu verzeichnen haben als beispielweise Mitte der Neunzigerjahre. Die Zahl der Straftaten ist sogar leicht gesunken. Wir hatten im letzten Jahr laut Polizeistatistik etwas über 90 000 Straftaten im Land Bremen, Mitte der Neunzigerjahre waren es noch über 100 000.

Besser geworden ist aber, und das ist ein Erfolg der Polizeiarbeit, die mit den Jahren immer effizienter geworden ist, dass die Aufklärungsquote gestiegen ist. Wir hatten Mitte der Neunzigerjahre eine Aufklärungsquote von unter 40 Prozent, teilweise 38 Prozent, heute reicht die Aufklärungsquote an 50 Prozent heran. Es gibt einzelne Straftatbereiche, in denen die Aufklärungsquote erheblich stärker gestiegen ist als diese 20 Prozent, bezogen auf die 38 Prozent Aufklärungsquote Mitte der Neunzigerjahre.

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Dann ist ja alles gut!)

Eigentlich eine gute Sache, man kann sich bei der Polizei bedanken, man kann sagen, es wurde vieles richtig gemacht.

Wenn man aber an der einen Stelle vorlegt, muss man natürlich an der anderen Stelle auch nachlegen. Wenn wir über gute Polizeiarbeit kontinuierlich eine höhere Aufklärungsquote haben, dann haben wir auch kontinuierlich mehr Fälle, die vor

Gericht landen, nicht erst seit den Jahren 2017 und 2016, sondern kontinuierlich seit Mitte der Neunzigerjahre. Wenn Sie sich die Polizeistatistik ansehen: Die Zahl der Fälle, die vor Gericht landen, steigt jedes Jahr.

Das Defizit, das wir in der personellen Ausstattung haben, haben wir eben auch nicht erst seit heute, sondern seit mindestens einer Dekade. Wir sehen das anhand dieser Zahl der unerledigten Altfälle, die über zehn Jahre alt sind. Das heißt, wir müssen konstatieren, wir haben hier kein aktuelles Problem, sondern wir haben ein strukturelles Defizit. Wir haben ein strukturelles Defizit in der Ausstattung der Justiz, und da helfen keine schnellen Kurskorrekturen, keine Notmaßnahmen oder eine zusätzliche Kammer, sondern wir müssen anerkennen, dass die Justiz hier grundsätzlich personell zu schwach ausgestattet ist und wir grundsätzlich andere Schwerpunkte setzen müssen, auch um unseren eigenen Erfolgen in anderen Bereichen, in der Polizeiarbeit beispielsweise, gerecht zu werden. - Vielen Dank!

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Schulz.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Vorweg, Herr Senator Günthner - das ist auch gestern schon während der Haushaltsberatungen erklärt worden - nimmt an einer Ministerkonferenz teil, und soweit ich weiß, ist es mit dem Haus hier abgestimmt, dass er als entschuldigt gilt, wenn eine Verpflichtung aus einer Ministerkonferenz resultiert. Also, die Unterstellung, er würde heute hier nicht sein, weil er hier nicht seinen Mann stehen will, ist nicht berechtigt.

(Beifall SPD)

Am 20. November 2017 hat das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen Haftbefehle gegen Angeschuldigte aufgehoben, die der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt sind. Den Ärger über diese Entscheidung kann ich nachvollziehen, aber um es klar und deutlich vorwegzunehmen: Mit Personalmangel im konkreten Fall, was öffentlich immer wieder behauptet wird, hat das nichts zu tun! Das lässt sich anhand des Verfahrens ganz gut belegen.

Dem Gerichtsverfahren liegen Widerstandhandlungen zugrunde, die die Angeschuldigten am 3.

Juli 2017 gegen Polizeibeamte anlässlich einer Verkehrskontrolle in Bremerhaven unternommen haben. Die strafrechtlichen Ermittlungen waren schon einen Monat später abgeschlossen. Die Anklage der Staatsanwaltschaft ist Anfang August 2017 bei der für Bremerhaven zuständigen und dort angesiedelten Strafkammer des Landgerichts Bremen eingegangen. Um also Klarheit zu haben: Es gibt kein Landgericht Bremerhaven, es ist auch kein für Bremerhaven typischer Fall, sondern es ist ein Fall der Justiz des Landes Bremen, den wir hier debattieren. Es gibt seit dem 1. September 2017 eine Strafkammer beim Amtsgericht Bremerhaven. Noch schneller geht es also beim besten Willen nicht.

Nach den zwingenden Vorgaben der Strafprozessordnung hat das Gericht, bevor es über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden und einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumen kann, zunächst die Akten durchzuarbeiten und dann den Angeschuldeten rechtliches Gehör zu gewähren. Nachdem dies geschehen war, hat die Strafkammervorsitzende die Terminierung geplant. Das ist bei fünf an dem Verfahren beteiligten Verteidigern, mit denen die Hauptverhandlungstermine koordiniert werden müssen, und zwar neben mehreren weiteren laufenden Haftsachen, eine komplexe Herausforderung. Dennoch ist es der Strafkammer gelungen, den Beginn der Hauptverhandlung rechtzeitig vor Ablauf der in Haftsachen geltenden Sechsmonatsfrist für den 2. Januar 2018 vorzusehen und weitere 14 Verhandlungstage in den folgenden 16 Wochen zu organisieren. Dabei muss gesagt werden: Vorsichtshalber wird so terminiert, niemand weiß, ob am Ende wirklich 14 Verhandlungstage erforderlich sein werden oder gegebenenfalls sogar noch mehr.

Darüber hinaus hat das Präsidium des Landgerichts Bremen die Strafkammer personell mit einem weiteren Richter verstärkt, um ihr die Möglichkeit zu geben, im Februar 2018 zusätzliche drei bis fünf Verhandlungstermine anzuberaumen. Dennoch hat das Oberlandesgericht die Haftbefehle mit der Begründung aufgehoben, die vorgesehene Dichte an Hauptverhandlungsterminen genüge dem in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebot nicht, deshalb sei die Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig. Ob diese Entscheidung zwingend ist, oder ob die Abwägung zwischen der Schwere der Tat und der zu erwartenden Strafe einerseits und dem Eingriff in die Lebenssphäre der Angeschuldigten durch den Vollzug der Untersuchungshaft andererseits auch umgekehrt hätte aus

fallen können, kann ich nur dahingestellt sein lassen. Die Verantwortung für diese Entscheidung trägt einzig und allein das unabhängige Gericht, das ist nämlich die richterliche Unabhängigkeit.

Die richterliche Unabhängigkeit besagt aber keineswegs, dass nicht Entscheidungen eines Gerichts auch auf Unverständnis treffen oder gar kritisiert werden können.

(Beifall SPD)