Protokoll der Sitzung vom 07.12.2017

Meine Damen und Herren, auch in diesem Fall gibt es nicht nur eine organisatorische Verantwortung, sondern auch eine politische, und die trägt Justizsenator Martin Günthner.

Ein weiterer Fall, meine Damen und Herren, der in diesem Jahr ebenfalls für Schlagzeilen sorgte und für den ebenfalls Justizsenator Günthner die politische Verantwortung trägt! Dieser Fall, meine Damen und Herren, hat mich als Vater von drei Kindern besonders betroffen und wütend gemacht. Im

Januar wurde ein Sexualstraftäter in Bremerhaven festgenommen, der in dem Verdacht steht, mehrere Kinder unsittlich berührt und missbraucht zu haben.

Der Triebtäter war bereits wegen mehrfacher Sexualdelikte aktenkundig und steht im Verdacht, sich 2013 erneut an einem Kind vergangen zu haben. Deshalb hatte die Bremer Staatsanwaltschaft im Oktober 2013 Anklage beim Landgericht erhoben. Von 2013 bis 2017, also genau vier Jahre lang, hat es das Landgericht nicht geschafft, den Prozess gegen den Wiederholungstäter zu eröffnen. Genau in diesem Zeitraum soll der Triebtäter dann erneut ein Kind unangemessen sexuell berührt haben.

Man muss sich unweigerlich die Frage stellen, ob diese letzte Tat hätte verhindert werden können, wenn die Justiz personell besser ausgestattet und dadurch die Verhandlung und Verurteilung des Straftäters beschleunigt worden wäre. Ich denke, ja, denn der Triebtäter hätte bei einer zeitnahen Verurteilung und Verbüßung der Freiheitsstrafe diese letzte Sexualtat eben nicht begehen können.

(Beifall BIW, CDU, FDP)

Eine Mitarbeiterin der Opferschutzorganisation Weißer Ring, die einige Opfer der Missbrauchstaten und deren Familien betreut, sagte nach dem Bekanntwerden des Falls, ich zitiere: „Die Mädchen sind nicht nur Kriminalitätsopfer, sie sind auch Opfer der Justiz geworden.“ Ich sage, nein, diese Mädchen sind nicht Opfer der Justiz geworden, denn die Justiz kann ihre Aufgaben nur mit dem Personal erledigen, das ihnen die politisch Verantwortlichen zur Verfügung stellen. Deshalb sind die Mädchen nicht Opfer der Justiz geworden, sondern sie sind Opfer des rot-grünen Senats, der durch falsche politische Schwerpunktsetzungen in den letzten Jahren diesen Justizskandal erst möglich gemacht hat.

(Beifall BIW, CDU)

Deshalb sage ich es hier auch ganz deutlich, meine Damen und Herren, spätestens nach dieser Justizpanne hätte Herr Günthner die Konsequenzen ziehen müssen und sich zurückziehen müssen.

(Beifall BIW)

Stattdessen klammert er sich an sein Amt, dessen Amtsführung de facto nicht er, sondern sein Staatsrat ausübt. Wir Bürger in Wut erwarten vom rotgrünen Senat, dass die personelle Flickschusterei

im Justizbereich durch ein tragfähiges Konzept ersetzt wird, eine Art Masterplan, der die Neuanstellung von Staatsanwälten und Richtern gemessen am vorhandenen Arbeitsaufwand und nicht anhand der Kassenlage vorsieht.

(Beifall BIW)

Nur so können die Gerichte und die Staatsanwaltschaften in die Lage versetzt werden, ihrem gesetzlichen Auftrag zukünftig überhaupt gerecht zu werden.

Außerdem erwarten wir von der Bremer Justiz, dass das Verfahren gegen die mutmaßlichen Bremerhavener Gewalttäter, die vor zwei Wochen aus der Haft entlassen wurden, nicht erst zwei, drei oder vier Jahre bei Gericht schlummert, bevor die Verhandlung terminiert wird. Das Landgericht hat zwar angekündigt, dass der Prozess zeitnah beginnen soll, allerdings ist fraglich, was das Landgericht angesichts der vielen Altfälle aus den letzten Jahren unter dem Begriff „zeitnah“ versteht.

Für die Gruppe Bürger in Wut möchte ich abschließend erklären, dass wir mit der Amtsführung des Justizsenators bei Weitem nicht zufrieden sind. Wenn man sich anschaut, dass insbesondere in Krisensituationen, beispielsweise bei Justizpannen, der Staatsrat und nicht der Justizsenator die Öffentlichkeit informiert, dann muss die Frage erlaubt sein, wer eigentlich das Justizressort in diesem Senat leitet.

Unabhängig von dieser Frage ist aber unstrittig, dass Martin Günthner die politische Verantwortung für die Entlassung der Untersuchungshäftlinge in diesem und im letzten Jahr trägt. Martin Günthner ist es auch, der dafür verantwortlich ist, dass Verfahren in Bremen und Bremerhaven teilweise vier, fünf oder sechs Jahre nach der Anklageerhebung noch immer nicht eröffnet werden. Beides schadet nicht nur dem Ansehen der Justiz, sondern schädigt auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Rechtsstaat.

(Beifall BIW)

Deshalb muss sich die rot-grüne Landesregierung die Frage gefallen lassen, ob Herr Günthner angesichts der zahlreichen Justizpannen eigentlich noch als Justizsenator tragbar ist. Wir Bürger in Wut haben da große Zweifel. - Vielen Dank!

(Beifall BIW)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Yazici.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute zum dritten Mal innerhalb der letzten 18 Monate das Thema Personalsituation bei der Bremer Strafjustiz, heute ist das zweite Mal im Rahmen einer Aktuellen Stunde. Der Anlass sind erneut Entlassungen aus der Untersuchungshaft wegen Überlastung der Strafkammern.

Das Ressort hat in den letzten 18 Monaten Maßnahmen unternommen, um die Probleme bei der Bremer Justiz im Allgemeinen und in der Strafjustiz im Besonderen anzugehen. Nach dem Stand von heute sind im Jahr 2017 mehr Richter beschäftigt als im Jahr 2016. Das ist erfreulich, aber mein Fazit fällt dennoch ernüchternd aus: Sie verwalten weiterhin einen Mangel. Ihr sogenannter Ausnahmezustand ist längst zu einem Dauerzustand geworden.

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Alles ist auf Kante genäht, und es gibt ganz offensichtlich keine Spielräume mehr. Die Haftentlassungen sind leider ein Beispiel dafür.

Von den neun Strafkammern haben sieben Überlast angezeigt, nur noch zwei laufen im Haftturnus. Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch eine dieser beiden Kammern Überlast mit zahlreichen Folgen anzeigt, aber vor allem wächst der Bestand. Im Bestand befinden sich etwa 35 bis 40 Altfälle, die schon über zehn Jahre schlummern. Es sind keine Kleinkram-Fälle, sondern zum Teil schwere Gewalt- und Sexualdelikte, meine Damen und Herren! Das habe ich gesagt, und das sage ich noch einmal, das ist eine Blamage für die Justizpolitik.

(Beifall CDU, FDP, BIW, Abg. Schäfer [LKR], Abg. Tassis [AfD])

Man muss kein scharfsinniger Analytiker sein, um zu verstehen, dass das mit der wachsenden Anzahl der Haftsachen nur mit zusätzlichem Personal geregelt werden kann. Deswegen haben wir vor etwa fünf Monaten eine seriöse Forderung formuliert, nämlich sechs zusätzliche Richterstellen zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen ist das auch eine Forderung der FDP.

Wir haben hier darüber beraten. Die einhellige Meinung ist gewesen, dass wir diese Verstärkung

brauchen. Die Koalition hat gesagt, dass wir unseren Antrag noch einmal im Rechtsausschuss beraten wollen, und deshalb haben wir ihn überwiesen. Letztlich ist er dort beerdigt worden. Frau Kollegin Aulepp hat die Situation gestern anders dargestellt, und deshalb möchte ich Folgendes deutlich machen: Sie haben unseren Antrag im Rechtsausschuss mit dem Hinweis abgelehnt, dass eine Strafkammer in Bremerhaven eingerichtet werden wird. Das war die Begründung, aber nicht irgendein Programm „Sichere Stadt“.

Wir haben sechs zusätzliche Richterstellen gefordert. Die Kammer in Bremerhaven ist aus dem internen Pool besetzt worden. Wir haben das natürlich hinnehmen müssen, weil Sie den Antrag abgelehnt haben.

Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass diese Strafkammer Altverfahren in Bremerhaven abarbeiten sollte und dass es durch den Wegfall von Reisetätigkeiten auch zu einer Ressourcensteigerung kommt. Wir haben das hingenommen und haben gesagt, wir schauen uns das an, denn Sie haben auch zugesagt, dass Sie eventuell nachsteuern. Das ist die Theorie. In der Praxis hat diese Strafkammer in Bremerhaven nach nur zwei Wochen Überlast angezeigt, aber nicht, weil sie durch die Bearbeitung der Altfälle überlastet gewesen wäre, sondern weil bei ihr fünf Haftsachen und ein riesengroßer Fall eingegangen sind, in dem es um Kokainschmuggel in einer Größenordnung von 800 Kilogramm und sechs Angeklagten geht. Bis zum Heiligabend wird fast täglich verhandelt, aber nicht in Bremerhaven, sondern in Bremen, weil die Sicherheitsstandards in Bremerhaven nicht ausreichen. Meine Damen und Herren, so viel zu Ihren Effektivierungsmaßnahmen durch Wegfall von Reisetätigkeiten und den Abbau von Altfällen!

(Beifall CDU, FDP, BIW, Abg. Schäfer [LKR], Abg. Tassis [AfD])

Mit dieser Maßnahme, die nach zwei Wochen jämmerlich verpufft ist, haben Sie unsere seriöse Forderung nach sechs zusätzlichen Richterstellen abgewürgt, meine Damen und Herren! Deswegen bleibt sie auch weiterhin bestehen.

(Beifall CDU, FDP, BIW, Abg. Tassis [AfD], Abg. Schäfer [LKR])

Sie bleibt auch weiterhin trotz Ihres Programms „Sichere Stadt“ bestehen, denn diese Stellen sind keine dauerhaften Stellen. Sie sind nur bis zum

Jahr 2019 finanziell hinterlegt und sind eine temporäre Maßnahme, um über diese Krisenzeit einmal wieder hinwegzukommen. Wir brauchen aber eine dauerhafte Lösung für die Strafjustiz, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU, FDP, BIW, Abg. Schäfer [LKR], Abg. Tassis [AfD])

Sie arbeiten ganz offensichtlich nach dem Prinzip Hoffnung: Möglicherweise gehen die Haftzahlen zurück. Möglicherweise können wir mit den bestehenden Haftsachen zukünftig die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einhalten. Vielleicht ergeben sich auch neue Kapazitäten durch den Wegfall eines großen Falles. Vielleicht bekommen wir keinen neuen Fall mehr in den nächsten zwei Jahren. Vielleicht spielt Werder ja auch demnächst in der Champions League.

(Heiterkeit CDU)

Wenn Sie so weitermachen, dann steigen Sie eher in die zweite Liga ab, denn mit dem Prinzip Hoffnung kann man weder in der Bundesliga verweilen noch einen funktionierenden Rechtsstaat aufrechterhalten, meine Damen und Herren! Das ist sehr, sehr ärgerlich!

(Beifall CDU, FDP, BIW, Abg. Schäfer [LKR], Abg. Tassis [AfD])

Ich kann vor allem die Polizistinnen und Polizisten in Bremerhaven sehr gut verstehen, die verärgert und frustriert sind, dass sich insbesondere solche Typen, die der Polizei seit Jahren auf der Nase herumtanzen, in sozialen Netzwerken dafür abfeiern lassen, weil sie angeblich den deutschen Rechtsstaat in die Knie gezwungen haben. Dass wir vor solchen Typen diese Schwäche zeigen, das ist kaum zu ertragen, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU, FDP, BIW, Abg. Schäfer [LKR], Abg. Tassis [AfD])

Selbstverständlich ist das Thema auch emotional. Wenn wir das Verhalten dieser Typen auf die rein juristische Ebene herunterbrechen, dann handelt es sich um Vergehenstatbestände. Dafür waren die Angeschuldigten bereits fünf Monate lang in Haft. Mit zunehmender Untersuchungshaftdauer vergrößert sich auch das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Anspruch des Staates auf Durchführung eines Strafverfahrens - so das Bundesverfassungsgericht -, und entsprechend hat die Generalstaatsanwaltschaft entschieden.

Sie hat zunächst die Haftbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen, um ihr dann drei Wochen später stattzugeben, weil nunmehr die Haftfortdauer mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz nicht mehr verhältnismäßig gewesen ist. Das Oberlandesgericht ist dieser Rechtsauffassung gefolgt, hat die Haftbeschwerden aufgehoben und die Entlassung angeordnet. Meine Damen und Herren, das ist rechtlich unproblematisch. Umso irritierter war ich, als ich zur Kenntnis nehmen musste, dass Herr Staatsrat Schulz diese normative Entscheidung des Oberlandesgerichts öffentlich kritisiert hat. Meine Damen und Herren, in diesem Hause steht es niemandem zu, unseren Richtern Empfehlungen zu geben, wie sie ihre Fälle zu entscheiden haben, und erst recht nicht einem Justizstaatsrat.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Dauernd machen Sie das! Dauernd kritisieren Sie die Entscheidungen der Justiz!)

Nein, das machen wir nicht dauernd! Das hat bei mir schon einen Déjà-vu-Effekt ausgelöst.

(Zuruf Abg. Frau Grotheer [SPD] - Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Aber nicht dann, wenn mehr Selbst- kritik angebracht wäre!)

Als nämlich im Mai 2016 die ersten Angeschuldigten aus der Untersuchungshaft entlassen worden sind, hat der „Weser-Kurier“ bei Herrn Professor Stauch, dem Vorgänger von Herrn Schulz, angefragt, ob demnächst weitere Haftentlassungen anstehen würden. Professor Stauch hat geantwortet - ich zitiere -: „Das Landgericht bemüht sich, das zu verhindern.“ Man sei im Vergleich zu anderen Bundesländern personell ordentlich ausgestattet, bedauerlicherweise sei das ein Organisationsproblem des Gerichts.

Heute argumentiert das Ressort, Personalprobleme seien nicht das Problem, dieses Mal auch nicht die Selbstorganisation des Gerichts, sondern die zweifelhafte Entscheidung des Oberlandesgerichts. Meine Damen und Herren, persönliche, politische Verantwortung kann man nicht so einfach von sich weisen.