Protokoll der Sitzung vom 07.12.2017

Heute argumentiert das Ressort, Personalprobleme seien nicht das Problem, dieses Mal auch nicht die Selbstorganisation des Gerichts, sondern die zweifelhafte Entscheidung des Oberlandesgerichts. Meine Damen und Herren, persönliche, politische Verantwortung kann man nicht so einfach von sich weisen.

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Sie haben von einem Fingerspitzengefühl gesprochen. Ich finde, Sie haben dieses Fingerspitzengefühl vermissen lassen, als Sie diese Entscheidung kritisiert haben. Ich war deshalb irritiert, weil ich Sie im Rechtsausschuss anders wahrnehme, breiter

aufgestellt und nicht als Verfechter der Benchmarkisierung der Justiz. Deswegen bin ich optimistisch, dass Sie auch weiterhin die drängenden Probleme gerade in der Strafjustiz im Rechtsausschuss seriös und sachlich angehen, und zwar so, wie wir es im Rechtsausschuss übrigens immer zu tun pflegen.

Wir müssen uns natürlich über viele Fragen unterhalten, auch über die Ökonomisierung der Abläufe und der Prozesse an den Gerichten. Vor allen Dingen müssen wir uns aber über die Frage unterhalten, wie eine angemessene Personalausstattung der Justiz auszusehen hat, denn Sie sind uns immer noch die Antwort auf die Frage schuldig, wie die Altfälle abgebaut werden sollen, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Mit dem von Ihnen aufgelegten Programm, das nur bis 2019 gilt, können Sie keine dauerhafte und planbare Strategie auszeigen. Deswegen halten wir nach wie vor an unserer Forderung der Einrichtung von seriösen sechs zusätzlichen dauerhaften Stellen in der Strafjustiz fest, weil das die Mindestvoraussetzung ist, um endlich an die Altfälle herangehen zu können, meine Damen und Herren! - Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, begrüße ich recht herzlich auf der Besuchertribüne eine Besuchergruppe „City Guide Oxford“ und die Gruppe „Treff Waschhaus Neue Vahr“.

Seien Sie ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, liebe Gäste! Bevor ich mit meiner eigentlichen Rede beginne, möchte ich allen, die im Bereich Justiz tätig sind, meinen Dank im Namen dieses Hauses, denke ich, für ihre Arbeit aussprechen, die sie tagtäglich für unseren Rechtsstaat im Land Bremen leisten.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Die gute Arbeit, die die Justiz leistet, wird selten Gegenstand von Debatten in Bürgerschaftssitzungen, es werden eher solche Themen wie dieser aktuelle Fall zum Anlass genommen, hier zu debattieren. Deswegen war es mir wichtig, diesen Dank auszusprechen. Man muss aber auch ehrlich sagen, ohne es schönzureden, wenn es der Justiz nicht gelingt, das Beschleunigungsgebot einzuhalten, ist das tatsächlich eine kleine Blamage für unseren Rechtsstaat. Das muss man schon sagen.

(Beifall FDP - Abg. Leidreiter [BIW]: Kleine?)

Trotzdem, meine Damen und Herren, muss man sich jeden Einzelfall ganz genau anschauen. Der Fall weist einige Besonderheiten auf. Es geht hier nicht darum, dass die Sechsmonatsfrist nicht eingehalten wurde, innerhalb der die Hauptverhandlung eröffnet werden muss. Darauf sind Sie, Herr Timke, auch richtigerweise eingegangen. Man muss schauen, dass man das jetzt auch einmal juristisch aufarbeitet. Ich fand es gut, dass Sie erwähnt haben, dass es nicht das Problem gewesen ist, dass die Frist nicht vom Gericht eingehalten worden ist, sondern dass es in diesem Fall die vom Landgericht vorgesehene Termindichte gewesen ist.

(Abg. Bensch [CDU]: Erklären Sie das einmal ei- nem Bürger!)

Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts waren nur 14 Termine in 16 Wochen festgelegt worden. Dazu wurden vom Landgericht weitere sechs bis acht Termine im Februar in Aussicht gestellt. Uns wurde letzte Woche im Rechtsausschuss berichtet - Herr Timke, Sie sind leider nicht Mitglied des Rechtsausschusses, aber Ihr Kollege ist ja anwesend gewesen, und Herr Yazici hat auch an der Sitzung teilgenommen -, dass die Vorsitzende wirklich alles unternommen hat, um diese weiteren Termine im Februar festzulegen. Das wurde vom Landgericht in Aussicht gestellt, aber dem Oberlandesgericht reichte dies nicht.

Ob das wirklich so unzureichend gewesen ist? Herr Yazici hat eben Herrn Staatsrat Schulz dafür kritisiert, dass er gefragt hat, ob tatsächlich die Aufhebung der Haftbefehle aufgrund dieser Termindichte notwendig gewesen sei, denn das könne man juristisch auch anders sehen. Jeder Jurist weiß, dass es unterschiedliche Auffassungen geben kann. Ich glaube, dass Herr Staatsrat Schulz, der ja auch Volljurist ist, seine abweichende Rechtsauffassung durchaus öffentlich vertreten kann. Das haben wir auch so im Rechtsausschuss gehört.

Ich möchte noch einmal deutlich sagen, die Auslastung des Gerichts - und das haben wir im Rechtsausschuss auch näher beleuchtet -, war nicht die Ursache, sondern, ich sage es noch einmal, die Termindichte. Wie Sie alle auch richtigerweise ausgeführt haben, sind in diesem Fall sehr viele Angeklagte und sehr viele Verteidiger beteiligt. Die fünf Verteidiger haben teilweise natürlich - genauso wie das Gericht - auch andere Strafverfahren mit Verhandlungsterminen. Dass es den Beteiligten nicht gelingen kann, für jede Woche an zwei oder mehr Tagen gemeinsame Termine zu vereinbaren, dürfte ganz klar sein. Jeder, der als Rechtsanwalt tätig ist, weiß, dass andere Termine beim Gericht beantragt werden, wenn es zu Terminüberschneidungen kommt. Ich möchte damit nur deutlich machen, wie schwierig es bei so vielen Angeklagten ist, gemeinsame Termine zu verabreden.

Das Oberlandesgericht hätte diesen Aspekt auch anders gewichten können.

Für uns als Politik ist natürlich die entscheidende Frage, ob wir beim Landgericht noch weiter nachsteuern müssen. Sind am Landgericht weitere Kammern oder Richter notwendig? Alle, die an der Sitzung des Rechtsausschusses teilgenommen und die letzten Debatten hier in der Bürgerschaft verfolgt haben, wissen, dass wir ab dem Jahr 2014 bis heute das Landgericht mit sehr vielen Richterstellen verstärkt haben. In den letzten Jahren ist es zu einem Zuwachs im richterlichen Dienst am Landgericht von 25 Prozent gekommen. Deswegen kann niemand hier behaupten, der Senat habe nichts unternommen. Das Gegenteil ist wahr, und das haben wir auch sehr oft im Rechtsausschuss diskutiert.

Auf die veränderten Herausforderungen und Eingangszahlen am Landgericht hat die rot-grüne Koalition - und das möchte ich noch einmal deutlich machen - schnell und umfassend reagiert.

(Abg. Dr. Yazici [CDU]: Das trifft doch gar nicht zu!)

Unter diesen Umständen ist der aktuelle Fall zwar sehr ärgerlich, aber aus meiner Sicht eignet er sich nicht, dem Senat Versäumnisse vorzuwerfen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wir alle, meine Damen und Herren, die hier in der Bürgerschaft sitzen und alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wollen einen starken Rechtsstaat, denn nur ein starker Rechtsstaat kann unsere Freiheit und unsere Sicherheit wirksam schützen. Ein starker Rechtsstaat braucht auch eine starke

Justiz. Deswegen ist es wichtig, dass wir als Abgeordnete immer wachsam sein müssen und auf etwaige Schwachstellen hinweisen müssen. Das haben wir als Koalition getan. Wir haben diese Themen immer wieder aufgegriffen, und deswegen haben wir auch das Landgericht verstärkt.

Die Stärke der Justiz hängt aber auch nicht nur allein von ihrer Ausstattung ab, sondern auch davon, wie wir über sie reden. Ich finde, wir dürfen die Justiz, die wir hier im Land haben, nicht schwachreden. Sie macht tagtäglich eine gute Arbeit.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD - Zurufe CDU, BIW - Abg. Röwekamp [CDU]: Aber schönquat- schen müssen Sie es auch nicht! Sie quatschen es schön!)

Herr Röwekamp, ich habe hier nichts schöngequatscht. Ich habe gesagt, dass das eine Blamage ist.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Eine kleine Blamage ha- ben Sie gesagt! Eine große Blamage ist das, Frau Dogan! - Beifall CDU)

Herr Röwekamp, Sie sind Jurist, und Sie wissen ganz genau, dass man als Rechtsanwalt gegen Häftlinge, die sich in Untersuchungshaft befinden, rechtliche Möglichkeiten hat. Sie als Jurist wissen, dass man beispielsweise die Verhältnismäßigkeit prüfen muss. Ich habe hier versucht, deutlich zu machen, woran es in diesem Einzelfall gelegen hat, aber ich habe mit keinem Wort versucht, das schönzureden. Ich sage noch einmal deutlich: Das erschüttert natürlich, und das ist ein Schlag in das Gesicht für die Opfer. Das möchte ich auch noch einmal betonen. Für uns als Koalition ist Opferschutz total wichtig.

(Abg. Remkes [BIW]: Ach ja?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns weiterhin kritisch und wachsam sein, aber wir dürfen unsere Justiz nicht schwachreden, sondern wir müssen sie gemeinsam, finde ich, stark machen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Peters-Rehwinkel.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Der Titel

dieser Aktuellen Stunde lautet ja: „Erneute Entlassung von Untersuchungshäftlingen - Justizsenator Günthner, übernehmen Sie endlich Verantwortung!“.

Dieses Thema, das wir heute in der Aktuellen Stunde beraten, ist, wie auch meine Vorrednerin gerade gesagt hat, sehr ambivalent zu betrachten, weil es um die Arbeit von in der Justiz tätigen Personen, Anwälte, Richter und Staatsanwälte, geht. Es geht schlichtweg um die Organisation, weil diese Verhandlungen in Räumen stattfinden, die sich nicht duplizieren lassen.

Weiterhin geht es darum, dass es eine Täterseite und eine Opferseite gibt. Es sind viele verschiedene Betrachtungen. Wir haben das natürlich hier in diesem Haus aus politischer Sicht zu betrachten. Das ist auch der Grund, aus dem ich hier in Vertretung mit meiner Kollegin Sascha Aulepp stehe, die die Vorsitzende des Rechtsausschusses ist. Ich war es auch eine ganze Zeit lang, und von daher kenne ich mich mit diesem Thema, auch als Juristin, ein wenig aus.

Daher weiß ich auch - und da knüpfe ich an meine Vorrednerin Frau Dogan an -, dass Menschen, die sich in Untersuchungshaft befinden, die Möglichkeit haben, die Haft überprüfen zu lassen. Es gibt die Möglichkeit der Haftprüfung, es gibt die Möglichkeit der Haftbeschwerde. Die Menschen, die inhaftiert gewesen sind, haben eine Haftbeschwerde eingelegt. Die Haftbeschwerde kann nur einmal und nicht mehrfach eingelegt werden. Man muss also genau prüfen, ob man sich mit diesem Rechtsmittel, das eingelegt wird, durchsetzen kann oder nicht. Es wird natürlich auch der Fall selbst überprüft und wie lange die Untersuchungshaft bereits dauert. Frau Dogan, aber auch Herr Yazici haben es bereits ausgeführt, dass fünf Monate dann schon vergangen waren.

Natürlich ist es überhaupt keine schöne Angelegenheit, wenn Polizeibeamte in einer solchen Art und Weise angegangen werden, dass sie angegriffen werden, dass es sich hier um eine gefährliche Körperverletzung - eine versuchte meines Erachtens -handelt und dass der Tatbestand des Widerstands gegen Polizeibeamte erfüllt ist.

Trotzdem befinden wir uns in diesem Rahmen nicht im Verbrechensbereich, sondern in einem anderen Rahmen, der dann der Überprüfung durchaus zugänglich ist. Nämlich in der Weise, dass gesagt wird, auch in Anbetracht der Länge der Haftdauer,

dass hier von einer Unverhältnismäßigkeit auszugehen ist.

Das wollte ich jetzt einmal vorwegschicken, um auf diesen Fall abzustellen, der jetzt zum Anlass genommen wird, um in einem Rundumschlag wieder zu sagen, dass die gesamte Justiz anscheinend mit dem Rücken an der Wand steht, dass dort niemand richtig arbeitet und dass sich alle einschüchtern lassen. Das halte ich hier für völlig polemisch.

(Beifall SPD - Abg. Timke [BIW]: Wer hat denn das gesagt? - Abg. Röwekamp [CDU]: Keiner hat das gesagt!)

Dann ist es vielleicht ein Sender-/Empfängerproblem. Ich habe schon wahrgenommen, dass hier nach dem Prinzip Hoffnung gearbeitet werden soll. Ich kann mich hier schon davor verwahren und sagen, dass wir hier nicht nach dem Prinzip Hoffnung arbeiten.

(Beifall SPD)

Die Anmerkung, vielleicht spielt Werder ja auch einmal wieder in der Champions League, habe ich insbesondere als zynische Bemerkung empfunden. Vor diesem Hintergrund empfinde ich sie wirklich als zynisch.